Richard Ryder: Darwinismus, Altruismus und Schmerzfähigkeit

Richard Ryder: Darwinismus, Altruismus und Schmerzfähigkeit

Originaltitel: Darwinism, Altruism and Panience. Ein Vortrag den Dr. Richard Ryder im Sommer 1999 hielt, im Rahmen eines von der IVU veranstalteten Symposiums mit dem Titel: ‚Animals, People & the Environment’.

Übersetzung aus dem Englischen: Gita Yegane Arani. Mit der freundlichen Genehmigung von Dr. Richard Ryder.

Dieser Text als PDF – revidierte Fassung mit englischem Originaltext.

Das ganze Thema über den moralischen Status von Tieren tauchte zwischen 1918 und den 1960ern immer wieder latent auf. Diejenigen von uns, die dabei halfen das Thema in den 1960ern und 1970ern wiederzubeleben, begannen etwas, was in beachtlicher Weise über die Jahre zum Anwachsen kam. Ich persönlich setzte von Anbeginn an als eines der Argumente das Darwinistische ein. Darwin hat die konzeptionelle Kluft zwischen der Menschheit und den Tieren geschlossen.

Warum hat sich die viktorianische Gesellschaft so sehr über den Darwinismus empört? Ein Grund war sicherlich, weil er dem menschlichen Stolz einen Hieb versetzte. Menschen, und ganz besonders den steifen und selbstgefälligen Viktorianern, gefiel es nicht, sich selbst als ungebändigte und sexuelle Tiere zu sehen! Dies stand der ganz grundsätzlichen Essenz viktorianischer Kultur, die aus Selbstdisziplin und der Verneinung tierischer Impulse bestand, entgegen. Aber ein anderer Grund, warum der Darwinismus die Viktorianer empörte, war, wegen seiner nur halb verstandenen moralischen Implikationen. Die Viktorianer begriffen sich als sehr moralisch. Sie hatten einen ausgeprägten Moralsinn. Und sicherlich, sie hatten nun auch damit begonnen Tiere in ihr moralisches Schema einzufügen, aber bloß als „Bürger sehr zweiter Klasse“ – oder, vielleicht eher noch, als Bürger dritter, vierter oder fünfter Klasse. Es gab die oberen Klassen, die Mittelklassen, die Arbeiterklassen, Ausländer, „Eingeborene“ (ethnisch native) und dann vielleicht Tiere. Die Errichter des viktorianischen Empires und deren Gattinnen waren dafür bekannt, tierschützerische Gesellschaften in Indien, Afrika und im Fernen Osten zu errichten. Aber der gebotene Schutz war unzuverlässig und geschah auf herablassende Weise. Güte und Milde gegenüber Tieren sah man als Zeichen guter Manieren und Zivilisiertheit, aber die Implikation, dass Tiere und Menschen moralisch gleichstehend sein könnten, war schockierend; hatte Gott nicht die Menschen unter den Engeln stehend aber über den Tieren erschaffen, und zudem noch in seinem eigenen Ebenbild?

Darwin selber schrieb: „Tiere, die wir zu unseren Sklaven gemacht haben, betrachten wir nicht gerne als mit uns gleichstehend.“ Er sagte auch: „Die Liebe für alle lebenden Kreaturen, ist die edelste Eigenschaft eines Menschen.“

In bedeutender Weise aber schrieb er:

„Es gibt keinen fundamentalen Unterschied in den mentalen Fähigkeiten der Menschen und der höheren Säugetieren. Der Unterschied des Verstandes zwischen dem Mensch und den höheren Säugetieren, so groß wie er ist, ist mit Sicherheit nur einer des Grades, nicht aber der Art.“

Zwei wichtige moralische Implikationen können von Darwin abgeleitet werden. Die erste, die fälschlicherweise gezogen wurde, ist, dass da die Stärksten überleben, nur die Stärksten überleben sollten. Diese gefährliche Doktrin ist falsch in mehrerlei Hinsicht: Erstens ist es falsch zu argumentieren, dass „es ist so“, „es soll sein“ hieße – dass etwas gut wäre weil es natürlich ist – das wäre der sogenannte naturalistische Irrtum. Man könnte letztendlich auch argumentieren, dass Mord und Vergewaltigung „natürlich“ seien, aber daraus würde nicht folgen, dass diese Handlungen moralisch richtig wären. Zweitens ist die Doktrin falsch, weil Darwin tatsächlich sagt, dass es die (biologisch) fittesten sind die überleben, und nicht die stärksten. „Fittest“ [gut adaptiert] kann abhängig von den Umständen die sanftesten und mitfühlendsten bedeuten.

