Tierrechte und antibiologistische Tiersoziologie: Der Tierrechtsdiskurs kann nicht weniger komplex geführt werden, als Diskurse über Menschenrechte.
Gita Yegane Arani
Umso engstirniger und reduktiver unser Weltbild in Hinsicht auf Tiere ist, umso einfacher werden unsere Erklärungsmodelle über das menschliche Verhältnis zu dessen nichtmenschlicher Mitwelt. Und so flachen auch die Erklärungen darüber ab, wer Tiere sind, was deren Rechte beinhalten und was diese Rechte wiederum in unserer Gesellschaft bedeuten müssten – für die Menschen, die den ganzen Planeten mit ihren definitorischen und räumlichen Herrschaftsansprüchen dominieren.
Kann man wirklich ausreichend viel bewirken und was genau bewirkt man, wenn alle zusammen an der Verwirklichung einfacher Modelle für Tierrechte mitarbeiten, wenn es also kein inhaltliches Durcheinander gibt, weil wir uns bei Tierrechten weniger Pluralismus im Diskurs erlauben wollen als in Sachen Menschenrechten?
Sollte sich nicht vielleicht lieber jede*r, genauso wie in punkto Menschrechte, selbst mit allen Aspekten seines/ihres kritischen Denkens und seiner/ihrer fein nuancierten Beobachtungsgabe mit einbringen, statt nur nach den vielleicht offensichtlicheren Möglichkeiten Ausschau zu halten, die in der Vereinfachung eines in Wirklichkeit genauso komplizierten Sachverhalts liegen?
Das Problem ist natürlich, dass wir selbst bei Menschrechtsfragen oftmals lieber weniger hören wollen von den Geschichtegestalter*innen von unten. So haben wir selbst hier die Tendenz zu ein paar vermeintlich „richtigeren“ großen Strömungen in der Beantwortung von Fragen und den dazugehörigen Fragestellungen. Im Tierrechtsbereich (inkl. Tierbefreiung) ist der Mangel an echter Pluralität und basisdemokratischer Kommunikation aber völlig eklatant.
Der Anspruch auf die eigenen Menschenrechte hat natürlich den Vorteil, im Vergleich zum indirekten Einklagen von denjenigen Rechten, die wir für unsere nichtmenschlichen Nächsten einfordern, dass qua Menschenrecht jede*r an sich als vollwertiges Subjekt-von-Rechten vom Grundsatz her anerkannt wird, und dass jede*r theoretisch, und von dem uns ethisch einigenden Grundsatz her, ein Recht darauf hat seine/ihre Meinung frei zu artikulieren. Von der Prämisse der Menschenrechte her, darf ich für mich selbst als Mensch sprechen. Für die Rechte von nichtmenschlichen Tieren muss ich eine weitaus grundsätzlichere Leistung an Argumentation erbringen, da hier bislang fast nur speziesistische Übereinkünfte in sämtlichen die Tiere betreffenden Bereichen vorherrschen.
Die Artikulation von seinsphilosophisch relevantem Tun und Denken wird Tieren abgesprochen in unserem naturwissenschaftlich geprägten Zeitalter, mit der Begründung, dass sie Instinktwesen seien (gekennzeichnet als evolutionsbiologisch zu unterscheidender Antipode zum Menschen) und immer auch mit der Begründung, dass sie den qualifizierenden Parametern des Menschen nicht entsprechen, die sich dazu berechtigen würden, vollwertige Subjekte unabhängiger Rechte auf Freiheit und auf Unversehrtheit von menschlicher Gewalt zu sein, usw.
Die Konsequenzen der rechtlichen Disqualifizierung lehnen Tierrechtler*innen grundsätzlich ab und bekämpfen sie. Die Ursachen aber für die Entrechtung werden noch nicht ausreichend differenziert analysiert und kritisch hinterfragt. Infolgedessen werden Ursachen von manchen Tierrechtler*innen teils sogar selbst unbewusst weiter aufrecht gehalten.
