Vasile Stanescu: Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten

kts8

Jahrgang 1, Nr. 1, Art. 1, ISSN 2363-6513, Juni 2014

Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten

Eine Präsentation von Vasile Stanescu

Titel der englischsprachigen Originalfassung: The Judas Pig: How we Kill “Invasive Species” on the Excuse of “Protecting Nature”. Übersetzung: simorgh.de.

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Zusammenfassung: Sowohl Michael Pollans The Omnivore’s Dilemma als auch Donna Haraways When Species Meet führen das Beispiel „invasiver Spezies“ (und im spezifischen die Tötung „verwilderter“ Schweine auf Santa Cruz Island) als einen Beweis dafür an, dass Tierrechte und Umweltschutz miteinander unvereinbar seien. Man hat, als solche, die „invasiven Spezies“ im Allgemeinen, und die „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island im Spezifischen, zu einem Prüfstein erklärt, anhand dessen eine Konkurrenz zwischen Tieren und der „Natur“ erkennbar werden soll. Ich argumentiere hingegen, dass die Entfernung „verwilderter“ Schweine von Santa Cruz Island nicht durch Ziele des Umweltschutzes motiviert war, sondern durch den Wunsch, eine vermarktbare Ansicht auf eine „von Menschenhand unberührte“ (laut Angaben der für Besuche der Insel werbenden Webseite) Natur zu schaffen. Ironischerweise wurden die Tiere mittels technologischer Herangehensweisen getötet – wie durch den Beschuss von Helikoptern aus, den Einsatz elektrischer Zäune und in erster Linie durch die Entfernung des Uterus weiblicher Schweine, das Einsetzen von GPS-Sendern in den Uterus und die Rückimplantierung, um dadurch die anderen Schweine auffindbar zu machen (eine Technik, die die Industrie als die „Judas Schwein“-Methode bezeichnet). In anderen Worten erkläre ich, in welcher Weise diese großangelegte Gewaltaktion, gegen sowohl nichtmenschliche Tiere als auch die „natürliche“ Welt, mit einer falschen Rhetorik des “Schutzes der Natur“ vor vermeintlich „invasiven“ Spezies stattgefunden hat. Zudem erläutere ich, dass die eingesetzten Argumente im Ganzen, ausschließlich die statistische Realität verbergen, dass die invasivste und umwelt-zerstörendste Tierart auf dem Planeten, nicht Schweine auf einer kleinen Insel, sondern der Mensch selbst ist.

Diese Präsentation wurde im Rahmen der internationalen Konferenz ’Animals and Their People: The Fall of the Anthropocentic Paradigm’ (12.-14. März 2014) am Institute of Literary Research of the Polish Academy of Science in Warschau, Polen, und beim ’Animal // Environment: A Multidisciplinary Symposium’ (1.-2. Mai 2014) an der Stanford University, Kalifornien, USA, gehalten.

Schlagworte: Invasive Spezies, Tierrechte, Umweltschutz, Biopolitik, Warenfetisch

TIERAUTONOMIE,  Jg. 1 (2014), Heft 1.

Vasile Stanescu: Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten

Wie das Pentagon, wenn es einer unbeugsamen Armee gegenübersteht, so gürtet sich der Park Service nun für seinen erbarmungslosen Krieg gegen die Schweine von Santa Cruz Island. Bei dieser Aktion wird es keine Gefangenen geben.
– Beschreibung eines Reporters über die Entfernung der Schweine von Santa Cruz Island (Zitiert nach Shelton, 6)

Seit kürzerem sind die „invasiven Spezies“ generell, sowie im Spezifischen die „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island, zu einem übergreifenden und symbolischen Prüfstein geworden, an dem gemessen wird, in welchem Maße sich Tiere in Konkurrenz zur „Natur“ befinden. In seinem populären Text: The Omnivore’s Dilemma [des Omnivoren Dilemma] führt z.B. Michael Pollan das Beispiel der „invasiven Spezies“ (und spezifisch die Tötung der „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island) als Beweis an, dass Tierrechte und Umweltschutz miteinander unvereinbar seien. Er geht soweit, die Schweine auf der Insel selbst zu jagen und zu töten; ein Erlebnis, das ihm so gut tut, dass er es damit vergleicht, „high“ zu sein (Pollan 342). Pollan und andere [1] haben sich auf dieses Beispiel verwilderter Tiere im Allgemeinen, und der verwilderten Schweine auf Santa Cruz Island im Spezifischen, als ein angeblich umfassendes Argument bezogen, um zu begründen, dass – da solche verwilderten Schweine eindeutig der Umwelt schaden würden und sie auf dieser Insel hätten getötet werden müssen – Tierrechte und Umweltschutz von Grund auf miteinander unvereinbar seien.

Ich möchte hingegen argumentieren, dass die Entfernung der „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island nicht aus Gründen der Sorge um die Umwelt geschah, sondern um eine zu vermarktende Ansicht auf die Natur zu schaffen. Auch möchte ich darlegen, dass diese Tiere mit technologischen Vorgehensweisen getötet wurden, die in gravierender Weise jedem traditionellen Verständnis von Natur oder dem Natürlichen entgegenstehen. Ich argumentiere dahingehend, dass diese Gewalt gegen sowohl nichtmenschliche Tiere als auch die „natürliche“ Umwelt, in dem Ausmaße wie sie hier stattfand, mit Zuhilfenahme einer falschen Rhetorik des „Schutzes der Natur“ vor vermeintlich „invasiven“ Spezies begangen wurde. Ich glaube, dass stattdessen ein Warenfetisch und Biopolitik als Konzepte die besten Herangehensweisen zum Verständnis derjenigen Grundlage bieten, auf der die aktive Massentötung von Spezies, die man als kosmetisch unerwünscht betrachtet, reimaginiert wird über ein System protektiver Quarantäne. Und als solche ist diese Tötung dabei dienlich, die Realität zu verbergen, dass die invasivsten und die umwelt-schädigendsten Tiere auf diesem Planeten nicht Schweine auf einer kleinen Insel, sondern in der Tat wir selbst sind.

Teil I: Von Schweinen, Adlern und Füchsen

Die umweltschützerische Rechtfertigung zur Tötung der ausgewilderten Schweine durch den Nature Conservancy – der privaten Nonprofit-Organisation, die Besitzer des größten Anteils von Santa Cruz Island ist – war die behauptete Notwendigkeit des Schutzes der Biodiversität und der gefährdeten Tierarten auf der Insel. Das Argument lautete, die „verwilderten“ Schweine hätten einige Steinadler angezogen, die dann wiederum begonnen hätten, eine bestimmte, ausschließlich auf der Insel beheimatete, gefährdete Fuchsart zu jagen. So erklärt sowohl die Webseite des National Park Service, wie auch deren gedrucktes Mitteilungsblatt im Bezug auf die Angelegenheit:

[…] Die ausgewilderten Schweine spielten eine wesentliche Rolle bei der katastrophalen Abnahme der Fuchspopulation der Insel. Die Ferkel stellen eine ganzjährige Futterquelle für die Steinadler dar, die die Insel zuvor eher selten besuchten, und die aus diesem Grunde nun aber auf der Insel siedelnde Populationen bilden und dabei den Inselfuchs jagen. Die Prädation der Steinadler hat die Füchse von Santa Cruz, Santa Rosa und den San Miguel Islands, bis an die Grenze des Aussterbens gebracht. (National Park Service 2008)

Es ist dieses Narrativ (dass die Schweine hätten getötet werden müssen, um die Adler zu vertreiben, damit man dadurch die Füchse schütze), welches Pollans Argument zugrunde liegt, dass die Rechte der Tiere sich inhärent in einem Spannungsfeld mit dem Umweltschutz befänden. So schreibt Pollan in The Omnivore’s Dilemma:

Während ich schreibe, ist ein Team von Scharfschützen im Auftrag des National Park Service und des Nature Conservancy an der Arbeit um tausende ausgewilderter Schweine auf Santa Cruz Island, acht Meilen vor der Küste Südkaliforniens, zu töten. Die Tötung ist Teil eines ehrgeizigen Planes, den Lebensraum der Insel und den Inselfuchs – eine gefährdete Tierart, die auf nur wenigen südkalifornischen Inseln beheimatet ist, und sonst nirgends auf der Welt – zu schützen. Um den Fuchs vorm Aussterben zu retten, müssen der Park Service und der Nature Conservancy zuerst eine komplizierte Kette ökologischer Veränderungen, die von Menschen vor mehr als hundert Jahren verursacht wurden, rückgängig machen. (Pollan 324)

