Wilhelm Busch: St. Anthony of Padua. (10) The life of a hermit and the ascension

St. Anthony of Padua / Tenth Part of his Saga. The life of a hermit and the Ascension > https://de.wikisource.org/wiki/Der_heilige_Antonius_von_Padua/Zehntens._Klausnerleben_und_Himmelfahrt

[132]

TENTH

The life of a hermit and the ascension

St. Anthony, it is reported,
Finally renounced the world completely;

[133]

Sat deep, deep back in the forest,
Drank dew and ate moss,
And sat and sat in this place
And prays until he almost withers away
And at last the wild herb
Grows from his nose and ears.
He said: “I will not leave this place,
Unless a credible sign comes to me!”

And lo and behold! – From the middle of the forest
A wild boar comes striding along,

Whom busily burrows at the spot
A little fountain, pure and bright,

[134]

And with snorting and with sniffing
Finds a heap of truffles. –
St. Anthony, full of praise and thanks,
Sat down, ate and drank
And spoke with emotion: “You good pig,
You shall now be with me forever!”

So the two lived in unity
Here on earth for a long time,

And died at last and died at the same time
And went to heaven together. –
“O woe shouted! A pig, a pig!”
Thus the Jews began to cry;
And the Turks also came in droves
And wanted to defend themselves against the pig. –

[135]

But behold! – From the gate of heaven
Our dear Woman steps forth.
Her left hand holds the blue mantle,
The right is seen gently raised,
Half threatening, half beckoning;
So she stands there, surrounded by splendor.

[136]

“Welcome! Enter in peace!
Here no friend is parted from friend.
Many a sheep comes in,
Why not a brave pig too!”
The pig grunted and the little angels sang.
So they both went in.

Wilhelm Busch

Der heilige Antonius von Padua

[132]

ZEHNTENS: Klausnerleben und Himmelfahrt

Der heilige Antonius, so wird berichtet,
Hat endlich ganz auf die Welt verzichtet;

[133]

Ist tief, tief hinten im Wald gesessen,
Hat Tau getrunken und Moos gegessen,
Und sitzt und sitzt an diesem Ort
Und betet, bis er schier verdorrt
Und ihm zuletzt das wilde Kraut
Aus Nase und aus Ohren schaut.
Er sprach: „Von hier will ich nicht weichen,
Es käm’ mir denn ein glaubhaft Zeichen!“

Und siehe da! – Aus Waldes Mitten
Ein Wildschwein kommt dahergeschritten,

Das wühlet emsig an der Stelle
Ein Brünnlein auf, gar rein und helle,

[134]

Und wühlt mit Schnauben und mit Schnüffeln
Dazu hervor ein Häuflein Trüffeln. –
Der heilige Antonius, voll Preis und Dank,
Setzte sich nieder, aß und trank
Und sprach gerührt: „Du gutes Schwein,
Du sollst nun ewig bei mir sein!“

So lebten die zwei in Einigkeit
Hienieden auf Erden noch lange Zeit,

Und starben endlich und starben zugleich
Und fuhren zusammen vors Himmelreich. –
„Au weih geschrien! Ein Schwein, ein Schwein!“
So huben die Juden an zu schrein;
Und auch die Türken kamen in Scharen
Und wollten sich gegen das Schwein verwahren. –

[135]

Doch siehe! – Aus des Himmels Tor
Tritt unsre liebe Frau hervor.
Den blauen Mantel hält die Linke,
Die Rechte sieht man sanft erhoben,
Halb drohend, halb zum Gnadenwinke;
So steht sie da, von Glanz umwoben.

[136]

„Willkommen! Gehet ein in Frieden!
Hier wird kein Freund vom Freund geschieden.
Es kommt so manches Schaf herein,
Warum nicht auch ein braves Schwein!!“
Da grunzte das Schwein, die Englein sangen.
So sind sie beide hineingegangen.

 

Lange Snippets: die Frau Holle

Ohne Moralgeschichten, keine Moral. Daher folgendes zum Thema Moralvorstellungen in der Vergangenheit > Sinn und Überlieferungen von moralischen Märchengestalten und Mythen …

Bei unserem TableTalk zum Heidentum sind wir nochmal auf etymologische Fragen bei Götternamen gekommen. Den einzigen wirklich weiterführenden Text fand ich (Überraschung) bei Jacob Grimm. Unten findet sich von einem Germanisten noch ein weiterer interessanter Text verlinkt zur Göttergetalt.

Ich hatte das wichtige Beispiel Hulda […] vor etlichen Jahren im Zusammenhang mit der Vorgehensweise von Gimbutas kurz erwähnt https://www.simorgh.de/objects/260411_1/ , wobei Gimbutas sehr trocken sich aufs äußerst eng gefasste Anthropologische beziehend forschte muss man sagen. Ich weiß nicht, warum sie Zusammenhänge nicht lebendiger in Denkwelten, Bilder und Geschichterwelten einbettete.

Also nochmal das Beispiel Hulda. Und ein Snippet zur hier auch erwähten Tanfana > https://jamali.info/ikp/interessant-das-wort-tan-bedeutet-im-keltischen-u-a-auch-feuer/

(Ich mache “sowas” eigentlich nicht, aber ausnahmsweise ist das hier mal plumpes sehr langes Copy und Paste. Beginnend hier … )

https://www.projekt-gutenberg.org/grimm/demyth/chap013.html

Jacob Grimm

Deutsche Mythologie

Cap. XIII. Göttinnen.

Sollte der name, unter welchem die Sueven die von Römern der Isis gleichgesetzte göttin verehrten, sollte nicht wenigstens eine ihrer nebenbenennungen gewesen sein Holda?

Dieser name hat reindeutsche bedeutung und noch heute in lebendiger volksüberlieferung festen grund.

Holdâ ist die freundliche, milde, gnädige göttin und frau, von hold (propitius) goth. hulps (Luc. 18, 13) altn. hollr; die goth. form würde Hulþô lauten. Ulfilas verwendet für den entgegengesetzten begrif feindseliger, teuflischer wesen sowol das fem. unhulþô als das masc. unhulþa, woraus ich ein hulþa neben hulþô folgere; neue bestätigung des doppelgeschlechts, das in der vorstellung dieser götter waltet. gewis aber konnten mehrere götter oder geister des beinamens theilhaftig werden. Notker im Capella 81 überträgt verus genius durch ›mîn wâre holdo‹ auch in der mhd. sprache muß holde (fem. und masc.) für geisterhafte wesen bekannt und gebräuchlich gewesen sein. Albrecht von Halberstadt in seiner bearbeitung der ovidischen metamorphosen hat wazzerholde (gen. -en) für nymphe, der reim schützte diese ausdrücke in Wikrams umdichtungFrankf. 1631. 4. 171a von einer wazzerholden: solden; 176a wazzerholde: solde.. in der niederdeutschen vielfach erweiternden übertragung des narrenschifs (Narragonia, Rostock 1519. 96a) findet sich folgende dem hochd. text mangelnde stelle: ›mannich narre lövet an vogelgeschrei und an der guden hollen (bonorum geniorum) gunst‹. Häufiger begegnet das mhd. unholde (fem.) nhd. unhold (masc.) im sinn eines bösartigen, finsteren, jedoch gewaltigen wesens.

Das älteste zeugnis für den bestimmteren gebrauch des namens Holda gewährt mir Burchard von Worms p. 194adarf man die s. 212 angeführte inschrift dea Hludana in Huldana umsetzen, so wäre das noch willkommner als die analogie zur altn. Hlôdyn, und urältestes zeugnis für Hulda, welcher schon das goth. unhulþô, und der zwar seltne, doch bei Schannat trad. fuld. no. 445 vorräthige ahd. frauenname Holda zustatten kommt. Graff 4, 915 hat auch Holdasind. Schützes abhandlung de dea Hludana erschien zuerst Lp. 1741, und wenn Wolf (Wodana s. L) eine niederländische de dea Huldea, Trajecti 1746 namhaft macht und deren titel wirklich so lautet, kann dies nichts anders sein als eine von Cannegieter nach unsrer Hulda, wie sie bei Eccard vorkommt, aufgestellte sehr ansprechende mutmaßung. der lat. dativ Huldanae würde die schwache form ahd. Holdûn, ags. Holdan ausdrücken, wie man in lat. urkunden Berta, Hildegarda flectiert Bertanae, Hildegardanae; doch mag auch ein nom. Bertana, Huldana entsprungen sein. hiernach leitet wiederum Tanfanae wenigstens auf einen deutschen nom. Tanfa und alle versuche wären abgeschnitten, aus -fana ein celtisches wort oder das lat. fanum zu machen. Tanfa gemahnt an den altn. mannsnameu Danpr oder an die ahd. wurzel damph; übergänge des F in CH und TH angenommen, ergäben sich noch andere möglichkeiten, z. b. ein weiblicher name Tancha (grata) entspräche dem männlichen ahd. Dancho (gratus) Graff 5, 169. vgl. Dankrât = Gibicho. Haupts zeitschr. 1, 573. Ich bin von Huldana abgerathen und gestehe, daß sich auch Hludana behalten, Hlûda (clara, praeclara) deuten ließe; das gewicht der übrigen gründe hat den ausschlag zu geben. unter diesen ist aber die anwendung von gute holden, hollar vættir (Sæm. 240b) auf geister, von holl regin (Sæm. 60a) auf götter besonders zu beachten; im altn. adj. hollr. = goth. hulþs, ahd. hold hatte assimilation statt, während im eigennamen Huldr die alte form blieb; denn huldr = occultus, celatus zu erklären scheint bedenklich.: credidisti ut aliqua femina sit, quae hoc facere possit, quod quaedam a diabolo deceptae se affirmant necessario et ex praecepto facere debere, id est cum daemonum turba in similitudinem mulierum transformata, quam vulgaris stultitia Holdam (al. unholdam) vocat, certis noctibus equitare debere super quasdam bestias, et in eorum se consortio annumeratam esse; die merkwürdige variante unholda ist aus dem cod. vidob. univ. 633 geschöpft. Burchard hat hier das deutsche wort an die stelle der Diana, Paganorum dea, gesetzt, die sonst gewöhnlich in gleichem sinn und in der nemlichen verbindung genannt wird.

Volkssagen und märchen lassen frau Holda (Hulda, HolleHolle aus Hulda wie Folle aus Fulda., Hulle, frau Holl) als ein höheres wesen auftreten, das den menschen freundliche, hilfreiche gesinnung beweist, und nur dann zürnt, wenn es unordnung im haushalt wahrnimmt. diese überlieferungen scheinen unter keinem deutschen stamm so verbreitet wie unter Hessen und Thüringern (auch der Wormser bischof war gebürtig aus Hessen). indessen kommt frau Holle vor bis ins VoigtlandJul. Schmidt Reichenfels p. 152., über die Rhön hinaus im nördlichen FrankenReinwald henneb. id. 1, 68. 2, 62, Schmeller 2, 174.in der Wetterau bis zum WesterwaldSchmidt westerwäld idiot. 73. 341.und reicht aus Thüringen her in das angrenzende Niedersachsen. Schwaben, Schweiz, Baiern, Östreich, Nordsachsen, Friesland kennen sie nicht unter diesem namen.

Aus dem, was uns die tradition noch bewahrt hatkinderm. no. 24. deutsche sagen no. 4–8. Falkensteins thür. chronica 1, 165. 166Nachtrag: Zu kinderm. no. 24 vgl. die variante KM. 3, 40 ff., svenska äfv. 1, 123 und pentam 4, 7. ähnliches wird von den dialas gesagt. Schreiber taschenb. 4, 310. (anm. 1010).., ergeben sich folgende züge.

