Jim Sinclair: Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht

Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht

Eine Antwort auf Temple Grandins Berichte über ihre Arbeit für die Schlachtindustrie, insbesondere wie beschrieben in ihrem Buch ‚Thinking in Pictures’.

Von Jim Sinclair

Quelle https://web.archive.org/web/20030122143344/http://web.syr.edu/~jisincla/killing.htm > https://web.archive.org/web/20051124203852/http://web.syr.edu/~jisincla/

Jim Sinclair ist Aktivist_in im Bereich der Rechte von Menschen mit Autismus und Mitbegründer_in des Autism Network International, http://www.autreat.com/.

Der Titel des Originaltextes lautet: ‘If You Love Something, You Don’t Kill It (1998) – a response to Temple Grandin’s writing about her work in the slaughter industry, especially as described in “Thinking in Pictures”.’ Übersetzung: Palang LY. Mit der freundlichen Genehmigung von Jim Sinclair.

Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht. Ich musste dazu keine Zeit in einer Drück- oder Umarmungsmaschine [A.d.Ü.: ein Gerät für Autisten, das Grandin entwickelt hat, siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Hug_machine] verbringen, um das zu verstehen. Liebe heißt Nichttöten. Wenn du weißt, was ein anderes Lebewesen fühlt – nicht nur wie du dich fühlst, wenn du es berührst – dann weißt du, dass andere Lebewesen am Leben bleiben wollen. Es ist egal ob sie sich nicht vor dem Tod fürchten, bevor sie begreifen was mit ihnen geschieht. In dem Moment, in dem das Töten stattfindet, wissen sie es und sie wollen am Leben bleiben. Ich habe es gesehen und ich habe den Tod geschehen gesehen. Ich habe nicht so viel vom Tod gesehen, wie jemand, der sich obsessiv zu Schlachtfabriken hingezogen fühlt. Aber ich habe genug gesehen, um das zu wissen. Das Leben willigt nicht darin ein, getötet zu werden. Um das zu wissen, brauche ich keinen Doktor in Tierwissenschaften.

Sterben als ein natürlicher Prozess, ist nicht dasselbe, wie das Töten eines gesunden Lebewesens. Ich habe plötzliches Sterben durch Verletzungen gesehen, und das langsame stufenweise Sterben durch das Alter oder Erkrankungen. Diese Dinge sind nicht dasselbe. (Ich bin niemals Zeuge eines absichtlich zugefügten Todes gewesen, weil ich niemals parteilos dabeistehen und eine Tötung in meiner Gegenwart geschehen lassen würde.) Es ist irrelevant, ob eine Wissenschaftlerin mittleren Alters sagt, sie fürchte den Tod nicht, und dass sie ihn als einen natürlichen Teil des Lebens verstehe. Fast alle der Lebewesen, bei deren gewaltsamen Lebensende sie mithilft, sind noch nicht ausgewachsen oder gerade erst ausgewachsen. Fast keines dieser Leben, ist seinem natürlichen Tode nah. Sie sind nicht dazu bereit zu sterben. Wenn jemand die Wissenschaftlerin mittleren Alters heute erschießen, erstechen oder mit einem Elektroschock töten würde, dann würde sie vielleicht auch wissen, dass sie zum Sterben noch nicht bereit ist.

Wenn man das Leben versteht, dann weiß man, dass es weiterleben will. Wenn du das Leben unter deiner Berührung pulsieren fühlst, dann weißt du es ist ein Vergehen deine Hand anzusetzen um diesen lebendigen Puls zu beendigen. Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht.

Es gibt eine spezielle Technik, mit der der Henker seinen Knoten bindet, damit das Opfer durch einen Genickbruch sofort getötet wird, statt langsam durch Strangulation. Ich nehme an, es ist ein Teil des beruflichen Wissens eines Henkers diesen Knoten richtig binden zu können. Diese Expertise macht den Henker aber nicht zu einer mitfühlsamen oder fürsorglichen Person.

Die Henkerschlinge, die Guillotine, der elektrische Stuhl, die Gaskammer und die tödliche Injektion wurden alle dazu erfunden, um einen beabsichtigt zugefügten Tod für das Opfer weniger schmerzhaft zu machen. Ich habe aber noch nie gehört, dass die Erfinder oder die Nutzer dieser Technologien als große Humanitaristen gepriesen wurden. Ich habe niemals gehört, dass man sie für ihre große Empathie gegenüber denen, deren Leben sie beendeten, pries.

Es braucht mit Sicherheit einiges an Einfallsreichtum um neues Equipment zu erfinden. Ich bin ein recht intelligenter Mensch, aber mein Wissen über Knoten beschränkt sich darauf meine Schuhe binden, einen Laufknoten und einen Kreuzknoten machen zu können. Ich binde diese Knoten so, wie andere es mir beigebracht haben; ich habe selber niemals eine eigene Art Knoten erfunden. Wenn ich versuchen wollte einen Knoten zu erfinden, der jemanden schnell und schmerzlos töten könnte, wüsste ich niemals wie ich das tun sollte. Wer auch immer diesen Knoten erfunden hat, verfügte über eine Art der Kreativität und Geschicklichkeit, über die ich nicht verfüge.

Aber wenn ich sie hätte, dann würde ich sie für anderes gebrauchen. Ich hätte es nicht nötig einen Weg, wie man mit einem Knoten töten könnte zu erfinden, weil ich niemals bereit dazu wäre in irgendeiner Weise an der Tötung einer gefesselten und wehrlosen Person teilzuhaben. Geschick und Einfallsreichtum sind nicht dasselbe wie Empathie und Fürsorge.

Und Liebe ist nicht das gleiche wie töten. Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht. Es ist genau so einfach.

1998 Jim Sinclair

 

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