Diese vereinfachende Schilderung hat sich angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten des Falles aber als ein Vermarktungstrick erwiesen. So erklärte beispielsweise Tim Setnicka, der ehemalige Superintendent des Channel Islands National Park, ursprünglicher Verfechter des Programms zur Entfernung der Schweine und einer der Co-Autoren des ersten Gutachtens über den Zustand der Insel (Reynolds et al 2002), dass die wesentlichen Beweggründe für das Programm nicht umweltschützerischer, sondern ästhetischer Natur gewesen seien. Diese Erklärung Setnickas wurde in einer Gastkolumne zitiert:

Um das Artenschutzprogramm für den Fuchs zu verkaufen, für das wir selbst keine Gelder hatten, hatten wir diese Idee für eine Pressemeldung, in der wir sagten, dass einer der Hauptgründe für das Erscheinen der Steinadler hier auf den Inseln, die Schweine gewesen wären. Dadurch konnten wir die Schweine zu den Übeltätern erklären und damit das Programm zur Entfernung der Schweine vorantreiben. Wir mussten die Leute ja nicht auch noch daran erinnern, dass wir 1991 bereits die Schweine von Santa Rosa Island abgeschossen hatten, und dass die Adler dort damit keine Schweine mehr zu essen hatten. Klar jagen die Steinadler Schweine, aber sie jagen noch viel mehr Füchse, weil sie die leichter kriegen können. (Markarian)

Zugeständnisse, die wiederum dazu führten, dass Michael Markarian, Chief Program & Policy Officer der Humane Society of the United States [HSUS] Zusätzliches offenlegte, dass nämlich der Vorschlag für ein Verhütungsmittelprogramm zur Entfernung der Schweine, ohne Umschweife abgelehnt wurde. Markarian erklärt:

All dies wirft die Frage auf, warum der Park Service und der Nature Conservancy eigentlich weiterhin Millionen an Dollar für das Ausgeben, was manche Parkangestellte intern als ihren „Mega-Kill-, Vergiftungs- und Verbrennungs“-Plan bezeichnen. Also selbst wenn wir die Vermutung akzeptierten, dass die Schweinepopulation auf Santa Cruz Island kontrolliert oder reduziert werden müsste, gibt es da doch humanere und weniger drakonische Methoden. Die Humane Society of the United States bot an, mit einem Verhütungsmittelprogramm für die Schweine auszuhelfen, bei dem ein Impfstoff verwendet wird, der vom National Wildlife Research Center des Department of Agriculture entwickelt und von der Food and Drug Administration zu Experimentierzwecken freigegeben wurde. Aber der Park Service und der Nature Convervancy haben einfach nein gesagt. (Markarian)

Sowohl Setnicka als auch Markarian sagten also, dass die Tötung der ausgewilderten Schweine eigentlich nicht aus Umweltschutzgründen geschah, sondern aufgrund des Wunsches, alle Tierspezies allein wegen ihrer Abstammung ausrotten zu wollen. Oder, wie Markarian es formuliert:

Angesichts dieser ablehnenden Haltung gegenüber einer vielversprechenden und humanen Technologie, kann man sich nur wundern, ob der Wunsch, Schweine, Ratten, Adler, Schwäne und andere „nichteinheimische“ Tiere auszumerzen, eher mit ihrer Abstammung zu tun hat, als mit den angeblich schädigenden, durch sie verursachten Auswirkungen. Die zuständigen Behörden haben einen besonderen Ehrgeiz darin entwickelt, jede Tierart zu vernichten, die für eine willkürlich festgelegte Zeitdauer hier noch nicht gewesen ist. (Markarian)

Ich zitiere hier sowohl Setnicka als auch Markarian deshalb so ausführlich, weil Pollan beachtlicherweise genau diesen Artikel, aus dem all die Zitate stammen, anführt, dabei aber all die dort getroffenen Aussagen ignoriert (Pollan 324). Mit anderen Worten war es also nicht so, dass die Seite der Befürworter des Programms zur Entfernung der Schweine sich der Kritik an dem Programm, in Hinsicht auf Tiere und Umwelt, nicht bewusst gewesen wären. Auch ist es wahrscheinlich, dass der Nature Conservancy die Kritikpunkte gekannt haben muss, da Setnicka zuvor als Superintendent des Channel Islands National Parks arbeitete und auf dem Gutachten als Kontaktperson angegeben war, das der Nature Conservancy als Grundlage zur Begründung der Entfernung der ausgewilderten Schweinepopulation verwendete (Reynolds et al. 2002). Was Pollan anbetrifft, so finden wir keine Erwähnung der Kritik. Und auch auf den Webseiten und Publikationen des Nature Conservancy ist eine Reaktion auf Kritik nicht zu finden (Nature Conservancy). Das heißt, während man sich der unterschiedlichen Kritikpunkte am ‚feral pig removal project’ in demonstrativer Weise bewusst zeigt, reagiert man darauf aber nur mit selektiver Ausblendung. Pollan zitiert sogar wortgetreu den ersten Teil des erwähnten Gastkommentars, ohne aber dabei einen weiteren Bezug zu nehmen auf den Rest und den Gesamtzusammenhang des Artikels. Er schreibt:

Ein Sprecher der Humane Society of the United States [Michael Markarian] behauptete in einer Gastkolumne [dieselbe, die das Zugeständnis von Tim Setnicka enthielt], dass „verletze Schweine und verwaiste Ferkel mit Hunden gejagt und schließlich mit Messern und Knüppeln getötet [würden].“ Bemerkenswert ist der rhetorische Wechsel in seinem Fokus, nämlich vom Schwein [der Spezies] – und das wäre auch, wie die Ökologen des Park Service uns die Angelegenheit vermitteln wollen – nun hin zum Bild einzelner Schweine, die verletzt und verwaist sind, und von Hunden und Knüppelschwingenden Männern gejagt werden. (Pollan 325)

Pollan erwähnt  nicht, dass der ehemalige Superintendent des Channel Islands National Parks zugesteht, dass das Programm nichts mit Umweltschutz zu tun hatte, dass die Humane Society of the United States einen anderen Lösungsansatz, mit dem Einsatz von Verhütungsmitteln und Sterilisation, zur Entfernung der Schweine vorgeschlagen hatte, dass vorausgegangene Bemühungen zur Ausmerzung von Spezies auf den anderen Inseln katastrophale Folgen hatten, oder dass verschiedene Gruppen den Einwand vorbrachten, dass die Argumente des Umweltschutzes, die der Nature Concservancy anführte, fadenscheiniger Natur wären (all das wurde in dem gleichen Artikel erwähnt). Stattdessen gibt Pollan vor, der einzige Kritikpunkt seitens der Tierrechtsaktivisten würde auf einer Unterscheidung zwischen dem Leid einzelner Tiere und dem einer Tierspezies basieren, auch wenn es ihm unmöglich gewesen wäre, den von ihm angeführten Teil des Artikels zu lesen, ohne dabei auf die anderen Kritikpunkte zu stoßen.

Solche Aussparungen überraschen nicht. Wie Jo-Ann Shelton [2], eine Professorin des Umweltstudienprogramms der University of California, Santa Barbara, dokumentierte, so ist das Ziel des Nature Conservancy (auf dem Pollan seine Argumentation aufbaut) nicht, ein Umweltgleichgewicht herzustellen, sondern alle postkolumbianischen Pflanzen- und Tierspezies zu eliminieren, ungeachtet der environmentalen Realitäten, die dabei eine Rolle spielen. Shelton drückt dies so aus:

Trotz seines Namens [der den Naturschutz suggeriert] plante der Nature Conservancy nicht einfach die Populationen präkolumbianischer Pflanzen und Tiere zu schützen und zu erhalten, sondern stattdessen eine präkolumbianische Landschaft wiedereinzuführen. Diese zwei Ziele ähneln sich, sind aber nicht identisch. Der Artenerhalt lässt das mögliche Zusammenleben von Spezies zu; eine Wiederherstellung hingegen bedeutet eine Art biologischer Säuberung – einen „Exorzismus gegen die exotischen, fremdartigen Lebewesen“ […], der erfordert, dass alle europäischen Elemente enfernt werden, um so eine archaische Szene wiederentstehen zu lassen. (Shelton 5)

Beide, der Nature Conservancy und Pollan, entschieden, obgleich sie sich der Kritik gegen die Tötung der Schweinepopulation bewusst waren, auf die vorgebrachten Einwände nicht einzugehen, da diese Kritik ihr vorgefasstes Umweltnarrativ ins Wanken gebrachte hätte.