Frau Holle wird als ein himmlisches, die erde umspannendes wesen vorgestellt: wenn es schneit, so macht sie ihr bett, dessen federn fliegenfrau Holle schüttelt ihr bett. modejourn. 1816, 283. auch in Schottland heißt es, wenn die ersten schneeflocken fallen: the men o’the East are pyking their geese and sending their feathers here away, here away. im preuß. Samland heißt es: die engel schütteln ihr bettchen, wenn es schneit. die schneeflocken sind ihre flaumen, viele aber fallen vorbei und gelangen zu unserer erde.. Sie erregt den schnee wie Donar den regen; die Griechen legten ihrem Zeus die hervorbringung des schnees und regens bei, Διὸς ὄμβρος Il. 5, 91. 11, 493 wie νιφάδες Διός Il. 19. 357, Holda erscheint darum als hehre göttinda andere eigenschaften Holdas auf Maria übergehn, so darf hier auch die Maria ad nives, notre dame aux neiges verglichen werden, deren fest die kirche am 5 aug. feierte, auf diesen tag beten zu ihr die Brüsseler spitzenmacherinnen, damit ihr werk weiß wie der schnee bleibe. in einem bretagn. volkslied heißt es: notre dame Marie, sur votre trône de neige! (Barzas breiz 1, 27). Sollte nicht die sonst unverständliche hildesheimische sage von dem Hillesnee (D. S. no. 456) aus einem Holde snê entsprungen sein?. die vergleichung der schneeflocken und federn ist uralt, die Scythen erklärten die nördliche weltgegend, weil sie mit federn angefüllt sei, für unnahbar (Herod. 4, 7. vgl. 31). Holda muß sich also durch die lüfte bewegen können, wie frau Herke.

Sie liebt den aufenthalt in see und brunnen; zur mittagsstunde sieht man sie, als schöne weiße frau, in der flut baden und verschwinden, dieser zug stimmt zu Nerthus. sterbliche gelangen durch den brunnen in ihre wohnung, vgl. die benennung wazzerholdewenn der name brunnenhold im märchenbuch von Alb. Ludw. Grimm 1, 231 echt und überliefert ist, so bezeichnet er einen brunnengeist..

Auch das stimmt, daß sie auf einem wagen einherfährt. sie ließ ihn von einem bauer, der ihr begegnete, verkeilen, die aufgeraften späne waren goldähnliche sage bei Jul. Schmidt Reichenfels p. 152.. ihr jährlicher umzug, der wie bei Herke und Berhta auf weihnachten in die sogenannten zwölften verlegt wird, wo es nicht recht geheuer ist, und thiere wie der wolf nicht bei namen genannt werden, bringt dem lande fruchtbarkeit. nicht anders scheint Derk mit dem eber, jener niederländische Freyr (s. 177umzuziehen und nach den pflügen zu schauen. Gleich Wuotan fährt Holda aber auch schreckenhaft durch die lüfte und gehört, wie der gott, zu dem wütenden heer. daraus folgt die einbildung, daß hexen in Hollas gesellschaft fahren (s. cap. XXXIV die schneefrauen), schon Burchard wuste es, und noch ist Hollefahren, mit der Holle fahren in Oberhessen und im Westerwald gleichbedeutig mit hexenfahrtEstors oberh. idiot s. v.. in das wütende heer wurden aber nach dem weit verbreiteten volksglauben die seelen der ungetauft sterbenden kinder aufgenommen, da sie keine Christen wurden, blieben sie heidnisch und fielen heidnischen göttern zu, Wuotan oder Hulda.

Hieran knüpft sich, daß Hulda statt der göttlichen gestalt das aussehen einer häßlichen, langnasigen, großzahnigen alten, mit struppigem, engverworrenem haar annimmt. ›er ist mit der Holle gefahren‹ heißt es von einem, dessen haare sich unordentlich wirren und sträuben, und so werden die kinder mit ihr oder mit ihrem nicht weniger greulichen gefolge geschrecktErasm. Alberus fabel 16: ›es kamen auch zu diesem heer viel weiber, die sich forchten sehr, und trugen sicheln in der hand, fraw Hulda hat sie ausgesandt‹. Luthers auslegung der episteln, Basel 1522 fol. 69a: ›hie tritt fraw Hulde herfür mit der potznasen, die natur, und darf irem gott widerpellen und in lügen strafen, hengt umb sich ihren alten trewdelmarkt, den stroharnß (strohharnisch) – hebt an und scharret daher mit ihrer geigen‹. er vergleicht hier die gott widerspenstige natur der heidnischen Hulda mit der fürchterlichen nase (Oberlin s. v. potzmännchen), wie sie in stroh und trödellumpen vermummt unter geigenspiel auftritt.: ›still, der Hullebetz, der Hullepöpel kommt‹. Hollepeter (sonst auch Hersche, Harsche, Hescheklas, Ruprecht, Rupper s. cap. XVII Hausgeister) heißt der zur zeit der winterwende, in Holles geleit, umziehende vermummte knecht. In einem märchen (no. 24) wird sie als alte hexe mit langen zähnen geschildert; nach verschiedenheit der erzählung geht ihr freundliches holdes aussehn über in ein finsteres, schreckhaftes.

Holla wird wiederum als spinnende frau dargestellt, der flachsbau ist ihr angelegen. fleißigen dirnen schenkt sie spindeln und spinnt ihnen nachts die spule voll; faulen spinnerinnen zündet sie den rocken an oder besudelt ihnBrückners beitr. zum henneberg. idioticon s. 9 führt aus dem dortigen volksglauben an: ›am obersten (tag) kommt die Hollefrau (Hollefra, Hullefra) und wirft spulen herein. wer sie nicht vollspinnt, dem bricht sie den hals‹ (vgl. unten Berhta und Berhtolt und den Teufel). ›am obersten wird sie verbrannt‹, was an das austragen des todes und sägen des alten weibes (cap. XXIV) erinnert. Aus der beifügung von frau (vgl. gaue fru s. 209) erhellt der ursprüngliche, adjectivische sinn des namens. cod. pal. 355bb: ›ich wen, kain schusel (scheusal) in kaim rocken wart nie als heßlich als du bist‹.. dem mädchen, dessen spindel in ihren brunnen fiel, lohnte sie durch begabung. wenn sie weihnachten im land einzieht, werden alle spinnrocken reichlich angelegt und für sie stehen gelassen; fastnachts aber, wenn sie heimkehrt, muß alles abgesponnen sein, die rocken stehen dann vor ihr versteckt (abergl. 683); trift sie alles an, wie es sich gehört, so spricht sie ihren segen aus, im gegentheil ihren fluch, die formeln ›so manches haar, so manches gute jahr!‹ ›so manches haar, so manches böse jahr!‹ klingen alterthümlich. verwechselung scheint, wenn auch erzählt wird, in den zwölfnächten dürfe kein flachs auf der dieße bleiben, sonst komme frau Hollabraunschw. anz. 1760 no. 86 dieße ist der eingebundne flachs am rocken. brem. wb. 5, 284.. das verstecken des arbeitsgeräthes deutet zugleich auf die heiligkeit ihres feiertages, an dem gerastet werden sollhier wird man an Gertrud erinnert. krainische bauernkalender bilden die heilige ab durch zwei mäuslein, die an einer spindel (vretenò) mit flachsgarn nagen, zum zeichen, es dürfe an ihrem festtage nicht gesponnen werden. gleiches gilt von der russ. pjatnitza. (Kopitars rec. von Strahts gel. Rußland.). den ›samstag der Hulla‹ wird auf der Rhön keine ländliche arbeit verrichtet, weder gekehrt; noch gemistet, noch zu acker gefahren. auch im Norden soll sich von jultag bis zu neujahr weder rad noch winde drehen (dän. abergl. no. 134)Nachtrag: Die wurzel von goth. hulþs, propitius ist hilþan halþ hulþun, sich neigen (s. Löbe). Holle, Holda ist in Kärnten kuhname, in Dietr. drachenk. 160a. 164a heißt ein riese Hulle (str. 517. 518. 1019. 1020), aber str. 993: sprancten für frowen Hullen der edelen juncfrowen fîn. man hört in Thüringen auch frau Wolle und Rolle. Sommer s. 10. 11. Holda cod. fuld. no. 523. Frau Holla im rheinfränkischen. Frommann 3, 270. die Holl kommt! sagt man in Gießen, die Hulla auch jenseit des Mains im Würzburgischen. Kestler beschr. von Ochsenfurt. Wrzb. 1845. s. 29. frau Holle auch in Schlesien. obersächsisch hieß sie frau Helle. buch vom abergl. 2, 66, 67, frau Holt, frau Holt in Wolfs ztschr. 1, 273. 

Das älteste zeugniss für die Holda gewährt übrigens nicht Burchard von Worms, sondern Walafrid Strabo, indem er Judith, Ludwig des frommen gemahlin besingt:

organa dulcisono percussit pectine Judith,
o si Sappho loquax vel nos inviseret Holda etc.

Wenn nebel auf dem berge hängt, heißt es: frau Holle hat feuer im berge. im Elsaß heißt es beim schneefall: d’engele hans bed gemacht, d’fedre fliege runder, bei Gegenbach 427: die himelfedern fliegen, in Nassau: frau Holle schüttelt ihr bett. Kehrein Nassau s. 280. Neugeborne kinder holen die hebammen aus frau HollenteichFrauholdagraben ist ein flurname in Siebenbürgen. progr. über todaustragen 1861 s. 3. sie wäscht ihren schleier. Pröhle 198. Holle ist wie Berthe königin, führerin der elben und holden (s. 425) vgl. Titania und frau Venus. (fraue Bercht oder fraue Holt heißt es in Landskranna (?) himelstrasz. gedr. 1484. Gefken beil. 112.) frau Holle soll einen felsen in der gegend des Meisners auf ihrem daumen dahin getragen haben. hess. zeitschr. 4, 108. hier heißt eine höle kitzkammer, vielleicht weil ihr wie der Freya katzen heilig waren (s. 253). am Main zwischen Hassloch und Grünenwörth zeigt sich fra Hulle, ihre locken kämmend, auf dem Fra Hullenstein. wer sie sieht, verliert das augenlicht oder gar den verstand. frau Holle fährt in der kutsche, macht wirbelwind und verfolgt den jäger. Pröhle 156. 278. 173, sie gleicht der Pharaildis, Verild (s. anm. 890). andere sagen von frau Hulle in Herrleins Spessartsagen 179–184. in Thüringen gibt es noch ein frau Hollenspiel, hess. zeitschr. 4, 109. die Haulemutter (mutter Holle) am harz erscheint als altes mütterchen, macht sich klein und groß. Harrys 2 no. 6. Pröhle 278. vgl. Haulemännerchen = zwerge. KM. no. 13. ein bucklichtes mütterchen ist sie auch bei Sommer s. 9. sie geht an der krücke in Westfalen bei Haxthausen. auch kommt königin Holle als haushälterin und botin des Friedrich Rothbart im Kifhäuser vor, ganz wie Frau Venus im geleite Wuotans zieht. Sommer s. 6. oberhess. bedeutet ›meätt der Holle färn‹ verworrnes haar oder verworrnen rocken haben, auch wol nachtwandeln. einer hexe gleicht die Holle zu Warburg. Woeste mitth. s. 289 no. 24. vgl. verheuletes haar. Corrodi professer 59. einer mit struppichtem haar heißt hollekopf. zu ihrem stroharnß halte man den ströwenars anm. 665. Schlechten spinnerinnen droht man mit der verwunschenen frau s. Panzer beitr. 1, 84: wer samstags nicht abspinnt, dem fährt die Holle in den rocken und verwirrt ihn. vgl. die Kuga (s. 994).