Bei unseren Menschenrechten merken wir ständig, dass wir den Einsatz für unsere Rechte als Mensch auch ständig selber antidiskriminatorisch mit verwirklich müssen – im Alltag als einzelnes Individuum sowie im Einsatz für das Große und Ganze. Beim Speziesismus soll das jetzt anders aussehen. Tierrechte und Speziesismus sollen inhaltlich vermeintlich viel einfacher zu lösende Diskriminierungsmomente sein. Die Diskriminierung von Tieren soll vergleichsweise ein insofern weniger komplexes Thema sein, da es sich mit dem Ziel der körperlichen Unversehrtheit von Tieren bereits komplett beantworten ließe. Ich bezweifle jedoch, dass solange die bislang nicht offengelegten Ursachen in einer anthropozentrischen Gesellschaft noch weiterhin außer Acht gelassen werden, wir zeitgleich eine wirkliche Lösung für die Tiere betreffenden Probleme finden können.
Wenn man aber sagt, die alleinige Forderung nach physischem Schutz reicht noch nicht um Tierrechte auf seine adäquaten Fundamente zu platzieren, dass es um noch mehr geht und wir immer noch eine in so vielerlei Hinsicht extrem reduktive Sicht auf das Tiersein haben, dann wird einem potenziell im Gegenzug unterstellt, man wolle dem schlimmsten Übel, das den Nichtmenschen physisch geschieht, nicht mit helfen politisch entgegenzutreten.
Soll der Grund, wieso es überhaupt Speziesismus gibt – oder wie auch immer wir das Problem noch nennen könnten (Tierhass, Tierunterdrückung, usw. usf.) – etwa nicht zu komplex diskutiert werden, angesichts der schier unbeschreiblichen Extremheit der Situation und der gebotenen Eile Veränderungen herbeizuführen? Das könnte ich verstehen. Aber ich finde bislang noch nicht mal einfache verbale Beschreibungen für die Extremheit der Situation vor. Ich plädiere für Begriffe wie Faunazid oder Zoozid um die Extremheit zu bezeichnen.
Die Situationen, die wir im Alltag im Bezug auf Tiersein und Tierlichkeit bezeugen, sollen vergleichsweise einfacher beantwortbar sein als die, wenn mir selbst etwas vergleichbares als „Mensch“ geschehen würde? Ich brauch mir nicht vorstellen, was wäre, wenn mir selbst so eine Art Unrecht widerfahren würde? Ich soll also theoretisch mein Erlebnis Subjekt zu sein als Tierrechtler*in völlig dissoziieren von tierlichen Subjekten? Wer entscheidet das, wenn nicht ich selbst?
Warum es wichtig ist ein fundamentales Pluralitätsbewusstsein im zivilgesellschaftlichen Aktivismus einzufordern. Tierrechte bilden da keine Ausnahme, sondern ganz im Gegenteil!
Das Thema Tierrechte ist kein inhaltlicher Monolith. Es besteht zugleich auch keinerlei zwangsläufige Einheitlichkeit in den allgemeinen Weltanschauungen von denjenigen Menschen, die sich proaktiv mit dem Themenkomplex auseinandersetzen. Gerade wenn es um unser Bild von Tieren und deren Rechte geht, steht auf einmal so viel bislang Ungeklärtes zur Frage, und es muss derart viel neu durchdacht werden, dass wir dabei vielleicht manchmal vergessen, dass auch dieses neu erscheinende Denken erst im Zusammenhang mit dem Entsteht, was uns bereits vorher beschäftigt hat.
Damit zeigen sich meiner Beobachtung nach auch die verschiedenartigen Vorstellungen von dem, wie Rechte nicht-anthropozentrisch verstanden werden können, und wie der Blick von Menschen auf Nichtmenschen völlig divers ist. Immerhin ist unser typisches, normales, durch die menschliche Hybris gekennzeichnetes Bild von Nichtmenschen ein sich immer nur an der Oberfläche befindendes unzureichendes Projektionswerk gewesen. Ein einzelner Mensch hat sich, introspektiv betrachtet, aber seine/ihre eigene Meinung bilden können.
