Nivea Mullings: Rassismus und Speziesismus im Zeitalter von Black Lives Matter konfrontieren

Rassismus und Speziesismus im Zeitalter von Black Lives Matter konfrontieren

Nivea Mullings

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Originaltitel: Confronting Racism & Speciesism In The Age of Black Lives Matter, http://www.blackvegandiaries.com/blog/confronting-racism-speciesism-in-the-age-of-black-lives-matter , Stand 12.04.2018. Übersetzung: Gita Yegane Arani, mit der freundlichen Genehmigung der Verfasserin.

In den letzten paar Monaten seitdem ich vegan bin, habe ich erkannt, dass beides, sowohl schwarz als auch vegan zu sein, bedeutet einen sehr einmaligen sozialen Raum einzunehmen. Ehrlich gesagt kann das ein sehr frustrierender, angst-erzeugender Ort sein, an dem man sich dabei befindet. Schwarz zu sein bedeutet auf der einen Seite, rassistischen Diskriminierungen auf zahlreichen Ebenen ausgesetzt zu sein. Das ist ein Punkt, den ich nicht bereit bin als Streitfrage zu behandeln, denn es ist einfach eine Tatsache. Es ist meine gelebte Erfahrung und es ist die gelebte Erfahrung derer, die ich liebe und zahlloser schwarzer Menschen auf der ganzen Welt. Dies wurde analysiert, erforscht, ist Studiengegenstand und darüber wurde und wird immer wieder geschrieben. Ich betrachte also jedes Argument, das dem widerspricht, als eine willkürliche Ignoranz, die von einem tiefen Mangel an Empathie zeugt.

Es ist emotional belastend immer wieder klar zu stellen, dass mein Leben etwas bedeutet. Es ist schmerzvoll, gleichzeitig schier endlose Reihen von Menschen zu betrauern, die durch die inhärent rassistischen Systeme unseres Landes zu Opfern werden, während du im gleichen Moment dazu gezwungen bist, die Existenz eben dieser Systeme an aller erster Stelle überhaupt zu beweisen. So etwas nagt an dir, jeden Tag in Angst zu leben, dass du oder jemand den du liebst der Nächste sein könnte. Aus diesen Gefühlen ist die Black Lives Matter Bewegung entstanden. Sie ist ein notwendiger Protestaufruf angesichts massenhafter Inhaftierungen, der Anwendung systemisch-institutioneller Gewalt, bewusster Vernachlässigung und sinnloser Tode. Wenn Leute dem nun entgegenhalten „Nein, es sind nicht nur die Leben Schwarzer, die zählen, sondern ALLE Leben zählen“ ist es sehr schwer nicht wütend zu werden. Denn lasst uns ehrlich sein, das ist eine leere, beschränkte, willkürlich ignorante und mitgefühlslose Reaktion auf einen versichernden Nachdruck auf den Wert des Lebens Schwarzer. Um ehrlich zu sein, es ist es ein Schlag ins Gesicht.

Wenn ich dieser Haltung in der veganen Bewegung begegne, dann fühle ich mich schlichtweg zornig, tief frustriert, verärgert und verletzt. Und es sind nicht einfach die zahllosen Tiermemes mit „All Lives Matter“, mit denen sich jemand umgibt – es ist die anti-schwarze Gesinnung, aus dem dieser Satz plötzlich herrührte. Es ist die Tatsache, dass die Leute die diese Memes posten, auch glauben, dass Schwarze Menschen eigentlich über nichts herumheulen, und dass die wahren Opfer die armen, hilflosen Tiere sind, denen wegen der Nahrungsmittelproduktion und dem Profit Gewalt angetan wird.

Das ist eine direkte Zurückweisung und Verurteilung einer Bewegung, die aus einer Situation echter Unterdrückung entstand, und diese Reaktion verblüfft mich. Es erstaunt mich, dass es Menschen gibt, die dir die Funktionsweisen der Systeme, die Gewalt gegen Tiere ausüben, genaustens erklären können, die aber keine zwei Schritte weiter denken können um zu erkennen, wie genau dieselben Systeme auch das Leben von Menschen anbetrifft. Weitaus schlimmer, eine echte Kenntnis der Geschichte zeigt, dass diese Systeme, die barbarische Art und Weise, mit der Tiere zur Generierung von Profit behandelt werden, an den Körpern meiner Vorfahren perfektioniert wurden.