Teil II: Fetische

Dennoch, während dieses Narrativ, das Pollan und der Nature Conservancy hier boten, faktisch unrichtig ist, haben wir es zugleich mit noch einigen tiefer liegenden Problemen zu tun, die ich hier anreißen will. Denn, während die wissenschaftlichen Argumente, die zur Legitimation der Tötung der Schweine angeführt wurden, pseudowissenschaftlich waren, bargen die echten Beweggründe zweierlei Aspekte. Zuerst herrschte da eine bestimmte Vorstellung darüber, was die „Wildnis“ konstituiert – „wilde“ Tiere, aber nicht „verwilderte“ Schweine, und zweitens lag eine speziesistische Voreingenommenheit gegen diejenigen Tiere vor, die für den heimischen Nahrungsmittelkonsum verwendet werden. Tatsächlich hinterließen die Spanier auf der Insel vor etwa hundertfünfzig Jahren, drei verschiedene Spezies: Pferde, Schafe und Schweine. Keines der Pferde wurde getötet (sie wurden alle weggebracht und man fand eine Unterbringung für sie); einige der Schafe wurden getötet, was aber zu Protesten führte, so trieb man die Schafe zusammen, töte sie nicht, sondern verkaufte sie stattdessen weiter an eine Lebensmittelverarbeitungsanlage; all die Schweine tötete man in einer äußerst brutalen Weise. So wurde jeder dieser gleichermaßen „verwilderten“ Spezies ein deutlich unterschiedlicher Wert beigemessen, anscheinend aber nicht basierend auf der Spezies an sich (Schweine sind gleichermaßen intelligent wie Schafe), sondern wegen ihres relativen sozialen Wertes für den amerikanischen Nahrungsmittelverzehr.

In der Tat wurde die „Überpopulation“ der ausgewilderten Schweine teils durch die Tötung/Entfernung der ausgewilderten Schafe verursacht, die man zuerst als das schlimmste ökologische Problem ansah. Sobald es dann keine Schafe mehr gab, mit denen sich Nahrung geteilt werden musste, löste dies mit eine „Explosion“ verwilderter Schweine aus, was heißt, dass das „Management“ und die Tötung einer Spezies, zu noch mehr Management und noch mehr Tötung führt.

Zudem brachte der Nature Conservancy, aufgrund seiner Erfahrung mit der Empörung wegen der „verwilderten“ Schafe, nun private Dienstleister aus Neuseeland (Prohunt Incorporated) mit ins Spiel. Diese sind im Wesentlichen ein globales kommerzielles Unternehmen zur Tierbekämpfung. Um die Schweine zu töten, gingen sie in folgender Weise vor:

  1. Sie errichteten Zäune über die ganze Insel verteilt, um übersichtliche Sektionen mit Fallen und Schusseinrichtungen zu schaffen;
  2. Sie setzten Hunde und Schusswaffen ein, um die Schweine zu jagen;
  3. Sie gingen in die Höhe, um die Schweine von Helikoptern aus zu jagen;
  4. Als das nicht (komplett) funktionierte, pflanzten sie den Schweinen GPS-Sender ein. Da Schweine von Natur aus soziale Wesen sind, würden sie sich gegenseitig aufsuchen. Sobald sie das taten, kamen die Dienstleister und töteten die Schweine. So wurde das soziale Verhalten der Schweine zu einer Waffe gegen sie umgewandelt;
  5. Als auch das nicht vollständig funktionierte, begannen sie damit (a) den gefangenen weiblichen Schweinen ihre Reproduktivorgane zu entfernen; (b) zwangen sie über chemische Manipulation ständig „in Hitze“ zu sein; (c) pflanzten ihnen GPS-Sender ein und (d) setzten diese Schweine ein, um die anderen anzuziehen, die dann getötet wurden. Diese Strategie, die die Bezeichnung „Judas-Schweine“ erhielt, erwies sich als höchst effizient und wurde dann am häufigsten eingesetzt (Macdonald 2008).

So wurden zwei gewaltsame Eingriffe gegen natürliche Vorgänge (Freundschaft und Paarung) chemisch, biologisch und mechanisch instrumentalisiert, um so angeblich die Natur zu „schützen“. Jede dieser Maßnahmen beinhaltete ein beachtliches Maß an ökologischen- und Umweltbeeinträchtigungen (Helikopter, Munition und die Einzäunung einer ganzen Insel), was keinerlei Beachtung oder Erwähnung fand, weder im gesamten Bericht von Prohunt, noch auf der Webseite des Nature Conservancy oder in der Arbeit Pollans oder irgendeines anderen Befürworters des Programms. Und in gleicher Weise wurde dem Leid der Schweine selbst keinerlei Aufmerksamkeit durch die Beteiligten gezollt. [3] Ironischerweise bildete die Angst, dass manche Leute sich wegen der Tiere Sorgen machen könnten, selbst die Rechtfertigung für diese enorme Brutalität. Sie mussten alle Schweine töten, bevor jemand darauf hinweisen könnte, was dort geschah. Der Bericht von Prohunt International formulierte es so: „Weil Tierkontrolle ein kontroverses Thema ist, gehen wir davon aus, das rechtliche Schritte gegen ein Vernichtungsprojekt eingeleitet werden könnten  […] Eine Klage oder ein Gerichtsverfahren könnten aber die vollständige Abwicklung des Projekts verhindern, und öffentlicher Druck kann die Entschlossenheit der Landverwalter zur Durchführung eines Projekts ins Schwanken bringen, auch wenn die Exterminierung zuvor als einzige Lösung für ein spezifisches Naturschutzproblem eingestuft wurde … Um solche Risiken zu vermeiden, müssen Vernichtungsprojekte effizient operieren, was die gründliche Planung und den vollen Einsatz der Organisation, die die Arbeiten im Feld durchführt, erfordert“ (Macdonald 8). In anderen Worten mussten Tiere vernichtet werden, um Tiere zu schützen, es musste Gewalt gegen die Natur ausgeübt werden, um die Natur zu schützen. Und schließlich liegen da noch die ziemlich eindeutigen Beweise vor, dass all die ökologischen Argumente gegen die Schweine (zum Schutze der Füchse, der Adler, usw.) selbst, entweder unwahr oder übertrieben waren, oder durch andere Optionen hätten gelöst werden können (Shelton; Reynolds; Markarian; Channel Islands Animal Protection Association). Es scheint stattdessen, dass die eigentlichen Motivationen ästhetischer Natur waren – die Tiere zu entfernen, weil sie den Besuchern als unnatürlich (verwilderte Schweine, Schafe und Pferde) erscheinen würden. Das heißt, die „Natur“ repräsentiert, immerhin in diesem spezifischen Falle, weniger eine Frage stabiler Ökosysteme, als einen edenhaften Mythos einer „unberührten“ und „unverdorbenen“ Wildnis. Die sichtbare Annäherung an diesen romantischen Mythos wurde erreicht durch eine chemisch induzierte Brunst, GPS-Ortung und Maschinengewehre (Macdonald). Was das Beispiel der Vernichtung ausgewilderter Schweine auf Santa Cruz Island zeigt, ist nicht der Schutz der Natur, sondern die Generierung einer Natur als käufliches und verkäufliches Produkt. Der Nature Conservancy ist, wobei er auch eine Nonprofit-Organisation ist, die vermögendste Umweltorganisation [weltweit], (hinsichtlich der Summe bestehend aus ihren Vermögenswerten, ihrer finanziellen Ausstattung und ihrem jährlichen Budget). Ihre Webseite listet mehr als 16 unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie Menschen ihre Arbeit mit Spenden unterstützen können (Nature Conservancy „Membership and Giving“). Selbst die Washington Post hat den Nature Conservancy als „einen unternehmerischen Giganten“ angesichts seiner Verbindungen und Ähnlichkeiten zu For-Profit-Organisationen bezeichnet. Die Post dokumentierte dies in einem detaillierten dreiteiligen Artikel über den Conservancy:

Der Nature Conservancy, mit seinem Hauptsitz in Arlington [Virginia] ist zur weltweit wohlhabendsten Umweltschutzgruppe angewachsen, mit einem Kapital von 3 Milliarden Dollar, mit denen sie versprechen, wertvolle Naturschauplätze zu erhalten. […] Doch betreibt der Conservancy auch Waldrodungen, wickelte einen 64 Millionen Dollar Handel ab, zur Errichtung eleganter Siedlungen in fragilen Graslandgebieten und bohrte nach Naturgasvorkommen unter den letzten noch bleibenden Brutstätten einer gefährdeten Vogelart. […] Zu seinem Führungsteam und seinem Beraterstab zählen inzwischen Manager und Direktoren verschiedener Ölunternehmen, Chemieproduzenten, Autohersteller, Minenkonzerne, Rodungsunternehmen und Kohlekraftwerke. Einige dieser Unternehmen haben schon Geldstrafen in Millionenhöhe wegen Umweltvergehen hinter sich. Letztes Jahr, spendeten sie und weitere Unternehmen 225 Millionen Dollar an den Conservancy – was ungefähr nochmal der Summe entspricht, die in dem Jahr von Einzelpersonen gespendet wurde. Heute ist der mehr als eine Millionen Mitglieder zählende Conservancy selbst so etwas wie ein Unternehmensgigant, groß und grün. Er ist auch der führende Befürworter der Sorte des Umweltschutzes, die für den Kompromiss zwischen Naturerhalt und Corporate America wirbt. (Ottoway und Stephens)

Ich sehe also in dieser Generierung von Natur ein vom Menschen hergestelltes Produkt des Konsums, eine Art des Warenfetisches. Es ist eine Verkehrung, denn normalerweise sehen wir in der Natur das Gegenteil eines vom Menschen hergestellten Produkts, und in der Tat hat dieser Wunsch, ein Naturpanorama als „durch Menschenhand unberührt“ zu verkaufen,  ganz offensichtlich dabei geholfen, der Tötung der Schweine von Santa Cruz an erster Stelle überhaupt einen Grund und einen Anreiz zu verschaffen. Und weil es hier um eine Art des Fetisches im Bezug auf einen Metagegenstand geht, ist es dieser Wunsch den Engen einer Menschengemachten und konsumeristischen Kultur zu entfliehen, um zur Idee einer edenhaften Wildnis zurückzukehren, der wiederum dem Wunsch zur Ausrottung der Schweine zu unterliegen scheint. In anderen Worten ist ironischerweise genau das Produkt, das nunmit selbst verkauft wird, der Wunsch, den Warenfetisch der Konsumkultur zu transzendieren, um zu einer vermeintlichen früheren Zeit der „Echtheit“ und „Authentizität“ zurückzukehren. Als solche übernimmt die „Natur“ die Funktion eines Produkts, aber eines Produktes, dass ständig gemanaged werden muss, in einer Art des „anthropozentrischen Umweltschutzes“, in dem der Mensch kontinuierlich im Mittelpunkt der Schöpfung gehalten wird, selbst wenn dabei jede Bemühung unternommen wird, die Dinge so erscheinen zu lassen, als würde die Schöpfung in eine durch Menschenhand unberührte Landschaft übergehen.

Der zweite wesentliche Punkt, den ich festhalten will, ist, dass dieser massenhafte Tod, die Schlachtung, Folter und Tötung von Tieren, allein über die Berufung auf eine Notwendigkeit des „Schutzes“, sowohl der Tiere als auch der natürlichen Welt, gerechtfertigt wird. Und als solche will ich diese, wenn auch falsche, angenommene Notwendigkeit zur Entfernung der verwilderten Schweine, auch im Zusammenhang lesen mit dem Locavorismus, oder der Praxis, sich von kleinen regionalen und „artgerechten“ Bauernbetrieben, die innerhalb eines begrenzten geographischen Umkreises liegen, zu ernähren. Wie ich zuvor bereits argumentierte (Stanescu, „Green Eggs and Ham“; „Why Loving Animals is not Enough“; „Crocodile Tears“), ist das Produkt, das die locavore Bewegung verkauft, selbst die Idee zur Rückkehr zu einer früheren Zeit der Authentizität, jenseits des Konsumerismus und des Warenfetisches. In der Tat liegt diese Verbindung zwischen verwilderten Tieren und sogenanntem artgerechten oder regional produzierten Fleisches, im Herzen von Pollans Arbeit. Er geht von einer „Symbiose“ aus, die die Menschen dazu zwingt, die Schweine zu töten (um die Füchse zu retten), und geht über in seine Behauptung, dass es da auch um eine „Symbiose“ gehe, wenn Bauern Tiere zum Zwecke des menschlichen Verzehrs aufziehen (Pollan 325). So fungiert das Argument im Bezug auf die verwilderten Tiere, in Wirklichkeit als eine Randbemerkung zum Beweis seines zentralen Arguments zur Begründung der Natürlichkeit des Fleischverzehrs. Und tatsächlich erscheint seine Diskussion über die verwilderte Schweinepopulation direkt vor einer Sektion mit dem Titel „The Vegan Utopia“ [Die vegane Utopie], die selbst den Hauptteil des Kapitels ausmacht (Pollan 325-327). Dieses zweite Argument bildet vielleicht das Hauptargument Pollans, dass – als eine Art ungeschriebener sozialer Kontrakt zwischen dem Menschen und den Tieren, die er isst – wir die Tiere füttern und uns um sie kümmern, und dadurch sind wir im Gegenzug dazu berechtigt, sie zu essen. So stellt auch seine Kritik an „Fabrikfarmen“ keinen Aufruf zur Beendigung allen Fleischverzehrs dar, sondern es ist nur ein Aufruf dazu, den Mangel an „Fürsorge“ für die Tiere zu beheben. Sein zugrundeliegendes Argument und die Art und Weise in der er imstande ist, von den verwilderten Tieren zur artgerechten landwirtschaftlichen Tierhaltung überzuleiten, basiert auf der zweiten Idee, die, so meine ich, seinen beiden Argumenten unterliegt: der Biopolitik, dem Argument also, dass die Menschen das Leben selbst verwalten müssten. Das heißt, der Grundgedanke scheint zu sein, dass die „Natur“ sich nicht um sich selbst kümmern kann, ohne ständige menschliche „Intervention“. Und trotzdem muss genau zur gleichen Zeit diese „Intervention“ kontinuierlich im Verborgenen gehalten werden. Gleich den unsichtbaren Händen der Märkte, die der fortwährenden menschlichen Regulation bedürfen, scheint dieser Aufruf – sowohl zur Entfernung der verwilderten Tiere als auch zur Aufzucht artgerechten Fleisches – in simultaner Weise die ständige Einmischung der Menschen innerhalb des sogenannten „Natürlichen“ zu fordern und zugleich zu leugnen.

So müssen wir, um diese Entfernung der Schweine von Santa Cruz zu verstehen, einen Warenfetisch und die Biopolitik in gegenseitiger Hinsicht betrachten. Der klassischen Idee des Warenfetisches zufolge kann die Arbeitskraft zur Herstellung eines Gegenstandes im Verborgenen liegen, so dass ein Produkt erscheinen kann, als wäre es ohne Arbeit entstanden, fast wie durch Magie. (Unser neuer Apple-Computer wirbt damit, dass er „in Kalifornien entworfen“ worden sei, während er vollständig in China zusammengesetzt wurde, von Arbeitern, die immerhin formell Verträge unterzeichnen mussten, dass sie keinen Selbstmord begehen würden [Daily Mail; Horn]). Und so verschwindet auch die Arbeit, die dieses Land produziert: Prohunt – die Tötung und all das, haben zu verschwinden. Doch im klassischen Warenfetischismus besteht immerhin die Idee, dass man tatsächlich irgendetwas erwirbt; es wird tatsächlich ein Produkt gekauft, eine Ware, gleichwie entfernt von der Arbeit, die dieses Produkt herstellte diese Ware nun auch ist (d.h. wir erkennen immerhin, dass wir einen Computer erwerben, egal wie entfernt er von den Arbeitsbedingungen ist, die ihn produziert haben). Jedoch, in diesem neuen Post-Warenfetischismus, ist das, was verborgen ist, nicht nur (oder in wichtigster Weise) der Arbeitsaspekt, den die Ware beinhaltet, sondern schlichtweg die Idee, dass jemand überhaupt eine Ware erwirbt. So stellt diese vermeintliche edenhhafte Ansicht von Santa Cruz Island – die in erster Linie vom Nature Conservancy besessen und privat verwaltet wird – sich in keiner Weise als ein Produkt dar, sondern erscheint einfach als eine Rückkehr zur „Natur“. Und so muss auch der Gewalt, als inhärenter Teil der Herstellung, des Erhalts und der Optimierung dieser generierten und vermarkteten Ansicht, selbst eine natürliche oder in anderen Worten biopolitische Gültigkeit inskribiert werden. Es kommt zu der nicht eingrenzbaren Fiktion, dass die technologische Gewalt, die in der Tötung sogenannter invasiver Spezies der Regelfall ist, schlichtweg eine Rückkehr zur Natur darstellt, unter Zuhilfenahme der Behauptung, dass der Nature Conservancy nicht gewaltsam in die Natur eingreife, sondern stattdessen eine Wiederherstellung – fast eine Wiedergutmachung für einen früheren Verstoß gegen die Natur – betreibe, indem eine verwilderte Spezies entfernt wird, um die Insel in ihren früheren Zustand zu versetzen. Die Logik der Biopolitik (dass der Mensch das Leben selbst verwalten und schützen muss) dient als Rechtfertigung zur Erzeugung eines Warenfetisches, während diese Logik eines Warenfetisches – und in der Tat haben wir es nun mit einem Post-Warenfetischismus zu tun – (die Natur erscheint wie durch Magie, nicht allein nicht vom Menschen gemacht, sondern noch nicht einmal vom Menschen verkauft) die Funktionen des biopolitischen Managements verbirgt. Der Nature Conservancy kann nun behaupten, was er auch gegenwärtig auf seiner Webseite tut, dass „einst kurz vor dem ökologischen Kollaps stehend, […] Santa Cruz Island nun seinen Besuchern einen Eindruck davon [bietet], wie Südkalifornien vor hunderten Jahren einmal ausgesehen haben muss“ (Nature Conservancy “Santa Cruz Island”). Das Produkt, das hier verkauft wird, ist genau die Fähigkeit, simultan eine Zeitreise anzutreten, zum Punkte bevor jegliche menschliche Intervention und Kontrolle stattfand, und zugleich die Wiedergutmachung eben des Umweltschadens, der durch die menschliche Kontrolle verursacht worden ist, und nicht mit weniger menschlicher Herrschaftsausübung und Kontrolle, sondern mit immer mehr davon.