Das Thema Tierrechte und unsere Betrachtungen über menschliche Sichtweisen auf Tiere als einfach zu beschreiben, würde bedeuten das Denken über Tiere auf einen Tunnelblick begrenzt zu halten. Die Komplexität in menschlichen Herangehensweisen an das Thema bildet nicht einfach ein sinnloses Chaos, sondern sie bildet idealerweise einen wichtigen hilfreichen Hintergrund für die Klärung von dem, was wir dann letztendlich gemeinschaftlich in differenzierter Weise unter Tierrechten verstehen können.
Wir können Tierrechte nur dann sinnvoll definieren, wenn wir dabei transparent machen und offen mit einbeziehen, dass es um unsere eigenen richtigen und falschen Approximationen geht, dass sich hier unsere Vorstellungswelten spiegeln, die es ermöglichen uns den Fragen anzunähern, und wir uns so und nicht anders den Nichtmenschen in ihrer Autonomie von menschlichen Beherrschungsansprüchen konstruktiv oder destruktiv begegnen können.
Es existiert kein zwangsläufiges Bild, das alle Menschen im Bezug auf Tiere teilen. Mehrheitlich multiplizieren sich Stereotype, die über Identitäten gebildet werden. Mehrheitlich, kann man speziesistische Attributisierungen, im Sinne dass das Menschliche „gut“ und das Tierliche „schlecht“ sei betreiben. Das ist aber ein dünnes ideologisches Konstrukt, dass sich im Moment der unabhängigen Reflektion der tierlichen Gegenüber schnell auflöst auf den individuellen Erlebnisebenen von Menschen. Und es sind auch nicht alle kulturellen Überlieferungen klinisch rein von dem, was antispeziesistisch verträglich oder hilfreich ist.
(Mit „richtigen“ und „falschen“ Annäherungen an das Thema meine ich das gleiche „richtig“ und „falsch“, das auch immer wieder neu in den Menschenrechten austariert werden muss, wenn es um die Anerkennung von Rechten geht und um die Erkenntnis über Unrecht damit einhergehend. Zu allen Zeiten werden Diskriminierungsmomente auch gegen Menschen ausgeblendet und kaschiert.)
Ursachen des Faunazids benennen
Mein eigener Hauptfokus in der Frage dessen, was Tierrechte bedeuten müssen, ist eine antibiologistische Herangehensweise an das Thema. Mir ist über die letzten vollen zwanzig Jahre in der Tierrechtbewegung (und in der Tierbefreiungsbewegung) aufgefallen, dass immer noch eine Sichtweise über Nichtmenschen als normal vorausgesetzt wird, die Tiere in erster Linie mit biologischen Terminologien liest, und dass Tieren infolgedessen selbst in diesen Bewegungen eine, philosophisch betrachtet, verminderte Rolle im Gesamtgeschehen zugeordnet wird.
Das ist ein Anthropozentrismus, der bestimmte Vorstellungen von „Menschsein“ als einzig gestaltend im Weltgeschehen in den Mittelpunkt rückt, und bei dem dieses Menschsein als qualifiziert erkannt wird, anhand von den Merkmalen, die im Laufe der jüngeren Menschheitsgeschichte als biologische Unterscheidungsmerkmale in wertender Weise gekennzeichnet wurden.
Anhand von biologischen Merkmalen wird hergeleitet, welche Handlungen gesamtgeschichtlich für die Menschheit relevant sind und welche bedeutungslos und marginalisierbar sind. Wird der Blick (etwas fortschrittlicher) auf die ganze Natur biozentrisch gerichtet, dann bleibt der biologistische Anthropozentrismus erhalten, indem die Naturgeschichte eine Zone ist, in der nichts vergleichbares wie das menschliche Denken stattfindet.
Das menschliche Denken wird anhand der eigenen Früchte des eigenen menschlichen Handelns abgelesen, und in seiner Unvergleichlichkeit unter allen biologischen Lebewesen als maßgeblicher verstanden, insofern, dass der Mensch über eine unbedingte Selbstbestimmtheit als biologische Einheit verfügen würde.
Die zentrale Frage ob wir tierliches Denken endlich nicht mehr als einen kausalistischen sondern als einen freien Prozess anerkennen, wird in bislang in keiner Weise komplex diskutiert und über überhaupt als relevant für Tierrechte (und die Tierbefreiung) lokalisiert. Die Verbindung von nichtmenschlicher Intelligenz im gesamten nichtmenschlichen Raum – das heißt auch: Tiere als Meister in ihrer Ökosozialität – … ist für uns also noch kein Kriterium um Intelligenz ausreichend neu zu bedenken.
Ich fordere meine Kolleg*innen immer wieder auf, dass wir auch die theoretischen Käfige aufbrechen müssen. Das heißt, die Erklärungswelt über Tiere benötigt eine Erweiterung in der Wahrnehmungssensibilität und in der Wahrnehmung beschreibenden Sprache von Menschen. Die Gesellschaft tut sich, selbst in ihren widerständlerischen Segmenten, noch außergewöhnlich schwer mit einem Paradigmenwechsel in der Perspektivität, die sie zur Beschreibung der nichtmenschlichen Welt anwendet.
Vielversprechendere Ansätze als die des „weißen Mainstreams“ finden sich teils bei Autor*innen, die von einem eher dekolonialen Hintergrund her kommen und deren Sichtweisen über das Mensch-Tier-Verhältnis sich zum Teil erkennbar unterschiedlichen Kosmologien zuordnen lässt. Es scheint, dass indem das Konstrukt „Mensch“ ein anderes ist, das „Tier“ sich auch immerhin abweichend lokalisieren lässt, und wir so zumindest erkennen können, dass die Sichtweisen auf Nichtmenschen kulturell nicht immer so ganz einhellig sind.
In der soziologischen Zuordnung der Tierfrage und der Tierrechte innerhalb des Antirassismusdiskurses findet sich die Beobachtung, dass Tieren ein Nicht-Ort zugeschrieben wird, an dem sie eigentlich, in dem was sie selbst in Wirklichkeit sind, überhaupt nicht erkannt werden. Eine neue, explizite Beschreibung von solchen nichtmenschlichen Räumen findet bislang aber nicht weiter in den Diskussionen statt. Es wird erkannt, dass etwas nicht erkannt wird. Aber auch hier finde ich bislang keine explizite Kritik an den Alleinstellungsmerkmalen vom Speziesismus (Tierhass, Tierunterdrückung, usw.), die eine prioritäre, fallgerechte Analyse einläuten würde.
Der Speziesismus hat logischerweise die wirklich perverse Eigenschaft, dass er in negativer Form im Umkehrschluss darauf hinweist, was die Negierung von Tieren eigentlich überhaupt alles an Tieren verneint. Schauen wir uns die Unterdrückung von Tieren und Tierhass, etc. nicht genau an, erkennen wir auch schwerlich wo die Widerstände exakt bei den Menschen liegen, das heißt wo der Mensch „nicht richtig funktioniert“ – wo er ungerecht ist und im Unrecht gegen andere-als-menschliche Tiere handelt. Außer natürlich wir gehen davon aus, dass es im Prinzip evolutionsgeschichtlich ganz normal war, dass wir Tiere opfern und töten mussten. Wir gehen aber nicht alle davon aus!
Eine sehr große Gruppe unter den Aktivist*innen für Tierrechte lassen sich jedoch immer noch mit zu der mehrheitlichen Gruppe von Menschen zählen, die das klassische Narrativ des Jägers und Sammlers ohne den geringsten Zweifel unterschreiben. Tierrechtler*innen die dies tun, begrenzen die Geschichtsschreibung über ‚den Menschen‘ – vielleicht unwillentlich – auf das Kollektivistische und das Mehrheitliche und Dominante.
Wenn ich diese Gruppe aus meiner Tierrechtssicht her kritisiere, dann steht hinter solch einer Kritik mein Bewusstsein dessen, dass Tierrechte gleichermaßen differenziert erörtert werden können wie Menschenrechte. Wenn wir Tiere erkennen, als mit-ihren-Geschichten-vollständig-bedeutsam, können wir verstehen, warum wirklich konstruktive Auseinandersetzungen mit Tierrechten niemals einem politischen „Einparteienprogramm“ gleichen sollten. Dabei geht es um den Kern des Problems, nämlich die mehr oder weniger reduktiven Sichtweisen auf Tiere, und in dem Zuge die Verknüpfungen mit sozialen und ökologischen Fragen, die demokratische Räume anbetreffen.
Die Mehrheit der Tierrechtler*innen erzeugt leider genau den Einparteien-Effekt, indem sie beinahe geschlossen vor allem biologistisch an das Thema herantreten. Der Biologismus im Speziesismus ist für mich die Folge der dominanten menschheitsgeschichtlichen Entwicklungen in Philosophie und Religion, und den weiteren kulturellen Orten, die Menschen zur Selbstorientung und zur Definition ihrer Mitwelt geprägt haben und prägen.
Der aktuelle Ort, an dem eine radikale Trennung zwischen Menschsein und Tiersein geschaffen werden konnte, war der, an dem sie gänzlich der naturwissenschaftlichen Fokussierung auf ihr Physisches untergeordnet wurden, als gedachten Ort einer vollständigen Erklärbarkeit ihres Seins.
Man kann natürlich in gleicher Weise auch für Tierrechte kämpfen, indem man sagt, die Geschichte spielt keine Rolle, ich muss sie auch nicht weiter hinterfragen und es geht darum, was jetzt getan werden muss. Das hieße aber, dass wir auch der Geschichte derjenigen Tiere, die in der ganzen Menschheitsgeschichte bislang untergeordnet wurden, nie einen Raum in der aktuellen Diskussion über Tierrechte geben können. Es heißt auch, zu sagen, Tiere seien überhaupt geschichtslos im historischen Sinne, weil es nur eine anthropozentrische und biologistisch geprägte Sicht auf die Gesamtweltgeschichte geben kann. Klar können wir Tiergeschichte überhaupt erst mitreflektieren, wenn wir Tiere überhaupt erst anders reflektieren.
Reicht es ihnen, den Tieren einen Raum zuteilen zu wollen, an dem sie körperlich geschützt sein sollen, aber weiterhin den extremst unterdrückerischen und absurdesten Definitionen untergeworfen werden sollen? Wie würden die normalen heutigen Mainstream-Tierrechtler*innen dann das Problem mit Speziesismus und Religion zum Beispiel lösen wollen? Mit anthropozentrischer „Gnade“ aber ohne Rechte? Und mit welcher Begründung werden die Annexionen von Tiersein in juristischen, politischen, philosophischen und anderen kulturellen Räumen dann ausgeräumt, die immer wieder den optimalen Nährboden zur Legitimation von Speziesismus in der Gesellschaft bieten?
Über Tierrechte sprechen, Perspektivenvielfalt erörtern
Es gibt viele Weltanschauungen. Und so gibt es auch viele verschiedene Anschauungen, wie Menschen meinen können, die Rechte anderer mitzurealisieren. Die Vielfalt dieser engagierten Sichtweisen kann erst erkennbar machen und klären, was das Gegenteil von Speziesismus in der Gesellschaft wirklich ausmacht – Speziesismen sind allgemeine Übereinkünfte über Tiere, die getroffen wurden/werden. Sie lassen der pazifistischen Begegnung zwischen menschlichen und tierlichen Subjekten keinen Raum. Eine verengende Diskussionsführung spiegelt diesen besonderen Istzustand tierfreundlichen und antispeziesistischen Denkens in Teilen der Gesellschaft kaum wieder. Und es ist egal, ob es sich dabei vielleicht um einer Minderheit in der Minderheit handelt.
Ich habe den Eindruck, viele Menschen wollen Pluralität tendenziell nicht wirklich in die Praxis umsetzen oder halten sie für wenig effektiv. Das Hierarchische wird stillschweigend weiterpraktiziert, indem immer wiederkehrende Priorisierungsakte von ähnlich konstruiertem „Wichtigen“ und „Unwichtigen“, „Relevantem“ und „Irrelevantem“ vollzogen werden. Gleich wie sich die Menschheitsgeschichte verändert, bestimmte Mechanismen werden kaum hinterfragt und ändern sich daher kaum.
Ich glaube die Adressierung der Tierrechtsproblematik stagniert immer noch mehr wegen der verkrusteten Strukturen innerhalb menschlicher Kommunikationswege, und nicht wegen der Fragen selbst. Das heißt, das Thema ist so imminent und explosiv, aber die Art, wie wir darüber reden, ist verengend und zu vereinfachend.
Wir erleben hier eine Zeit, die vergleichbar sein muss mit den Zeiten der großen schwierigen Paradigmenwechsel in der Entwicklung von menschlichen Sichtweisen auf die Welt. Im Punkt Menschenrechte sind wir bemüht um inhaltlich große Schritte. Im Punkt Mitwelt belassen wir die Welt ethisch und politisch als „zweidimensionale Scheibe“. Wobei dieser Vergleich natürlich hinkt, denn das Verständnis von Objektivität in den Naturwissenschaften war in der Betrachtung der Menschen von ihrer nichtmenschlichen Mitwelt niemals das neutrale Mittel zur Erkenntnisgewinnung. Niemand hat sie kritisch hinterfragt und nicht zuletzt ging es um eine seinsgeschichtliche Konstellation, an der sich das „Menschsein“ selbst in zerstörerischer Weise abgearbeitet hat.
Viele Menschen setzen sich weniger mit irgendwelchen eigentlichen Inhalten auseinander, statt mit dem Pool an Informationen, die als die wichtigsten und richtigsten innerhalb einer Gesellschaft ausgetauscht werden. Kritisches, hinterfragendes Denken kann aber nicht in Schienen von Informationsaufnahme und Informationsabfragung verlaufen, die zum Teil aber selbst durch Methodiken im akademisches Denken eingeübt werden. Akademisches Denken läuft meiner Meinung nach oftmals Gefahr geschlossene gedankliche Kreise zu erzeugen, anhand der Verifizierung von Ideen, bei der die Berufung auf Quellen überbetont wird – die in ihren inhaltlichen Aussagen aber nicht an und für sich als neutral vorauszusetzen sind, sondern auch immer nur Abbild eines weiteren geschlossenen Gedankenkreises, der durch weitere Berufungen auf Quellen generiert wurde. Ein Inhalt wird erst durch eine*n Autor*in und deren Ranking mehr oder weniger relevant. Inhalte an und für sich können nicht quellenlos diskutiert werden. Manche Problemkomplexe und Fragenstellungen, etc. lassen sich so aber nicht thematisieren. Es gibt tatsächlich Themen, zu denen wirst du nichts finden, die aber trotzdem täglich auf dich einwirken. Oder du findest vielleicht nur tendenziöse Texte (Ich erinnere mich da (un)gerne an meine Suchen in alten philosophischen und literarischen Texten zum Thema ‚Weiblichkeit‘, geschweige denn später zu den Themen ‚Natur‘ und ‚Tiere‘. Wenn wir uns heute auch nur auf Quellen aus der Gegenwart beziehen würden, bliebe die Geschichte immer noch weiterhin ein Kontinuum).
Aus akademischer Sicht wird implizit zudem eine Sicht eingeübt, dass nicht-akademisch geschulte Menschen weniger in der Lage wären wichtige Beobachtungen auszudrücken, oder dass diese allein noch nicht bedeutungsvoll genug sind um als Fundamente für Demokratie zu funktionieren. Eine Gefahr die ich im akademischen Denken sehe ist, von einer intramenschlichen soziologischen Ebene her betrachtet, ein gesellschaftlicher Elitismus. Es werden Perspektiven eingenommen aus einer intellektuellen Vogelsicht, die für zivilgesellschaftliche Prozesse äußerst hinderlich sein können – wenn es um die Weiterentwicklung von Bürgerrechten aber auch um die Entwicklung von neuen emanzipativen Prozessen in der Gesellschaft wie Tierrecht und Umweltschutz geht. Auch Umweltschutz ist kein Thema, dass nur technokratisch adressiert werden kann. Die Naturwissenschaften können zwar Zahlen und Fakten von technisch messbarer Umweltzerstörung nennen und zu einem veränderten Verhalten ermahnen, etc. Mehr eigentlich aber auch nicht.
Bürgerrechte, einschließlich Tierrechte und Umweltschutz – die beiden großen Themenkomplexe die das Mensch-Mitwelt Verhältnis anbelangen – müssen von allen (mit-)gedacht und von allen (mit-)praktiziert werden. Einigungen und Fortschritte können nur ausgehandelt werden zwischen allen. Selbst ökonomische Veränderung bedürfen aller demokratischer gesellschaftlichen Bausteine; man denke an eine Realisierung einer Postwachstumsgesellschaft und an die Praxis von Konsumkritik.
Tierrechte funktionieren nicht anders als Menschenrechte. Genauso der Umweltschutz. Wenn nicht jede*r diese emanzipativen Prozesse mitdenken und mitmachen und mitentwickeln kann, dann ist alles nur von oben verordnet und kein demokratisches Wachstum.
Ich verstehe nicht warum Tierrechte zunehmen akademisiert werden, als klassisches Aktivismusgebiet. Man sieht diese Tendenz aber in einigen Aktivismusgebieten und diese Tendenzen werden auch von einigen Aktivist*innen kritisch beurteilt. Nur nicht so in den Tierrechten. Der Tierrechtsaktivismus gibt sich vorwiegend monolithisch, indem er eine einfache Haltung zum Thema einnimmt, statt komplexe Fragen, wie es in den anderen Bürgerrechtsbewegungen Praxis ist, aufzuwerfen. Vielleicht meint er mehr Schlagkraft aus einem geeinten Auftreten zu erzielen und zu viel Heterogenität scheint das geeinte Auftreten zu zerstreuen. Ich glaube aber nicht, dass das der vernünftigste Weg ist.
Eine Vereinfachung der Problematik ist meiner Meinung nach unrealistisch und wenig überzeugend, und spiegelt weder die Realität der Tiere und ihrer erlebten Geschichten noch die Realität der Menschen, und ihrer Erlebnisse im Engagement für Tiere wieder. Es scheint mir eher das laute Geläut sich hierarchisch organisierender Cluster und Gruppen zu sein, die Inhalte selbst zu einem großen Teil unsichtbar machen. Die Vereinfachungen des Themas werden dem Thema nicht gerecht, aber vermitteln den Eindruck, als wäre die Einfachheit dem Thema geschuldet. Das ist meiner Meinung nach ein Fauxpas im aktivistischen Ansatz, der allzu offensichtlich zu sein scheint. Ich frage mich, ob in der Mainstream-Tierrechtsbewegung und Tierbefreiungsbewegung gegenwärtig nicht zu kurz gedacht wird.
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