Nachtblindheit / Gedankenlauf

Gedankenlauf

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Eine Kurzegeschichte über einen Freund, der sich zum Zeitpunkt des Verfassens der Geschichte in erster Linie als vegan definierte, nunmehr primär als antispeziesist und Naturfreund im erweiterten Sinne.

Irgendwas in mir ist immer derselbe. Ich glaube nicht, dass ich verstanden werden muss. Ich reflektiere das fehlende Verstehen. Ein Tier, irgendeines, das wir nicht kennen. Es läuft über die Straße, ein Lichtstrahl trifft seine Augen. Sein Leben erlischt durch die Berührung mit dem Menschen.

Ob sie Tiere verstehen ist ihnen egal. Mir ist ihr Verständnis ein Mysterium.

Montag der 31. irgendeines Monats

… an den ich mich schon jetzt nicht mehr erinnern will, weil ich auf den Sommer warte. Im Sommer werd ich mit meinem Bike raus in den Wald fahren. Letztes Jahr als ich wenigen Rehen begegnet bin, wurde mir vieles klar. Ihre Angst – und sie haben trotzdem Mut in dem Mordlabyrinth überhaupt zu leben ohne aufzugeben – diese Angst ist stärker als alles.

Es regnet. Die Strassen sind nass. Wie würde ich sein, wenn es den Ort, das Dorf, die Stadt nicht gäbe. Wäre ich „Ich“? Mir haben alle Leute die ich kenne (und kannte) bestätigt, dass ich ein Langweiler bin. Als ich 18 war, und phasenweise halb-heimlich Vegetarier, hat eine Bekannte bei einem Treffen mit ein paar Leuten in einer Gasstätte gesagt: Wenn mein Leben so langweilig wie Deines wäre, würde ich an den nächsten Baum fahren … Ich hatte Pommes vor mir auf dem Teller und mich auch fast daran verschluckt. Weil grade vorher hatte ich zu ihr gesagt, „Ich plane Vegetarier und dann vegan zu werden.“ Sie stand angeblich auf mich, aber der Umstand, dass ich eine Meinung hatte, die sie nicht verstand, rief bei ihr so eine Art Hassgefühl vor.

Beziehungen ohne Liebe sind leidenschaftslos, und ohne Respekt – geht schon mal gar nicht. Es regnet, und ich stell mir vor wie der Regen auch in den Wäldern fällt, wie dort eine andere Welt herrscht, wie die Forstwirtschaft den Tieren dort eine dauerhafte Lebendfalle auf Zeit gestellt hat aus der sie nie lebend herauskommen, wie die Jäger denken mögen, und wie wir das alles irgendwie romantisch finden … Ich denke daran wie die Zebus in Afrika Rinder sind. Wie die Rinder hier westliche Züge tragen. Warum es unterhalb des „Unten“ weitaus mehr gibt als oben. Warum sollte sich das, was sich in mir abspielt, nicht in mir abspielen?

Ok es regnet. Ich muss raus … Hinter mir die Autos, die einem stetig im Nacken sitzen. Ich setze vorne ran, so fährt man weil man fahren muss. Fliehend vor irgendeinem weiteren im Nacken, der wohl das gleiche fühlt; der mich für einen Augenblick dieses gleichen einen Lebens sieht, mit dem ich zusammenprallen würde, wenn wir nicht beide noch einen Plan hätten der dies vermeidet.

Wenn ich hier lang fahre und die Bäume dunkel an mir vorbeirauschen, fühl ich mich schuldig sie an mir vorbeiziehen zu lassen. Dieses Gefühl, weiß ich, habe ich auch wenn ich stoppe und absteige. Was ist das, das ich an mir vorbeirauschen lasse? Ich parke und ein Spaziergänger ist da, im Regen. Warum gibt es Einsamkeit? Wir sprechen nicht, weil es zu früh ist um zu sprechen. Nur ein Nicken, ein langer Blick. Ich gehe in den Wald hinein. Ich denke oft, dass ich dort einmal auf eine Leiche stoßen könnte … ein Mörder wirft sein Opfer dorthin, zerstückelt es. Vielleicht will ein Mörder, dass der Wald das drohende Mahnmal seiner inneren Beschlüsse sein muss. Die abgesägten Stämme, die Bäume. Das ewige ihres Lebens wurde gebrochen, es wird verarbeitet zum Inventar selbst gelebter, selbst erlebter Armutszeugnisse. Ich geh an so einem Tag nicht tiefer hinein in den Wald. Es ist mir – auch als Mann – zu riskant. Ich sitz im Nassen auf einem Stamm, überlege.