Tatsächlich wurden versklavte Frauen dazu gezwungen, weitere Sklaven für den Sklavenhalter zu gebären. Die Körper meiner Vorfahren wurden benutzt, misshandelt und man hat sich ihrer entledigt, alles unter Berücksichtigung dessen, wie viel Ernte und somit wie viel Geld man durch ihre Arbeit generieren konnte. Es ist witzig, denn viele vegane Mainstreamorganisationen wie PETA, sind sich dieser Geschichte sehr bewusst, denn sie verwenden die Vergleiche um ihre Argumente zu stützen, weshalb Menschen – und insbesondere farbige Menschen/People of Color – vegan werden sollten. Doch hier ist das Problem: Genau sie sollten diese Vergleiche nicht machen. [1]

Es gibt einen Grund, warum Schwarze Menschen immer noch sehr empfindlich darauf reagieren, mit Tieren verglichen zu werden. Zum einen, ist der direkte Vergleich mit Affen [2] eine besonders furchtbare Art gewesen, mit der Rassisten uns entmenschlichen wollten. Aber mehr noch als das, entgegen dem was viele Amerikaner gerne glauben wollen, existieren die Verheerungen von Sklaverei nicht einfach in einer fernen Vergangenheit, die keinerlei Folgen für unsere Gegenwart hätten. Wir sehen die Spuren in unserem Masseninhaftierungssystem, wir sehen sie jedes Mal, wenn ein unbewaffneter Mann, eine Frau oder ein Kind von Staatsdienern getötet werden, die eigentlich bezahlt werden, um Menschen zu schützen. Und selbst wenn wir nicht immernoch gegen rassistische Diskriminierungen an unseren Schulen, unseren Arbeitsplätzen, bei der Wohnungssuche, in den Banken und innerhalb so vieler Bereichen unseres Lebens kämpfen müssten – der Schmerz, das Leid und das Trauma, das von unseren Vorfahren durchgemacht wurde, ist tatsächlich in unsere DNA übergegangen. [3]

Wir sehen auch wie es den Leuten ganz egal ist, wie sie uns klarmachen, dass sie mehr Mitgefühl bei dem Tod von Tieren empfinden, als bei dem Tod Schwarzer Menschen. Wir haben mehr Empörung beim Tod von Harambe bezeugen dürfen, als beim Tod der siebenjährigen Aiyana Stanley-Jones oder beim zwölfjährigen Tamir Rice. Ungeachtet von Videobeweisen, findet Gerechtigkeit beim Tod unbewaffneter Bürger – deren einziges Verbrechen es war dem falschen Polizisten über den Weg gelaufen zu sein – ganz selten satt. Wir trauern seit Jahrhunderten, und unsere Trauer geht immer weiter.

Gleichzeitig wäre es unaufrichtig einfach zu behaupten, dass die Vergleiche nicht berechtigt wären. Denn es ist wahr, so wie es Firmen gibt, die auf großen Geldbergen sitzen, die sie durch die Zwangsversklavung Schwarzer Menschen erworben haben, so sind da die Unternehmen, die das Geld sammeln unter dem Gebrauch derselben Taktiken und der gleichen Art der inhumanen Behandlung im Bezug auf Tiere. Das erste Mal, als ich hörte wie Kühe zwangsgeschwängert werden, musste ich sofort an das Buch „Killing The Black Body“ der Juraprofessorin Dorothy Roberts denken, in dem sie schreibt:

„Einige Sklavenbesitzer praktizierten auch Sklavenzucht, indem sie Sklaven, die sie als ‚erste Güte’ einstuften, zwangen sich gemeinsam fortzupflanzen, in der Hoffnung, dass diese besonders geeignete Kinder für die Arbeit oder für den Verkauf produzieren würden.“

Auch schreibt sie,

„Da eine gebärfähige Frau für ihren Herren mehr Wert hatte, wurden diese Frauen seltener an einen neuen Besitzer verkauft … Frauen die keine Kinder bekommen konnten, wurden hingegen häufig verkauft – oder schlimmeres. Sklavenbesitzer, die sich über den Verlust ihrer Investition ärgerten, rächten sich auf grausame physische und psychische Weise an ihren unfruchtbaren weiblichen Sklaven.“

Dieser gründlich recherchierte, ergreifende Text beschreibt weiter wie Schwarze Körper, und dabei insbesondere weibliche Schwarze Körper, immer wieder staatlicher Kontrolle ausgeliefert waren, durch erzwungene und auferlegte Geburtenkontrolle, die erzwungene Trennung von ihren Kindern und weiteres. Als Schwarze Frau weiß ich, was mein Körper und die anderen Körper Schwarzer Frauen vor mir für dieses Land bedeutet haben. Es ist eine erschreckende Geschichte der Ausbeutung, der Gewalt und der Ausübung von Kontrolle.