Teil III: Die menschliche Bürde

Schließlich besteht da, so denke ich, ein noch weitaus tiefer liegender Grad an Verleugnung und an vermeintlichem Wiedergutmachungswillen, der sich hinter dieser edenhaften Fassade verbirgt, spezifisch in der Hinsicht, dass die Haupttreiber, sowohl in der Speziesvernichtung als auch beim Verlust an Biodiversität, nicht verwilderte Schweine sind, sondern der globale Fleischkonsum. Die Vereinten Nationen formulierten es zuerst im Jahr 2006 [eine Situation die sich seither nur verschlimmert hat]:

Nutztiere machen heute 20 Prozent der gesamten tierischen Biomasse der Welt aus, und 30 Prozent der Landfläche der Erde, die sie nun an Platz einnehmen, bildete zuvor den Lebensraum wildlebender Tier- und wilder Pflanzenarten. Der Sektor landwirtschaftlicher Tierhaltung ist mit aller Wahrscheinlichkeit Hauptverursacher des Verlusts an Biodiversität, da er Haupttreiber in der Entwaldung ist, sowie einer der Hauptverursacher von Landdegradation, Umweltverschmutzung, des Klimawandels, der Überfischung, der Sedimentierung von Küstengegenden und der Begünstigung des Eindringens fremder Spezies. (Steinfeld et al. xxiii)

Ich möchte also diesen Diskurs bezüglich der Tötung verwilderter Tiere im Zusammenhang mit dem Diskurs über die artgerechte Viehwirtschaft betrachten. In Wirklichkeit werden Tiere aus vermeintlich humaneren, sog. artgerechten Haltungsbedingungen immernoch genetisch manipuliert, grob misshandelt und im Babyalter in industriellen Schlachthäusern getötet (Stanscu, „Green Eggs and Ham“; „Why Loving Animals in Not Enough“; „Crocodile Tears“). Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre, so wäre diese Praxis immernoch praktisch irrelevant, da 99,9 Prozent aller Tiere, die zu landwirtschaftlichen Zwecken gehalten werden, unter den Bedingungen von Fabrikfarmen bzw. in der Massentierhaltung aufgezogen werden (Farm Forward). Ich habe daher auch zuvor argumentiert (Stanescu und Pedersen, „The Future of Critical Animal Studies“), dass der ganze Reiz oder die ganze Nützlichkeit eines locavoren Produkts darin liegt, die beinahe universelle Realität des Fabrikfarmensystems zu maskieren, und, was noch wichtiger ist, die Realität der harten Wahl, die getroffen werden muss, zu maskieren – dass es im Wesentlichen nämlich unmöglich ist, Fleisch und Ethik, beides zu haben. In anderen Worten: das, was die Verbraucher zu einem erhöhten Preis kaufen, ist nicht das Fleisch per se, sondern das Vergessen, dass eine Wahl getroffen werden musste. Und als solche dienen diese wenigen Vorzeigetiere, die auf den vermeintlich humaner oder artgerecht betriebenen Höfen leben, in einer Art symbolischer Stellvertretung der Wiedergutmachung, vergleichbar mit der sonderbaren Praxis der Präsidenten der Vereinigten Staaten, einen Truthahn vor Thanksgiving, zu dem in den USA Millionen Truthähne getötet werden, zu begnadigen (Fiskesjö). In ähnlicher Weise agieren diese Höfe, als begnadigten sie symbolisch einige wenige Tiere, um eine Wiedergutmachung für die schätzungsweise 70 Milliarden Tiere zu betreiben, die nun bald weltweit fast ausschließlich unter Farbrikfarmbedingungen getötet werden.

Der letzte Gesichtspunkt, unter dem ich die Tötung der Schweine auf Santa Cruz Island betrachten möchte, ist die symbolische Wiedergutmachung und die Verleugnung, die – wie in der locavoren- oder der Bewegung zur artgerechten Haltung – stattfindet, um die Realität zu verbergen, dass tatsächlich der einzige größte Treiber für einen Artenverlust und das Artensterben, nicht Schweine sind, sondern Menschen, und spezifisch der unersättliche Fleischkonsum der Menschheit. In der Tat funktioniert diese Verleugnung sehr gut, da sie die Tötung von Tieren erforderlich erscheinen lässt und vermeintlich rechtfertigt, wobei es in Wirklichkeit die Aufzucht und die Tötung von Tieren, so wie von Schweinen ist, die selbst genau diese Epidemie des Artensterbens bedingt, und die durch diese Morde wiedergutgemacht werden sollen. So ist, gemäß einer perfekten anthropozentrischen Logik, die Ursache des Verschwindens von Spezies, vom Menschen auf die Tiere selbst verlegt worden, und hierbei kann der Mensch nun, über Biopolitik und Warenfetisch, zuhilfe eilen, um „Rettungsmaßnahmen“ einzuleiten. Wir haben den Begriff „[der] Bürde des weißen Mannes“ (Stanscu, „’Man’s’’ Best Friend“), und bei dieser Art der Vernichtung, denke ich, können wir von einer Art der „menschlichen Bürde“ sprechen, in der unser Herrschaftsanspruch nun einfach unter der Logik schützender Fürsorge weiterläuft. Wir müssen die natürliche Welt kontrollieren, um sie so zu Retten, und wir müssen Tiere töten, um sie so zu schützen. Und ähnlich wie im Falle des Kaufs artgerechten Fleisches, ist der Reiz der Vernichtungsbemühungen des Nature Conservancy, dass man sich simultan den Weg aus dem Warenfetisch hinauskaufen kann, sich aus der Logik der Biopolitik hinaustöten kann, und, irgendwie aus dem anthropozentrischen Paradigma hinausdominieren kann.

Anmerkungen

[1] Donna Haraway erwähnt in ihrem Text When Species Meet ebenso die ausgewilderten Schweine auf Santa Cruz. Ihre Umgangsweise mit dem Thema ist jedoch komplexer als die von Pollan, auf die ich mich in dieser Präsentation konzentrieren will. Haraways Interesse bezieht sich auch auf die symbolische Wichtigkeit, die dieser besondere Fall trägt, da sich nun unterschiedliche Wissenschaftler mit ihm auseinandergesetzt haben, um ein vermutetes Spannungsfeld zwischen Tierrechten und dem Umweltschutz genauer zu betrachten.