Diese oberaufsicht über den feldbau und die strenge ordnung im haushalt bezeichnet ganz das amt einer mütterlichen gottheit, wie wir sie in der Nerthus und Isis kennen gelernt haben. Ihre besondere sorge für flachs und spinnen (das wesentliche geschäft deutscher hausfrauen, die nach spindel und kunkel benannt werdenRA. 163. 168. 470. ags. heißen die frauen friđovebban., wie nach speer und schwert die männer) führt aber unmittelbar auf die altn. Frigg, Ođins gemahlin, deren wesen in den begrif einer erdgöttin übergeht und nach der ein gestirn des himmels, Orions gürtel: Friggjar rockr (Friggae colus) benannt ist. zwar gewähren isländische denkmäler diesen namen nicht, unter dem schwedischen landvolk ist er im gebrauch geblieben (Ihre s. v. Friggerock). das gestirn heißt aber Mariärock, dän. Marirock (Magnusen gloss. 361. 376), weil die Christen den alten namen auf Maria, die himmlische mutter, anwandten. Bei den Griechen wurde spindel und rocken mehreren göttinnen beigelegt, vorzüglich der Artemis (χρυσηλάκατος Il. 20, 70) und ihrer mutter Leto, dann aber auch der Athene, Amphitrite und den Nereiden. alles stimmt zu Holda, die eine göttin der jagd (des wilden heers) und der brunnen ist.

Man könnte versucht sein, frau Holda aus einer gestalt des alten testaments herzuleiten. II Reg. 22, 14 und II Paralip. 34, 22 ist die rede von einer wahrsagerin הֻלְדׇּח Chuledda, Chulda, wofür Luther Hulda setzt; die LXX haben Ὀλδά, die vulg. Olda, die lat. bibel Viteb. 1529 und wahrscheinlich andere spätere Hulda, mit rücksicht auf Luthern, der die deutsche ›frau‹ Holda im sinn habend die jüdische prophetin popularisiert. mehrmals in seinen schriften gedenkt er des heidnischen wesens, eine stelle ist s. 223 angezogen. Ich weiß nicht, ob schon andere vor ihm beide namen verglichen haben, sicher aber ist die vorstellung von frau Holda nicht erst aus der ganz unbedeutsam auftretenden Olda der vulgata geschöpft, wie die tiefere wurzelung jenes namens in unserer sprache, seine allgemeine beziehung auf verschiedenartige geister und die uralte negation unholda zeigen.

Auch um der verwandtschaft nordischer überlieferungen willen würde man jenen gedanken fahren lassen. zwar kennt die eddische götterlehre keine, unserer Holda entsprechende, Holla; allein Snorri (Yngl. saga c. 16. 17) gedenkt einer zauberin (völva, seiđkona) namens Huldr, und eine spätere im 14 jh. abgefaßte isl. sage erzählt umständlich von dem zauberweib Hulda, Ođins geliebten, und der bekannten halbgöttinnen Thorgerđr und Irpa mutterMüllers sagabibl. 1, 363–366.. Noch wichtiger scheinen norwegische und dänische volkssagen von einer berg oder waldfrau HullaHuldraHuldre, die sie bald jung und schön, bald alt und finster darstellen. in blauem kleid und weißem schleier naht sie sich den weideplätzen der hirten und dem tanz der menschen, an dem sie theil nimmt, ihre gestalt wird aber durch einen schwanz entstellt, den sie sorgsam zu verbergen trachtet. nach einigen ist sie von vornen schön, von hinten häßlich. sie liebt musik und gesang, ihr lied hat traurige weise und heißt huldreslaat. in den wäldern sieht man Huldra als graugekleidete alte frau, an der spitze ihrer heerde, den melkeimer in der hand, einherziehen. sie soll den menschen ungetaufte kinder forttragen. oft erscheint sie nicht allein, sondern als herrin oder königin der berggeister, welche huldrefolk genannt werdennähere angaben findet man in Müllers sagab. 1, 367. 368. Hallager p. 48. Faye p. 39–43. p. 10. 15. 25. 26. 36. Frigge, nytaarsgave for 1813 p. 85. Ströms Söndmör 1. 538–59. Vilses Spydeberg 2, 419. Villes Sillejord. p. 230. Asbiörnsen an vielen stellen.. auch auf Island weiß man von diesem Huldufôlk, von den Huldumenn, und hier zeigt sich von neuem die berührung mit dem deutschen volksglauben, der neben der frau Holde zugleich holden, d. h. freundliche geister, ein stilles unterirdisches volk annimmt, dessen fürstin gleichsam frau Holde istNachtrag: Die Huldarsaga, sage von der zauberin Huldr, erzählt Sturle. vgl. den auszug aus Sturlunga im oldn. läseb. s. 40. Huldregespinst bedeutet in Norwegen einen weichen fast flanellartigen pflanzenstoff. bei Faye 42 ist Huldra grüngekleidet, bei Asb. 1, 48. 78. 199 hat die hulder einen kuhschwanz. bei ihm treten öfter einzelne und viele huldren auf, als eine einzige. auch in der mnl. Rose 5679 heißt es: hulden, die daer singhen. sind es meerfrauen? die hyllefru ist in Schweden bekannt, auch die Hildimoder. Geyer 1, 27. vgl. Dybeck 1845, 56.. Aus diesem grund schon wird es richtiger sein, die nord. benennung HullaHuldra aus dem altn. adj. hollr (fidus, fidelis, propitius), das dän. und schwed. huld lautet, zu erklären, nicht aus dem altn. hulda (obscuritas) mit beziehung auf die wohnung der berggeister unter der erde. in schwed. volksliedern finde ich huldmoder, hulda moder gleichbedeutend mit kära moder von der natürlichen mutter gesagt (sv. vis. 1, 2. 9), wonach also huld ganz den sinn unsers deutschen worts haben muß. wahrscheinlich kam der ausdruck huldufôlk erst aus der dänischen oder norwegischen sprache in die isländische. Schwerer zu deuten ist das in den formen HuldraHuldre eingeschaltete R; sollte es aus der pluralform hulder (boni genii, hollar vættir) herrühren? oder aus einer zusammensetzung?

Die deutsche Holda steht dem spinnen und ackerbau vor, die nordische Hulle der viehweide und dem melken.

Ein ähnliches wesen, wie Holda, oder ganz dasselbe, unter verschiedner benennung, erscheint gerade in den oberdeutschen gegenden, wo jene aufhört, in Schwaben, im Elsas, in der Schweiz, in Baiern und Österreichein theil von Franken und Thüringen kennt Berchta und Holda; wenigstens ist hier die grenze zwischen beiden. Matthesius in seiner auslegung der festevangelien s. 22 nennt frau Hulda und die alte Berchte nebeneinander.. es heißt frau Berchte, d. i. ahd. Perahta, die leuchtende, glänzendeunter den gefeierten jungfrauen der Menglöd ist eine Biört (Sæm. 111a), Menglöd selbst heißt sû in sôlbiarta (111b) und der vater ihres verlobten Svipdagr Sôlbiartr (112a). eine Menglöd in späterer sage erscheint einem im traum fornmannas. 3, 222. 223. und hinterläßt ihm wunderbare handschuhe., hehre, wie Holda den glänzenden schnee erzeugt; schon dem sinn des wortes nach eine gütige, freudebringende, aber selten wird sie noch so vorgestellt, gewöhnlich ist die grauenhafte seite hervorgehoben, sie tritt als ein fürchterliches, kinderschreckendes scheusal auf. in den erzählungen von frau Berchta herscht die böse bedeutung vor, wie in denen von frau Holda die gute, d. h. durch die christliche volksansicht ist Berchta tiefer als Holda herabgewürdigt. aber sie fällt auch zusammen mit frau Herke, Freke und andernNachtrag: Perahta, die leuchtende, gleicht durch ihren namen der Selene oder Lucina, der mondgöttin, der Diana oder Artemis. darum geht sie auch mit auf die wilde jagd, von hunden begleitet wie Hecate. darum ist im ndrd. Valentin und Namelos aus Berta Clarina gemacht. der Berhta oder Holda ist die litth. Lauma sehr ähnlich. sie ist erdgöttin und webegöttin. zuweilen wird sie in einem hause sichtbar, hilft den mädchen weben und ist schnell mit einem stück leinwand fertig. das mädchen muß dann den namen der laume errathen. räth es ihn, so gehört ihm die leinwand, räth es ihn nicht, so entfernt sich die laume damit. einer webenden laume sagte das mädchen: laume Sore pecziu auda důna pelnydama d. h. die laume Sore webt mit dem arme brot verdienend. sie hieß Sore und das mädchen behielt die leinwand. n. preuß. prov. bl. 2, 380. nach Schleicher wien. ber. 11, 104 ff. ist die laume ein böser alp, der nachts drückt, kinder stiehlt, gefräßig ist, doch auch am ufer badet, hilft und leinen bringt. sie ist verschieden von der (s. 345) besprochenen laima a. o. s. 96. 97. Nesselmann 353b..

Ihre identität ergibt sich am deutlichsten daraus, daß alle zu gleicher zeit, in den zwölften, zwischen weihnachten und neujahr, ihren umgang halten. doch ist für Berchta ein eigenthümlicher tag am schluß dieser periode bestimmt worden, den ich nie nach frau Holda benannt finde. nicht weniger gleichen sich ihre verrichtungen.

Berchta führt, wie Holda, aufsicht über die spinnerinnen, was sie am letzten tag des jahrs unabgesponnen findet, verdirbt sie (abergl. 512). ihr fest muß durch eine althergebrachte speise begangen werden, brei und fische. Thôrr sagt (Sæm. 75a), daß er ›sîldr ok hafra‹ (heringe und haber) zu nacht gegessen habe; die weiße frau hat dem landvolk auf ewige zeiten ein gericht fische und habergrütze verordnet, sie zürnt, wenn es einmal unterbleibt (deutsche sagen no. 267). den letzten tag im jahr beschließen die Thüringer im Saalfeldischen mit knödel und heringen. fische und mehlspeise galt den Christen geziemend für die fastenach den braunschw. anz. 1760 p. 1392 sollen, wenn frau Holla in den 12 nächten umgeht, keine hülsenfrüchte genossen werden. entweder misverstanden, oder auf bestimmte hülsenfrüchte zu beziehen..