Aber unter Berücksichtigung all des Gesagten, muss ich doch auch sagen, ich fühlte mich wirklich zutiefst erschüttert, als ich das erste Mal ein Video sah, in dem eine Kuh verzweifelt ihren neugeborenen Jungen hinterherläuft, die Abtransportiert wurden zum Schlachthof. Ich fühle mich völlig angewidert von der Vorstellung, dass Kühe zur Produktion von Milch fortwährend künstlich besamt werden, da logischerweise nur die Kühe, die gerade ein Junges geboren haben, Milch produzieren. Wenn ich die magenumdrehenden beengten, unhygienischen Zustände sehe, in den denen die Tiere vor ihrer Schlachtung gehalten werden, kann ich mir nicht nur nicht vorstellen sie als Nahrungsmittel zu verzehren, sondern ich bin auch zornig darüber, dass sie überhaupt so behandelt werden. Es fühlt sich für mich als völlig entgegengesetzt zu meinen Werten an, diese Art des systemischen Umgangs mit marginalisierten menschlichen Bevölkerungsgruppen zu verurteilen und gleichzeitig so etwas zu unterstützen, allein damit ich Speck essen kann.

Zu sagen, dass mich das veganwerden verändert hätte ist ein Understatement, denn auch ich habe einst gedacht, dass Tiere unter mir stünden und ich habe wenig Aufmerksamkeit auf die Schrecken der heutigen Tieragrarkultur gelenkt. Aber nun habe ich bereits zu viel gesehen und ich weiß zu viel. Mein Bauchgefühl, Vergleiche zwischen der Behandlung von Tieren und der historischen und kontinuierlichen Misshandlung meiner eigenen Leute zu machen, rührt nicht aus einem Winkel der Entmenschlichung oder der Verharmlosung. Es rührt aus einem Raum echter Empathie für andere Lebewesen, die ganz genauso imstande sind Angst, Schmerz und Verzweiflung zu empfinden. Es rührt aus einem Wissen über die inhumanen Systeme, die mit Körpern handeln, mit menschlichen sowie mit tierlichen Körpern gleichermaßen, zum alleinigen Zweck der Generierung unternehmerischer Profite. Der Vergleich steht, weil das System uns damals wie heute wie Tiere behandelt und weil keine dieser Formen von Gewalt okay sind.

Schlussfolgernd muss ich sagen, dass wenn PETA und andere bekannte vegane Organisationen und Personen sich das Leid von Schwarzen, von nordamerikanischen Indianern und anderen historisch unterdrückten Menschen dienlich machen, um so ihre Agenda voranzutreiben (und so ehrenwert wie dies sein mag, aber eine Agenda bleibt eine Agenda), fühlt sich das ausbeuterisch und respektlos an, weil es nicht die Konsequenz eines echten Mitgefühls darstellt. Der Quelle dieses Mitgefühls für Tiere läuft auf Kosten von Menschen, die immernoch jeden Tag darum zu kämpfen haben, dass ihr Leben überhaupt etwas zählt. Sowas kann kein Fundament für einen echten Fortschritt darstellen, sondern es ist eine Weiterführung der Minimierung unseres Schmerzes. So etwas ist fehlgeleitet und scheinheilig. Wenn das Ziel ist, dass Menschen ihr Mitgefühl auf andere Spezies erweitern, dann sollte man erstmal versuchen, für seine eigenen Mitmenschen etwas Mitgefühl zu entwickeln.

Links:

[1] A.d.Ü.: Koch Socha diskutiert in ihrem Text: Die “gefürchteten Vergleiche” und der Speziesismus: eine Ausgleichung der Leidenshierarchie , http://simorgh.de/socha/socha_the_dreaded_comparisons_and_speciesism.pdf , genau diese Problematik, dass die eigene Position in der Anwendung von Vergleichen und der Beschreibung von Parallelen glaubwürdig begründet werden muss. Werden Vergleiche eher als Mittel zum Zweck eingebracht, ist weder der Diskussion um Gerechtigkeit innerhalb der menschlichen Gesellschaft noch den Nichtmenschen in ihrer Problematik damit gedient, Ursachen bleiben unsichtbar, usw.

[2] Rachel Herron: Michelle Obama Says Racist Attacks Like Being Called an Ape ‘Cut the Deepest’ as First Lady, https://www.bet.com/news/national/2017/07/26/michelle-obama-speaks-on-being-a-black-first-lady.html , Stand 17.04.2018.

[3] Lincoln Anthony Blades: Trauma From Slavery Can Actually Be Passed Down Through Your Genes , https://www.teenvogue.com/story/slavery-trauma-inherited-genetics , Stand 17.04.2018.

Rev. 17.04.2018

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