[2] Ich möchte dabei auf den Blog „Say What, Michael Pollan?“ von Adam Merberg hinweisen, einem Mathematik-Doktoranden von der Univesity of California, Berkeley. Ich danke Merberg insbesondere für seine Erwähung des Artikels von Jo-Ann Shelton, den ich ohne seinen Blog vielleicht nicht entdeckt hätte. Merberg weist auch auf den Fehler Pollans hin, sich nicht an die Bedeutung des originalen Gastkommentars, im Bezug auf die invasiven Spezies, zu halten; eine Schlussfolgerung, zu der ich ebenso gelangte. Es ist auch beruhigend zu wissen, dass er Pollans Auslassung des Rests von Markarians Kommentar ebenso problematisch empfunden hatte.

[3] Wie bereits zuvor erwähnt, gab der Nature Park Service, bevor das Projekt gestartet wurde, einen Bericht zu Prüfung der environmentalen Auswirkungen in Auftrag. Dieser Bericht wurde also in Auftrag gegeben, bevor man mit dem Projekt begonnen hatte, nicht danach. Er ließ als solcher verschiedene der hauptsächlichen von Prohunt eingesetzten Praktiken aus, einschließlich den Einsatz von „Judas Schweinen“ (Reynolds et al 2002).

Literaturangaben

Channel Islands Animal Protection Association. “Channel Islands National Park Ex-chief Hits Cruelty of Killing ‘invasive species,’” Animal People, April 2005. Web.

Daily Mail Reporter. “You are NOT allowed to commit suicide: Workers in Chinese iPad factories forced to sign pledges,” Daily Mail, May 1, 2011. Web.

Farm Forward, “Food Choices” Accessed on May 17, 2011. Web.

Fiskesjö, Magnus. The Thanksgiving Turkey Pardon, the Death of Teddy’s Bear, and the Sovereign Exception of Guantanamo. Chicago: Prickly Paradigm Press, 2003. Druckausgabe.

Haraway, Donna J. When Species Meet. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2008. Druckausgabe.

Horn, Leslie. “Foxconn Employees Forced to Sign ‘No Suicide’ Pledge,” PCMag. May 2, 2011. Web.

Macdonald, Norm & Kelvin Walker. “A New Approach for Ungulate Eradication; A Case Study for Success,” Prohunt Incorporated, February 2008. Druckausgabe.

Markarian, Michael. “Pig Eradication Plan Out of Control,” San Francisco Chronicle. May 22, 2005. Web.

Merberg, Adam. “The Pigs of Santa Cruz Island,” Say what, Michael Pollan? July 7, 2010. Web.

National Park Service. “Restoring Santa Cruz Islands,” August, 2008. Web.

Nature Conservancy, “Membership and Giving,” Accessed on April 11, 2014. Web.
— “Santa Cruz Island:” Places We Protect. Accessed on April 11, 2014. Web.

Ottaway, David B. and Joe Stephens, “Nonprofit Land Bank Amasses Billions,” Washington Post, May 4, 2003. Online.

Pollan, Michael. The Omnivore’s Dilemma: A Natural History of Four Meals, New York: Penguin Books, 2006. Druckausgabe.

Reynolds, John; National Park Service; Tim Setnicka. “Final Environmental Impact Statement,” Santa Cruz Island Primary Restoration Plan, June, 2002.

Shelton, Jo-Ann. “Killing Animals That Don’t Fit In: Moral Dimensions of Habitat Restoration,” Between The Species, Issue IV, August, 2004. Druckausgabe.

Steinfeld and others, Livestock’s Long Shadow: Environmental Issues and Options, Rome, Italy: Food and Agriculture Organization of the United Nations, 2006. Druckausgabe.

Stanescu, Vasile. “Crocodile Tears: Compassionate Carnivores and the Marketing of ‘Happy Meat’” in Critical Animal Studies, Canadian Scholars Press, (2014): 216
–“Green Eggs and Ham: Michael Pollan, Locavores, and the Myth of Environmentally Sustainable Meat,” The Journal of Critical Animal Studies, VII. 3 (2009): 18-55.
–“Man’s’” Best Friend: Why Human Rights Need Animal Rights,” The Journal of Critical Animal Studies Special Issue: Animals and Prisons, (2012): 66-97.
–‘Why ‘Loving’ Animals is Not Enough: A Response to Kathy Rudy, Locavorism, and the Marketing of“ Humane” Meat,” The Journal of American Culture, Vol. 36 (2013): 100–110.
Stanescu, Vasile and Helena Pedersen. “The Future of Critical Animal Studies: From the Margins to the Center” in The Future of Critical Animals Studies: A Reader, Routledge (im Erscheinen).

Zum Autor
Vasile Stanescu promoviert an der Standford University im Program of Modern Thought and Literature. Er ist Mitherausgeber der Critical Animal Studies Book Series, des Journal for Critical Animal Studies und Mitorganisator und Mitbegründer des Stanford Environmental Humanities Project. Seine gegenwärtige Forschung konzentriert sich auf den Schwerpunkt der Intersektionen zwischen Tierrrechten und Umweltschutz.

Übersetzung
Gita Yegane Arani-May, www.simorgh.de – ‚Open Access in der Tier-, Menschen- und Erdbefreiung’. Revised 6/2014.

Zitation
Stanescu, Vasile (2014). Präsentation: Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten. TIERAUTONOMIE, 1(1), URL: http://simorgh.de/tierautonomie/JG1_2014_1.pdf.

TIERAUTONOMIE (ISSN 2363-6513)

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Vasile Stanescu: Warum es nicht genügt, Tiere zu lieben: eine feministische Kritik.


Warum es nicht genügt, Tiere zu lieben: eine feministische Kritik

Ein Vortrag, der die Ethik der „Tierliebe“ kritisiert, basierend auf feministischen und queeren Theorien. Von Vasile Stanescu.

Originalfassung: http://www.youtube.com/watch?v=nndAHEgwRmM

Übersetzung: Palang Yegane Arani-Prenzel, mit der freundlichen Genehmigung von Vasile Stanescu.

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Hallo. Mein Name ist Vasile Stanescu, und meine Präsentation trägt den Titel: „Warum Tiere zu lieben nicht genug ist: eine feministische Kritik.“ Dies ist ein stark gekürtzter Auszug eines Artikels, der in der nächsten Ausgabe des Journal of American Culture erscheinen wird.  (Why “Loving” Animals is Not Enough: A Response to Kathy Rudy, Locavorism, and the Marketing of “Humane” Meat. Vasile Stanescu , The Journal of American Culture, Volume 36, Issue 2, pages 100–110, June 2013, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jacc.12017/abstract.)

Dr. Kathy Rudy, eine Professorin für Frauenstudien an der Duke University, hat kürzlich zwei Verteidigungsschriften für den Verzehr von Tieren veröffentlicht. Einen Artikel mit dem Titel „Locavore, Feminismus und the Frage des Fleisches“ [Locavores, Feminism, and the Question of Meat], der im Journal of American Culture erschien, und ein Manuscript in Buchlänge mit dem Titel: „Tiere lieben: Eine neue Form der Tierverteidigung“ [Loving Animals: Toward a New Animal Advocacy].

Das wesentliche Argument in beiden Texten ist, dass die feministische Ethik die Aufzucht, Tötung und den Verzehr von Tieren zulässt, solange man Tiere liebt, und man sie, solange sie leben, gut versorgt.

Zudem behauptet Kathy Rudy, dass man diese Ziele der Fürsorge in den Praktiken des Locavorismus und in der „Humanen“/„Artgerechten“ landwirtschaftlichen Tierhaltung realisieren könnte. Hierzu führt sie die landwirtschaftliche Praxis der Kleinbauerin Catherine Friend als einen Beweis an; als Model dafür, wie solch ein Bauernhof aussehen kann.

In meiner Präsentation heute möchte ich die Aussagen von Kathy Rudy und die Praktiken von Catherine Friend kritisieren, als emblematisch für eine größere Bewegung, die den Feminismus mit Rechtfertigungen für einen fortgesetzten Konsum von Tierprodukten zusammenführen will.

Ganz in Gegenteil dazu glaube ich, dass gerade aus der Position sowohl der feministischen als auch der queeren Epistemologie heraus, wir die Aufzucht und die Tötung ganz gleich welcher Tiere, kritisieren müssen, auch wenn solche Praktiken als „human“ oder „artgerecht“ gekennzeichnet werden.