Seltsam und alterthümlich klingt die rache der zürnenden Berchta, wenn fische und klöße fehlen: sie schneidet dem der andere speise an ihrem tag zu sich genommen hat, den leib auf, füllt ihn mit heckerling, und näht mit einer pflugschar statt der nadel, mit einer eisenkette statt des zwirns den schnitt am bauch zu (abergl. 525)im Voigtland wird fast dasselbe erzählt von der Werre oder frau Holle. die Werre hält am heiligen abende des hohen neuen jahres genaue revision, ob auch alle rocken abgesponnen sind; wo es nicht der fall ist, verunreint sie den flachs. auch muß an diesem abende polse, ein aus mehl und wasser eigen bereiteter dicker brei genossen werden: wer es unterläßt, dem reißt sie den leib auf. Jul. Schmidt Reichenfels p. 152. Den namen Werra (von den gewirrten, straubenden haaren?) lehrt schon Thom. Reinesius lect. var. Altenb. 1640 p. 579 (in den critischen anmerkungen zu Rhyakinus, d. i. Andr. Rivinus oder Bachmann, liber Kiranidum Kirani. Lips. 1638): ›nostrates hodieque petulantioribus et refractariis manducum aliquem cum ore hiante frendentem dentibus, aut furibundam silvescente coma, facie lurida, et cetero habitu terribilem cum comitatu maenadum Werram interminantur‹. Reinesius war aus Gotha (geb. 1587 † 1667), lebte aber zu Hof im Voigtland. die werre ist sonst ein schwirrendes grillenartiges ungeziefer (Popowitsch 620). mhd. sæjet diu Werre (Discordia) ir sâmen dar, Ms. 2, 251b (vgl. Troj. 385)Nachtrag: Der Werre ist Wandelmuot Ls. 3, 88. 1, 205. 208 verwandt. frô Wandelmuot sendet ihren scheidsâmen Ls. 2, 157. in dirre wîten werlde kreizen hât irresâmen uns gesât ein frouwe ist Wendelmuot geheißen. MS. 2, 198b. vgl. den säenden tod (s. 708) und teufel (s. 845). frou Wendelmuot hie liebe maet mit der vürwitz segens abe. Turl. Wh. 128a*.und in Selphartes regel (Wackernagels lb. 903) ist neben bruoder Zornli, bruoder Ergerli, ein bruoder Werra aufgeführt, der sîn herze mit weltlichen dingen also beworren hat, daz da niht mê in mag. hiermit kann die vorstellung des garn und haarverwirrens, die auch bei Bertha und Holda waltet, dennoch verwandt sein. am Zürchersee heißt sie de Chlungere, weil sie faulen mägden chlungel, kneuel in das unabgesponnene garn bringt. Albert Schott (deutsche colonien in Piemont) s. 282. in Baiern und Deutschböhmen wird Berhta auch durch die heilige Lucia, deren tag schon auf den 13 dec. fällt, vertreten. frau Lutz schneidet den bauch auf. Schmeller 2, 532. Jos. Rank Böhmerwald s. 137. vgl. die Lusse in Schweden. Wieselgren. 386. 387.. damit wird auch in andern gegenden gedrohtNachtrag: Das der Bertha hingestellte mahl erinnert an Hecate, der den 30. monatstag speisen vorgelegt wurden. Athen. 3, 194. gewisse fische sind Ἑκάτης βρώματα. Athen. 3, 146. 147. 323. zu dem mit heckerling gefüllten bauch halte man den hrîsmagi Laxd. saga 226. wie von der weißen frau, die dem landvolk speisen verordnet s. morgenbl. 1847. no. 50–52, so erzählt man von einer frau Borggabe, die dürftigen menschen geld und getraide gab oder borgte, wenn sie zu ihrer höle giengen und riefen: gnädige frau Borggabe. vgl. ahd. chorngëpâ Ceres, sâmokëpa saticena und Gibicho. wîngebe MB. 13, 42. otigeba (s. 741). Nycolaus von dem crumenghebe. a. 1334. henneb. urk. II. 13, 30.

[…]

Noch ein Snippet hierzu:

germanistik/personen/ehemalige/schmidt-knaebel/bechstein-texte/volkssagen/thueringer-sagenbuch

https://www.slm.uni-hamburg.de/germanistik/personen/ehemalige/schmidt-knaebel/bechstein-texte/volkssagen/thueringer-sagenbuch/thueringer-sagenbuch.pdf

“Als bedeutendste Erscheinung weiblicher mythischer Wesen tritt unbedingt in ganz Thüringen und Hessen die Holda, Hulda, Frau Holle (im Voigtland Frau Berthe oder Perchta) auf, und ein eigenthümlicher Brauch, der auf dieselbe Bezug hat, hat in Eisfeld ihren Namen verewigt. Am heiligen Dreikönigstage, demselben, an welchem die Perchta mit ihrem Heimchenheere, dem Huldevolke der nordischen Mythe, und die Perchtl in Tirol mit dem Seelenheere der ungetauft gestorbenen Kinder zieht, ward alljährlich zu Eisfeld die Frau Holle verbrannt. Die Sage vom Ursprunge dieses jedenfalls altheidnischen Feuerkults am Julfeste wurde aber/ fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Nonnenkloster habe in Eisfeld gestanden, dessen Aebtissin, Juliane genannt, habe sich fleischlich vergangen und zwar mit dem bösen Feinde selbst, sei zweier Kindlein auf einmal genesen, und darauf zur Strafe solcher Teufelsbuhlschaft sammt den beiden Kindern verbrannt worden. Zum Gedächtniß dieser Sühne zog später Alt und Jung am Epiphaniassonntage nach beendigtem Nachmittagsgottesdienste mit Musik auf den Markt, sang ein geistliches Lied und rief sich dann scherzhaft einander zu: Frau Holle wird verbrannt. Nun war aber zu Eisfeld nie ein Kloster, und der Ursprung jenes Brauches reicht weit über die Klosterzeiten hinaus. (Bd I S. 1-3) ”

Alle Links: 11.11.23

Das Geheimnis des Mithraismus?

Neumithraeum > Farangis G. Yegane Arani > Mithras rejects to kill

Baustein > Draft Übersetzung > für unser neues Projekt: Lehnmythologeme

Mythologem > Der Urstier im Mithraismus

DAS GEHEIMNIS DES MITHRAISMUS?

Mythos lässt sich nicht durch eine anthropologische Brille enträtseln. Der Mithraismus ist in erster Linie ein Mysterienkult, was das Faszinierende an diesem Kult ist. Ein Mysterium bringt die Subjektivität des Einzelnen mit der erlebten Welt zusammen. Die Art und Weise dessen, wie die unendlichen Fragen des Lebens zusammenwirken, die zwischen dem erlebenden Subjekt und der umgebenden Welt stehen, eröffnen den Bereich der mythischen Seite des Lebens.

Aufgrund des zentralen Mythologems der Tauroktonie wurde der Mithraismus mit anderen Kulten gleichgesetzt, in denen Tieropfer praktiziert wurden. Der Mythos legt jedoch nahe, dass der Akt des Tötens im Mithraismus eine heterogene Metapher war. Der Akt des Tötens deutete auf einen grundlegenden Konflikt hin. Mithras führte die Tötung im Auftrag des Gottes Sol aus. Die Tat war ein Akt des Gehorsams und könnte mit der Situation zwischen Herrscher und Beherrschtem verglichen werden.

Mithras gab Sol als seinen ihm übergeordneten auf, nachdem er den Urstier getötet hatte. Dieser Sinneswandel in der Haltung des Mithras gegenüber dem zuerst erstrangigen Gott Sol muss zumindest im mythologischen Wissen der Anhänger des Kultes eine wichtige symbolische Bedeutung getragen haben, sonst hätte dieser Aspekt des Gottes Mithras im römischen Mithraismus nicht eine so leicht das Augenmerk auf sich ziehende Rolle spielen können.

Der Kult wurde natürlich hauptsächlich vom römischen Militär praktiziert. Der Mithraismus dürfte sich mit dem Konflikt von Töten und Getötetwerden beschäftigt haben. Der urzeitliche Stier hatte in der iranischen Mythologie, die mit dem frühen Mithraismus verbunden war [auf Ebene gemeinsamer oder geteilter Mythologeme], eine zentrale Bedeutung und stand für die Einheit oder Ganzheit des Lebens.

Aus der Archäologie wissen wir, dass in einem mithraischen Ritual ein Schwert an den Körper des Initiaten gehalten wurde, ein Schwert, das den Körper mit einem gebogenen Eisen aussparen sollte. Die Spitze und der untere Teil des Schwertes sollten den Eindruck erwecken, als ob der Körper des Neophyten von dem Schwert durchbohrt worden wäre:

Das Ritual könnte dazu beigetragen haben, einen Soldaten auf die schweren Risiken vorzubereiten, die er im Kampf einging – sein Leben zu geben oder Leben zu nehmen. Da das Ritual Teil der Initiationsriten war, stand das Problem des „potenziellen Tötens“ und des Tötenmüssens im Zusammenhang mit den hierarchischen Stufen, die der Neophyt auf seiner Suche nach der größeren Wahrheit hinter dem Oberflächlichen, Superfiziellen erklimmen würde.

Der Urtier, der im Mithraismus lediglich als Symbol getötet wurde, stand im Zoroastrismus für das Leben an sich. In der vor-zoroastrischen iranischen Mythologie wurde der Stier (das Rind) mit der zentralen Gottheit (Artha / Simorgh) gleichgesetzt. Im Zoroastrismus wurden Gayomart (der erste Mensch) und Geush Urvan (der Urstier) mit dem „sterblichen Leben“ gleichgesetzt. Beide standen jedoch für die Darstellung von „Leben“. (1)

Die gewaltsame und vorsätzliche Beendigung eines Lebens schafft einen Konflikt für denjenigen, der die Tötung vornimmt. Beim Militär sollte man bereit sein zu töten, man hat einen Eid geschworen, den man nicht brechen durfte. Mithras ist der Gott des Vertrages. Wenn man einen Eid schwört, zu töten und möglicherweise im Kampf getötet zu werden, stellt sich die grundsätzliche Frage nach 1. einem Gehorsam, der über das eigene Interesse am Leben hinausgeht, 2. dem Töten, weil es einem aufgetragen wurde.

Wir können heute im militärischen Leben sehen, wie viele Soldaten einen Konflikt mit dem Töten und dem potenziellen Tod in einem Krieg haben. Der Konflikt zwischen dem Dienst an einer Sache, der man dienen will, und dem Opfer, das man möglicherweise bringen muss, muss immer ein sehr tiefer psychologischer Prozess gewesen sein.

Wenn wir die Menschen in der Vergangenheit als bar ähnlicher Gefühle und Gedanken sehen, wie wir sie heute erleben, dann riskieren wir, keinen Einblick in das zu bekommen, was ein Mythos einer Vergangenheit für diejenigen, die einen von einem Mythos getriebenen Kult beiwohnten, wirklich bedeutet haben könnte. Die Menschen haben sich zu allen Zeiten Gedanken darüber gemacht, was sie getan haben und wie sie mit den Dingen umgehen würden.

(1) Gayōmart, Avestan Gayō Maretan („Sterbliches Leben“), in der späteren zoroastrischen Schöpfungsliteratur der erste Mensch und der Stammvater der Menschheit. Gayōmarts Geist lebte zusammen mit dem des Ur-Ochsen 3.000 Jahre lang in der Periode, in der die Schöpfung nur geistig war. Seine bloße Existenz machte Ahriman, den bösen Geist, der in die Schöpfung eindringen wollte, unschädlich. Dann schuf Ahura Mazdā den fleischgewordenen Gayōmart – weiß und strahlend, leuchtend wie die Sonne – und legte in ihn und den Ur-Ochsen, den einzigen von allen geschaffenen Dingen – einen Samen, dessen Ursprung im Feuer lag.

Ahura Mazdā gab Gayōmart den Segen des Schlafes, um ihn vor den Angriffen Ahrimans zu bewahren. Doch nach 30 Jahren der Angriffe zerstörte Ahriman Gayōmart. Sein Körper wurde zu den Metallen und Mineralien der Erde. Gold war sein Samen, aus dem die menschliche Rasse hervorging.

http://www.britannica.com/EBchecked/topic/227432/Gayomart (Zugriff: 09. Juni 2012)

RAVEN, Frühjahr 2012

See > https://www.farangis.de/mithras/taunus/the-secret-of-mithraism

Und > Edition Farangis: Philozoe. Jahrgang 2, Nr. 3, März 2021, ISSN 2702-816X..Zum Beispiel Mithras II. Seite 14 > https://d-nb.info/1229307699/34

Die Deutungen um die Tauroktonie

Die folgenden Bilder hatten wir an Mariemont, Belgien und Toulouse, Frankreich, geliehen für deren Gestaltungskonzept von “The Mystery of Mithras”. Das Arch. Mus. Frankfurt am Main wich bei ihrer Präsentation antiker Funde von den Belgiern u. Franzosen ab und stellte keine zeitgenössische Kunst in Bezug.

Die Bilder waren dort nicht zu sehen. Sehe allgemeinhin manche archäologischen Ausstellungen kritisch, da meiner Meinung nach rückwirkend versucht wird die Antike arg eng zu fassen und so zeitgemäß zurechtzuboxen. Die zeitgenössische Rezeption kann eine Form freieren Denkens über antike Formsprache darstellen.

Farangis G. Yegane: zum Beispiel Mithras I: Cautes und Cautopates am Feueraltar.

Farangis G. Yegane: zum Beispiel Mithras I: Der Neophyt

Aus zum Beispiel Mithras II von Farangis G. Yegane:

Wir sammeln zur Zeit nochmal Thesen und Theorien zur Mythologie des römischen Mithras und seiner persischen Vorgeschichte bei den Zoroastriern, in Folklore und Mythologie, sowie der Gegenwart heutiger Mithraisten bei den Yeziden beispielweise.

Von Interesse im dem Zusammenhang ist auch: Carl A . P . Ruck: Mushrooms, Myth & Mithras: The Drug Cult that Civilized Europe (2021)

Sequenz unserer Mithras-Projekte von Farangis G. Yegane:

zum Beispiel Mithras I + II in der Saalburg (2011-2012) > https://www.farangis.de/mithras/taunus/

zum Beispiel  Mithras II in Dieburg (2010) > https://farangis.de/two/mithras/dieburg/

zum Beispiel Mithras I > https://farangis.de/mithras/

zum Beispiel II > https://farangis.de/two/mithras/

Der Unterschied zwischen dem zoroastrischen und dem mithraischen Urrind

Bas-Relief of Lion Attacking Bull – Persepolis – Central Iran, source.

Der Unterschied zwischen dem zoroastrischen und dem mithraischen Urrind …

Der Unterschied zwischen dem zoroastrischen und dem mithraischen Urrind ist der folgende: Das zoroastrische Urrind wird von Angra Mainyu (Ahriman) tödlich verletzt. Das Ziel Ahrimans ist es, das Leben in der Welt zu vernichten. Arthas Samen aber sind immer siegreich (Pirooz), da sie die Kraft haben sich immer wieder zu erneuern. So sind alle Bemühungen Angra Mainyus umsonst und aus allen Teilen des Rindes (das mit „Parvins Ähre“ / خوشه پروین gleichgesetzt ist) entsteht von neuem Wachstum durch die Absorption des Wassers, das in dem neben ihm gelegen Fluss, dem Flusse Veh Daiti, fliesst (das Urrind erfährt eine neue Frischwerdung = Frashgart).

Im Mithraismus ist Mithras der Schöpfer durch seinen Dolch, indem er damit die Ader der Urrindes durchschneidet. Hier fehlt die Darstellung des Flusses. Und an die Stelle des Prozesses der Wiederauferstehung tritt der Akt des Durchtrennens der Lebensadern des All-Lebens durch den Gott Mithras mit dem Dolch. Mit dem Schnitt in die Blutadern bewirkt Mithras die vermeintliche Wiederauferstehung (Frashgart) des Lebens. Wasser kann man nicht zerschneiden oder durchtrennen, aber die Adern durch die das Blut fließt (die man auch als einen „Fluss“ verstand) konnten durchtrennt werden. Die Ader war identisch mit der Gottheit Artha. Durch die Opferung findet im Mithraismus die Erneuerung statt, und mit der gewaltsamen Unterbrechung der Lebensadern entsteht der Gedanke des Bündnisses (Mitre) und tritt an die Stelle der Liebe (Mehr).

M. Jamali > https://www.farangis.de/mithras/taunus/manuchehr_jamali_and_gita_yegane_arani-may

Geush Urvan, the primeval bull in Zoroastrianism and his/her counterpart in Mithraism.

Gayomart weist in der Mythologie gewisse Parallelen zum Mythologem des Urstiers auf. Im Zoroastrismus wurden Gayomart (der erste Mensch) und Geush Urvan (der urzeitliche Stier) mit dem “sterblichen Leben” gleichgesetzt. Beide standen jedoch für die Darstellung von “Leben”.

Zu Gayomart schreibt die Encyclopedia Britannica http://www.britannica.com/EBchecked/topic/227432/Gayomart (accessed: 09 June 2012):

Gayōmart, Avestan Gayō Maretan (“Sterbliches Leben”), in der späteren zoroastrischen Schöpfungsliteratur der erste Mensch und der Stammvater der Menschheit. Gayōmarts Geist lebte zusammen mit dem des Ur-Ochsen 3.000 Jahre lang in der Periode, in der die Schöpfung nur geistig war. Seine bloße Existenz machte Ahriman, den bösen Geist, der in die Schöpfung eindringen wollte, unschädlich. Dann schuf Ahura Mazdā den fleischgewordenen Gayōmart – weiß und strahlend, leuchtend wie die Sonne – und legte in ihn und den Ur-Ochsen, den einzigen von allen geschaffenen Dingen, einen Samen, dessen Ursprung im Feuer lag.

Ahura Mazdā gab Gayōmart den Segen des Schlafes, um ihn vor den Angriffen Ahrimans zu bewahren. Doch nach 30 Jahren der Angriffe zerstörte Ahriman Gayōmart. Sein Körper wurde zu den Metallen und Mineralien der Erde. Gold war sein Samen, aus dem die menschliche Rasse hervorging.

 

Oppression und Subversion


Wer geht ernsthaft davon aus, dass Subversion sich in der Gesellschaft funktional irgendwie von oppressiven Mustern unterscheiden würde? Beide verlassen sich auf die gleichen grundlegenden Annahmen über Mensch-Tier-Natur-Schismen, in erster Linie im Bezug auf die Phänomene von „existentieller Bedeutsamkeit“ und die Frage von „Eigen-Autorität“.
Antibiologistische Tiersoziologie

Buchprojekt in Kooperation mit Syl

Liebe Freund*innen,

ich bin zur Zeit beschäftigt mit einem neuen Projekt, das ich zusammen mit Syl Ko durchführe und über das ich mich außerordentlich freue. Ein Buch mit Illustrationen, bei dem der Text von Syl stammt und die Illustrationen von mir. Wie Ihr Euch denken könnt, wird es ein Tierrechtsbuch. Hier ein kurzer Blick auf einige der Protagonist*innen:

Der Eintrag vor diesem ist Passwortgeschützt, da ich hier Entwürfe teile, die aus ziemlich großen Bilddateien bestehen und die wir der Einfachheit halber lieber online teilen. Also, nicht irritiert sein. Danke!

 

Religion, Tierrechte und Biologismus: Theologische Tierrechtsdiskurse und Antispeziesismus

Religion, Tierrechte und Biologismus: Theologische Tierrechtsdiskurse und Antispeziesismus

Text: Gita Yegane Arani; Malerei: Farangis. G. Yegane

Der „Theo-logie“ (männlich) können wir eine TIER-Thealogie (weiblich) entgegensetzen, mit tiersoziologischem Fokus und dem Gegengewicht angenommener dezidiert-weiblicher Göttlichkeit … . Die Toxizität religiös-hegemonialer Ansprüche über „die Schöpfung“, wo sich in Wirklichkeit jedes Leben selbst schöpft und ursächlich selbst erfindet und findet … . Weshalb an den Konzepten vom „absoluten“ Schöpfergott festhalten, der „den Menschen“ dann mit entsprechenden Dominanzrechten versieht?

Tier-Thealogien > Tierindividualität und Tierautonomie

Die Herabsetzung von Tieren kann ein religiöser- sowie ein hyperreligiöser Akt sein. Sie kann aber durch einen Diskurs, der menschliches Religionsverständnis vordringlich ins Zentrum setzt, meiner Meinung nach nicht ernsthaft gelöst werden.

Statt sich an menschlichen Themenprioritäten (kulturell, gesellschaftlich) auszurichten, sollten alle Faktoren die tierherabsetzend operieren, zusammengefügt werden, um so das, was menschliche Herabsetzung von Tieren ausmacht – den Ur-Mechanismus der kulturellen Mensch-Tier-Dichotomie und der Antagonisierung von Tierlichkeit – unter Berücksichtigung aller Themenfelder multiangulierend zu analysieren.

Schließlich muss der Dringlichkeit des Problems Rechnung getragen werden und es müssen neue tierfreundliche Räume geschaffen werden, in denen Menschen inhaltlich nicht mit ihren Rahmenwerken und exklusiven Prioritäten humanzentrisch-philosophisch dominieren. Es muss vom Nullpunkt her unvorbelastet begonnen werden, wenn wir über Tiere reden und philosophieren.

So wäre es zum Beispiel kein Problem erstmal zu analysieren, warum Menschen meinen, dass sie weiterhin ihre Geschichts- und Kulturkonstrukte über mögliche tierliche Geschichtsnarrative setzen sollten, wenn sie gerade vorgeben das Menschsein zu re-zentrieren.

Partikularistisch wird der Schwere der ethischen Problematik so kaum Rechnung getragen. Die Antwort kann niemals im Religiösen, als einer Art supra-ethischer Kulturkommunikationsplatform, und auch nicht dem entgegengestellt, im allein religionskritischen Diskurs zu finden sein.

Wenn Religionen sich heute zusammentun, um zu besprechen, wie man „der Schöpfung“ gerechter werden kann, und alle Felder von Perspektivität ausgeschöpft sein sollen, wenn atheistische Wissenschaftlichkeit noch den gewohnten Biologismus beiträgt, dann scheint es fast so, als wolle Homo sapiens sich vor sich selbst rechtfertigen, um Denkfehler so noch etwas länger kultivieren zu können und um nur mildtätig einige wenige Zugeständnisse als ethischen Fortschritt proklamieren zu können.

Paradigmenwechsel würden nur stattfinden, wenn alles auf den Tisch kommt. Alle Teile menschlicher Kultur sind verwoben mit bestimmten Konzeptionen von „Menschsein“, die „Tiersein“ grundsätzlich in seinem Verschiedensein antagonisiert haben. Man denke daran, wie vehement das Thema Tierdenken immernoch über Biologismen reduktiv zum Nichtthema gemacht wird.

Allgemein ist die Tendenz, Tierthemen in vielen kleine Facettenschwerpunkten zu diskutieren, Ausdruck des Versäumnisses sich Tierfragen in der Dimensionalität eines Faunazids zu stellen. Mir kommt es eher so vor als wollen gesellschaftlich verankerte Machtinstanzen, wie Religionen, sich anhand ethischer Diskussionen über die Themen, die Nichtmenschen anbelangen, usurpierend einbringen, um so ihre Götter und Theologien über den anstehenden post-anthropozänen Bewusstseinswechsel der „droht“ hinwegzuretten.

Religion, Kulturanthropologie oder Philosophie?

Die Einengung auf Religion, als ethisches Imperativ, dass Fragen aufwerten soll, ist eine Art philosophischer Einengung, denn wenn wir „Religiosität“ und „Spiritualität“ zurück- und überführen in die Antike, zeitlich-chronologisch, oder auch lokal-kulturspezifisch in andere kulturelle Räume gehen, dann wird klar, dass Fragstellungen über Tiere – als von Menschen wahrgenommene und anerkannte „Mitlebewesen“ im Guten wie im Schlechten – soweit geschichtlich nachvollziehbar, immer zentral und bedeutsam gewesen sind – nicht zur „Menschwerdung“ als kollektivem fortschrittlichen Prozess, sondern genauso, wie eine neue Tierrechtsethik Mensch- und Tiersein in ihrer Begegnung neu kontextualisiert betrachten würden: Waren es nicht die Religionen selbst, die massiv den Menschen von Natur und Tieren getrennt haben? Wer hat die Spiritualität zum Herrschaftsgebiet von Herrschaftsgöttern, Propheten und Klerikern gemacht?

Um hier auch zu einem fruchtbaren Ergebnis zu gelangen, muss man fragen: „Wie interpretieren wir menschliche Geschichte?“, um so auch die menschliche Reflektion von „Tieren als speziesdesignierter oder nichtmenschliche Gruppe“ nachvollziehen zu können. Zu jeder Zeit haben Menschen unterschiedlich reflektiert, unterschiedlich gedacht über Menschen und über Tiere.

Auch verbleibt bei der typischen Diskussion über Tiere, Religiosität und Spiritualität der Biologismus intakt [gleich was diesen Biologismus eigentlich ursprünglich konstituierte im Falle von Speziesismen]. Mit ihm wird tierliche „Religiosität“ als rudimentär, primitiv, reduziert betrachtet oder eine autarke Anerkennung verunmöglicht. Und „Religion“ – als Symbol, das auf spirituelles Denken und Erleben hinweist – wird so ein kleines menschlich gedachtes Pool zugedacht, sowie der Spiritualität – beide werden an menschliche mystische Begrifflichkeiten und „Weltensichten“ gebunden. Nichtmenschen wird Philosophie/Denken, Lebensreflektion/Seinsreflektion und Spiritualität, neben dem „menschlichen System“ existieren, noch nicht zugestanden.

Die Entseelung „der Natur“ und die Einhauchung von „Sinn“ und „Geist“ der „Natur“ als „von Gott stammend“, statt als selbstschaffend, als ein Proxy menschlicher Konstrukte, ermöglicht erst die Beanspruchung und Monopolisierung von spiritueller Autonomie zugunsten menschlicher Dominanzansprüche, weg von der ‚Tierlichkeit im Selbstsein‘, als Oppositum zum „spiritualitätsfähigen Menschsein“.

Zusammenschluss und Vorgabe von Interdisziplinarität in den religiös dominierten Diskursen (die tendenziell den Gesichtspunkt von Dringlichkeit außer Acht lassen), mündet in abstrakten Diskussionen, bei denen Ergebnisse immer wieder dem Ausgangpunkt gleichen. Man kommt effektive niemals zu einem Ergebnis, das kollektiv menschliche Herrschaftsansprüche in den Theorien auflösen würde. Die Geste versteht sich als gut gemeint und folgt dem allgemeinen Druck eines zunehmend wachsenden ethischen Bewusstseins in der Gesellschaft. Unter dem Strich bleiben die alten Definitionen von Tiersein bestehen. ‚Meine Haltung ändert sich, aber Du bist faktisch immer noch der gleiche, für den ich Dich erklärt habe.‘ Religiös gespeiste Traditionen werden nur Oberflächen ankratzend plakativ kritisiert, während parallel dazu die schönen Seiten des Religiösen fokussiert werden, als ethische Leitfäden menschlichen Selbstverständnisses und ethischer Haltung, um Religion anhand der Tierfrage über Umwege aufzuwerten.

Tiere bleiben Schöpfungsteppich auf dem menschliche Religionen Thronen können, die bestimmen wer gut und Ebenbild Gottes ist und wer bloß Schöpfung statt Selbstschöpfung ist. Letztendlich hat die Evolutionstheorie Darwins zwar – auf der Grundlage einer kompetitiven Vorstellung von Lebensmotivation – einen Bruch mit der Dichotomie des Kreationismus im Bezug auf „Mensch“ und „Tier“ vollzogen, leider hat er dabei den Strang Homo als „sapiens“ und eine voraussetzende implizite Annahme von Tierdenken als vergleichsweise primitiv, instinktiv und prädeterminiert (statt autonom) in seinen Theoremen aber nicht überwunden.

Die logische Konsequenz aus einem erkannten biologisch-chronologischen Kontinuum, hätte unter ethischer Fragestellung spätestens heute – statt an dem Festhalten an Seinshierarchien – lauten müssen: wie gehen wir dringlichst mit einem menschlichen Krieg gegen die Tierlichkeit vor? Oder verlegte die Evolutionstheorie Darwins nur den hierarchisierenden Faktor in denjenigen Modellen, die erklären wie Menschen sich auf Tiere und Tiersein beziehen wollen, nur auf die kausaltistische Biologie, statt auf den Schöpfungsgedanken in der religiösen Hierarchisierung von Sein?

Religiosität macht sich der „Frage der Tiere“ habhaft, die als Gegensatz zu einer Homogenität von Menschlichkeit und Menschsein verstanden wird. Sie tut dies, indem sie in einem grundsätzlichsten Sinne zu transzendieren und zu metaphysieren versucht. Die Naturwissenschaften, in der die Seele als transzendentaler Körper keine Rolle mehr spielt, treffen ihre qualitativen und wertenden Unterscheidungen anhand biologischer Materie, bei dem ‚Sein‘ von Entitäten, die man als „Lebewesen“ und organisches „Leben“ identifiziert.

***

Religiösität: „Din“, ist in der heidnischen vorzoroastrischen alt-iranischen Kultur das gewesen, was „aus dem Menschen, als Wesen, selbst wächst“. Wir können die Diskussion und den Aktivismus für Tiere viel grundsätzlicher und basisdemokratischer Betreiben, als über die Triangulierung mit (letztendlich monokausalen, da „Schöpfergott“) religiösen Diskursen.

Schließlich findet Speziesismus, Tierherabsetzung oder wie wir es auch nennen wollen, überall imminent statt, und ist so vordringlichst, in Eigenkompetenz und emanzipativ zu adressieren – nicht anders als Menschenrechte, nicht anders als Umweltthemen und Ökozid (Themen, bei denen Religionen ebenso wenig die letzten Antworten bieten können; außer für Homo credens).

Meine Kritik rührt daher, dass mir auffällt, dass inzwischen eine immer stärker anwachsende Anzahl von Nischenschauplätzen sich mit hochqualifizierten und zunehmend akademisierten Diskussionen füllen. Würden wir uns angesichts einer vergleichbaren Situation solch eine Nischenmentalität im Bezug auf Menschenrechtsfragen oder Umweltfragen leisten, statt einer breiten gesellschaftlich-emanzipativen Diskussion, frage ich mich ernsthaft? Ich finde Tiere werden in der Weise von Menschen immer noch in Menagerien, wenn auch geistige, gesetzt.

Manche antispeziesistischen Künstler malen Tiere unter Menschen, im Sinne einer positiven Mensch-Tier-Beziehung, und deuten damit an, wie wichtig es ist den gemeinsamen Raum zu entdecken. Aber auch auf solchen Bildern kann man bei genauerem Hinsehen entdecken, dass „der exemplarische Mensch“ nicht neutral-kritisch, sondern im Beisein der Tiere idealisiert oder „korrigiert“ erscheinen soll. Die Mensch-Tier-Beziehung wird in der Regel vereinfachend abgebildet.

Ich möchte hier einen Beitrag leisten, darüber, wie in einfacher, grundlegender Weise ein kritisches Bild über das Verhältnis aufgeworfen werden kann, ohne Rekurse auf humanzentrische ethische Konstrukte wie Religionen und ohne ein verschönerndes, verharmlosendes Bild von Menschen und dem „Menschsein“.

Animal Thealogy / Tier-Thealogie

Mensch-Maschine? Tiervernunft!

Die grundlegende Frage über eine kategorische Trennung und Unterscheidung von „Tieren“ und „Menschen“ (Homo sapiens) befördert wahrscheinlich vor seinen moralischen Implikationen, die Frage darüber, was sich genau hinter diesen großen generalisierten Identitäten verbirgt. Weshalb hat uns die Sichtweise darüber, „was Tiere sind“ und „was Menschen sind“, schließlich dazu geführt, Tiere heute beinahe ausschließlich unter biologistischen (…) Begrifflichkeiten zu thematisieren? Reicht es, nichtmenschliche Tiere mit der ausschließlichen oder überwiegenden Attribuierung eins instinktgeleiteten Verhaltens zu begegnen? Ist es somit der ‘Fehler‘ der Tiere, dass Mensch sich auf sie nicht in einer anderen Weise beziehen, als sie es gegenwärtig tun? Welche anderen Optionen existieren?

Tier = instiktiv? Mensch = vernunftsbegabt? Attribuierte Identitäten innerhalb eines humanzentrischen Narrativs

Wenn wir die Sichtweise nicht akzeptieren, dass nichtmenschliche Tiere diejenigen sind, die unter den Menschen zu stehen haben, innerhalb eines Rahmens, der durch einen z.B. biologischen, philosophischen oder selbst eine göttliche Seinshierarchie gegeben ist, dann muss solch ein kritischer Anspruch nicht allein moralisch motiviert sein. Es kann ebenso bedeuten, dass wir die Art, in der beide Identitäten („Tier“ und „Mensch“) verstanden werden, hinterfragen, dass wir die Trennung und die Qualifizierung dieser Identitäten hinterfragen, selbst bevor die Frage menschlichen Unrechts auf der Diskussionsplattform erscheint.

Wir können fragen, ob die Interpretation von Charakteristiken, die als konstituierend begriffen werden für unterscheidende, trennende Aspekte, innerhalb einer Mensch-Tier-Hierarchie, nicht in Wirklichkeit eine Verneinung des autonomen Wertes des Verschiedenseins von nichtmenschlichen Tieren darstellen.

Wir wissen, dass das einzige Kriterium, das uns als Standard dient, der menschliche Parameter ist. Das heißt, das menschliche Modell zählt als das Ideal, als der Standard der Normen kreiert.

Was passiert, wenn wir dieses „Standardmaß“ bezweifeln?

Es ist eine Frage der Perspektive!

Schussfolgerungen, die sich aus den Bereichen Biologie und Psychologie (Tierpsychologie ist im Prinzip allerding zumeist nichts anderes als Ethologie, als nach innen projizierter Prozess) ableiten lassen, als den hauptsächlichen akademischen Feldern, die sich mit einer Erklärbarkeit von Tieridentität befassen, legen die Perspektiven fest:

  1. Über relevante Charakteristiken
  2. Darüber, wie Charakteristiken bei Tieren (sowohl im Falle menschlicher als auch nichtmenschlicher Tiere) sich a.) ausdrücken müssen und b.) in welcher exakten Korrelation sie „bemessbar“ sein müssen, um eine aus menschlicher Sicht bestimmte Relevanz oder Bedeutsamkeit zu erlagen

Das Problem liegt also in der Frage, warum Menschen eine Autonomie von Tieren nicht akzeptieren können, wenn sie sich nicht über die Wahrnehmung eines wertdefinierten Vergleichs erschließen lässt.

Warum werden eigene tierliche Kriterien und deren unabhängige Bedeutsamkeit (im Sinne ihrer Selbst und ihrer Situationen, in deren natürlichen und sozialen inter- und ko-spezifischen Kontexten) als irrelevant betrachtet, in dem Moment, in dem sie auf unsere perspektivischen Aussichten stoßen, wenn diese tierlichen Kriterien doch ebenso begriffen und akzeptiert werden könnten als vollständig außerhalb unserer hierarchischen Rahmenwerke liegend?

Tierindividualität als neutralen Fakt akzeptieren

Die Bereitschaft, eine unabhängige Bedeutsamkeit von Nichtmenschen zu akzeptieren, bedeutet die Deindividualisierung zu hinterfragen, die unsere allgemeinen Sichtweisen und Erklärungsmodelle über sie gewöhnlich vermitteln. Das sind die Sichtweisen, die zulassen, dass wir (als „menschliche Identitätsgruppe“) Nichtmenschen im wertenden Vergleich zu uns setzen, statt das (Verschieden-)Sein der Nichtmenschen selbst als vollwertig zu betrachten. Und das sind auch die Sichtweisen, die zu sortieren bemüht sind, wie genau sich die existenzielle Bedeutung von Nichtmenschen in Bezug auf all das verhält, was sonst noch für „uns Menschen“ (als eine geschlossene Identitätsgruppe) von Bedeutung ist.

Die deindividualisierende Sichtweise von Nichtmenschen geht fast automatisch einher mit der Wertentziehung in Hinsicht auf die zugeordnete Bedeutsamkeit. Und so landen wir nun bei der moralischen Frage, da die Frage von Identitäten, individueller Existenz und Deindividualisierung einige ethische Konflikte mit sich bringen.

Nichtmenschen und attribuierte Identitäten in den Bereichen “tierlicher” und “menschlicher“ sozialer Kontexte

Wenn wir nichtmenschliche Tiere, abgesehen von derer Lokalisierung im Hoheitsgebiet der Biologie, beispielsweise ebenso in soziologischen Kotexten betrachten können, dann könnten wir z.B. zu Recht fragen: „Wie verhalten sich Menschen gegenüber nichtmenschlichen Tieren und wie wird dies von beiden Seiten her wahrscheinlich oder vielleicht wahrgenommen?“ Können wir das Verhalten von Menschen gegenüber Nichtmenschen allein erklären, indem wir auf die allgemeine Annahme Bezug nehmen, dass man sich nicht wirklich in einer besonderen Weise zu Tieren verhalten kann, da sie angeblich ‚durch Instinkte bestimmt‘ seien und ‚kommunikativ weniger komplex im Vergleich zu uns‘, und dass somit unser Verhalten ihnen gegenüber keine eigenen Qualitäten einer sozialen Dynamik enthalten könne? Können wir unser typisch menschliches soziales Fehlverhalten gegenüber Nichtmenschen dadurch legitimieren, indem wir uns auf die „Einfachheit/Tumbheit“ beziehen, die wir in tierliches Verhalten hineininterpretieren? Solche Fragen würden natürlich ausschließlich auf den Stereotypen von Tieridentitäten basieren, gleich woher sie stammen.

Die Human -Animal Studies wären hier vielleicht die Lösung. So beschreibt die Seite des Animals and Society Insitutes das Feld der HAS:

Human-Animal Studies (HAS) is a rapidly growing interdisciplinary field that examines the complex and multidimensional relationships between humans and other animals. HAS comprises work in several disciplines in the social sciences (sociology, anthropology, psychology, political science) the humanities (history, literary criticism, philosophy, geography), and the natural sciences (ethology, veterinary medicine, animal welfare science, and comparative psychology). ( https://www.animalsandsociety.org/human-animal-studies/ , Stand 05.09.2021)

Die HAS sind sozusagen eine große Zusammenfassung zahlreicher menschlich möglicher Perspektivitäten auf das „Mensch-zu-Tier-Verhältnis“. Das Problem bleibt dadurch aber weiterhin bestehen, dass das „Tier-zu-Mensch-Verhältnis“ mit aller Wahrscheinlichkeit bei gänzlich anderen Ergebnissen enden würde – als Ergebnisse ohne den Ballast der Konfrontation mit den Bildern, die Menschen sich von Tieren machen.

Es wird implizit davon ausgegangen, dass all die interdisziplinären Bereiche, die zur Untersuchung des Verhältnisses Mensch-Tier herangezogen werden, tatsächliche Aussagen über faktische Tierlichkeit liefern könnten. Das all die Disziplinen aber auf Denkmodellen basieren, die intrinsisch speziesistisch-anthropozentrisch gespeist sind, steht nicht unbedingt im zu untersuchenden Fokus, weil wissenschaftlich „Tierlichkeit“ nicht ohne weiteres durch Wissenschaftlichkeit selbst trianguliert werden kann, um zu aussagefähigen Erkenntnissen zu gelangen, die über Nichtmenschen etwas wirklich fundamentales aussagen könnten. Dies ist einfach der Tatsache geschuldet, dass Tierlichkeit nicht in menschlichen Begriffen allein hinreichend erklärt werden kann. Was möglich ist, ist Approximationen zu schaffen und Wege freizuräumen, Konstrukte einzureißen und schlichtweg geistig freie Räume zu schaffen, die tierlicher Integrität einen Schutz nicht nur auf der physischen Ebene, sondern auch auf der theoretisch-philosophischen epistemischen Ebene gewährleisten würden.

Interessanterweise bildet selbst die Nische dessen, was soweit akademisch anerkannt ist als ‚Tiersoziologie‘ nur einen fragmentalen Baustein der Human-Animal-Studies, wobei dies tatsächlich eben nur diejenige ‚Tiersoziologie‘ anbetrifft, die Biologismen noch nicht kritisch ausgeräumt hat. Das heißt, obwohl die Human-Animal-Studies in selbstbezeichneter Weise eine Beziehung (die ja wohl eine soziale Komponente aufweist) adressieren – also soziale Interaktion – ist diese akademische Sparte aber nicht (tier-)soziologisch zu verstehen. Eher ist die perspektivisch-hegemoniale Sicht „des Menschen“ auf „die Tiere“ hier angedacht.

Wie dem auch sei, wir können Fragen von dem, wie sich eine Mensch-Tier- und Tier-Mensch-Soziologie verhält, wahrscheinlich kaum mit Soziolog*innen besprechen, obwohl es in deren Rahmen hineinfallen könnte, diese Beziehungen zu analysieren. Soziolog*innen selbst würden sich wahrscheinlich weitaus lieber mit der Tierrechts- und der Tierbefreiungsbewegung befassen, um sich nicht mit der Interaktion zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren befassen zu müssen, da sich jede*r ja bereits mit der Tatsache einverstanden erklärt hat, dass eine Naturwissenschaft (die Biologie) bereits festgelegt hat, was die (logischerweise implizit auch ‚soziale‘) Identität von Nichtmenschen „faktisch“ ausmacht. Und dem muss hinzugefügt werden, dass es scheint, dass selbst die Tierrechtbewegung die moralische Frage selbst beinahe außerhalb jeglicher Reichweite platziert hat, indem sie die Erklärung der Identität von Tieren auch als etwas mehr oder weniger strikt Biologisches akzeptiert hat. Die Forderung dieses Mainstreamstranges in den Tierrechten führt sich damit dialektisch selbst ad absurdum.

***

Ein geometrisches Bild

Die Leserin stelle sich zwei abstrakte Gruppen vor. Gruppe A besteht aus Dreiecken, und alles was die Dreiecke umgibt, wird mathematisch relevant im Bezug auf deren eigene trianguläre Form. Dies vollzieht sich, indem alles was einem Dreieck entspricht oder nicht entspricht in einer jeweilig bestimmten Farbe erscheint. Gruppe B sind Kreise. Nun sagt Gruppe A, dass Gruppe B keine Dreiecke sind (weil A Dreiecke sind), und dass B auch keine Quadrate oder Rechtecke sind. Folgt hieraus irgendein Grund dafür, dass es mathematisch legitim sein würde die Kreise als gleichermaßen gültige geometrische Figuren auszuschließen? Die Dreiecke unterscheiden sich von den Kreisen, aber beide sind geometrische Figuren und insofern von gleichem Wert. Sie können in Bezug zueinander gesetzt werden aufgrund jeglicher ihrer geometrischen Eigenschaften, selbst wenn die Kreise den Charakteristiken der Dreiecke nicht entsprechen.

Eine einfache Metapher

Soziologie hinterfragt nicht die soziale Interaktion zwischen Menschen und Nichtmenschen. Sie untersucht diese Beziehung nicht aus ihrer spezifischen Sichtweise, weil allgemein davon ausgegangen wird, dass die menschliche Beziehung im Bezug auf Tiere durch die Naturwissenschaften bereits im Kern festgelegt ist. Die Human-Animal-Studies bezeichnen sich zwar als Studien der Mensch-Tier-Beziehung, lassen aber das biologistische Erklärungsmodell über tierliche Identität als solches bestehen.

Das hierarchische Herrschaftsgebiet jedoch, welches die Naturwissenschaften [und mit ihnen die humanistische Wissensbasis, auf der die Naturwissenschaften eher fußen] errichtet haben, schließt jedoch jede Notwendigkeit für eine tiefere Betrachtung und Berücksichtigung dieser Beziehung aus. Wir sehen keine direkte Beziehung zwischen Menschen und Nichtmenschen repräsentiert auf der intersubjektiven Ebene – wie beispielsweise auch Syl Ko sie in ihrem Spezies-Subjektivistischen Ansatz empfiehlt.

Die Biologisierung und Entsoziologisierung von sozialer Interaktion und Erleben

Eine sehr typische Exemplifikation dieses Unwillens auf einem grundlegenden Level eines „Gemeinsinns“ Bezug (auf Nichtmenschen) zu nehmen, kann in dem Unterschied erkannt werden, zwischen z.B. der Bezugnahme auf Nichtmenschen in Hinsicht auf „Freude“ im Gegensatz zu „Liebe, etc.“ als typisches Beispiel. So wie in: „Tiere können ‚gleichermaßen‘ Freude erleben“ oder „wir können beide lieben“ als soziale Handlung und als soziales Empfinden. Oder bei „Schmerz“ versus „Gewalt erleben“: so wie in „Tiere können Schmerz empfinden“ oder „wir können beide Gewalt erfahren und be-/greifen“. Liebe ist ein verbindendes Empfinden, Gewalterfahrung basiert ebenso auf sozialer Interaktivität, wenngleich im negativen Sinne. Wobei „Freude“ allein in dem Subjekt, dem wir das Gefühl zuordnen, lokalisiert wird, und das gleiche gilt auch für den „Schmerz“. Das heißt eine gewisse Perspektivität lässt Kontextualitäten sozialen Erlebens auf der breiten Ebene zu, während eine andere Perspektivität „Liebe“ und „Gewalterfahrung“, wie in diesem Beispiel, auf „Freude“ und „Schmerz“ in entsozialisierter Weise begrenzen und ausschließlich im Subjekt lokalisieren und somit begrenzt kontextualisiert zuordnen.

Wir – Nichtmenschen und Menschen – verstehen die Fragen von LIEBE, GEBORGENHEIT, VERTRAUEN, etc. und GEWALTERFAHRUNG. Während „Freude” und “Schmerz” reduktive Begriffe für das gleiche darstellen können.

Weiter …

Betreffend der Frage, ob Nichtmenschen in irgendeiner Weise als moral agents/moralisch Agierende bezeichnet werden können, muss man fragen, existiert Moral außerhalb des menschlichen Konzepts von Moralität? Wenn wir Moralität diskutieren, gehen wir davon aus, dass der Gegenstand, den dieser Begriff beschreibt, durch unsere Wahrnehmung „entstanden“ ist, und da wir definieren was „moralisch“ bedeutet, können wir das beschriebene Phänomen als alleinig unseres beanspruchen.

Wichtig ist festzuhalten, dass ich mich hier eher auf die angelsächsische Verwendung von „Moral“ und „moralisch“ beziehe, wie z.B. hier erklärt als:

“relating to the standards of good or bad behaviour, fairness, honesty, etc. that each person believes in, rather than to laws.”

( https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/moral, Stand 06.09.2021 )

Dies tue ich, da insbesondere (der namhafte amerikanische Tierrechtphilosoph) Tom Regan in seinem The Case for Animal Rights die Frage der moral agency in der Raum stellte, und dies bei mir die Fragen aufwirft, inwieweit damit eigentlich in Wirklichkeit eine soziale Qualität verbunden ist, und man, anders als Regan es tut, das anthropozentrische Konstrukt, das mit der Idee von „moralisch“ einhergeht, mal in seine eigentlichen Bestandteile untergliedern sollte es schließlich ebenso in tierlich-kulturellen Kontexten gedacht werden kann.

Woraus besteht Moralität?

Existiert Moralität nur wegen theoretischer Rahmenwerke? Das lässt sich bezweifeln. Moralität hat auf der einen Seite etwas mit grundlegender sozialer Interaktion zu tun, denn dadurch erhält Moralität ihren Wert. Auf der anderen Seite bestehen die übergeordneten Übereinkünfte über Moral, welche erklärt und über die entschieden wird von (geistigen) ‚Eliten‘ oder einer definierenden Gruppe/einem definierenden Prozess. Aber dadurch enthalten die Übereinkünfte über Moral bloß eine erzwungene Gültigkeit, die von ihren eigenen Grundlagen getrennt ist, das heißt: von der Bedeutung sozialer Interaktion zwischen Wesen (das Konstrukt über Moralität schließt das aus, was außerhalb seiner Hierarchisierungen liegt; andere Formen von Interaktion die „soziale Werte“ enthalten werden ausgeschlossen).

Auf der individuellen Ebene existiert das, was jegliches „ich“ wahrnimmt und erfährt, in seiner Interaktion, und was es als „moralisch“-richtig erlebt. Und diese Erfahrung kann zwischen Nichtmenschen oder Menschen im kompletten environmentalen Kontext stattfinden – aus Sicht eines allgemeinen Gemeinsinns, wenn wir die menschliche Perspektive annehmen. Wenn wir das menschliche Dekorum weglassen, dass den Begriff Moral umgibt und ihm anhaftet, dann können wir behaupten, dass jede Handlung eine moralische Implikation für deren Akteure besitzt, nicht-anthropozentrisch betrachtet.

Es ist immer dasselbe: Verschiedenheit. Wir sollten mit ihr klarkommen.

Nichtmenschen haben sehr andere ‚Lebensphilosophien‘ im neutralen Vergleich zu „unseren“ ‚Lebensphilosophien‘, und ich glaube man kann den Begriff Philosophie hier verwenden, um einen Teil eines bislang unbezeichneten Phänomens zu beschreiben, in dem Nichtmenschen ihre eigenen Leben strukturieren, reflektieren, etc. Wobei das Wort ‚Lebensphilosophie‘ den Punkt nicht mal trifft. Viel eher: Denken über das Leben.

Ich frage mich, ob das Problem, das Menschen mit Nichtmenschen haben, nicht eher in den Unterschieden ihrer Denkweisen über das Leben im Vergleich zu unseren typisch menschlichen ‚Lebensdenkungsarten‘ liegt. Die Probleme liegen so viel mehr in dieser radikalen Verschiedenheit statt in den Gründen gradueller biologischer Verschiedenheiten oder statt in der üblicherweise angenommenen moralischen und sozialen ‚Begrenztheiten‘, die Menschen diesen Anderen (Tieren) zuordnen.

Das Problem scheint mir um das Maß an Unterschiedlichkeit und koinzidierender Gleichheit zu fluktuieren. In vielerlei Hinsicht gleichen wir Nichtmenschen, jedoch was den Aspekt unseres Dominanzanspruchs anbetrifft, sehen wir Nichtmenschen als „die Loser“ und als das untere Ende einer evolutionären oder göttlich bestimmten hierarchischen Ordnung, auf der wir unser destruktives und hypokritisches Verständnis von Macht postulieren können.

Dass Nichtmenschen die Verlierer unter den ‚biologischen Tieren‘ seien, ist eine Einstellung die sogar einige ihrer Verteitiger*innen projizieren. Ich treffe öfters auf Menschen in der Tierrechtsszene, die keine Einzigartige, in sich genügende Qualität in der Nähe und gleichzeitigen Ferne zwischen den unterschiedlichen Tieren (einschließlich dem Menschen) anerkennen, sondern die an erster Stelle in ihren verteidigenden Argumentationen immer wieder betonen: „Wie sind Tiere im Vergleich zu uns“; als ob Menschen und Tiere einen Wettbewerb auf einer Gleichheitsskala ausführen müssten. Und ein anderer damit verwandter Argumentationsstrang lautet: „Wie viel ihres ‚Instinktes‘ könnte Tiere möglichweise dazu berechtigen, Rechte zu erhalten“; Rechte, die sie vor Menschen schützen müssen ( – wobei es sehr fragwürdig ist, ob diejenigen, die Vorurteile gegen Dich haben, Dir wirklich Deine eigenen Rechte zugestehen wollen würden). Dabei wird dann angeführt, was Tiere alles so als vermeintlich ‚primär durch Instinkte bestimmte Wesen‘ können. Als wäre der Mensch in seinem Denken alleine selbstbestimmt … ein Riesenproblem in der Betrachtung von Menschen, Tieren, Instinkten und Denken.

Die menschliche Gesellschaft, so scheint ist, betrachtet immer wieder das „uns“ und das „wir“ als objektiv wichtiger, insofern dass dieses „wir“ und das, „wie wir sind“, das Kriterium schlechthin sein soll, und dass Nichtmenschen daran bemessen werden sollen. Der Mensch hat zugleich aber auch eine komplette Erklärung parat, darüber wie genau Tiere anders und unterschiedlich sind.

Der wesentliche Punkt: andere zu akzeptieren, die Gültigkeit von Unterschiedlichkeit zu akzeptieren statt vorzudefinieren, der Unterschiedlichkeit Raum zu lassen, wird leider übersehen. Dabei wäre das für die Anderen, die Sich-von-uns-Unterscheidenden entscheidend, würde Anerkennung von Freiheiten beinhalten und es wäre so vielleicht selbst für „uns“ wichtig!

Zu weit gegriffen? Tier-Thealogie – weibliche Tiergottheiten, weibliche menschliche Gottheiten … alles gab/gibt es … . Mögliche Herangehensweisen an die Frage spiritueller und geistiger Freiräume.

Themen und Akzente 07.11.2020

Zum Auffrischen verschiedenartiger Diskussionsgrundlagen hier einige interessante Links in unterschiedliche Richtungen – vom Samstag den 7.11.2020

Wenn eine Green Economy dekolonialisiert sein muss und postwachstumsorientiert funktioniert, warum begrüßen dann gegenwärtig manche Veganer*innen Fleischkonzerne, die veganwashing betreiben?

Ökologie, Dekolonialismus, Degrowth/Postwachstum, Greenwashing, Nicht- oder Unwissenschaftlichsein, Aktivismus

Epifania Akosua Amoo-Adare: (Un)Thinking Science: A critical call for conscious practical work
https://undisciplinedenvironments.org/2017/09/14/unthinking-science-a-critical-call-for-conscious-practical-work/

Combating greenwashing through public critique, a teaching idea by Jessica M. Prody
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/17404622.2016.1139151?scroll=top&needAccess=true&journalCode=rcmt20

Interview with Malcom Ferdinand: Why We Need a Decolonial Ecology
https://www.greeneuropeanjournal.eu/why-we-need-a-decolonial-ecology/

Tierechte, Anti-/Speziesismus Dekolonialismus, Tierethik und Mythologie

Obwohl ich mit Gruppenzugehörigkeiten gewisse Probleme habe und nie in einer bestimmten Gruppe beheimatet sein konnte, schon gar keiner ethnischen, finde ich interessant, warum Menschen mit einem indigenen Hintergrund, wie in diesem Fall der Dichter Billy-Ray Belcourt, über Tiermythologisches im Kontext mit Tierrechtsbewusstheit sprechen können und der/die “normale Durchnittstierrechler:in” sich lieber dauerhaft auf die naturwissenschaftliche biologistische Sicht stützen will. Eine ganz andere Ausnahme ist jedoch die niederländische Anthropologin Barbara Noske, die sich kritisch mit Totemismus und kritisch mit Biologismus auseinandersetzt. Belcourt nimmt aber keine totemistische, symbolisierende Sichtweise ein, sondern betrachtet tierliche Nichtmenschen als Subjekte auf gleicher Ausgenhöhe wie es scheint … . Interessant ist die andere Perspektive als neuer Weg in der Annäherung an die Tierrechtsfrage im konstruktiven Sinne …

Billy-Ray Belcourt > @BillyRayB (twitter) > https://billy-raybelcourt.com
Animal Bodies, Colonial Subjects: (Re)Locating Animality in Decolonial Thought (2014)
https://www.researchgate.net/publication/
307841644_Animal_Bodies_Colonial_Subjects_ReLocating_Animality_in_Decolonial_Thought

Diesen Text hier habe ich nun noch nicht gelesen … es geht um eine Kritik daran, das die kritischen Tierstudien keinen dekolonialen Ansatz wählen …
An Indigenous critique of Critical Animal Studies
https://www.taylorfrancis.com/books/e/9781003013891/chapters/10.4324/9781003013891-1

Zwischen den Stühlen, Rassismus, Nationalität, Ethnizität

“German racism” ist so eine Sache, mixed race sein ist auch so eine Sache. Immer noch werden ethnische Typen festgelegt und visuell idealtypisch verstanden. Auch fragen dessen, was man allgemeinhin so als “Mentalitäten” versteht, sind immer noch rassistisch eingefärbt, in eigener Art und Weise gleichermaßen im Bezug auf Leute, die mixed race sind. Diesen Leuten wird oftmals aber tendenziell abgesprochen von Rassismen betroffen sein zu können. Ich glaube, wenn wir uns mit den Nuancen von Diskriminierung in jeglicher Hinsicht auseinandersetzen, können wir auch zunehmend herausschälen, wie die Art der Denkweisen sich zumeist zusammensetzen, die andere Lebewesen diskriminieren und verletzen.

‘I Will Never Be German’: Immigrants and Mixed-Race Families in Germany on the Struggle to Belong
https://www.nytimes.com/2019/11/08/reader-center/german-identity.html

https://criticalmixedracestudies.com/

Erica Chito Childs: Critical Mixed Race in Global Perspective: An Introduction
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/07256868.2018.1500975

Speziesismus ist … Wertung

Speziesismus ist … Wertung

… all das, womit der Mensch meinst sich “positiv” vom non-human (…) zu unterscheiden, gleich einer speziesistischen Wertung.

Diese Grafik stammt aus einer persischen Geschichte über einen Vogel  und ein Samenkorm “Morgh va Tokhm”. Farangis hat die Geschichte illustriert und wir planen sie demnächst online zu veröffentlichen – hier ist ein Preview: https://farangis.de/edition/preview-morgh-va-tokhm/