Die andere bedeutende moralische Implikation des Darwinismus ist, dass wenn, wie Darwin darlegt, es keinen fundamentalen Unterschied zwischen uns und den anderen (höheren) Säugetieren gibt, sollten wir dann nicht alle in die gleiche moralische Kategorie eingestuft werden? Wenn wir psychologisch und physiologisch gleich sind, warum dann nicht auch moralisch? Man kann davon ausgehen, dass der moralische Status von psychischen und physischen Eigenschaften abhängt. Wenn wir diese Eigenschaften zu einem Grad mit anderen Tieren teilen, dann ist die Moralität, die sich daraus ergibt auch die gleiche.

Ich verwendete dieses Argument seit dem Jahre 1970. Meine moralische Position, die ich als ‚Painism’ (Schmerzfähigkeit) bezeichne – da der Schwerpunkt auf der Kapazität des Individuums zum Erleiden von Schmerz und anderem von außen zugefügtem physischen oder psychischen Leids liegt – verläuft etwa so:

Grundsätzlich glaube ich, dass es falsch ist, irgendeinem Individuum, unabhängig von dessen Geschlecht, Rasse oder Spezies, Leid zuzufügen. Ich kann jedoch akzeptieren, dass dies gerechtfertigt sein kann im Zusammenhang sich daraus ergebender Vorteile für ein anderes Individuum. Aber die Aggregation der Schmerzen und Vorteile vieler Individuen, betrachte ich als bedeutungslos. Schmerz ist, in seinem weitesten Sinne, das was moralisch zählt; er unterliegt allen anderen moralischen Kriterien. Unser erster Belang sollte dem Individuum gelten, das am stärksten leidet.

Lassen sie uns die Ethik betrachten. Robert Garner – ein Politikwissenschaftler, der in hervorragender Weise über den Schutz nichtmenschlicher Tiere geschrieben hat, schrieb einst, dass meine ethische Position eine Synthese der utilitaristischen und der Rechts-Ansätze darstellt. Im weiteren wurde mir ein sehr beachtliches Kompliment vom Pro-Jagd Philosophen Roger Scruton gemacht, dass ich als dritter Mann in ein philosophisches Trio, das noch aus Tom Regan und Peter Singer besteht, hineingemengt werden könne. Die literarische Figur Michael Sissons hat mich sogar als „den führenden britischen Tierrechts-Intellektuellen“ beschrieben. Doch wie dem auch sei, ich entwarf den Begriff Speziesismus 1970, teilweise um zu vermeiden den Begriff „Rechte“ einzusetzen. Also wo genau stehe ich also? Bin ich ein ‚Rights’-Theoretiker oder ein Utilitarist oder noch etwas anderes? Das sonderbare ist, dass sich meine ethische Position nicht sehr verändert hat seit dem ich mich das erstemal 1969 im Namen der Tiere in den Kampf stürzte. In einem Brief an eine nationale Tageszeitung, in dem ich Tierversuche attackierte (eine Tageszeitung die interessanterweise heute nicht mehr so einen Brief veröffentlichen würde, so stark ist der unglückliche Rückschlag gegen Tierrechte durch einige Fraktionen des Rechten Flügels) schrieb ich derzeit:

„Es ist nicht oft hervorgehoben worden, dass seit Darwin, Wissenschaftler selber das Foltern anderer Spezies nicht besser legitimieren konnten, als man absichtlich begangene Gewalt gegen Menschen hätte legitimieren können, da sie ja selbst im Prinzip keine essentiellen Unterschiede zwischen dem Mensch und Tieren akzeptieren. Und es gibt in der Tat keinen Weg einen Gegenbeweis dazu zu erbringen, dass ein intelligenter Affe ein größeres Potential hat Schrecken, Elend der Langeweile zu erleben als zum Beispiel ein mental retardiertes Kind. Wird es nicht langsam Zeit, dass das bewundernswerte ethische Interesse der Zivilisation für Menschenrechte nicht in ganz logischer Weise auch auf unsere Nachbarspezies ausgeweitet werden sollte?“

Dieser Brief wurde am 7. April 1969 veröffentlicht. Am 3. Mai veröffentlichte ich einen anderen Brief im ‚Daily Telegraph’, mit dem Titel ‚The Rights of Non Human Animals’ [die Rechte nicht-menschlicher Tiere]:

„Die Frage der Tierrechte, kann eine Frage sein, in der unsere Nation so viel in der Welt anstoßen könnte, dass die zivilisierte Menschheit in der Zukunft auf unsere gegenwärtigen Ungerechtigkeiten mit so viel Grauen zurückschauen wird, wie wir es jetzt tun auf die Versklavung, die Kinderarbeit und die andere großen Problemkomplexe mit denen sich die Reformbewegungen unseres Jahrhunderts auseinandersetzen.“

Ich beendete diesen Brief, indem ich meine Hoffnung ausdrückte, „dass die Rechte nicht-menschlicher Tiere eines Tages ein echtes Thema bei den Wahlen bilden werden.“

1970 entwarf ich ein Flugblatt mit dem Titel Speziesismus – eine Idee die mir eines Tages im Badezimmer kam, und ich verbreitete dieses Flugblatt überall in Oxford. Ich erhielt überhaupt keinerlei Rückmeldung. Uneingeschüchtert fragte ich damals einen Freund, David Wood, darum, seinen Namen einer zweiten illustrierten Version des Flugblattes beizufügen, um so eine Universitätsadresse dabeistehen zu haben, und verbreitete so diese Version an den Colleges in Oxford. Und wiederum, keine Rückmeldung. Immernoch unerschrocken fuhr ich fort damit drei weitere Flugblätter zu schreiben (die auch von Clive Hollands veröffentlicht wurden), alle mit einem ethischen Thema, und alle attackierten den Speziesismus. In all diesen Flugblättern trat ich der Gewalt gegen Tiere entgegen und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Gleichheit zwischen den Spezies. Ich bezog mich dabei auf Darwin, identifizierte Schmerz als die wesentliche Verletzung und lehnte die Legitimierung der Zufügung von Leid und des daraus resultierenden Schmerzes für ein Individuum im Sinne der aggregierten Vorteile für Viele ab. Mein Kapitel in Animals, Men and Morals, herausgegeben von Stanley und Roslind Godlovich und John Harris, veröffentlicht 1971, enthielt ebenfalls diese Gedanken. Als ich mich, ich glaube in dem Jahr, das erste mal mit Peter Singer traf, erinnere ich mich, dass ich all das mit ihm bei mehreren Gelegenheiten diskutierte.

Ich liste dies alles auf, um zu erklären, dass sich meine ethischen Gedanken seit 1970 nicht wirklich viel verändert haben. Ich bin immer davon ausgegangen, dass Leid das grundsätzliche Übel ist, und dass das Individuum, nicht die Spezies oder die aggregierten Erfahrungen der Gruppe, den Fokus des ethischen Interesses bilden sollten.

Warum habe ich dann nicht einfach den Begriff „Rechte“ verwendet? Wie Sie wissen, macht das ethische Interesse für das Individuum einen wesentlichen Teil der Rechtstheorie aus. Ich denke die Antwort ist, dass der Begriff „Rechte“ 1970 eine stark negative Besetzung in Großbritannien hatte. „Rechte“ wurden in Zusammenhang gebracht mit Hausbesetzern und Schnorrern; mit denen die forderten, dass der Staat sich um sie kümmern müsse, ohne dass sie sich dabei Mühe geben sollten für sich selbst zu sorgen. Auch glaube ich, dass es historische Gründe gibt, warum das Wort in Großbritannien unbeliebt ist: es war ein Begriff der von Thomas Paine eingesetzt wurde, von den gefährlichen französischen Guillotinisten der 1790er, und natürlich von diesen verdammten amerikanischen Rebellen! Das ist warum die Briten diesen Begriff nicht mögen, und das sind einige Gründe warum ich mich für den Begriff „Speziesismus“ entschied. Aber auf einer rationaleren Ebene gab es andere Gründe dafür. Ich ging davon aus, dass Leute zu oft von „Rechten“ sprachen, als ob sie eine unabhängige Existenz besäßen – das erschien mir wenig durchdacht. Zweitens sah ich mich selbst nicht als einen moralischen Revolutionär, sondern hatte einfach den Wunsch, eine konventionelle, christlich-basierende Ethik auszuweiten, um die anderen Tiere darin mit einzubegreifen. (Ein prägender Moment meines Lebens war als meine Mutter zu mir als Kind sagte „Menschen sind auch Tiere, weißt du das nicht?“). 1970 fühlte ich auch, dass man einen gigantischen Fehler begangen hatte. Die Nichtmenschen sind durch eine kategoriesche Außerachtlassung aus der moralischen Gemeinschaft ausgeschlossen worden – meine Meinung dazu hat sich nicht geändert. Und es macht mich wütend! Schließlich war ich Teil der moralischen Bewegung in den 1960ern, die sich gegen die Ungerechtigkeit, gegen sexuelle Unterdrückung und Ungleichheit in der Gesellschaft stellte, und wir begannen uns nun zunehmend mit der Umwelt zu befassen. Nach den Attacken gegen Rassismus und Sexismus schien es mir nun als allzu logisch den Speziesismus ebenfalls zu attackieren.

Die Oxforder Gruppe veröffentlichte also mehrere Bücher, Flugblätter, Straßenposter, Radio- und Fernsehsendungen und wir hatten das Glück ernst genommen zu werden, nicht nur von dem jungen Peter Singer, sondern auch von Tom Regan.

Was ich damals sagte und was ich jetzt noch sage ist, dass es prima facie falsch ist, irgendeine Art des Leids zu verursachen, ohne Zustimmung; gleich welchem Individuum, und ungeachtet dessen Geschlechts, der Ethnizität, der Spezies oder in der Tat seiner ‚configuration’ [Art der Gestalt]. Mit dieser letzten Kategorie meine ich, dass schmerzfähige Außerirdische oder schmerzfähige Maschinen, wenn sie jemals hier existieren sollten, mit in die moralische Gemeinschaft eingeschlossen werden sollten. Sie sollten das Recht erhalten, dass ihnen kein Leid zugefügt werden darf. Die essentielle Qualifikation für Rechte ist die Schmerzfähigkeit – die Fähigkeit Schmerz, oder anderes, von außen zugefügtes, physisches oder psychisches Leid in irgendeiner Form zu erfahren.

Painience’ – Schmerzfähigkeit

Ich habe, vielleicht weil ich Psychologe und Ethiker bin, lange und intensiv über Schmerz und anderes von außen zugefügtes physisches oder psychisches Leid nachgedacht. Nicht allein die ganze Freudsche Tradition mit ihrer Betonung auf Freude, positive Erfahrungen, aber auch der Behaviorismus mit seinem vorherrschenden Interesse für die Belohung und Bestrafung, basieren beide auf Erfahrungen von Schmerzen und Freude. Während die Psychologie anerkennt, dass es ein weites Spektrum von Schmerzen gibt, behandelt sie alle verschiedenen Arten des Schmerzes als in auffallender Weise gleich, ihn ihren Effekten auf das Verhalten. Das ist warum ich, wenn ich von Schmerz spreche, alle Formen von Leid meine, nicht nur den sogenannten „physischen“ Schmerz, sondern auch emotionalen, kognitiven, ästhetischen und jede andere Art von Schmerz. Es ist nicht nur so, dass alle Arten des Schmerzes das Verhalten negativ Verstärkend beeinträchtigen, sondern wir erfahren auch eine Gleichheit zwischen den Schmerzformen: wir alle mögen Schmerzen nicht. Also ergibt es Sinn für mich als Psychologen, alle Formen von Leid als ‚Schmerz’ zu bezeichnen, und es ist das Wort das ich gebrauche. Sonderbarerweise gibt es keine spezifischen Wörter im Englischen um „die Kapazität, Schmerz oder anderes Leid zu erfahren“ zu beschreiben, oder „fähig zu sein, Schmerz oder anderes Leid zu erfahren“ oder „einer der fähig ist, Schmerz oder anderes Leid zu erfahren“. Aus diesem Grund also verwende ich respektiv die Wörter „painience“ (Schmerzfähigkeit) und „painent“ (schmerzfähig). Die Zeit ist reif dafür, dass wir über Wörter verfügen sollten, diesen wichtigsten Bereich unseres Lebens zu beschreiben. Ich bin überzeugt, dass dies auch für die Ethik von zentraler Bedeutung wäre. Und in diesem einen Punkte bin ich definitiv mit dem Utilitarismus einig: alle schlechten Dinge sind schmerzhaft and alle guten Dinge das Gegenteil davon. (Ich werde ‚Freude’ und ‚Glücklichkeit’ später noch erwähnen.) Es ist manchmal deprimierend, das sogenannte moralische Argument zu hören, das immernoch Kriterien wie: Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden oder Freiheit als grundsätzliche Tests dafür betrachtet, was moralisch falsch und richtig ist. Sicher sind diese doch nur Trittsteine entfent vom Schmerz? Die Abwesenheit von Demokratie oder Gerechtigkeit oder Frieden und Freiheit, verursachen normalerweise Schmerz (in meinem weiten Sinne des Wortes). Das ist warum wir deren Abwesenheit dieser Dinge als schlecht betrachten. Sie sind bloß die Mittel um ein Ziel zu erreichen, und das Ziel ist immer dasselbe – die Vermeidung und Reduzierung von Schmerz. All diese Dinge stehen sekundär zum Schmerz. Schmerz ist die grundlegende Essenz des Übels.

Als Psychologe habe ich oft Leute daraufhin befragt, was es ist, das sie versuchen zu vermeiden. Wenn sie antworteten: „meine Schwiegermutter“ oder „zu viel Pop-Musik“ oder „matschige Erbsen“ oder „Tyrannei“, fragte ich sie: „Warum vermeiden Sie das?“ Und ich fuhr fort, sie weiter mit meinen Fragen „warum, warum, warum“ zu nötigen. Und natürlich endeten wir immer bei derselben Antwort. Diese Dinge verursachen Schmerz, in weiteren Sinne. Wie alle Tiere, sind wir Freudesuchende und Schmerzvermeider.

Ich werde nun kurz zwei wichtige ethische Probleme betrachten. Ich bezeichne sie als das Aggregationsproblem und das Ausgleichs- / Austauschsproblem.

Das Aggregationsproblem

Ich glaube es ergibt nicht viel Sinn die Schmerzen einer Anzahl von Individuen zu aggregieren. Das ist so, wie das zusammenzählen von Äpfeln, Fernsehern und Ulster Unionists. Was soll der Zweck sein? Die Schmerzen eines jeden Individuums stellen ein einmaliges, eigenständiges Gebilde dar, und das ist vollständig getrennt von dem Schmerz eines anderen. Einen Schmerz zu erfahren und „bloß“ eines Anderen Schmerzen zu beschreiben, sind ganz verschiedene Dinge. Die Grenzen von Schmerzfähigkeit, sind die Grenzen des Individuums. Das Bewusstsein selbst, tritt nicht über diese Grenzen. Und auch der Schmerz tut es nicht. Um jedes schmerzfähige Individuum, gibt es eine Barriere die sowohl psychologisch und moralisch von höchster Wichtigkeit ist. Wir können nicht wirklich genau denselben Schmerz wie andere erfahren. Die Schmerzen von anderen sind nur die leeren Schalen eines Phänomens. Ich kann niemals denselben Schmerz erfahren, den Sie erfahren, also ergibt es keinen Sinn meine realen Schmerzen zu den unrealen Schmerzen anderer hinzuzufügen oder die Schmerzen eines Individuums mit denen eines anderen zu addieren.

Nun, ich glaube unser Hauptbelang sollte dem Schmerz des Individuums gelten, das das am meisten leidende ist (‚maximum sufferer’). Dies hat wesentliche Implikationen: die Zufügung, zum Beispiel, von „zehn Einheiten“ von Schmerz bei einem Individuum ist meiner Ansicht nach viel schlimmer als die Zufügung „einer einzelnen Einheit“ von Schmerz bei jeweils einem Einzelnen von eintausend individuellen Erleidenden, auch wenn die Gesamtzahl ihrer aggregierten Schmerzen hundertmal höher ist. In anderen Worten, die Agonie eines Einzelnen bedeutet moralisch mehr als die Unbequemheit einer Million Individuen.

Wir akzeptieren also nicht die Aggregation von Schmerzen und Freuden, was ein Bestandteil des Utilitarismus ist. Aber wir kommen nun zu noch einem größeren Problem. Es wird hier als das Trade-Off-Problem [das Austauschsproblem] bezeichnet.

Das Austauschsproblem

Wie können wir rechtfertigen, Schmerz bei (A) zu verursachen um den Schmerz von (B) zu reduzieren? Der Austausch ist nicht das gleiche wie die Aggregation. Austausch kann allein zwei Individuen (A) und (B) beinhalten, statt einer ganzen Anzahl von Individuen. Wir können nicht ernsthaft argumentieren, dass es niemals gerechtfertigt ist, gegen die Rechte des Individuums durch eine Verursachung von Schmerz zu verstoßen. Bedenken Sie den extremen Fall, in dem wir (B) vor Todesqualen retten indem wir ein minderes Unwohlsein bei (A) verursachen. Sollte das mit Sicherheit zulässig sein? Wenn wir zum Beispiel einen Sadisten dabei überraschen, wie er ein Kind quälen will, ist es uns dann nicht erlaubt den Sadisten im Mindesten verbal zu drohen, so dass er von dem Kind ablässt? Wir haben dem Sadisten ein geringes Unwohlsein verursacht, ihn von seinen Handlungen abgehalten und ihn erschreckt, aber haben wir keine Rechtfertigung ihm dieses geringe Maß von Schmerz zuzufügen? Sie mögen sagen, dass der Sadist kein unschuldiges Individuum war, und das Kind es war. In anderen Worten, dass die Schuld des Sadisten uns dazu rechtfertigt, ihm einen minderen Schmerz zuzufügen. Na gut, bedenken Sie dann den Fall eines sehr dicken gehirngeschädigten Mannes, dem es nicht bewusst ist, dass er gerade auf einem Kind sitzt und es praktisch fast zu Tode drückt. Sind wir nicht gerechtfertigt dazu ihn anzuschreien, um das Kind zu retten? Ist es uns nicht im Rahmen unserer Ethik gestattet, den dicken Mann aufzuschrecken um das Kind vor extremen Schmerzen zu retten? Wenn wir akzeptieren, dass wir dies im Rahmen unserer ethischen Regeln tun können, wie können wir dann dieses Austauschsprinzip formulieren?

Das ist ein Härtepunkt für alle ethischen Theorien, und zwar ist der Kern des Problems folgender:

In wie weit rechtfertigt die Reduktion des Schmerzes von (A) das Zulassen von Schmerz bei (B)? In wie weit ist es möglich die Schmerzen von (B), gegen die Vorteile von (A) auszutauschen?

Lassen Sie uns ein paar weitere Fälle anschauen. Erstens, Sie sind ein Lehrer/eine Lehrerin und Sie sehen einen großen Jungen dabei, wie er einen kleinen Jungen auf dem Schulhof schikaniert. Trotz Ihrer verbalen Aufforderungen hört der tyrannisierende Junge nicht auf, den kleinen Jungen gewaltsam zu schikanieren, also schreiten Sie selber physisch ein. Sie verursachen dem Provokateur geringe Unannehmlichkeiten indem Sie ihn erfolgreich zurückhalten. Ist das gerechtfertigt?

Sie nehmen den Schmerz von Opfer (A) aber verursachen mindere Unannehmlichkeiten für den Provokateur (B).

Zweitens, Sie sind Präsident der Vereinigten Staaten und sehen einen Tyrannen namens Milosevic der Kosovaner tyrannisiert. Also bombardieren Sie Milosevic aber töten und verletzen unbeabsichtigt einige unschuldige serbische Zivilisten. Ist das gerechtfertigt?

Wenn die Bombardierung nicht sofort den erwünschten Effekt hat um die Tyrannisierung der Kosovaner durch Milosevic zu stoppen, mindert diese Tatsache die Rechtfertigung für die Bombardierung?

Drittens, Sie sind ein Wissenschaftler der ein sehr schmerzvolles Experiment an einem Hund durchführt, um ein besseres Gesichtspuder zu entwickeln. Sie finden die gewünschten Ergebnisse bei Ihrer Forschung nicht heraus, aber zufällig eröffnet sich durch das Experiment eine Heilmethode für eine seltene Form von Krebs. Macht diese Wendung ein ungerechtfertigtes Experiment zu einem gerechtfertigten?

Beachten Sie, dass wir immer noch die gleiche grundlegende Frage stellen – ist der Schmerz des Hundes, der Schmerz der Schikanierenden oder der Schmerz eines serbischen Zivilisten durch die faktischen (oder die beabsichtigten) Vorteile anderer gerechtfertigt?

Schließlich, Sie sind ein Tierrechtsfanatiker und sprengen ein Laboratorium in dem Tiere in LD50-Tests verwendet werden. Indem Sie das tun, verzögern Sie die Testung aber verletzen ernsthaft einen der Laboratoriums-Experimentateure und einen Hund. Ist das gerechtfertigt?

Beachten Sie, dass in all diesen Fällen ein möglicher Austausch von den Schmerzen von (B) und den Vorteilen von (A) besteht.

Ich habe, um diese Frage interessanter zu machen, mit Absicht einige komplizierte Faktoren mit einbezogen, z.B. den Unterschied zwischen den tatsächlichen, faktischen oder den beabsichtigten Effekten einer Handlung, nochmals die Frage der Unschuld, den Grad oder die Intensität von Vorteil und Schmerz und natürlich der Unterschied der Ethnizität oder Spezies.

Ich möchte mich durch all diese Fragen heute nicht ablenken lassen, da zum größten Teil diejenigen von uns, die über Tierethik diskutieren wollen, sich über diese anderen Fragen ziemlich einig sind. Im Mindesten bin ich mir in meiner eigenen Meinung darüber schlüssig, dass es die tatsächlichen Konsequenzen einer Handlung sind, und nicht die Motive, die normalerweise ausschlaggebend sind, dass Unschuld stark ambiguös ist, und natürlich, dass Ethnizität und Spezies moralisch irrelevant sind.

Worauf ich mich aber konzentrieren möchte, ist die gemeinsame zugrundeliegende Idee in all diesen vier Fällen, dass eine Verursachung von Schmerz bei (B) durch die guten Effekte auf (A) gerechtfertigt sein kann.

Für Utilitaristen ist das Austauschsproblem leicht beantwortet. Wenn ich durch die Menge x an Verletzung von (B) Vorteile für (A) schaffe, die größer sind als x, dann ist meine Handlung ein gute.

Für die meisten anderen Arten von Ethikern ist die Austauschsfrage ein Albtraum. In der Tat ist es das zentrale Problem in der Ethik. Da eine Ursache normal dem Effekt vorangeht, ist es besonders schwer, weil die Effekte meiner Handlungen in der Zukunft liegen und die Zukunft in einem gewissen Maße immer unvorhersehbar ist. In der Weise ist man immer über den Grad von Schmerzen und Vorteilen, die eigene Handlungen verursachen werden, ungewiss.

Umso größer die zeitliche Spanne zwischen der Handlung und dem Effekt ist, umso stärker ist normalerweise die Ungewissheit. Wenn ich (B) nun verletze um (A) in der Zukunft zu helfen, dann kann die Hilfe für (A) besonders ungewiss sein. Ist es in Ordnung (B) zu verletzen um (A) zu helfen, wenn (A) unschuldig ist und (B) nicht? Ist es in Ordnung Serben in Uniform zu bombardieren um nicht-uniformierten Kosovo-Albanern zu helfen? In welcher Form verleiht eine Uniform Schuld? Das scheint eine grobe Art der Gerechtigkeit zu sein, vor allen Dingen da ein bestimmtes Individuum in dieser Uniform ein zwanzigjähriger Wehrpflichtiger sein könnte, der niemals jemanden etwas angetan hat. Wir sagen normalerweise, dass Schuld nur erwiesen werden kann durch den Gang des Gesetzes – nach einem gemäß durchgeführten Gerichtsverfahren. Man kann aber nicht so einfach ein Gerichtsverfahren in einem Flugzeug, das sich Tausende von Metern in der Luft befindet, durchführen.

Also nehmen Sie an wir ignorieren Schuld und Unschuld. Wir sehen Berichte über Serben die Albaner tyrannisieren. Also, nachdem wir es nicht geschafft haben die Tyrannei durch Diplomatie zu stoppen, schreiten wir ein, indem wir Serben verletzen um den Albanern zu helfen. Hat das den gewünschten Effekt? Nun, die Serben beschleunigten ihre ethnische Säuberung. Ich möchte betonen, dass ich nicht versuche die Rolle der NATO im Kosovo-Krieg abzuwerten. Ich finde, dass wir eine Pflicht hatten zu tun was wir konnten um Milosevic zu stoppen, und dass die zivilisierte Welt viel zu spät mit militärischen Mitteln gehandelt hat um ihn in Bosnien in den frühen 90ern zu stoppen, aber der Kosovo-Krieg ist ein sehr anschauliches Beispiel des Problems dem Ethiker in der Praxis gegenüberstehen.

Woher kommt Altruismus?

Es wird gewöhnlich angenommen, dass jede gemeinsame menschliche Eigenschaft – so wie die Gefühle von Mitgefühl oder Sympathie – sich entwickelt haben muss, weil sie einen Überlebenswert für unsere Gene hat. Ich habe dies immer in Frage gestellt. Denn sicher ist es theoretisch auch möglich, dass einige unserer gemeinsamen Gefühle, Neigungen und Verhaltensweisen sich zufällig entwickelt haben, als Nebenprodukt von Verhaltensweisen oder physischen Eigenschaften unseres Gehirns die einen Überlebenswert besitzen. Vielleicht ist jemand unter den Zuhörern der das widerlegen kann. Soweit habe ich keinen Biologen getroffen der mir auf diese Frage eine befriedigende Antwort geben konnte.

Man kann sehen, dass zum Beispiel Mitgefühl und Schutzverhalten gegenüber den eigenen Kindern (ich bezeichne das das „elterliches Verhalten“) klar einen Überlebenswert haben müssen. Ein Kleinkind wird eher überleben und somit meine Gene weitergeben, wenn ich für das Kind sorge, es füttere und warm und sauber halte. Also kann elterliches Verhalten einfach in evolutionären Begriffen verstanden werden. Ist es nicht möglich, dass ein gleiches Verhalten gegenüber Anderen, einfach ein Überfluss an solch einem „elterlichem Verhalten“ ist? Wie erklären wir Güte gegenüber Anderen, vor allen Dingen menschliche Güte für Individuen anderer Ethnizitäten und auch anderer Spezies?

Ist es bloß eine Anwendung eines einzigen Prinzips? Wir glauben an das Prinzip von Mitgefühl, und so wenden wir es in cooler Art und rational an. Ich denke in der Tat, dass dies für einiges an Gütem die wir gegenüber anderen zeigen, Rechnung trägt. Ich habe häufig Geld für eine Gute Sache, ohne das Gefühl eines bewussten Mitgefühls in dem Moment, gegeben. Ich sage mir selber: „komm, du glaubst daran, dass es richtig ist anderen zu helfen, also mach es.“ In anderen Situationen bin ich natürlich zutiefst bewegt durch die Not anderer und möchte ihnen unbedingt helfen. Manchmal, wie dem auch sei, helfe ich nicht. Wie oft haben wir uns erschüttert gefühlt, wenn wir hungernde Kinder im Fernsehen gesehen haben? Haben wir uns jedes Mal daran erinnert einen Scheck in ein Kuvert zu tun und ihn an die angegebene Adresse zu schicken? Ich weiß, dass ich es oft nicht tat.

So ist hier ein prima-facie-Beweis, sowohl von altruistischem Verhalten unbegleitet von dem Gefühl: „Mitgefühl“, und seinem Korollarium: „Mitgefühl“, unbegleitet von Altruismus.

Evolutionisten haben einen ziemlich beängstigenden Grund für Altruismus ersonnen. Sie sagen, dass er sich auszahlt, weil manchmal die Vorteile unseres Altruismus eines Tages das Kompliment erwidern können. Die Vorteile unseres Altruismus werden uns also helfen. Also ist unsere Kapazität Mitgefühl für andere zu fühlen, uns angeboren weil es einen Überlebenswert für uns und unsere Gene hat. Natürlich kann das alles unbewusst sein. Alles worüber wir uns bewusst sind, ist unser Gefühl von Mitgefühl für die hungernden Kinder. Aber kann diese Erklärung Rechnung tragen für unser Gefühl der Mitfühlsamkeit gegenüber nichtmenschlichen Tieren?

Ich nehme an – da ich die Ergebnisse von verschiedenen Meinungsumfragen über die Jahre kenne – dass die meisten Leute in diesem Raum starkes Mitgefühl empfinden würden, wenn sie ein offensichtlich hungerndes Katzenbaby auf diesem Podest sehen würden. Wenn ich dann beginnen würde das Katzenbaby zu foltern, würde das Gefühl des Mitgefühls schnell zu Zorn werden und ich würde nicht lange unversehrt davonkommen. Dies würden sehr starke Gefühle sein. Es sind die Art von Gefühlen, die mich entgegen vieler Schwierigkeiten viele Jahre angetrieben haben, so kenne ich das Gefühl aus erster Hand.

Ich mag mich irren, aber ich denke nicht, dass die Erklärung der Evolutionspsychologen allein dieses starke Verhalten erklärt. Die Theorie muss zumindest ergänzt werden. Ich meine, bei Katzenbabies besteht nicht die Wahrscheinlichkeit, dass sie reziprok meinen Genen zum Überleben helfen, also warum fühle ich Mitgefühl für sie? Warum fühle ich Mitgefühl für Frösche, Mäuse, selbst für Raupen und Würmer? Es tut mir leid, aber die gegenwärtige Theorie über reziproken Altruismus erklärt meine Gefühle von Mitgefühl für solche Wesen nicht in überzeugender Weise und auch nicht meine kleinen Handlungen von Altruismus ihnen gegenüber.

Im aller mindesten müssen wir davon ausgehen, dass eine natürlich selektierte Tendenz – Altruismus – über die Grenze gelaufen ist (‚overspill’). Dabei ist dieser Überlauf sehr weit verbreitet. Andere Spezies zeigen auch teils fürsorgliches Interesse über die Speziesbarriere hinweg.

In meinem Buch ‚Animal Revolution’ habe ich 1989 argumentiert, dass unsere Behandlung nichtmenschlicher Tiere den Inbegriff dessen darstellt, was das Beste und das Schlechteste in der menschlichen Natur ist. Ich argumentierte, dass sowohl unser Mitgefühl und unsere Grausamkeit in uns ‚eingebaut’ sind. Das Kind, das ein Katzenbaby liebt, kann es spontan beginnen zu quälen. Das ist, man kann sagen das Gute und das Böse in allen von uns. Unsere Lebenserfahrungen können eine oder beide dieser Tendenzen akzentuieren oder unterdrücken. Nehmen wir den allgemeinen Kult des Machismo zum Beispiel. Er scheint jetzt sowohl Frauen wie auch Männer zu betreffen. In fast jeder Kultur vermittelt man Leuten das Gefühl, dass sie sich für ihr Mitgefühl schämen sollen. Ihnen wird gesagt, dass es nicht „männlich“ ist Güte zu zeigen. Das ist furchtbar! Es ist einer der Ursachen für Krieg: die kulturell hervorgerufene Idee, dass Mitgefühl oder ethisches Interesse für einen anderen Standpunkt zu zeigen, ein Zeichen von Schwäche ist. So ist Machismo einer der kulturellen Feinde des Mitgefühls. Ein anderer ist Snobismus. Sehen sie sich die Leute an, die es besser wissen müssten, die gegenwärtig die Fuchsjagd unterstützen, einfach weil sie denken, dass es sie ‚upper class’ erscheinen lässt. Wenn sie bloß ein bisschen über die Geschichte wüssten, dann würden sie wissen, dass, als die Fuchsjagd begann, von der Aristokratie auf sie herabgeschaut wurde als ein Zeitvertreib von Landarbeitern und ‚vulgarians’ – Lord Chesterfield bezeichnete die Fuchsjagd als „the sports of boobies“! Der Sport dessen, der auf der sozialen Leiter raufklettert!

Also was ist dann Moralität? Ich denke das es Vernunft auf der Grundlage von Mitgefühl ist. Und was ist Mitgefühl? Es ist die Fähigkeit sich mit anderen zu identifizieren und danach zu streben, ihr Leid zu vermindern – ungeachtet dessen, ob sie die Zugehörigkeit zu unserer Spezies teilen oder nicht. Wir leben in einer Gemeinschaft von Schmerz, und wir teilen ihn mit all den schmerzfähigen Wesen im Universum.