Teil 1

Die landwirtschaftliche Tierhaltung verletzt die Rechte der Tiere auf die Bildung liebender Beziehungen zu anderen Tieren. In ihrem Manuskript mit dem Titel „Tiere lieben“, stellt Kathy Rudy ihre Aussage zur Disposition, dass nichtmenschliche Tiere fähig sind, Menschen zu lieben. Sie hebt dies auf folgende Weise lobend hervor:

„Ich glaube, dass emotionale Bindungen mit echten Tieren, Verbindungen die auf Liebe und einem gemeinsamen Leben basieren, im Tierverteidigungsdiskurs mit einbeschlossen werden sollten, um eine besser Welt für die Tiere weiter zu erhalten und zu schaffen … bei dieser Herangehensweise an die Tierverteidigung geht es nicht nur um Menschen die Tiere lieben, sondern auch um Tiere die uns ebenso lieben. Hiermit würde man anerkennen, dass Tiere eine Wahl haben, und eine der vielen Walhmöglichkeiten die sie haben, ist liebend zu werden. Liebende Tiere.“ (Rudy, Loving Animals, xii)

Doch wenn Tiere sich dazu entscheiden können, Menschen zu lieben (oder nicht zu lieben), dann können sie sich doch bestimmt auch dazu entscheiden, einander zu lieben? Und wenn Tiere einander lieben können (wie Rudy doch eigentlich selbst argumentieren müsste), dann kann eine humane, „artgerechte“ Agrarpraxis niemals wirklich existieren – auch wenn man den Tieren einen Namen oder ein wenig mehr Platz gibt.

Über das Falsche am ländlichen Bild vom „Happy Meat“ [„glücklichen Fleisch“], hat Alice Walker in ihrem Essay „Bin ich Blue? sagen meine Augen dir dies denn nicht?“ geschrieben [im Englischen bedeutet ‚blue’ sowohl blau als auch traurig]. In dieser Kurzgeschichte erzählt Walker von der Begegnung mit einem Pferd, das jedes der Kriterien aufweisen würde, die Rudy für eine humane, „artgerechte“ Tierhaltung voraussetzt. So trägt dieses Pferd beispielsweise einen Namen, es ist gut genährt, es wurde nicht geschlagen oder „misshandelt“ und es verfügt sogar über zweitausend Quadratmeter an „schöner“ Fläche Land, in denen es umher galoppieren kann.

Dennoch lehnt Walker (die auch glaubt, dass Tiere lieben können und Emotionen haben), die Behandlung von Blue ab, weil das weibliche Pferd in das Blue sich verliebt hat, von ihm getrennt wurde. Hier ist wie Walker das Geschehnis, nachdem Blues Partner weggebracht wurde, beschreibt:

„Eines Tages, nachdem ich in der Stadt gewesen bin, ging ich hinaus um Blue ein paar Äpfel zu geben. Er stand dort, wartend, so dachte ich zumindest, aber nicht unter dem Baum. Als ich den Baum schüttelte und vor dem Apfelregen zurücksprang, bewegte Blue sich nicht. Ich trug einige Äpfel hinüber zu ihm, er schaffte es gerade mal einen halben zu zerbeißen, der Rest fiel zu Boden. Ich fürchtete mich davor in seine Augen zu schauen, denn ich hatte mitbekommen, dass Brown seine Partnerin, nicht mehr da war. Doch nun schaute ich. Wenn ich in der Sklavenschaft geboren wäre und mein Partner verkauft oder getötet worden wäre, dann hätten meine Augen genau so ausgesehen. Die Kinder nebenan erklärten mir, dass Blues Partnerin „zu ihm getan wurde“ (derselbe Ausdruck den die alten Leute gebrauchten, so bemerkte ich, wenn sie über eine Vorfahrin sprachen, die während der Zeit der Sklaverei lebte und die von ihrem Besitzer geschwängert wurde) damit sie sich paaren und sie empfangen würde. Da das nun geschehen war, wurde sie von ihrem Besitzer, der woanders lebte, wieder zurückgeholt.

Wird sie zurückkommen können? Fragte ich. Sie wussten es nicht.“ (Walker, s.u. S. 4-5; auch in Living by the Word)

Und dies ist die Erfahrung, die Alice Walker zu dem Schluss bringt, dass selbst wenn Tierprodukte als „human“ und „artgerecht“ vermarktet werden, es immer noch unethisch ist, sie zu konsumieren.

Teil 2

Alle Formen landwirtschaftlicher Tierhaltung funktionieren mittels sexueller Gewalt. Catherine Friend ist eine engagierte Feministin, die sich einen eigenen kleinen Agrarbetrieb errichtet hat, um damit den traditionellen Gender-Rollen und der Heteronormativität entgegenzutreten. Sie repräsentiert daher auch Kathy Rudys wichtigen Aufruf an „junge Frauen, Schwule und sexuell anders orientierte Menschen“ sich „im Nahrungmittelaktivismus wiederfinden zu können“ (Rudy, Locavores, Feminism, and the Question of Meat, S. 35)

Man würde annehmen, dass indem hier ein „humaner“, „artgerechter“ Standard für den Umgang mit Tieren entworfen werden soll, Handlungen, die ein gewaltsames Erzwingen sexueller Kopulation für ein Weibchen beinhalten, einen Bereich ethischen Bedenkens für sowohl Rudy and auch für Friend darstellen würde.

Jedoch in genau dem Buch, das Rudy als Beispiel dafür anführt, wie ein Bauernbetrieb ihrer Meinung nach wünschenswerter Weise auszusehen hätte, mit dem Titel: „Hit by a Farm“ [etwa: „Auf die Farm gekommen“], halten Friend und ihrer Partnerin Melissa eine weibliche Ziege gewaltsam fest und zwingen sie zu dem, was man eindeutig als nicht-gewollten Sex bezeichnen kann, um dadurch mit ihrem Zuchtprogramm voranzukommen.

In einem Kapitel mit dem Titel „Lasst uns einfach vergessen, dass dies jemals geschehen ist“ beschreibt Friend ihre Maßnahme folgenderweise:

„Als wir bei Mary waren, führten wir Ambrosia [Friends weibliches Schaf] zu dem umgebauten Hühnerhaus in einen Schuppen, der etwa 6 mal 3 Meter groß war mit einer Tür aus rohem Holz, und Bozeman [der Ziegenbock] kam herein gerauscht mit wilden Augen und hochgezogener Lippe bei der Wahrnehmung des Geruchs von Ambrosia. Unsere Ziege warf einen Blick auf diese Kreatur und begann zu laufen. Ich konnte ihr daraus keinen Vorwurf machen. Nicht nur, dass unkastrierte Böcke diesen schwer beschreibbaren unangenehmen Geruch abgeben, nein selbst der Kopf und der Nacken dieses Typen waren ölig, schmierig und überzogen von irgendetwas Fauligem. Ambrosia nahm uns das nicht ab. Wer würde ihr daraus einen Vorwurf machen? Wir schauten fünf Minuten lang dabei zu wie Bozeman sie umkreiste. „Ist das wie Ziegensex normalerweise funktioniert?“ fragte ich schließlich. „Nein“ sagte Mary, „das Weibchen steht normalerweise still. Ambrosia ist wahrscheinlich am Ende ihres Zyklus. Sie kann immernoch schwanger werden, aber sie will wohl nicht still stehen.“ „Ich glaube,“ seufzte Mary „wir müssen sie wohl festhalten.“ Ärgerlich taten wir einen Schritt vor. Melissa griff nach Ambrosias Halsband, doch die riss sich fort. Mary und ich drängten sie in eine Ecke, aber Ambrosia entwischte uns. Schließlich mussten wir alle drei gleichzeitign ran, um sie zu fangen, und dann, unglaublich, hielten wir ihren Kopf und ihren Torso fest, während Bozeman durchgeknallt vor Lust, sich auf sie schwang und begann mit seinen Hüften zuzustoßen. Keiner von uns sagte auch nur ein Wort, während Bozeman sich auf die vor ihm liegende Pflicht konzentrierte und Ambrosia empört grummelte. Ich hielt meinen Atem an um Bozemans Geruch nicht einzuatmen. Schließlich murmelte ich: „Kann ich mich nach dem, immer noch als Feministin bezeichnen?“ (Friend, Hit By a Farm, S. 146)

Der blinde Fleck in sowohl Rudys als auch Friends Denken ist, dass sie die zentralen Punkte des Feminismus, der homosexuellen und qeeren Rechte (wie die der eigenen Kontrolle über das eigene reproduktive Leben und die eigene sexuelle Wahl) nur auf menschliche Tiere beziehen. Doch, wie Carol Adams mit großem Nachdruck betont, sollte der Feminismus nicht einfach an der Speziesbarriere enden, und so sollten es auch nicht schwule, lesbische oder queere Rechte. Weiblichen nichtmenschlichen Tieren sollte die Wahl zustehen, selbst zu entscheiden, wer ihr sexueller Partner sein soll. Punkt!