Störende Einblendung

Sei doch nicht so sentimental sagt sie, wenn ich andeute was ich denke. Aber warum ist ihre Welt heil? Ich merk immer mehr, dass ich nicht drum herum komme meinen engen, vermeintlich realistischen Horizont mit mehr denkerischer Diverstität zu erweitern. Wenn ich denen eine Kritik sagen will, muss ich mir vorstellen können wo ich einhaken kann, wo man den Knackpunkt von der anderen Seite her angehen kann. Fallen die Knackpunkte immer erst in den Fundamenten unserer Ethik auf? Ich kauf mir zwar immer mehr Bücher, aber es ödet mich ehrlich an sie zu lesen, aber ich wühl sie trotzdem durch. Ich finde in keinem Buch eine Wahrheit, so wie die, die draußen vor meiner Tür und auch drinnen in den Häusern herrscht, alles klafft offen, alles stimmt bedingt und unbedingt, aber die Realität ist komplexer und gleichbleibend anders.

Ich kann mir mein trauriges Denken beibehalten, und das Denken ist alleine. Ich muss Biologe sein um zu wissen was ein „abstraktes Du bzw. ein allgemeines Sie“ ist oder beziehungsweise auch was keines ist. Ich nehm mir all die großen Philosophen vor, bleib aber meist doch bei den Tierrechtlern hängen. Alle sagen ich muss mögliche „Du’s oder Sie’s“ biologisch sehen …

In der Szene hier wollt ich keinen Fuß fassen, das mit der Szene ist meiner Meinung nach so: Vor sich ein großes Schild voll gerechtem Kampfesgeist tragen, auf dem Schild steht ganz groß „Tiere“, wenn der Hieb fällt, fällt er auf das Schild … Der Angreifer hält das Schwert: „Mensch“. Nichts trifft, wenn es nicht die Tiere trifft. Und die großen Organisationen? Da war zum Beispiel diese eine Kampagne, ein Truthuhn als Terrorist in einem Supermarkt droht mit einem Terroranschlag der Truthähne per verseuchtem „Fleisch“. Das Schild auf das man sich mit Hieben stürzen wird, sind alle Truthähne und Truthennen und Trutküken und alle ihrer Gattung, die vor ihnen gelebt haben und die nach ihnen leben werden. Auf dem Schild steht: Truthahn.

Montag kurz nach 6.00 Uhr. Letztes Jahr dachte ich noch, ich sollte nur noch an meinen Beruf denken, aber das kann ich nicht mehr. Bevor ich mein Studium begann, das für mich beinahe sinnlos war, hab ich versucht meine eigenen Gedanken zu ignorieren. Meine Gedanken, die mich immer, immer traurig machen.

Aber warum? Kann man immer weiter vor der Realität fliehen? Ich versuch nicht mehr so ein Held, wie man sie an allen Ecken und Ende sieht zu sein – auch wenn ich dadurch vielleicht immer „alleiner“ und einsamer werde. Warum wollte ich überhaupt ein Held sein? Morgen werd ich den ganzen Tag arbeiten, wie immer, aber manchmal bin ich einfach auch krank.

Mittag … der Betrieb stopft sich voll mit dem üblichen, eigentlich müsste mir jetzt schlecht werden, aber ich schalte das bewusst ab. Ein paar Brote, Apfel, Salat, Wasser. Es ist kein Thema mehr was ich esse (und es ist gesund).

Am gestrigen Abend, noch nicht spät, war ich im Bioladen. Ich mag den Laden nicht sonderlich, aber besser als nichts, obwohl die Bioladenphilosophie einen ethischen Abgrund in sich trägt, meiner Meinung nach.

Nach außen hin bin ich mit vielem einig. Innen? Wie ist es wenn man sich das Brennen eines Scheiterhaufens vorstellen kann und vor der Vorstellung weglaufen muss. Wenn es keine Wahrheit gäbe, ich bin der Überzeugung dann gäb es auch keine Schmerzen. Ich will nur dass sich was verändert. Ich gehe weiter voran.

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