Von den speziesismuskompatiblen Veganern wegkommen

Verschiedene Ausgangspunkte – divergierende Zielsetzungen – Diskrepanzen zwischen Mainstreamdynamiken und minderheitlichen Kontinuitäten …

Idealerweise sollten ‘den-Veganismus-bewerbende-Menschen’ keine fleischproduzierenden tiermordenden Industrien u. Betriebe in direkter, bewusster Weise unterstützen und dabei noch behaupten ethisch unterwegs zu sein.

Auch sollte sich der vermeintliche vegane Mainstream fragen, wen er mit seiner konsumismusfokussierten Message eigentlich erreichen will und was er damit genau bewirken will: Wenn so stark auf Kaufkraft als Ausdruck veganen Handelns gesetzt wird, hänge ich all die Leute ab, die über wenig Kaufkraft verfügen. Auch vermittle ich weitere gleichermaßen wenig hilfreiche Aussagen, wie die, dass Veränderung vor allen Dingen von der kaufkraftstarken Klientel in unseren Gesellschaften ausgehen würde.

Diese Tendenzen im Veganismus haben uns bereits vor Jahren dazu veranlasst, das Label primär ausschließlich zur Beschreibung einer ethischen Lebenspraxis zu verwenden, aber nicht mehr um die eigentlichen Ziele des Weges damit zu versuchen zu umschreiben.

Vegansein sagt nicht ausreichend viel über Dinge aus, die im Zusammenhang mit einer veganen Soziologie bedeutsam sind. Und es sagt noch nicht Weiteres darüber aus, was ein Mensch ganz genau unter Tierrechten, unter Umweltschutz und auch unter Menschenrechten in den Zusammenhängen versteht.

Allgemein begegnen wir einerseits eher links ausgerichteten Veganern und auf der einen Seite eher kapitalistisch-unkritischen oder konservativ orientierten Veganern.

Den moralischen Impetus beziehen viele Veganer immer wieder aus der Vorgabe besonders tierethisch zu denken und zu handeln.

(Oberflächlicher) Veganismus und “echter-Veganer-Sein” hat mit einem vernünftigen Antispeziesismus erstmal so viel zu tun wie “tierliebender-Bürger-Sein” an und für sich. Weil: Sinn macht das Ganze erst in seinen ethischen, sozialen, ökologischen und politischen Zusammenhangen.

Was sind das für Veganer, die wenig Interesse an komplexen ethischen, sozialen, (komplexeren) ökologischen und politischen Zusammenhängen zeigen?

Es sind genau die gleichen Leute denen wir hier begegnen, die unter Tierrechten eine Art Mischung aus Streichelzoo und besserer Biologiestunde verstehen (wenn du Glück hast landest du dabei gerade mal auf dem Level einer einigermaßen gut gemachten Tierdoku im Stile multidisziplinär erweiterter Zoologie). Es sind die gleichen Leute, die keine Argumente gegen Schlachtmobile anführen und auch nicht gegen speziesistische Kunst.

Es sind die Leute, die die Themen “Tiere in Agrarbetrieben” gegen “Tiere im Zoo” ausspielen; die Kühe, Schweine, Hühner … in die Kontexte relegieren, in die Menschen diese Tiere erst hineinbefördert haben. Menschen, die eine vegane Landwirtschaft betreiben wollen, d.h. Land bewirtschaften und verwalten, ohne aber den Tieren Lebensraum anzubieten, die Anstoß zu ihrem Veganismus waren – als sei das Leben dieser Tiere unabdingbar mit dem Gedanken der Agrarwirtschaft verbunden. Es sind die Leute, die Schutzrefugien für alle Tiere eben nicht grundsätzlich einfordern.

Es sind die Leute, denen der Speziesismus, den Pferde durchleben müssen oder Kamele oder Emus, weniger wichtig ist, als ein veganes Mainstream-Image, das lieber erstmal über “Tiere als Umweltproblem” und dem gegenüber “der zu erhaltenden Biodiversität” spricht, statt die unterschiedlichen Betroffenheiten verschiedener Tiere zu erkennen und auf der Grundlage gegebener Problematiken – jenseits eines eigenen menschlichen Nutzens – zu argumentieren und Abwägungen  im Sinne der Nichtmenschen zu treffen.

Es sind auch genau die Leute, die sich dabei inszenieren, wie sie sich liebevoll einem Tier auf einem Lebenshof zuwenden. Leute, die Nichtmenschen wie einen relativ simplen Bedürfniskatalog beschreiben und sich dabei antispeziesistisch vorkommen. Ein Weg-vom-Biologismus in Hinsicht auf Tiere ist für diese Leute kaum denkbar. Eine echte Tiersoziologie gibt es, jenseits von engen Definitionen, nicht in deren Denkwelten.

Es sind die gleichen Leute, die meinen, ihre veränderte Lebensweise alleine wäre ein mutiges Statement. Indes trennen sie ein soziologisch relevantes Thema – den Veganismus – von all seinen wichtigen, vor allem auch global wichtigen Bezugspunkten.

Beim Veganismus stehen zu bleiben macht Sinn, wenn man sich wichtigen sozialen und tierrechtsrelevanten Themen dabei nicht sperrt, und dabei auch noch allen Ernstes stolz behauptet, der eigene Starrsinn zeuge von einer Art Konsequenz und stringenter Meinung.

Eine kaum nachvollziehbare Verengung und übertriebene Vereinfachung von Zusammenhängen zu betreiben, würgt den Diskurs ab und verfehlt die Möglichkeit zur besseren Analyse … .

Ohne den ganzen großen Komplex von Zusammenhängen in seinen politischen Dimensionen zu behandeln und damit auch zu arbeiten, ist das Gelärme einfach weiterhin nur der Blinddarm einer Bewegung, die so oder so gesamtgesellschaftlich läuft. Anstoß sind unseres Eindruckes nach dabei keine menschlichen Eliten, sondern Anstoß sind die Tierheit und die Tierlichkeit selbst.

Der Mainstream hier geht von einer kapitalistisch angepassten veganen Soziologie aus, er geht nicht davon aus, dass eine ganze Welt in vernünftiger Weise Pflanzen anbauen und bewahren können muss und satt werden können muss, und dass es nicht wirklich um Gaumenkitzel und Lustfresserei geht. Und dass Leute die cool markenmäßig rummampfen nicht unbedingt als vernünftiges Vorbild dienen können, einfach weil so ein unterfangen viel zu zusammenhangslos dasteht und die Botschaft cool und pflanzlich, heute nicht mehr reicht: Wo ist außer in dem Image denn da wirklich der Antispeziesismus, die Bekämpfung von Klassismus und ein Umdenken in Sachen Wachstum und damit auch die Frage, wie Umweltschutz am vernünftigsten umzusetzen wäre?

Die agrarwirtschaftlichen- und Ernährungsfragen kann ich zudem nicht wirklich ernsthaft, symbolisiert über meine Essgewohnheiten und meinen Appetit, dem Unrecht gegenüber Tieren in einem Zuge gegenüberstellen. Vegane Burger, Mett und Kram haben nichts mit Nahrungsmittelgerechtigkeit zu tun und eigentlich auch nur wenig effektiv etwas mit Tierrechten.

Viele Leute haben das mit dem veganen Lebensmittelkonsum für sich so gelöst, dass sie dadurch mit noch mehr Überzeugung ihre allseits bekannte kognitive Dissonanz kultivieren  können. Wobei es bei ihnen noch nicht mal mehr eine kognitive Dissonanz ist, wenn sie beispielsweise speziesistische Kunst geil finden, gerne vielleicht auch immer vegan essen, einen tierlichen Freund haben für den sie hohe Tierarztkosten berappen, niedliche Tiervideos und -Bilder in freundlicher sowie in objektifizierender Weise in die Timelines ihrer Sozialmedia-Kanäle spülen oder tierliche Probleme einfach totschweigen … bei vielen Leuten ist das keine kognitive Dissonanz, sondern eher eine speziesistische tierobjektifizierende Stringenz.

Meint ihr wenn ihr einen veganen Burger der Fleischwirtschaft esst, dann würde dadurch die Unrechtshaltung gegenüber Tieren ernsthaft in Frage gestellt, während die gleichen Fleischproduzenten ein speziesistisches System am Laufen halten – auch ideologisch? Diesen Konzernen ist es egal, dass sie mit Tod Geld und Einfluss erwirtschaften.

Ihr wollt diese Konzerne bekehren, während ihr kein Interesse habt einen sozialen Wechsel im Mensch-Tier-Verhältnis an ganz anderen Stellen anzustoßen. Die Wirtschaft kann sich egal wohin wenden. Und sie wird euch auch immer beteuern, dies aus Gründen der Aufgeklärtheit und des Zeitgeistes zu tun. Wer würde denn ernsthaft noch weiter seine Finger in der Tötungsmaschienerie halten und sagen, okay wir disponieren langsam um, weil sonst gehen wir pleite. Aber genau hier liegt das Problem. Tiere sind nicht in der Weise für euch relevant, als dass der Tod des einzelnen Tieres Grund wäre Gerechtigkeit einzufordern. “Lasst sie, die Fleischproduzenten, noch ein bisschen töten. Moralisch verurteilen wir das nicht, solange sie auf unseren Zug mit aufspringen.” Und ihr meint das reicht?

Ihr blendet bei euren impliziten Annahmen genau das eine hierarchische Denken aus, das als Ursache verantwortlich ist, für die Haltungen von Menschen, sich selbst als relevanter für diese Welt zu betrachten als Nichtmenschen.

Und, nochmal, wenn ihr den Veganismus schon so auf die Ernährung hin ausrichtet: Mit den Erfahrungswerten kultureller Traditionen über eine pflanzliche Ernährung zu arbeiten, hieße auch einen Teil psychologischer Aspekte von menschlicher Ernährung zu betrachten. Was bestimmt nicht falsch sein könnte.

Es ist wirklich sinnvoll wenn nicht alle diesen einen gleichen Weg propagieren, den der vegane Mainstream heute für sich gewählt hat – in dem ein politisch, soziologisch und ökologisch defizitärer Veganismus eine Lösung sein will? Im Sinne von sowohl Tier- als auch Menschenrechten sollte man da doch eher feinsäuberlich trennen.

Wenn Veganismus …

Wenn Veganismus …
wirklich nicht mit einbeziehen sollte, z.B. ob ich ein Nahrungsmittel von einem Fleischproduzenten beziehe … dann bräuchte es nochmal eine Abspaltung vom Veganismus hin zu einer ethisch noch sinnvolleren Lebenspraxis.

Ich müsste mich fragen, warum ich das tue und was ich damit befördere, dass unter einem Label Mord und Anti-Mord zeitgleich vermarktet werden sollen. Mord darf eigentlich überhaupt nicht im Zusammenhang mit Vermarktung stehen. Das ist noch so ein Problem.

Du kauft also bei einem tiertötenden Unternehmen ein Produkt, mit dem du Tiertötung abschaffen willst, und weshalb: weil du evtl. meinst, dann würden Leute wegen ihrer Essgelüsste leichter ‘umsteigen’ können? Diesen Leuten würdest du damit aber auch vermitteln, dass ein Leben weniger wert ist als eine Essgewohnheit und ein Lustgefühl.

Du würdest ihnen auch vermitteln, dass man sich nicht längerfristig und neu mit seiner Ernährung als Gesellschaft auseinandersetzen kann in solch einer schwerwiegenden Problematik.

Was ernährungs-ästhetische Fragen anbetrifft: Fermentierte, gewürzte, gebratene, marinierte … Speisen haben nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass viele Menschen ihre Nahrung auf der Basis von Tierkörpern aufgebaut haben.

Schaut euch doch tiefenpsychologisch den Prozess des Fleischessens an? Meint ihr da stünde kulturgeschichtlich nicht mehr dahinter, das immernoch kulturell hineinwirkt, als eine Geschmacksfrage?

Man sollte eine klare Trennlinie zu speziesismuskomtpatiblen Veganern aufzeichnen, denn ihr Kurs verhärtet Fronten, genau indem er zentrale Fragen und Aspekte des gesellschaftlichen Fleischkonsums, Milchkonsums, allgemein des Konsums tierlicher Produkte und derer Derivate sowie tierschädigende Praktiken (und man muss dem eben hinzufügen -Denkweisen, -Ideologischer Systeme, usw. usf.) ausblendet – die für alle Menschen ethisch relevant sind, weil sie Elefant im Raum ethischer Fehlerhaftigkeit unserer Philosophien und politischer Systeme darstellen.

Auszugehen davon, dass Fleischverzehr bei Menschen eingangs eine Frage des Geschmacks hätte sein sollen, erklärt wohl kaum auf welcher Grundlage und wie Menschen eine für sie “ethisch vertretbare Entscheidung” getroffen haben, Leben für eine Geschmacksangelegenheit zu opfern.

Diese Form eines Veganismus, der mit einfachen Antworten und einfachen Lösungen hausiert, geht von einer Vorstellung über die Mensch-Tier-Beziehung in der Geschichte aus, die nicht ohne Einwände belegt werden kann und die er aus reinem Eigeninteresse auch nicht vertreten sollte. Er negiert dabei selbst alte wertvolle Gedanken, die die Grausamkeit und die Blutrünstigkeit des Fleischverzehrs betonten, und tut stattdessen so, als wäre den Menschen eigentlich garnicht bewusst gewesen, dass sie da Leben opfern.

Im Bezug auf die Gegenwart übersieht dieser Veganismus fahrlässig in welcher Form der kleine Biobauer/-Metzger und die “Tierfabriken” und Großschlachtereien die Nachfrage noch in gleicher Weise nach genau dem gleichen Verlangen decken, dass tiefenpsychologisch in unsere speziesistischen Gesellschaften und Kulturen eingebrannt ist, als eine endlos erschreckende “Kulturanthropologie des Fleisches”.

Die Augen vor den Ursachen speziesistischer Praktiken zu verschließen und sanktionierte Tiertötung in der Breite ihres Geschehens – sei es die Trophäenjagd bis zum Tierversuch – nicht wirklich hinterfragt zu belassen, liegt wohl kaum in der Linie, die Menschen ethisch verfolgt haben über die Geschichte des ethischen Vegetarismus, Veganismus und jeglicher pazifistischen Lebensweise hinweg, die Tiere in den respektvollen wertschätzenden Fokus gesetzt hat.

Die meisten Leute die Fleisch essen, tun dies mit einer tierobjektifizierenden Inbrunst. Die, die dies nicht tun, bestehen auch nicht auf eine Ernährung, die die pflanzenessende Tierwelt bestimmt kaum für nachvollziehbar halten würde! Diese Menschen würden auch eine explizit pflanzliche Nahrung essen wollen, ohne dabei eines “wichtigen Gefühls” verlustig zu werden. Wichtig ist das “Fleischige” für den, der damit weitaus mehr verbindet als allein einen bestimmten Geschmack  – wenn auch das “Schmecken nach totem Fleisch” gewiss ein wichtiger mentaler Faktor zu sein scheint beim überzeugten karnivoren Menschen.

Wenn ein Mensch etwas als falsch erkennt, wird sich sein “Geschmack” auch verändern. Der “Geschmack für Fleisch” liegt vermutlich in letzter Konsequenz in der Haltung dieser Menschen zu Tieren. Und diese Haltung werden sie nicht ändern aufgrund eines Burgers, der nach Fleisch schmeckt. Selbst wenn diese Art Konsument mit einem Geschmack zufrieden ist und die Produkte häufiger ist, seine speziesistische Einstellung wird er dennoch in unendlich vielen weiteren Haltungen und Praktiken und Entscheidungen seines Lebens weiterleben.

Die Tierfrage liegt viel tiefer als die Fragen menschlicher Befindlichkeiten … ob jemand sich cooler oder geschmacklich befriedigter fühlt. Hedonistische Redundanz auf die gleiche Waagschale mit Ungerechtigkeit und Negation von Tierleben zu stellen, mag für Speziesisten Sinn machen. Wenn Veganer dies tun, dann haben sie einfach nicht gründlich genug nachgedacht oder es fehlt ihnen an Empathie oder sie sind schlichtweg immernoch Speziesisten light, denn Leute schnell vom Fleischkonsum wegzubekommen ist vergleichbar mit Leuten zu Umweltschützenden oder zu Menschen zu machen, die Menschenrechte wirklich oder nicht so ganz wirklich wichtig nehmen: all diese Einstellungen sind eine Frage zivilgesellschaftlicher Entwicklung! …

Und

Die marktwirtschaftliche Logik der veganen Linken erstaunt mich dabei indes auch: “Tierfabriken abschaffen/enteignen” > Kapital derer bleibt in deren Händen für Investments und neue Profite über den veganen Absatzmarkt > Großkapital lohnt sich. Kleine, vom Großkapital unabhängige(re) vegane Betriebe auf die Beine stellen und betreiben? ‘Not viable’ oder was? Wirtschaftspolitische Kontexte – uninteressant aus veganer Sicht??? Vor allem auffallend ist die Ausnahme, die hier seitens der Linken im Bezug auf Ausbeutung gemacht wird. Ich glaube nicht, dass sie das bei anderen Themen so bringen könnten.

***

Veganismus ist eine ethische Praxis. Die Verbindung zwischen der veganen ethischen Praxis und Tierrechten besteht aus antispeziesistischen, aus anti-tierobjektifizierenden Ansätzen. Tierrechte, Menschenrechte und Erdrechte sind eins.

Zuvor hatten wir eine Horde von Leuten, die einen Veganismus propagiert haben, der Tierrechte ausblendet und eine bestimmt Herangehensweise der Umweltpolitik bewarb, die greenwashing-unkritisch positioniert ist.

Jetzt tritt der vegane Typus hervor, der Tiermord zugunsten einer apologetischen Haltung der Fleischindustrie gegenüber relativiert, zugleich aber moralisch imperativ auftreten will.

Autonome Tierrechtler*innen: Vegane Soziologie heißt auch die Vorgehensweisen veganer Aktivist*innen zu beobachten und auf ihre ethische Hieb- und Stichfestigkeit hin abzuklopfen.

Der aktuell beliebte vegane fleischindustrie-affine Typus (und selbstdefinierte “gute Kumpel des lokalen Metzgers, welcher schließlich gute vegane Optionen anbietet und sich dadurch als sehr unterstützendwert kennzeichnet”) hausiert erfolgreich damit herum, dass er felsenfest zu der überaus intelligenten Überzeugung steht, wir alle sollte Fleischkonzerne fördern, solange sie versprechen ganz vegan zu werden und ihm und uns Pflanzen in Wurstform liefern.

Veganer*innen die die Fleischindustrie bewerben, und das als ethischen Aktivismus verstehen, haben den Schuss nicht gehört, indem sie letztendlich Veganismus auf eine kontraproduktive Konsumierebene reduzieren und die allgemeine Marktwirtschaft mit einer wirklich vegan-sinnmachenden Marktwirtschaft zu verwechseln scheinen. Die konkreten Tiere, der konkrete Speziesismus ist für sie nur Begleitwerk. Es gibt keinen, aber auch wirklich keinen Grund die Fleischwirtschaft zu unterstützen. Solch ein Handeln ist schlichtweg unvegan – solange die alte Definition von Veganismus noch steht.

Dieser fleischindustrie-affine vegane Typus meint anscheinend, dass dem globalen Veganismus nichts mehr im Weg stünde, wenn alle seiner Idee folgen. Nach seiner Logik bewegt das Großkapital mehr, als es Leute schaffen können, wenn sie ihren Veganismus über mehr als Fressalien definieren. The fun’s going on.

So etwa: “Tiermord ist schlimm, aber ich fördere die schlachthausbetreibenden Firmen direkt”. Die Blanks jubeln mit.

Solche Leute sekundarisieren wirklich keine Opfer. Nein, sie leben einfach mit einer völligen Doppelmoral. Sie meinen “lasst euch noch ein bisschen töten, liebe Tiere, wir sehen euch und wir unterstützen eure Mörder nur in bester Absicht und in eurem Interesse”. Sick, sick, sick …

Eine nichtexistierende Form des Boykotts. Man kann gezielt Firmen, Konzerne, Einrichtungen, usw. boykottieren, um damit auch eine politische Botschaft zu senden. Man kann anscheinend aber auch sagen, zeigt euch reuig oder einsichtig und ich bewerbe und unterstütze euch.

Dies scheint ein ziemlich apologetischer Standpunkt zu sein. Aber das Gerechtigkeitsempfinden funktioniert bei manchen Menschen, die Forderungen stellen, im Sinne einer Begünstigung derer, die die tiefgreifendsten Schäden erst generieren.

Der Konsument wählt zwischen Boykott oder Begünstigung. Und er wählt auch, ob er neuen Betrieben, Einrichtungen, usw. vielleicht lieber eine Chance geben sollte und sich die alten Profiteure lieber mal genauer anschauen sollte (statt in eine Art Stockholmsyndrom zu fällen, falls er ethisch wirklich so naiv sein könnte – was eigentlich tatsächlich nicht sein kann).

Das sind die “Werbung-für-Konsumismus-statt-einer-Dekonstruktion-von-Speziesismus”-Veganer mit schematischen ‘schlanken’ Slogans statt diskursiver Systemkritik. Zumindest vermitteln sie sich genau so!

Gute Metzger, schlechte Metzger > 2021 – Tönnies setzt auf Veggie-Wurst https://faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/toennies-setzt-auf-veggie-wurst-17217934.html [Zugriff: 10.03.24]

Die vegane Bewegung hat mal dafür gekämpft, dass es eine vegan economy gibt – von Leuten geprägt, die mit einem echten Idealismus und ökopolitischer Vernunft an die Sache herantreten.

Auch heute kann man entscheiden, welchen Betrieb man konkret mit seinem veganen Einkäufen fördern und erhalten will. Mehr Nachfrage nach Produkten von idealistischeren Kleinbetrieben ist wichtig und klug.

Dass das Bewusstsein für Veganismus wächst, ist eine allgemeine Entwicklung. Wenn diese Entwicklung mehr auf die finanzstarken und dominanten Player im Markt (regional sowie überregional) schaut, statt auf konkrete ökonomische, ökologische und antispeziesistische Kontexte, dann geht es halt um Wirtschaft, die mit pflanzlichen Produkten ihr veganwashing verwirklicht, aber nicht um vegan im Sinne der Sache.

Ja, Vegansein beinhaltet auch über Nahrungsmittelgerechtigkeit nachzudenken und somit in der Tat über politische und weltwirtschaftliche Zusammenhänge – und somit über die neuen Seiten, die wie als vernünftige gangbare Alternativen der anthropozänen destruktiven Maschinerie gegenüberstellen können.

rev. 10.03.24


Repost > https://tierrechtsethik.de/speziesismuskompatible-veganer/

Will be issued in the Gruppe Messel reader these days!

Zoos und Antispeziesismus

Zoos und Antispeziesismus

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Text: Gita Yegane Arani, Gruppe Messel

Im Sinne aller nichtmenschlichen Tierfreunde/aller Nichtmenschen, lasst uns das Thema Zoos und Speziesismus verstärkt kritisch in den gesellschaftlichen Diskurs und nachthaltiger, und mit stärkerer Publizität in den allgemeinen veganen Diskurs einbringen! Und auf individueller Ebene: wenn Ihr vegan seid, dann betont ruhig insistent warum genau ihr Zoobesuche ablehnt und für den Schutz der Lebensräume in der naturgegebenen Freiheit seid. [1]

Zoos sind artifizielle Lebensräume in denen das Konzept des Lebensraumes selbst einen vollständig durchverwalteten Prozess darstellt. Das Leben der per Zwang dort lebenden nm-Tiere wird in allen Bereichen durchgeplant und ist für die Menschen ständig kontrollierbar und einsehbar. Der Gedanke des Zoos ist unumgänglich damit verbunden, dass das Leben von nm-Tieren ein über biologisch erklärbare Vorgänge organisierbares und fremdbestimmbares Leben zu sein habe. Die tierliche Autonomie wird den Nichtmenschen kategorisch abgesprochen und es wird auf minimaler Ebene vorgegeben, dass ausreichend Freiräume in der Gefangenschaft gewährleistet seien; Freiräume wiederum, die sich an biologistisch gedachte Determinismen angliedern lassen.

Aber die Würde bleibt auch dem, dem man sie vermeintlich nimmt – und ich glaube, das ist auch ein Grund weshalb Menschen immer wieder in Zoos gehen, so paradox dies klingen mag und so wenig das den Zoobesuch entschuldigt. Menschlicher Voyeurismus im Bezug auf die „Beobachtungslust“ von nm-Tieren ist eine allgemein gesellschaftlich als normal und richtig anerkannte „Neugier“ und eine Art „Lust“ an der vor allem visuellen Interaktion mit nm-Tieren in Gefangenschaft. Was der Mensch hier aber faktisch sieht sind würdevolle, trotz aller Widrigkeit integre, in problematischen bis hin zu grauenvollen Rahmenbedingungen untergebrachte Tierindividuen in Gefangenschaft, die den menschlichen Blicken und Kommentaren und Gebaren ausgeliefert sind. Das würdelose ist der Mensch in diesem Falle und der Rahmen, in denen er/sie die nm-Tiere zwängt.

Über verschiedene Fernsehsendungen wird eine vorgegebene Possierlichkeit der Lebenssituation für nm-Tiere in den Zoos gegenwärtig immer wieder propagiert. Was vermittelt uns solch eine heile-Welt-Aussicht auf die Zoos, warum haben wir Menschen ein Bedürfnis dort eine fiktive vorwiegend heile Welt in der Interaktion zwischen Mensch und nm-Tier zu betrachten?

Wenn ich in den Zoo gehen würde – ich tat dies zuletzt um Diskriminierungsmomente im Kontext Zoo gegenüber Wollschweinen schriftlich zu dokumentieren vor über zehn Jahren – so habe ich unmittelbar eine Form der Beziehung zu den Nichtmenschen, denen ich dort in Gefangenschaft begegne. Jeder von uns hat oder hätte das. Was mache ich aber mit dieser Begegnung, wie ordnen Menschen die Situation Zoo für die Nichtmenschen und sich selber ein?

Zoos sind keine statischen Institutionen, die ihr objektifizierendes Bild, das sie über Nichtmenschen vermitteln, in jeder Weise so aufrecht erhalten könnten. Längst wissen die meisten Menschen, dass die Menagerie ein voyeuristisches Gefängnis ist und dass sie selbst sich wie speziesistische Sadisten verhalten, indem die diese „Normalität“ als solche fortsetzen.

Das echte Problem ist nicht, dass Menschen keinen Bezug zu nm-Tieren haben könnten, der in konstruktive Bahnen geleitet werden kann, durch die in der Mensch-Tier-Begegnung entstehende Synergie – man denke dabei an die endlos vielen Tiervideos in den sozialen Netzwerken die höchste Popularität genießen, wenn sie „tierlieb“ und „tierpositiv“ sind. Das grundlegende Problem ist der Analphabetismus über Speziesismus sowie Antispeziesismus respektive, der in der Gesellschaft eklatant vorherrscht. Und an diesem Problem können wir als Tierrechtler*innen etwas verändern.

Es gibt natürlich die extrem-speziesistischen Menschen, die meinen, was geht mich das an, ich konsumiere, ich arbeite, ich tue was für den (vermeintlichen) „Fortschritt“. Genau das sind aber die Leute, auf deren Einstellungen ein Großteil der gesamten gegenwärtigen Ökodestruktivität zurückzuführen ist. Menschen die meinen, die Erde sei da um ihren Wünschen und Zwecken zu dienen, die das Leben anderer zu instrumentalisieren suchen durch ihre Art „Fortschrittsgedanken“, die im Prinzip nichts anderes wollen als sich die Welt konstant untertan zu machen.

Der englische Philosoph Bertrand Russell beobachtete zur Funktionsweise menschlicher Hybris treffend folgenden Zyklus vom Privatmenschen bis zu einem fragwürdigen kollektivistischen Menschheitsgedanken, der alles außer sich in die Nutzbarkeit einer Marginalitätsrolle abrückt:

‚Höflichkeit ist die Praxis, den Teil einer Überzeugung eines Mannes zu respektieren, der sich besonders mit dessen eigenen Vorzügen und denen seiner Gruppe befasst. Jeder Mann ist, wo immer er geht, von einer Wolke beruhigender Überzeugungen eingehüllt, die sich mit ihm wie Fliegen an einem Sommertag bewegen. Einige dieser Überzeugungen beziehen sich auf sein Persönliches: sie bestätigen ihm seine Tugenden und Vorteilhaftigkeiten, die Zuneigung seiner Freunde und den Respekt seiner Bekannten, die rosigen Aussichten seiner Karriere und seine unbeeinträchtigbare Energie trotz seines delikaten Gesundheitszustandes. Als nächstes kommen seine Überzeugungen bezüglich der überlegenen Exzellenz seiner Familie; wie sein Vater die unbeugsame Standhaftigkeit hatte, die heute so selten ist; und er seine Kinder mit einer Strenge erzogen hat die man kaum noch unter modernen Eltern findet; wie seine Söhne in den schulischen Sportwettkämpfen vor allen anderen liegen, und seine Tochter ist nicht die Art von Mädchen die eine unkluge Ehe eingehen würde. Dann kommen die Überzeugungen über seine Klasse, die nach seiner Beurteilung sozial die beste ist, oder die intelligenteste, oder die sich moralisch verdienendste all der Klassen in der Gemeinschaft – obwohl darüber eine Einigkeit unter Allen besteht, dass der Erste dieser Vorzüge wünschenswerter ist als der Zweite, und der Zweite mehr als der Dritte. Bezüglich seiner Nation erhält sich jeder Mann bequeme Illusionen, ‚Fremde Nationen, es tut mir leid das zu sagen, geht es so wie es ihnen halt geht.’ So sagte Mr Podsnad, mit diesen Worten einer der tiefsten Gefühle des menschlichen Herzens Ausdruck gebend. Schließlich kommen wir zu den Theorien, die die Menschheit generell lobpreisen, entweder absolut oder im Vergleich zur ‚vernunftslosen, tierischen Schöpfung’. Menschen haben Seelen, aber Tiere haben es nicht; der Mensch ist das ‚rationale Tier’; jede besonders grausame oder unnatürliche Handlung wird als ‚brutal’* oder ‚bestialisch’ bezeichnet (obgleich solche Handlungen tatsächlich unverwechselbar menschlich sind) (1); Gott hat den Menschen nach Seinem eigenen Ebenbild erschaffen, und das Wohlergehen der Menschen ist der letztendliche Zweck des Universums.’ [2]

Aber auf diesen „Menschenschlag“ wollen wir nicht hören, sondern uns auf diejenigen Leute konzentrieren, die offen sind für eine konstruktive soziale und ökosoziale Beziehung zu nm-Tierkulturen und der gesamten natürlichen Gemeinschaft.

Gute Materialien und Ansätze zum Thema Zoos und Antispeziesismus, die wir nutzen können um weltfreundliche Menschen von ihrem ethischen Analphabetismus im Bereich Antispeziesismus wegzubekommen, sind meiner gegenwärtigen Meinung und meines Wissens nach beispielsweise folgende – wobei es natürlich weitaus mehr gibt. Leider sind insbesondere die Texte von Ralph Acampora, der wirklich ein Experte in Sachen Zookritik aus Tierrechtssicht ist, bislang nicht ins Deutsche übersetzt.

Zoos und Dekolonialismus:

Zoos waren anfänglich Repräsentativprojekte herrschender Imperien, in denen man Menschen und Tiere zusammen ausstellte. Weiterhin sind Zoos ein Zeugnis der ultimativen menschlichen Hybris, indem dort postuliert wird, man könne Ökosysteme künstlich nachspielen – eine Afrikanische Savanne in Philadelphia! Ein arktisches Meer in Florida! – und gefährdete Tierarten dadurch „retten“, indem man sie nicht in ihre Habitate zurückführt, sondern deren Reproduktion kontrolliert. Aus pattrice jones: Intersektionalität und Tiere; https://simorgh.de/about/pattrice-jones-intersektionalitaet-und-tiere/ , Stand 21.11.2018.

Moving Forward: So where do we go from here, knowing that racial and animal oppression are deeply entangled? We continue to take anti-speciesist stances ourselves. Speciesism occurs when humans are viewed as the superior species, which leads to the exploitation of animals. And so, in response to speciesism, we choose to live vegan lifestyles, through the food we eat, the clothes we wear, the skincare products we use, and our work to end factory farming, circuses, zoos and more. We use whatever resources we have to make a change, http://www.farmsanctuary.org/wp-content/uploads/2016/10/AA_VeganStarterGuide_WebVersion.pdf , Stand 21.11.2018.

Mehr Vegan Society Infos über Zoos

[1] Die Definition des Veganismus gemäß der Vegan Society: Veganism is a way of living which seeks to exclude, as far as is possible and practicable, all forms of exploitation of, and cruelty to, animals for food, clothing or any other purpose. Entertainment: Vegans choose not to support animal exploitation in any form and so avoid visiting zoos or aquariums, or taking part in dog or horse racing. A great alternative is visiting and supporting animal sanctuaries that provide safe and loving homes for rescued animals. https://www.vegansociety.com/go-vegan/definition-veganism , Stand 21.11.2018.

[2] RUSSELL, Bertrand, Sceptical Essays, Unwin Publishers Ltd., London, 1935, pp. 23-24. ‘Politeness is the practice of respecting that part of a man’s beliefs which is specially concerned with his own merits or those of his group. Every man, wherever he goes, is encompassed by a cloud of comforting convictions, which move with him like flies on a summer day. Some of these convictions are personal to himself: they tell him of his virtues and excellencies, the affection of his friends and the respect of his acquaintances, the rosy prospect of his career, and his unflagging energy in spite of delicate health. Next come convictions of the superior excellence of his family; how his father had that unbending rectitude which is now so rare, and brought up his children with a strictness beyond what is to be found among modern parents; how his sons are carrying all before them in school games, and his daughter is not the sort of girl to make an imprudent marriage. Then there are beliefs about his class, which according to his station, is the best socially, or the most intelligent, or the most deserving morally, of the classes in the community – though all are agreed that the first of these merits is more desirable than the second, and the second than the third. Concerning his nation, also, almost every man cherishes comfortable delusions, ‘Foreign nations, I am sorry to say, do as they do do.’ So said Mr Podsnap, giving expression, in these words, to one of the deepest sentiments of the human heart. Finally we come to the theories that exalt mankind in general, either absolutely or in comparison with the ‘brute creation’. Men have souls, though animals have not; Man is the ‘rational animal’; any peculiarly cruel or unnatural action is called ‘brutal’ or ‘bestial’ (although such actions are in fact distinctively human) (1); God made Man in His own image, and the welfare of Man is the ultimate purpose of the universe.’ (1) Compare Mark Twain’s Mysterious Stranger.

rev 19.01.23

Reiten ist immer noch nicht vegan, u.z. weil es nicht antispeziesistisch ist

Reiten ist immer noch nicht vegan, u.z. weil es nicht antispeziesistisch ist und weil es die-Interessen-der Pferde-exkludierend ist.

Im Falle von Pferden, heißt vegan und vegansein auch: NICHTREITEN!

Und wenn jemand sagen würde, „okay ich bin vegan, ich bin aber kein_e Antispeziesistin“, wäre das nicht mehr vegan im Sinne eines kohärenten Veganismus.

> Ist Reiten vegan? @germanvegan
> Corey Lee Wrenn: Kann Reiten vegan sein?

Ein Gespräch mit Zülal Kalkandelen über zentrale Elemente des Tierbefreiungsaktivismus.

kts8

Jahrgang 5, Nr. 4, Art. 1, ISSN 2363-6513, Oktober 2018

Ein Gespräch mit Zülal Kalkandelen über zentrale Elemente des Tierbefreiungsaktivismus.

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Hintergrund: Zülal Kalkandelen ist eine prominente Journalistin, Autorin und vegane Tierbefreiungsaktivistin in der Türkei in Istanbul. Die vegane Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung in der Türkei ist beeindruckend groß und aktiv. Dies scheint uns „erstaunlich“ weil wir im Ausland so wenig von ihren Strategien, ihren Herangehensweisen, ihren Erfolgen und von den Problemen hören, denen die Aktivist_innen dort ausgesetzt sind, inmitten einer Situation, die stetig Probleme in Hinsicht auf die eigenen, ganz grundsätzlichen Menschenrechte mit sich bringen kann. Zülal leitet zur Zeit eine Kampagne gegen Pferdekutschen, dies Thema diskutierte sie auch in der säkularen türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, für die sie regelmäßig als Kolumnistin schreibt [1].

Schlagworte: Interview, Zülal Kalkandelen, Tierbefreiungsaktivismus, Antispeziesismus, Turkei

TIERAUTONOMIE, Jg. 5 (2018), Heft 4.

Ein Gespräch mit Zülal Kalkandelen über zentrale Elemente des Tierbefreiungsaktivismus.

Buch-Aktivismus

Tierautonomie: Du hast vor kurzem Dein erstes Buch über Tierbefreiung veröffentlicht. In einer vorherigen Buchpublikation, die Du gemeinsam mit dem veganen anarchistischen Autoren Can Başkent verfasst hast, sprecht Ihr über die politische Bedeutsamkeit des Veganismus. Kannst Du uns etwas zu beiden Publikation sagen? Was sind die Hauptthemen die Du dort besprichst?

Zülal Kalkandelen: Das Buch mit dem Titel „Veganismus: Ethik, Politik und Kampf“ [Veganizm: Ahlakı, Siyaseti ve Mücadelesi] haben wir 2013 als E-Book herausgebracht. Es ist das erste Buch über Veganismus, das auf Türkisch erschienen ist. Can Başkent und ich wollten die Fragen beantworten, die Veganer_innen und Nichtveganer_innen im täglichen Leben zum Thema Veganismus so in Sinn kommen könnten. Gleichzeitig wollten wir Leute an die ethische Seite des Veganismus heranführen, in einer Zeit, in der der Veganismus in den Medien hier soweit nur als eine Ernährungsweise dargestellt wurde. Es ist ein sehr leicht lesbarer Text den wir in der Dialogform verfasst haben, bei der zwei Autor_innen, die beide langzeitige Veganer_innen sind, in verschiedenerlei Punkten zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema mitbringen. Bis heute haben mir viele Leute gesagt, dass dieses Buch sie dabei angeregt hat ihren eigenen Weg zu finden.

Mein Buch „Die vegane Revolution und die Tierbefreiung“ [Vegan Devrimi ve Hayvan Özgürlüğü], das ich dieses Jahr veröffentlicht habe, ist die soweit umfassendste Studie, die in der Türkei zu diesen Themenkomplexen erschienen ist. Ich betrachte darin, in welcher Art sich der Feminismus, die Umweltbewegung und der Marxismus mit der Tierrechtsproblematik auseinandersetzen und leite daraus meine intertextuelle Kritik ab. Im weiteren habe ich für das Buch einige Interviews mit ein paar prominenten Veganer_innen geführt. Ich sprach mit dem Musiker Moby, mit dem Musiker und Musikjournalisten John Robb, dem Mitbegründer des North American Animal Liebration Front Press Office Dr. Jerry Vlasak, dem japanischen Multi-Instrumentalisten und Komponisten Keiji Haino und dem veganen Präsidentschaftskandidaten der Humane Party in den USA Clifton Roberts, und ich versuchte dabei unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen im Bezug auf den Veganismus und den Tierrechtsaktivismus zu reflektieren.

Veganizm: Ahlakı, Siyaseti ve Mücadelesi; Veganismus: Ethik, Politik und Kampf (2013)

Vegan Devrimi ve Hayvan Özgürlüğü; Die Vegan Revolution und die Tierbefreiung (2018)

Tierautonomie: Dein Tierrechtsaktivismus ist erstaunlich effektiv, Du erreichst ein großes Spektrum an Rezipienten und erhältst viel Feedback. Kannst Du uns einen Tipp geben, wie ein Neuling seine/ihre eigenen Stärken und seine/ihre eigenen Wege im Aktivismus am besten entdecken kann? Was denkst Du macht Deinen Aktivismus so erfolgreich?

Zülal Kalkandelen: Ich befasse mich genau mit diesem Thema im letzten Kapitel meines neuen Buches. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen im Aktivismus. Auf der einen Seite gibt es Leute, die sich für einen langsamen stetigen Wandel einsetzen um ihr Ziel zu erreichen, und es gibt diejenigen, die ganz eindeutig sagen, dass wir den Tierbefreiungsgedanken voraussetzen, gleich vom Beginn an, und dass es richtig ist, dies der Gesellschaft kompromisslos zu vermitteln. Ich gehöre eher zu der zweiten Gruppe. Vor allem betone ich, dass der Veganismus und der Tierrechtsaktivismus unbedingt miteinander Hand in Hand gehen müssen und dass alle Aktivist_innen vegan sein müssen. Wichtig ist, den Aktivismus auf den Straßen nicht allein auf das Verteilen von Flugis zu beschränken, sondern den öffentlichen Rahmen dafür zu nutzen die Tatsachen zu zeigen, die hinter verschlossenen Türen stattfinden. Ich halte die Cube of Truth [2] Demo für eine sehr effektive Form des Protests. Es ist unbedingt notwendig die Medien, einschließlich der sozialen Medien, aktiv zu nutzen und wahrheitsgemäße Informationen zu teilen. Tierbefreiungsaktionen sind notwendig – auch um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die Befreiung von fühlenden Lebewesen, die gefoltert werden und denen ihre Lebensrechte aberkannt werden, ein Recht ist. Dies sollte uns vollkommen bewusst sein und zu diesem Bewusstsein sollten wir unumstößlich stehen. Die wissenschaftlichen Beweise, die unsere Argumente stützen, nützen uns in unserem Kampf. Uns muss auch bewusst sein, dass Dinge, die von allen zwar als Wahrheit anerkannt werden, in Wirklichkeit aber nicht unbedingt wahr sein müssen; in anderen Worten wir dürfen dem Druck der Mehrheit niemals nachgeben. Das Wichtigste ist, dass wir unsere Ziele niemals aus dem Auge verlieren, dass wir Geduld haben und dass wir unseren Mut nicht verlieren.

Hoffnungen auf den Undergroundmusikaktivismus

Tierautonomie: Außer Deiner journalistischen Arbeit, hostest Du auch das Radioprogramm Veganlogic. Musik und Kunst spielen politisch relevante Rollen. Denkst Du, dass Betrachtungsweisen, die nichtmenschliche Belange mit einbeziehen (d.h tierbefreiungsunterstützende Standpunkte) in Zukunft mehr Raum in der unabhängigen Musik- und Kunstszene finden werden?

Zülal Kalkandelen: Ich musste meine Radioshow im April beenden, da die Pflege eines Familienangehörigen nötig wurde. Selbstverständlich ist Musik ein sehr wichtiges Werkzeug zur Lenkung von Aufmerksamkeit auf soziale Themen. Ich habe viele Sendungen gebracht, in denen ich auf Songs über Tierrechte fokussierte. Man kann heutzutage nicht gerade behaupten, dass es eine Masse solcher Songs gibt. Das Thema ist fast ein Tabu. Selbst vegane Musiker_innen thematisieren Tierrechte in ihren Liedern eher selten. Es gibt diese Art der Bands allerdings in der Anarchopunk- und der Hardcore-Szene. Die Bands reflektieren in ihrer Musik Haltungen, die den Umweltschutz und die Tierrechte verteidigen, sowie Haltungen gegen Faschismus, Kapitalismus, gegen Autoritätssysteme, Sexismus und Homophobie. Dazu braucht es ein politisches Bewusstsein, dass sich entschieden gegen das System stellt. Du musst dich heutzutage von kommerziellen Erwartungen befreien können, um solch eine Musik zu machen. Denn diese Musik ist das Gegenteil von populär. Ich hoffe es wird davon mehr in der Zukunft geben, aber ich denke diese Musik wird immer ihren Platz in der Independent-Szene, in den Minderheits- und Undergroundströmungen beibehalten.

Eine ethische Revolution für die Menschheit

Tierautonomie: Alle Formen der Unterdrückung sind miteinander verbunden, aber jede weist ihre einmaligen und ihre spezifisch tragischen Eigenschaften auf, so wie etwa im Speziesismus das: „Lebensmittel sein“, das „an erster Stelle in biologistischen Begriffen definiert werden“, das „problemlos in der Ästhetik und der Kunst objektifiziert werden“ beispielsweise. Wie können wir die Spezifik der Unterdrückung nichtmenschlicher Tiere diskutieren, in diesem Sinne, und dabei aber auch zeitgleich das breitere Spektrum der Verbindungen verschiedener unterdrückerischer Systeme (Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus, …) mit im Auge behalten?

Zülal Kalkandelen: Es ist bewiesen, dass Tiere ebenso Gefühle haben, und die Menschheit muss daraufhin tun was notwendig ist. Wir müssen den Speziesismus hinterfragen, der dem Menschen eine Überlegenheitsstellung zuweist, und den Karnismus, bei dem die einen Tiere geschützt werden während die anderen geschlachtet werden, und, wir müssen den Status der Tiere als Individuen durchsetzen sowie deren Rechte zu leben ohne menschlicher Gewalt ausgeliefert zu sein. Dies stellt für die Menschheit eine ethische Revolution dar. Es ist speziesistisch zu denken, das Leben des einen fühlenden Wesens sei weniger Wert als das eines anderen. Solch ein Denken basiert auf den gleichen Fundamenten wie der Rassismus, der zwischen den Menschen als „Rassen“ unterscheidet und dem Sexismus, der qualifizierende Unterschiede zwischen Geschlechtern vornimmt. Das Schlachten von Tieren basiert auf einer anthropozentrischen Denkweise. Und genauso liegt hier der Grund, weshalb wir die Freiheit von Menschen, Tieren und der Erde im gleichen Zuge verteidigen. Wenn der ganze Planet ein gigantisches Schlachthaus für Tiere ist, wie können wir dann jemals erwarten, dass wir hier Frieden erleben würden? Die Menschheit muss sich dieser Wahrheit stellen. Es macht keinen Sinn sich konservativ an eine Vergangenheit zu klammern und diese auch noch zur Rechtfertigung der Fortsetzung von Ausbeutung anzuführen. Wenn alles immer weiter gehen würde wie gehabt, dann wäre weder die Sklaverei abgeschafft worden noch wären Frauenrechte jemals vereidigt worden. Um gegen alle Formen von Diskriminierung in gleicher Weise zu sein, müssen wir betonen, dass alle Lebewesen das Recht haben zu leben, ohne irgendeiner Form der Ausbeutung oder der Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Die Diskriminierung von Tieren kann genauso wenig akzeptiert und hingenommen werden wie die Diskriminierung wegen „Rasse“, Religion, Weltanschauung, Geschlecht.

Umwelt- und Tierbelange gehen Hand in Hand

Tierautonomie: Glaubst Du wir können den Schutz der Umwelt (einschließlich des Lebensraumschutzes, Raum für Schutzrefugien in jeglicher Größe, Stichwort „Microsanctuary“) und die Tierrechte in einer eindeutigeren Weise miteinander verbinden? Und zwar so, dass die Beziehung zwischen der „Natur“ und den nichtmenschlichen Tieren als essentiell anerkannt wird, und dass wir somit den Schutz der Natur in die Tierrechte mit einbetten. Es ginge also auch darum, die Umwelt somit aus dem ihr zumeist zugeordneten Status herauszuheben, in dem sie betrachtet wird als „etwas, das als eine lebende Ressource zu dienen hat, für die Zwecke und den Nutzen menschlicher Interessen“?

Zülal Kalkandelen: Die „Nutztier“-Industrie ist die Industrie, die den Planeten am stärksten schädigt. Wenn die Tierrechte nicht in dem Umweltschutz mit einbezogen werden, dann hat der Kampf keine Chancen auf Erfolg. Du kannst kein_e Umweltschützer_in sein und gleichzeitig die Industrie unterstützen, die am stärksten für die Umweltkatastrophen verantwortlich ist. Wenn ich fragen würde, was ist das größte Umweltproblem in unserem Zeitalter, würde jeder wahrscheinlich sagen der Klimawandel und die globale Erwärmung. 13% der globalen Treibhausgasemissionen stammen von sämtlichen Transportfahrzeugen (einschließlich aller Land-, See-, Luft- und Schienenfahrzeuge). 51% werden verursacht durch die Tierzucht und ihre Subindustrien … eine pflanzliche Ernährungsweise reduziert den CO2-Fußabdruck um 50%. Im Amazonasgebiet wird eine Fläche Regenwald in der Größe eines Fußballfeldes jede Sekunde gerodet, und solch eine Fläche dieser Größe wird zerstört um gerade mal 250 Harburger herzustellen. Die Fleisch- und die Milchindustrien verwenden 1/3 der Wasserressourcen der Erde. 1/3 des Erdreichs verwüstet aufgrund der „Nutztier“-haltung. 45% fruchtbarer Landflächen werden für die „Nutztier“-haltung verwendet. Nach Aussage einer Untersuchung, die vom World Wildlife Fund durchgeführt wurde, sind 60% des Verlusts an biologischer Diversität der Fleischproduktion geschuldet. All dies zeigt, dass die Tierindustrie der wesentliche Grund für das Artensterben sind, für Totzonen in den Ozeanen, die Verschmutzung von Gewässern, den Verlust natürlicher Lebensräume und den Klimawandel. Die Menschen können diese wissenschaftlichen Daten nicht noch länger ignorieren. Die Natur hat ihre rote Flagge schon vor langer Zeit gehisst. Es muss anerkannt werden, dass die Welt nur ganz ist mit den Bäumen, mit den Tieren und mit Menschen.

Das grundsätzlichste Recht im Kampf um Tierrechte ist das Recht auf Leben

Tierautonomie: Tierrechte sind in jedem Teil der Erde und in jeder Ebene unserer Gesellschaften gleichermaßen relevant und der Speziesismus betrifft alle nichtmenschlichen Tiere in der einen oder anderen Art und Weise. Der Tierrechtsaktivismus scheint jedoch in mehrfacher Form gespalten zu sein. Wir haben zum Beispiel den Schutz wildlebender Tierarten auf der einen Seite und die Tierrechtsbewegung zum Rechte von sog. Farmtieren auf der anderen. Zur gleichen Zeit wird der Diskurs sehr von westzentrischen Sichtweisen über die Herangehensweise an Tierthemen dominiert. Denkst Du die Tierrechtsbewegung könnte in der Tat universeller und pluralistischer werden, um so der allgemeinen Situation die-Tiere-global-betreffender, speziesistischer Destruktivität entgegenzutreten?

Zülal Kalkandelen: Traurigerweise hindert die Spaltung im Tierrechtsaktivismus die Bewegung an mehr Effizienz. Wenn wir auf die eine Gruppe Tiere fokussieren und andere Tiere dabei ignorieren, hindern wir dadurch die Entwicklung eines gesellschaftlichen Bewusstseins für ein ganzheitliches Recht auf Leben. Um die zerstörerischen Effekte des Speziesismus zu eliminieren, müssen wir jegliche Ausbeutung, und zwar aller Tiere ohne jeden Unterschied ablehnen. Menschen die mit „Haustieren“ leben oder die sogar in einem Tierheim arbeiten, und die dann nachhause gehen, sich ihr Lammfleisch zubereiten und es vertilgen, sind einfach nicht nachvollziehbar. Leute in der Tierrechtsbewegung müssen vegan sein. Ansonsten könnte jede_r in dieser Welt seine eigene Art ausbeuterischen Verhaltens weiter nach außen hin rechtfertigen. Es ist deshalb so wichtig den Veganismus zu verbreiten. Das grundsätzliche Recht im Kampf um Tierrechte ist das Recht auf Leben. Was dabei wichtig ist, ist sicherzustellen, dass die vegane Bewegung auf einer ethischen Grundlage verbreitet wird und sie in die Tierrechtsbewegung zu integrieren. Und das ist genau das, was ich versuche zu tun.

Anmerkungen

[1] Wir haben zwei weitere relevante Quellen, die sich mit der veganen Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung in der Türkei befassen, vorgestellt, siehe:

Vegan Türkiye über intersektionalen veganen Outreach und die Rechte der Nichtmenschen, 2014, https://simorgh.de/about/vegan-turkiye-ueber-intersektionalen-veganen-outreach-und-tierrechte/ , Stand 12.10.2018.

Wir haben Can Başkent über Schnittstellen zwischen Atheismus und Tierrechten befragt, TIERAUTONOMIE, Jg. 1 (2014), Heft 3,  https://simorgh.de/about/wir-haben-can-baskent-ueber-schnittstellen-zwischen-atheismus-und-tierrechten-befragt/ , Stand 12.10.2018.

[2] Die Cube of Truth-Demonstrationen wurden von der Gruppe ‘Anonymous for the Voiceless’ im Jahr 2016 ins Leben gerufen und wurden seither von Tierrechtsaktivist_innen weltweit übernommen und verschiedenerorts durchgeführt, siehe https://www.anonymousforthevoiceless.org/ , Stand 12.10.2018.

Links

Zülal Kalkandelen auf Twitter: https://twitter.com/veganzulal

Seite: http://www.zulalkalkandelen.com

Die Tierrechtsgruppe die Zülal begründet hat: https://twitter.com/bhhtoplulugu

Tierautonomie

Herausgeber: www.simorgh.de – ‚Open Access in der Tier-, Menschen- und Erdbefreiung’. Revised 10/2018.

Zitation

Ein Gespräch mit Zülal Kalkandelen über zentrale Elemente des Tierbefreiungsaktivismus (2018). TIERAUTONOMIE, 5(4), http://simorgh.de/tierautonomie/JG5_2018_4.pdf..

TIERAUTONOMIE (ISSN 2363-6513)

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Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

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A talk with Zülal Kalkandelen about key elements of animal liberation activism

kts8

Jahrgang 5, Nr. 3, Art. 1, ISSN 2363-6513, Oktober 2018

A talk with Zülal Kalkandelen about key elements of animal liberation activism.

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Background: Zülal Kalkandelen is a prominent journalist, author and vegan animal liberation activist in Istanbul, Turkey. The vegan animal rights and animal liberation movement in Turkey is astonishingly large and active. This is “astonishing” because we hear too little abroad about their strategies, their approaches, their successes and the problems activists in Turkey face amidst a general situation of constant threats of losing their basic human rights. Zülal currently runs a campaign against horse carriages, she featured the topic recently in the the secular Turkish Newspaper Cumhuriyet, for whom she writes as a columnist [1].

Tags: interview, Zülal Kalkandelen, animal liberation activism, anti-speciesism, Turkey

TIERAUTONOMIE, Jg. 5 (2018), Heft 3.

A talk with Zülal Kalkandelen about key elements of animal liberation activism.

Book-Activism

Tierautonomie: You recently published your first major piece on animal liberation, in a previous publication that you co-authored with the vegan anarchist author Can Başkent you talked about the political importance of veganism, can you tell us about both publications? What are your primary concerns?

Zülal Kalkandelen: The book titled “Veganism: Ethics, Politics and Struggle” [Veganizm: Ahlakı, Siyaseti ve Mücadelesi] was published as an e-book in 2013. It is the first veganism book published in Turkish. With Can Başkent, we wrote it to answer the questions that can come to the minds of vegans and non-vegans in daily life. At the same time, we also wanted to introduce the ethical stance of veganism at a time when veganism was reflected in the media only as a diet. It is an easily readable text in interview/conversation format where two writers who both live a vegan life for a long time have different approaches to the subject at some points. Until this day, many people expressed that this book has guided them. I can say that it has functioned well in these terms.

My book titled “Vegan Revolution and Animal Liberation” [Vegan Devrimi ve Hayvan Özgürlüğü], published this year, is the most extensive copyrighted study in Turkey in this area. I assessed feminism, environmentalism and Marxism based on their approach to animal rights, and developed an intertextual criticism. There are also special interviews I made with leading/popular vegans in the book. I talked with musician Moby, musician and music writer John Robb, co-founder of North America Animal Liberation Front Press Officer Dr. Jerry Vlasak, experimental noise composer Keiji Haino and first vegan presidential candidate of the USA Clifton Roberts, and tried to reflect different points of view in terms of veganism and animal rights activism.

Veganizm: Ahlakı, Siyaseti ve Mücadelesi; Veganism: Ethics, Politics and Struggle (2013)

Vegan Devrimi ve Hayvan Özgürlüğü; Vegan Revolution and Animal Liberation (2018)

Tierautonomie: Your activism for Animal Rights is stunningly effective, you have a great outreach, a broad spectrum of recipients and a lot of active feedback. Is there any advice you could give someone for empowering them to become their own masters within their own paths of activism? What makes activism effective do you think?

Zülal Kalkandelen: I focused on this subject in the last chapter of my book published this year. There are different approaches in activism. While there are people who defend gradual progress to the objective, there are also people who clearly state the animal liberation idea we defend from the start and think it is right to express this to the society without any compromise. I am closer to the second group.

Above all, I emphasize that veganism and animal rights activism must absolutely be together and all activists must primarily live as a vegan. It is essential to avoid limiting street activism only to handing out leaflets and instead, to use it actively in order to expose the truths hidden from the society. I encourage the Cube of Truth [2] demonstration which is a significantly effective type of protest.

It is important to use media and social media actively and to share correct information. Animal liberation acts are required to attract attention that liberation of sensitive beings who are tortured and who are wanted to be deprived of their right to live, is a right. These must be planned very carefully. Activism is effective, because we are right. We must be aware of this and stand tall by holding our ground. The scientific facts that allow us to express our arguments in a non-disprovable way also support us. We must know that the things accepted by everyone may not be true at all times, and we must not give in to majority pressure. Above all, it is essential to be determined, patient and brave.

Hopes for underground music activism

Tierautonomie: Apart from your journalistic work you also run the radio program Veganlogic. Music and arts play politically relevant roles. Do you think views that imply nonhuman concerns (animal-liberation-supportive-standpoints) can find more space in the independent music and arts scenes in the future?

Zülal Kalkandelen: I had to end my radio show on April due to a health problem in my family. Of course, music is a very important tool to draw attention to social issues. I hosted many shows consisting of songs focused on animal rights. Today, it is not possible to say that songs that deal with this issue are too many. This subject is almost a taboo. Even a few vegan musicians bring animal rights forward.

However, there are these kinds of bands in anarcho-punk, hardcore-punk scene. They reflect the opinions defending environmentalism and animal rights in their music as well as a stance against fascism, capitalism, authority, sexism and homophobia. This requires an anti-system political stance.

Today, you have to free yourself from commercial expectations in order to make such music. Because it is the opposite of what is popular. I hope it increases in the future, but I think, it will always have its place in independent music scene, minority and underground veins.

An ethical revolution for humanity

Tierautonomie: All forms of oppression are connected, but each one has its unique and specific tragic features, such as in speciesism: “being food”, “being primarily classified in ‘biologistical’ terms”, “being readily objectified in aesthetics and arts” for instance. How can we discuss the specifics of nonhuman animal oppression, in that sense, while keeping the broader connections of different oppressive systems (racism, sexism, classism, ableism, …) in perspective?

Zülal Kalkandelen: It is proven that animals have feelings too, and humanity must do what is necessary. We must question speciesism which attributes superiority to humans and carnism which defends on protecting one animal while slaughtering another one, and must bring forward individuality status of animals as well as their right to live without being subject to violence. This is an ethical revolution for humanity.

It is speciesism to think that life of a sensitive being is less valuable than the others. This based on the same foundation with racism based on discrimination among human races and sexism based on discrimination among sexes. Slaughtering animals is based on this anthropocentric idea. This is the reason why we defend human, animal and earth freedom at the same time. If the whole planet is an enormous slaughterhouse for animals, how can people hope for peace here? Humanity must face this truth.

There is no reasonable use of holding on to the past conservatively and making it an excuse for continuing the exploitation. If all things would continue the same way, neither slavery would be abolished nor women’s rights would be defended. In order to be against all discrimination the same way, we must emphasize that all creatures have the right to live without being subject to any kinds of exploitation or discrimination. Discrimination against animals cannot be accepted similar to discrimination based on race, religion, sect, sex.

Environmental and animal concerns go hand in hand

Tierautonomie: Do you think we can combine environmental protection (including habitat protection, space to live, space for sanctuaries + microsanctuaries) and animal rights more explicitly, in a way that recognizes the relation between ‘nature’ and nonhuman animals as essential, and embed the protection-of-nature into animal rights, and lift the environment thus out of the attributed status of something like: ‘having to serve as a living resource that ought to serve human interests’?

Zülal Kalkandelen: Livestock industry is the industry that does the planet most harm. If animal rights are not included in environmental protection, this struggle does not have the chance to be successful. You cannot be an environmentalist if you support the industry that causes environmental disasters most.

If I asked what is the biggest environmental problem in this age we live, probably everyone would say climate change and global warming. 13% of global greenhouse gas emissions comes from all transportation vehicles (including all land, sea, air and rail vehicles). 51% is caused by animal husbandry industry and its sub-industries… vegetative diet decreases carbon footprint by 50%.

A rainforest area with the size of a football field in Amazon is destructed every second. Animal husbandry industry is responsible of 91% of this, and an area of this size is only destructed to produce 250 hamburgers. Meat and dairy industries use 1/3 of the water on earth. 1/3 of the soil becomes desert due to animal husbandry. 45% of the earth’s soil is used for animal husbandry.

According to a research conducted by World Wildlife Fund, 60% of biological diversity loss in the world is caused by meat. All of these reveal that animal industry is the essential reason of extinction of species, dead zones in oceans, pollution in waters, loss of natural habitats and climate change. People cannot continue ignoring these scientific data for a long time. The nature raised its red flag long ago. It must be accepted that the earth is whole with its trees, animals and humans.

The most basic right in the animal rights struggle in the right to live

Tierautonomie: Animal rights is equally relevant in every part of the world and in each layer of societies, and speciesism is affecting all nonhumans animals in one or the other way. Yet animal rights activism seems split in various ways. We have for instance the protection of wildlife on one hand and the farm animal rights movements on the other. At the same time the discourse seems to be dominated by West-centric views on framing nonhuman animal issues. Do you think the animal rights movement could become more universal and more pluralistic, in order to face the overall situation of speciesist destructivity affecting nonhumans globally?

Zülal Kalkandelen: Unfortunately, the division in animal rights activism prevents the movement from being more effective. Focusing on a group of animals while ignoring others prevents the development of a struggle in the society for holistic right to live. In order to eliminate the destructive effect of speciesism, we must reject all exploitation towards all animals without any discrimination.

It is not possible to understand a person who has pets or works at an animal shelter to go home, cook lamb meat and eat it. It is essential for the people within animal rights movement to be vegan. Otherwise, everyone in this world would continue to justify their own exploitation. Therefore, it is important to spread veganism.

The most basic right in animal rights struggle is the right to live. Because, you cannot defend any right of a sentient being you do not keep alive. What is necessary to do is to ensure that the vegan movement is spread on an ethical basis and to integrate it with animal rights movement. This is what I am trying to do.

Notes

[1] We have presented two other relevant sources dedicated to the vegan, animal rights and animal liberation movement in Turkey. See:

Vegan Türkiye about intersectional vegan outreach and Nonhuman Animal Rights, 2014, http://www.simorgh.de/objects/vegan-turkiye-about-intersectional-vegan-outreach-and-nonhuman-animal-rights/ , accessed 02.10.2018.

We asked Can Başkent about the interfaces of Atheism and Animal Rights, 2014, http://www.simorgh.de/objects/we-asked-can-baskent-about-the-interfaces-of-atheism-and-animal-rights/ , accessed 02.10.2018.

[2] The Cube of Truth protests were initiated by ‘Anonymous for the Voiceless’ and have gained attention in the many places globally where they are being carried out, see https://www.anonymousforthevoiceless.org/ , accessed 02.10.2018.

Links

Zülal Kalkandelen on Twitter: https://twitter.com/veganzulal

Site: http://www.zulalkalkandelen.com

Activist group founded by Zülal: https://twitter.com/bhhtoplulugu

Tierautonomie

Editor-in-chief: Gita Yegane Arani, www.simorgh.de – ‚Open Access in der Tier-, Menschen- und Erdbefreiung’. Revised 10/2018.

Citation

A talk with Zülal Kalkandelen about key elements of animal liberation activism (2018). TIERAUTONOMIE, 5(3), http://simorgh.de/tierautonomie/JG5_2018_3.pdf.

TIERAUTONOMIE (ISSN 2363-6513)

by-nc-nd.eu

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

Leser_innen dürfen diese Publikation kopieren und verbreiten, solange ein Verweis auf den/die Autor_innen und das Journal TIERAUTONOMIE gegeben wird. Die Verwendung ist ausschließlich auf nicht-kommerzielle Zwecke eingeschränkt und es dürfen keine Veränderungen am Textmaterial vorgenommen werden. Weitere Details zu dieser Creative Commons Lizenz findet sich unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/. Alle anderen Verwendungszwecke müssen von dem/den Autor_innen und den Herausgeber_innen von TIERAUTONOMIE genehmigt werden.

 

Vegane Ethik und Kreativität

Vegan? Zu denken.

Ein Keimling, 30. November 2011 @germanvegan

Vegan zu leben schlägt sich nicht nur nieder auf die Art wie ich mich ernähre, auf das was ich konsumiere. Die praktischen Implikationen der Lebensweise bieten allerdings den Schlüssel, mit dem ich mir die ethischen Hintergründe erschließe. Dem sei auch beigefügt, dass wenn es überhaupt keinen eigenen Begriff für die vegane Lebensweise gäbe, diese Art der Lebensweise aber nichtsdestotrotz sowohl einen ethisch-praktischen Aspekt abdeckt als auch einen ethischen Gedanken. Das Denken stellt schließlich den Ausgangspunkt eines ethisch motivierten Handelns dar.

Wir erfahren nun immer mehr über die Seite des Veganismus in Hinsicht auf das, was ich tun kann, das was mich als Handelnden involviert. Die Frage die ich hier aber stellen möchte, ist die danach welche gedanklichen Bausteine sich eigentlich hinter der Praxis verbergen, denn diese bilden das Fundament auf dem auch Andere den ethischen Veganismus verstehen lernen können.

Das Wort „Vegan“ ist nicht alles wovon wirklich alles abhängen muss. Wir begegenen vergleichbaren Lebensweisen in anderen Kulturen und anderen Zeitabschnitten der Geschichte. Der ethische Kern gleicht einer Bewegung die jahrtausende fast wortlos überlebt hat. Nur teilweise finden wir die wesentlichen Beweggründe expliziert durchfomuliert. Das Verhältnis Mensch-Tier birgt ein gigantisches Spannungsfeld in sich. Nichtmenschliche Tiere haben anders „evolutioniert“ als Menschen. Seit jeher betrachtete sich der Mensch wahrscheinlich als Krone der Schöpfung, und Tiere wurden und werden am eigenen Maßstab gemessen. Das Denksystem erweiterte sich, was die ethische Einbeziehung der Tiere anbetrifft, wenn dann zumeist aus altruitsischen Gründen. Die Tierwelt bleibt dem Menschen in ihrer eigenen Intergrität aber ein Mysterium.

Wir alle haben eine mehr oder weniger unausgeprochene Beziehung zu Tieren, die sich in unserer praktisch gelebten Einstellung gegenüber Tieren ausdrückt. Der Begriff Speziesismus weist auf die Negativ-Form der Mensch-Tier Beziehung hin. Dieser Begriff gibt aber auch Aufschluss über die Gegensätzlichkeit im Denken über Tiere.

Die Tierwelt an und für sich sich, und das wie wir sie im ganzen Welt- und Naturgeschehen am besten lokalisieren sollten (insbesondere in ihren großen Zusammenhängen mit der natürlichen Umwelt) ist sprachlich von uns noch nicht in einen adäquaten Rahmen gesetzt worden. Diese Materie kann auch nur schwerlich besprochen werden wenn die Gesellschaft sich über den eigenen Anthropozentrismus (Biologismus) nicht hinausbwegen will.

Eine vegane Ethik sollte sich idealerweise mit der Thematisierung der Probleme in der Mensch-Tier Beziehung auseinandersetzen. Die eigenen Gedanken zu äußern spielt hier den entscheidenden Faktor.

Vegane Politik, die grassroots Ebene

Handeln ist politisch, jede Handlung steht in einer Beziehung zur Umwelt. Meine privaten Entscheidungen sind Hebel, die im öffentlichen Raum irgendetwas betätigen. Auch das, wie ich mich äußere gegenüber Freunden, meiner Familie, unter Kollegen, auf einem Blog, egal wo, greift in das allgemeine Geschehen mit ein. Oft schließen sich Menschen mit ihrer Meinung zu einer größeren Gruppe zusammen, weil sie dadurch meinen „might makes right“ – was alle denken, ist auch richtig. Was natürlich falsch ist! Die größte Macht hat ein Denken, das sich auf die Wahrheitssuche begibt. Denn solch ein Denken richtet sich an dem aus, was ist in der Welt, und nicht an dem, was heute gerade angesagt ist.

Thesen zum Mensch-Tier-Geflecht sollten ihren Ausdruck finden in allen Themenbereichen die sich in diesem Bezug äußern können. Klarerweise auch ausserwissenschaftlich sollte jeder, der sich mit Ethik, Menschen und deren Beziehung zu Tieren befasst, sich äußern, eigene Gedanken formulieren und diese damit zum Teil der täglichen Diskussion machen. Das geht natürlich in allen expressiven Bereichen: Kunst, Musik, Dichtung, Design … . All das, wo der Mensch eine Rolle spielt, kann genau auch der Raum sein, in dem Tiere und die Natur anerkannt und respektiert werden.

Eine zenrale Frage, die allerdings eher die Zukunft der Tierrechtspolitik bestimmen wird, ist die Frage: Wie verhalten sich unsere Einstellung zur natürlichen Umwelt und die Lebensformen nichtmenschlicher Tiere und deren Verhalten im natürlichen Raum zueinander?

Was für uns jetzt als vegan lebende Menschen wichtig ist, ist es eine innere Spaltung unserer pionierhaften Bewegung durch die Abhängigkeit vom Begriff „Vegan-ismus“ zu vermeiden. Denn die Gefahr, dass der Begriff kommerziell funktionalisiert wird, und damit als ein Tool zur kommunikativen Gestaltung unserer Gesellschaft wegschrumpt, ist groß. Genauso sollte man sich nicht irritieren lassen durch die Risiken von Gruppendynamiken, die in jeder Bewegung auftreten. In jeder Gruppe geht der Einzelne unter; außer denen, die den Ton angeben wollen.

Der Begriff „Vegan“ ist ein Tool um einen Gedanken zu verbreiten.

Resume

Veganismus ist eine bewegliche Sache, eine Praxis ist damit bezeichtet. Das Denken aber dazu, das sich dahiner verbirgt, ist reich und frei. Wir alle füllen die Denkwelt, die uns in andere Verbindungen zur Tierwelt und unsere gemeinsame Welt setzt. Und unsere Kreativität kann zeigen, was wir alles schon schaffen zu *formulieren*.

Corey Lee Wrenn: ‚Karnismus’ ist verwirrend

Update des Übersetzers vom 24.08.2020:

ergänzend muss gesagt werden, dass das Einverleiben, das Lebensmittelsein, die Objektifizierung also in Hinsicht dessen zu einem verzehrbaren Gegenstand innerhalb der menschlichen Gesellschaft zu werden, ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal des Speziesismus ist. Nichtsdestotrotz ist die Erklärung, dass man die einen Tiere als “Fleischliefranten” sieht, während man die anderen als “Haustiere” hegt und pflegt – wie der Argumentationskern des Karnismus aussagt – zu stark verkürzend:

a.) bevor jemand zum “Fleischlieferanten” wird, findet eine Reihe an psychologischen und kulturellen Voraussetzungen statt, die aus einem Subjekt, das wahrgenommen wird, ein Objekt wird, mit dem man verfährt, wie man will.

b.) wird leider keine Gruppe von Tieren von Speziesisten und Speziesismus ausgespart: “Haustiere” werden nicht weniger objektifiziert, man denke an Hunde … in Laboratorien, Pferde beim Schlachter … .

Corey Lee Wrenn: ‚Karnismus’ ist verwirrend

Dieser Artikel ist im Examiner im Dezember 2012 erschienen: Carnism is Confusing.

Übersetzung: Palang LY. Weitere Kritikpunkte an die Theorie eines bestehenden Karnismus, der sich an unserer Liebe für die einen und Gleichgültigkeit für die anderen Tiere festmache, befindet sich (als Podcast) hier: Niemanden essen.

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In einem Interview auf der Seite Tierrechtseite ARZone hat Dr. Melanie Joy ihre Karnismus-Theorie besprochen, die sie definiert als eine unsichtbare Ideologie des Fleischessens [im Orig. „meat“-eating]. Einer der Gastgeber fragte Dr. Joy weshalb sie das logischere Konzept des Speziesismus ablehne. Ihre Antwort war, dass der Begriff Speziesismus „zu abstrakt“ sei und zu „verwirrend“, dass die meisten Leute hingegen verstehen würden wobei es beim „Karnismus“ ginge.

Ich muss sagen, dass mich diese Antwort vollständig verblüfft hat. Warum die Fixierung auf das Fleisch [im Orig. flesh]? Fleisch herauszupicken als das Problematischere ergibt schlichtweg keinen Sinn und es läuft auf nicht mehr hinaus als eine verbesserte Kampagne für den Reduktionismus/Vegetarismus. Joy insistiert, dass der Begriff „Karnismus“ alle Tier-Produkte mit einbeschließe. Ich muss aber sagen, dass ich beim Lesen ihres Buches feststellen musste, dass dies an keiner Stelle klar gemacht wird. Zudem gibt sie selbst in dem Interview zu, dass sie sich wenig auf die Themen Leder oder Wolle einlässt. Der Begriff „Karnismus“ schließt darüber hinaus Tierversuche, Haustiere und Tiere die zu Unterhaltungszwecken missbraucht werden aus.

Einer der Gastgeber fragte Joy ob sie meine, dass die Leute, die aus ihren Vorträgen hinausgingen, das Konzept eher verstehen würden oder doch irgendwie verwirrt seien (das war natürlich ein gezieltes Nachhaken – und welcher Autor würde zugeben, dass seine Zuhörer durch seinen Vortrag konfus würden?) Joy antwortete, dass sie kein Problem damit habe wenn Leute verwirrt wären, die meisten Leute würde aber begreifen worum es ihr ginge. Ich bin mir sicher damit hat sie recht, denn der Vegetarismus wird als Konzept nun schon seit geraumer Zeit in unseren Kulturen weitläufig akzeptiert. Ihre These enthält nichts Radikales oder Neues.

Joy startete vor kurzem das „Carnism Awareness and Action Network“ – eine weitere welfaristische [1] Organisation die den Veganismus ins Abseits rückt, willkürlich definierten Reduktionismus fördert und von einer Webseite mit nicht zu übersehenden Spende-Buttons begleitet wird. Klare antispezisistische Botschaften lehnen Spenden grundsätzlich ab, sobald eine Organisation sich als solche professionalisieren will, werden die Spenden für sie überlebensnotwendig. Der Veganisus wird auf der Seite des Netzwerks wenig erwähnt – aber Joy versichert uns, dass er das implizierte Gegenteil zum Karnismus darstelle.

Joys Argument ist, dass der Begriff „Karnismus“ es für Leute „so einfach wie möglich“ machen würde, selbst für den Dümmsten. Sie behauptet, dass der Begriff Speziesismus (das Korrelativ zu Rassismus, Sexismus, Heterosexismus, Ableismus [Behindertenfeindlichkeit], Ageismus [Altenfeindlichkeit] und Ethnozentrismus) einfach zu verwirrend sei. Zugleich macht sie aber auch nur selten die Wichtigkeit des Veganismus klar … oder warum die Ausbeutung von Tieren zu anderen als zu Lebensmittelzwecken problematisch ist … oder auch warum die Ausbeutung von Tieren zur Verwendung ihrer Haut, Milch oder Eier in inheränter Weise mit der Tiertötung für das Fleisch verbunden ist.

Ich kann mir kaum vorstellen wie ihr „Karnismus“-Gedanke verwirrender sein könnte. Sich mit dem Leiden von Tieren zu befassen, während man gleichzeitig an ihrer Ausbeutung teilnimmt, braucht kein neues Label. In der Sozialpsychologie bezeichnet man dies als kognitive Dissonanz und es ist eine Folge von Speziesismus und Oppression.

Diese intentionierte Verwirrung wird durch einen Artikel den Joy im Online-Magazin One Green Planet veröffentlichte verschlimmert. Dort spielte sie die wachsende Kluft zwischen dem abolitionistischen Veganismus [2] und dem redukionistischen Welfarismus herunter. In ihrer Arbeit lehnt sie natürlich den Abolitionismus Gary Franciones ab, und sie blendet den Veganismus aus. Die wichtigen Kritikpunkte, die der Abolitionismus gegen ihr welfaristisches Werk einzubringen hat anzuerkennen, würde ja schließlich auch ihre überflüssige „Karnismus“-Theorie unterminieren. Wie viele Welfaristen verteidigt sie vehement die kontraproduktive und letztendlich grauenhafte Arbeit der Reformen [A.d.Ü. in der Tierhaltung] und das Vegan-Bashing, und sie porträtiert Abolitionisten in negativen Zügen um uns abzutun. Und, man muss hinzufügen hinzufügen, das züchtigende Label des „Spaltertums“ wird nun wirklich auch langsam alt. Wir [Abolitionisten] sind polarisierend, aber nicht in dem Sinne wie Joy es behauptet. Die Abolitionisten sehen Joy, und andere wie sie, als Zahnräder im Maschinengetriebe der Industrie des welfaristischen Tierschutzes, der von den Tierrechten fundamental zu unterschieden ist. Unsere Spaltung von dieser Korruptheit tut uns in keinster Weise leid.

Lasst den Jargon hinter Euch, gebt den Vegetarismus auf und streitet in einer einer klarenehrlichen und geradlinigen Weise für den Veganismus. Vermanschte Herangehensweisen an einen Reduktionismus helfen unserer Bewegung nicht. Und bitte, wenn ihr den Tieren helfen wollt, dann braucht ihr dazu nicht zu spenden, sondern werdet vegan und engagiert euch.

Leseempfehlungen der Autorin:

[1] A.d.Ü. der Welfarismus bezeichnet im Tierschutz eine „Verbesserung“ von Tierhaltungsbedingungen in den Agrarindustrien, ohne einen rechtlich fundamental veränderten Status der Tiere mit Hinsicht auf deren Rechte auf Leben, Freiheit usw.

[2] A.d.Ü. Die abolutionistische Tierrechtsbewegung, die durch die Rechtstheorien des Juraprofessors Gary L. Francione angestoßen wurde, setzt sich als Ziel, durch Aufklärung und die praktizierte vegane Lebensweise, zur Abschaffung des Status nichtmenschlicher Tiere als „nutzbarem Besitz“ in unseren Gesellschaften zu gelangen.

Corey Lee Wrenns Rezension von ‚Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen’ von Melanie Joy:

Why We Love Dogs, Eat Pigs, and Wear Cows: A critical review

http://www.simorgh.de/objects/wrenn-critical-review-carnism/

An der Ideologie von Tierausbeutung gibt es nicht “unsichtbares“ – Gary Francione diskutiert über die Probleme, die sich an den Begriff des Karnismus anbinden:

There Is Nothing “Invisible” About The Ideology Of Animal Exploitation

http://www.abolitionistapproach.com/there-is-nothing-invisible-about-the-ideology-of-animal-exploitation/#.UY-99bX-He8

Corey Lee Wrenn: http://www.coreyleewrenn.com/

Übersetzung mit der freundlichen Genehmigung der Autorin. Stichworte: Karnismus, Kritik

Wenn Tiermord zum veganen Diskussionsgegenstand wird

Es gibt andere Veganer, die Tiermord als vergleichsweise weniger ethisch verwerflich zum Menschenmord darstellen, indem sie z.B.:

Tiermord relativieren wenn ein fleischkonsumierender Kunde so argumentiert, dass er die Tiere und die angewendet Tötungsmethode auf „seinem“ Biobauernhof“ oder von „seinem“ Metzger kenne. Er ist sich des Ablaufs also weitestgehend bewusst. Er konsumiert den Tiertod ganz bewusst.

Fleischkonsum beinhaltet den beauftragten, abdelegierten (oder einen selbst durchgeführten) Tiermord. Diese Form des Konsums ist nicht vergleichbar mit anderen Formen des Konsums, außer wir halten den Mord an Nichtmenschen für eine Frage der Wahl einer speziesistischen Gesellschaft, und nicht für einen Akt grundlegender Ungerechetigkeit an Tierindividuen.

Gruppe Messel / Tierautonomie / Animal Autonomy (Desensibilisierung und Verharmlosung fundamentaler Ungerechtigkeit).

Warum sollten Tiere nicht denken können?

Der Ansatz als Philosoph zu fragen: “dürfen wir töten, dürfen wir an Tieren forschen, dürfen wir Tiere jagen” ist glaube ich falsch, denn er geht von der Autorisiertheit des Menschen, über dies zu urteilen, aus. Genau in dieser menschlichen Hybris finden wir das Problem des Mangels an eigener Bewusstheit über unsere anthropozentrische Myopie. Natürlich sind wir nicht autorisiert zu töten, invasiv zu forschen, zu jagen.

Tiere können denken. Ein offenes Geheimnis. Ja es gibt Speziesismus, der eben allen ernstes behauptet, dass Denken nur etwas ist/sei, was mit “unserer” Sprache ginge. Ich spreche auch mit Nichtmenschen. Ganz einfach.

Das Problem ist bei diesem Titel hier (…konnte keine Leseprobe finden … nur das) https://www.youtube.com/watch?v=WpxF6sR9ifQ , dass dieser medienpopuläre Autor sich auf Dinge bezieht, die schon lange vor ihm … seit Peter Singer, Tom Regan selbst seit Jeremy Bentham, diskutiert wurden.

Ist vielleicht eher was für Laien.

Die Tierbefreiungsbewegung ist eine Bewegung, vegleichbar mit der Bürgerrechtsbewegung, der LGBT-Bewegung, dem Feminismus usw. und sie ist auf gleicher Augenhöhe mit den Nichtmenschen, weil sich in dieser Bewegung mit den Nichtmenschen solidarisiert wird, weg von humanzentrischen Paradigmen, in teilen des Veganismus (black veganism z.B.) aber auch weg von den Zentriertheit auf das Abenländische. Die Darstellung der Thematik TIERE UND IHRE LEBENSRECHTE in der Kürze in dem Beitrag oben scheint mir eher öko-populistisch und populärwissenschaftlich anmutend. Ich persönlich bin ein überzeugter Graswurzelaktivist. Elitengläubigkeit ist für mich eine Haltung, die unsere Gesellschaft eher blockiert – Stichwort: cultural industrial complex – weil sie dem Empowerment des Einzelnen als ‘Bürger-Aktivistin” entgegensteht.

Die schwarze Tierbefreiungsaktivistin Aph Ko sagt: “For too long, thinking has been co-opted by academia, so we assume that theory and thought is for ‘those’ elitist people … when in reality, this should be a part of the public domain.” http://markhawthorne.com/aph-ko-anti-racist-activist-fighting-for-animal-liberation/ (auf deutsch https://simorgh.de/about/mark-hawthorne-interviewt-aph-ko/)

Es gibt keine einfache Definition und Antwort auf das was Tierrechte oder auch Tierbefreiung idealerweise bedeuten und beinhalten können. Es gibt unterschiedliche Ansätze. Es existiert definitiv keine einfache Antwort unter den Menschen und Gruppen, die sich selbst schon lange mit der Thematik befassen. Populärwissenschaftliche These greifen in der Regel nicht weit genug und bleiben an der Oberfläche.

Vor allen Dinge kann es in einer ethischen Diskussion nicht um bloße “Optionen” im Lebensrecht anderer gehen.

Sich vegan engagieren, in Richtung Konsum und Marktwirtschaftlichkeit oder gesellschaftskritischer Ethik?

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Viele sind sich da einig, dass die vegane Aufklärungsarbeit das wichtigste Instrumentarium ist, das wir in Sachen Tierbefreiung an der Hand haben. Und hierbei, so sind viele Veganer_innen überzeugt, könnten wir allein qua veganem Konsumerismus die Welt verändern. Stimmt das? Können wir die Gewalt gegen Tiere und einen ideologischen Speziesismus abschaffen, allein indem wir zwar keine tierischen mehr Produkte kaufen und verkonsumieren, ansonsten aber weitermachen wie bisher?

Klar ist bei all unseren Bemühungen um den Veganismus, dass wir ein Ziel verfolgen, das verschiedene ethische Stränge in sich bündelt: z.B. die Tierbefreiung, den Umweltschutz, ökologisches Bewusstsein, Nahrungsmittelgerechtigkeit usw. Alle solchen intersektionalen Themen sind von zentraler Bedeutung, für uns hier und für gerechtere gesellschaftliche Bedingungen auf globaler Ebene.

Sollten wir in Anbetracht der Komplexität unseres Anliegens bei der Art und Weise wie wir den Veganismus verbreiten, nicht darauf achten, dass wir unseren eigenen Zielen nicht unwillentlich ein Bein stellen im Ringen um schnelle Erfolge, die sich auf Dauer aber als problematische Scheinerfolge erweisen könnten?

Der Veganismus allein als ein Konsumboykott bei dem ‘der Verbraucher’ auf eine Alternative in seinem Konsumverhalten umsteigt, funktioniert nicht hinreichend, denn das Netz marktwirtschaftlicher Mechanismen ist so dicht geknüpft, dass es schier unmöglich ist jeden Hersteller zu vermeiden, die etwas mit Tierausbeutung zu tun hat. Populäre und weit verbreitete Marken befinden sich im Besitz multinationaler Unternehmen, die ihren Anteil zur ‘ganz alltäglichen’ Ausbeutung von Nichtmenschen und Menschen beitragen. Wenn wir also Geld für diese Produkte ausgeben, dann fördern wir indirekt, wenn auch unwissentlich und unabsichtlich, die Tier- und Menschenausbeutung mit.

Und selbst wenn wir alle unsere Lebensmittel in einem regionalen, ethischen, grünen Bioladen ganz in unserer Nähe einkaufen sollten, so ist doch klar, dass wir, sobald wir mit unserem hart verdienten Geld fürs frische Gemüse zahlen, de facto keine Kontrolle mehr darüber haben, wo das Geld dann weiter hinfließt. Der Laden wird sein Geld naheliegenderweise zur Bank geben, die es wiederum in zahlreiche fragwürdige Handlungspraktiken rund um den Globus investiert, unter denen sich dann mit aller Wahrscheinlichkeit auch irgendwo Tierversuche finden lassen werden, usw.

Für den Veganismus als eine Form des “ethischen Konsums” zu werben, ist ganz genau so problematisch

Uns allen ist klar, zumindest sollte es das sein, dass Unternehmen ihre Arbeiter_innen ausnutzen müssen um Profite zu erwirtschaften. Arbeiter_innen wird ihre Arbeitskraft gestohlen, damit sich die Taschen ihrer Vorgesetzten füllen. Auch vegane Unternehmen können sich dieser Tatsache nicht entziehen. Sie könnten das höchstens dann tun, wenn das Unternehmen den Arbeiter_innen selbst gehören würde, die wiederum alle von ihnen gehandelten Güter selbst anbauen, verpacken, verschicken und verkaufen würden.

In Systemen die wir gemeinhin als kapitalistisch bezeichnen, existiert so etwas wie ein “ethischer Konsumerismus” nicht, denn die gesetzmäßigen Zwangsläufigkeiten dieses ökonomischen Modells funktionieren schlichtweg ausbeuterisch.

Unser Ziel sollte es sein, Gewalt gegen Tiere nicht völlig undifferenziert am Punkt des Verbrauchs zu sabotieren, ungeachtet dessen wie wie sich Alternativen gestalten – ob konsumeristisch einerseits oder wünschenswerter Weise lieber postwachstumsorientiert.

Und um darauf zu achten, dass wir auch an die Wurzel der marktwirtschaftlichen Funktionsweisen herantreten, die die Interessen von Nichtmenschen und der Umwelt ausschließen, müssen wir auf das Segment unserer Gesellschaften fokussieren, indem die Leben anderer und der Natur insgesamt als ausbeutbare ‘Ressourcen’ betrachtet werden – sprich die Fleischindustrie, die Argrarindustrie, das Konzerngebaren, Politik, Börse, Banken, Lobbyisten.

Damit einhergehend müssen wir uns mit der Aufbrechung derjenigen kulturellen Strukturen befassen, die die Tierunterdrückung und den Speziesismus als Marktvariablen einer Gesellschaft begünstigen, die sich ihre Freiheiten und Privilegien in Form eines Rechts auf Naturausbeutung erwirtschaftet und darin eine Art der gegen die Natur und die Tiere grausamen Selbstentlohnung betreibt.

Werte, die über Massenkultur und Marketing, und selbst den geistigen Konsum vermittelt werden, in denen ein verändertes Nachdenken über unsere Mitlebewesen ausklammert und als zweitrangig behandelt werden, müssen kritisch hinterfragt und analysiert werden. Bildungsinhalte und -systeme, die Umwelt- und Tierethik ausklammern oder im besten Falle anthropozentrisch ausrichten, und nicht zuletzt auch die individuelle menschliche Identitätsfragen, sind allesamt Faktoren, die ihre Rolle in der systemischen Tierunterdrückung mit spielen.

Der Veganismus wird den Leuten als eine individuelle Wahl des Lebensstils schmackhaft gemacht

Oft wird gesagt wie viele Tiere wir retten, wenn wir vegan leben. Indem wir die Verantwortung ganz dem Einzelnen zuteilen und versichern, der Haupthebel läge in der Reduzierung tierlicher Produkte die ein Mensch jeweils konsumiert, nehmen wir den Druck von den agrarbetrieblichen Stätten, Institutionen, Unternehmen, Investoren und Denkfabriken, die nichtmenschliche Tiere für Profite töten und töten lassen. Wir übersehen die Funktionsweise der größeren marktwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen, indem wir die Lösung allein beim Lebensstil des Einzelnen suchen und belassen.

Und, mit der Gewichtung auf den Lebensstil wird zugleich auch eine Spaltung zwischen denjenigen Menschen erzeugt, die aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Lage vegan sein können, als „den besseren“, und denjenigen die es nicht wirklich schaffen, wenn wir Faktoren wie niedrige Löhne, keine entsprechenden Zugänge zu Nahrungsmitteln, keine ausreichende Zeit zur Zubereitung veganer Mahlzeiten usw. in Betracht ziehen, als „den schlechteren“.

Bislang gibt es keine soziologisch-wirtschaftlichen Studien im Bereich veganer Aufklärungsarbeit oder in der Tierrechtsbewegung, die sich damit befassen, warum Leute quasi gezwungen sein könnten nichtvegane Lebensmittel zu konsumieren. Statt genauer hinzuschauen, scheint es uns leichter alle Nichtveganer_innen als Teil des Problems zu bezeichnen – außer wir sind sowieso dazu geneigt, das Ganze nur als eine Frage der persönlichen Wahl darzustellen.

Die Produkte für die wir werben sind häufig teuer, oftmals sogar nicht wirklich gesund und oft auch welche, die mitunter eher unnötige Aspekte der veganen Ernährungsform und Lebensweise betonen. Zuviel wird fokussiert auf eine gefaked omnivore Lebensweise, wobei die gesunde vegane Ernährungsweise eigentlich aus frischem Obst, Gemüse, Nüssen, Getreide und Hülsenfrüchten besteht – was in der Tat keine diätere oder kulinarische Banalität ist! Stattdessen werden die Leute dazu ermutigt verarbeitetes “Vleisch” statt verarbeitetem “Fleisch” zu essen. Die Veränderung im Leben bewegt sich an einer gewissen Oberfläche und wird dort auch mit Bemühungen gehalten, um keine Unruhe in der konsumfreudigen Seele zu erzeugen, könnte man zynisch behaupten.

Aber genau diese marktwirtschaftlich opportune Geschmacklichkeit führt zu einem der häufigsten Argumente gegen die vegane Praxis: Es sei zu teuer und eher was für die Mittelschicht – und, der Veganismus sei oberflächlich. Was in gewisser Hinsicht auch wahr ist, wenn wir uns anschauen wie der Veganismus sich bislang häufig darstellt, mit dem Augenmerk auf seine gewinnbringenden Potenziale, die sich bequem ins übliche neoliberal kapitalistische Gefüge einfügen lassen (und das selbst von einigen Tierrechts-Gruppen).

Wir verlängern und stützen das Argument gegen den Veganismus – er sei zu teuer – eher, indem wir teure „Fleisch“- und Käsealternativen propagieren, statt günstige bezahlbare Mahlzeiten vorzustellen, die aus den klassischen unverarbeiteten veganen Lebensmitteln zubereitet werden.

Was sich ändern müsste

Wenn wir an unseren Ständen veganes Essen als Kostproben verteilen, vegane Messen, Festivals, Partys und Kochkurse organisieren, dann suggerieren wir meistens, dass der Veganismus eine Wahl der Ernährungsweise sei, mehr nicht. Wir setzen kommunikativ nicht von der Perspektive an, dass es schließlich Myriaden von Formen speziesistischer Tierunterdrückung und Tierausbeutung gibt, mit denen menschlichen Interessen gedient wird.

Interessierte werden auf voreilige Schlussfolgerungen gestoßen, die für eine gewisse Zufriedenheit sorgen sollen – erstmal – nämlich, dass sie, indem sie vermeiden Tierprodukte zu konsumieren, das Maximum an Menschenmöglichem leisten könnten an dem, was wir alle gegen das Ausmaß an Tierleid in dieser Welt setzen können.

Veganer Kapitalismus, vegane Marktwirtschaftlichkeit, mit allem was dazu gehört, profitiert massiv von der Grasswurzel-Tierrrechtsbewegung. Wir, die veganen Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen, sind die besten Werbeträger für dieses wachsende Segment des Lifestyle-Marktes. Wir gehen auf die Straßen und werben für alle veganen Produkte die wir nur kennen. Und was am besten ist, wir tun das alles umsonst und mit einem ehrlichen und unbezahlbaren Engagement. Unser Idealismus macht uns zu unbezahlten Arbeitern veganer BWLler, denen im Gegensatz zu uns Moral und Ethik eher Faktoren ihrer Kalkulation darstellen, die sich werbewirksam und finanziell auszahlen müssen.

Der Veganismus muss ein Teil unseres gelebten Aktivismus bilden, er darf keine Aktivität sein, mit der am Rande geworben wird. Der Veganismus ist eine Ablehnung der Vorstellung, dass Tiere existieren zum Nutzen einer per Definition und mittels Gewalt über sie herrschenden Menschheit. In dieser Weise allein bildet er das Herzstück der Tierbefreiungsphilosophie. Wenn wir für den Veganismus werben, dann deshalb, weil wir wollen, dass Menschen ihre Beziehung zu nichtmenschlichen Tiere neu, anders und kritisch überdenken, und damit diese Menschen letztendlich lernen in Frage zu stellen, worauf ihre privilegierte Position als Menschen innerhalb einer human-zentrischen Gesellschaft fußt.

Wir sollten den Veganismus nicht weiterhin als eine ethischere Variante des erdzerstörenden Kapitalismus bewerben, sondern als einen Weg, der beschritten werden muss gegen alle ökozidalen und zoozidalen totalitären Herrschaftsformen der Menschheit. Der Veganismus kann ein Ausgangspunkt alternativer ökonomischer Modelle bilden, er muss schließlich Teil der Alternative zu unseren gegenwärtigen ausbeuterischen Wirtschaftsmodellen werden.

Tierbefreiung braucht eine soziale Revolution die altruistisch anmutet, in der sich die Sicht der Gesellschaft und Menschheit auf die nichtmenschlichen Tiere und die natürliche Umwelt verändert. Diese Richtung auch nur anzudenken wird kaum möglich sein aus der Warte innerhalb unseres gesellschaftlichen Geflechts aus Fortschrittsfiktion und Wirtschaftsgläubigkeit.

Mechanismen, die graduelle Veränderungen in die richtige Richtung ad absurdum zu führen scheinen, müssen aus veganer- und Tierrechtssicht kritischer betrachten werden. Unser Wirtschaftssystem ist wirklich eine nicht zu stoppende Maschinerie, die wir nur versuchen können durch ‘Sand-ins-Getriebe’ langfristig zum Erlahmen zu bringen.

Die marktwirtschaftlichen Diktate denen wir nicht entrinnen können und die durch die Massengesellschaft über einen dauerhaften Treibstoff verfügen, befinden sich im Prozess alle Nichtmenschen, jeden ‘Flecken Natur’ auf diesem Planeten zu instrumentalisieren und zu zerstören. Diese selbst geschaffene Zwangsläufigkeit wird andauern bis wirklich alles was verzehrt, genutzt, konsumiert – und zu irgendeinem Herrschaftsgebiet im geistigen oder physischen Sinne gemacht worden ist – “Sache” und “Gewinn” geworden ist.

Der Veganismus kann der stärkste Hebel in der radikalen Kriitk an dem Wirtschaftsdiktum unserer exploitativen ökonomischen Mechanismen sein, insbesondere da der tierausbeutende Agrarkomplex solch einen entscheidenden und tiefverwurzelten Pfeiler eines human-zentrischen Ausbeutungswillens bildet. Ein tiefergreifendes Umdenken können wir aber nur dann anstoßen, wenn wir an einer radikaleren veganen Bewegung mitarbeiten, die nicht einfach die Produkte veganer Hersteller vorstellt und den Veganismus als einen reinen Konsumboykott bei gleichbleibend konsumeristischem Verhalten bewirbt, sondern wir müssen uns für einen gesellschaftlich-ökonomischen Wandel einsetzen, dessen Ziel die praktische Ablehnung jeder Form von Gewalt und von “Ressourcen”-Instrumentalisierung ist.

Die Tiere, die Natur und Menschen müssen auf eine neue Weise in ihren welterhaltenden Potentialen erkannt werden.

VeganTurkiye_twitter

Globaler politisch-ethischer Veganismus, vegane Gezi-Aktivist_innen von @VeganTurkiye bei einer Tierrechtsdemo.

Dieser Text ist eine revidierte Version eines Artikels den ich 2013 /2014 verfasst habe, in Anlehnung an einen Aufruf von https://twitter.com/bristolarc . Leider ist der Text der Bristoler Gruppe aber nicht mehr online und ich weiß weder Titel noch ehemaligen Link. Das Thema veganer Konsumerismus … begleitet einen schon eine ganze Weile.