Lassen Sie uns keine Haarspaltereien betreiben oder in Euphemismen verfallen: jedes Tierprodukt, ungeachtet dessen ob es gekennzeichnet ist als „Freiland“-Erzeugnis, Bio, Regional oder „artgerecht“, jedes Tierprodukt beinhaltet sexuelle Gewalt. Alles Fleisch und alle Milchprodukte und Eier, sind Produkte vom Menschen sanktionierter sexueller Gewalt, und daher liegt hier ein Verstoß gegen die grundlegendsten Gedanken und Werte feministischer oder queerer Theorie vor, ganz gleich wem solch ein Bauernhof gehört.

Wie Carolyn Zaikowski in einem Essay mit dem Titel „Die Werkzeuge des Herrschers werden niemals auch des Herrschers ‚Rape Rack’ demontieren“ geschrieben hat. [Ein ‚Rape Rack’ bezeichnet eine Vorrichtung, in der Tiere zu ‚Zuchtzwecken’ fixiert werden]

(http://liferoar.wordpress.com/2012/05/16/the-masters-tools-will-never-dismantle-the-masters-rape-rack-feminism-and-animal-rights/)

„Und hier ist die große Frage. Die Frage, die ich nicht wirklich stellen will, weil sie mich zusammenzucken lässt, meine Haut gefrieren lässt und mein Herz mit Schrecken füllt. Dies ist das Thema, durch das ich sowohl mit Feministinnen als auch mit dem Herrschenden immer und immer wieder in Konflikt gerate, vielleicht weil es das Ultimative so klar macht, das wir aber nicht bemerken sollen, nämlich diese erschreckende Verbindung zwischen den Ünterdrückungsformen: Wusstet ihr, dass viele Bauern den Ort, an dem unsere nichtmenschlichen Schwestern künstlich besamt werden, informell ein „Rape Rack“ nennen?

Das ‚Rape Rack’ [etwa: ‚Bock zur Vergewaltigung’].

Sie nennen es tatsächlich das ‚Rape Rack’. Dies ist kein Begriff, den ich konstruiert habe um zu schocken. Dieser Begriff entstammt unserer kollektiven Psyche, und derer der Landwirte. Und irgendeine Variante dieses Geräts, egal wie es genannt wird, ist ganz zentraler Bestandteil aller landwirtschaftlichen Tierhaltung; ob in der Permakultur oder in den Fabrikfarmen, regional oder weit abgelegen, „artgerecht“, human, ganz gleich wie. […] Feministische Visionen können in einer Welt, in der es ‚Rape Racks’ gibt, keine Realität werden. Eine feministische Welt kann keine Welt sein, in der irgendwer, irgendein Leben, ob Mensch oder Tier, männlich oder weiblich, schwarz oder weiß, mit zwei oder vier Beinen, jemals, einfach aufgrund seiner Konstellation zu solch einem Paradigma definiert werden kann.

Schlussfolgerung

Von Liebe zur Gerechtigkeit

Was mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist, dass dieser Ausdruck des Gefühls der Fürsorge für Tiere dazu dient, die schlichte Realität zu maskieren, dass diese Tiere für die vollständige Länge ihres Lebens, allein als eine käufliche und verkäufliche Ware leben, und gänzlich nach der Laune ihrer sogenannten Besitzer zu existieren haben. Solch eine Sichtweise macht ein Thema sozialer Gerechtigkeit, das in den Gedanken der Tier-„Rechte“ einbegriffen ist, zu einem Thema bloßer Wohltätigkeit, die schließlich kompromittiert und nach Willen aufgegeben werden kann.

Diese Position stellt einen ganz besonders besorgniserregenden Fehler in der feministischen Theorie dar, die mich eigentlich gelehrt hat, der Rhetorik der „Liebe“ und „Fürsorge“ zu misstrauen, wenn strukturelle Gewaltsysteme und Unterdrückung ungehindert weiter operieren können. Wie Catharine MacKinnon geschrieben hat, bezüglich der Gleicheit zwischen der „Liebe“ zu Frauen und der „Liebe“ zu Tieren:

„Menschen dominieren Tiere, Männer dominieren Frauen. Beides ist eine Beziehung der Hierarchie, eine Ungleichheit, mit darin- und dazwischenliegenden Besonderheiten und Variationen. Jede Ungleichheit hat ihre eigenen Wurzeln, wird anders ausgespielt und ihr wird mit einem anderen Widerstand begegnet, aber Parallelen und Überschneidungen können hier aufschlussreich sein. Eine auffallende Entsprechung zwischen diesen beiden Hierarchien, ist eine ideologische: trotz der Beweise dessen, dass Männer Frauen sozial dominieren, und Menschen andere Tiere, wird die Tatsache, dass Verknüpfungen zwischen Dominierung und Unterordnung bei diesen beiden bestehen, zumeist negiert. […] Die Verneinung von sozialer Hierarchie innerhalb dieser beiden Beziehungen wird durch eine Sprache von Liebe und Schutz weiter aufrechterhalten, einschließlich bei dem, was wir als die „humanen Bewegungen“ bezeichnen [A.d.Ü. „humane“ ist eine Bezeichnung für ‚Tierschutz’ und ‚tierschützerisch’ im Amerikanischen]. Der Gedanke hierbei ist, dass die Liebe von Männern zu Frauen oder die der Menschen zu Tieren, die sie zu einem vermeintlich beschützerischen Verhalten motiviert, die Dominierung mildert. […] Weder im Falle von Frauen noch im Bezug auf Tiere, hat die Abschaffung einer Missbrauchsform, an der zugrunde liegenden Verteilung von Macht irgendetwas verändert. Frauen zu lieben, ist ein Fortschritt dem gegenüber, sie zu hassen, und ein liebevolles Verhalten zu Tieren, ist ein Fortschritt gegenüber der Gewalt gegen sie, aber nichts von beidem hat sie befreit oder ihrer Existenz in ihrem eigenen Sinne Anerkennung teilwerden lassen. (MacKinnon, Women’s Lives, Men’s Laws, S. 92)

Solange Tiere Besitz sein können, gekauft, verkauft und nach den Launen ihrer sogenannten Besitzer behandelt werden können, wird das Konzept der Tierliebe kaum Auswirkungen haben. Während einige sogenannten „Besitzer“ entscheiden mögen ihre Tiere besser zu behandeln als andere, so verstärkt der Gedanke, dass Tiere überhaupt „besessen“ werden können, doch die Ansicht, dass sie allein als ein menschliches Eigentum existieren, und, als solches, verliert das Konzept der Tierliebe [in jeglicher Form], seine Kraft als eine gesellschaftliche Kritik. Nur wenn wir in Begriffen des nicht allein Tiere liebens denken, sondern auch in Begriffen sozialer Gerechtigkeit für Tiere, können wir damit beginnen, die komplizierten Themen, die die nichtmenschlichen Tiere umgeben, zu navigieren.

Wie bell hooks im Bezug auf den Feminismus schrieb:

Ohne Gerechtigkeit kann es keine Liebe geben. (hooks, Feminism Is for Everybody, S. 149)

Und dasselbe trifft zu, so würde ich argumentieren, für unsere Beziehung mit nichtmenschlichen Tieren.

Quellen:

Adams, Carol J. The Sexual Politics of Meat: A Feminist-Vegetarian Critical Theory, Continuum : New York, 1990. Print.

Friend, Catherine. The Compassionate Carnivore, or, How to Keep Animals Happy, Save

Old Macdonald’s Farm, Reduce Your Hoofprint, and Still Eat Meat. Cambridge, Mass.: Da Capo Lifelong 2009. Print.

Hit by a Farm: How I Learned to Stop Worrying and Love the Barn. New York: Marlowe & Co, 2006. Print.

hooks, bell. Feminism Is for Everybody: Passionate Politics. Cambridge, MA: South End Press, 2000. Print.

MacKinnon, Catharine A. Women’s Lives, Men’s Laws. Cambridge, Mass: Belknap Press of Harvard University Press, 2005. Print.

Rudy, Kathy. “Locavores, Feminism, and the Question of Meat,” The Journal of American Culture. Volume 35, Issue 1, March 2012. Print.

Loving Animals: Toward a New Animal Advocacy. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2011. Print.

Walker, Alice. “Am I Blue?” Through Other Eyes: Animal Stories by Women. Ed. Irene

Zahava. Freedom, Calif: Crossing Press, 1988. Print.

Die Anmerkungen in den eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin.