Ein Aufruf zum Handeln: Psychische Schäden bei Schlachthausarbeitern
Michael Lebwohl*
Original veröffentlicht im Yale Global Health Review (2016), https://yaleglobalhealthreview.com/2016/01/25/a-call-to-action-psychological-harm-in-slaughterhouse-workers/ , Stand 14.10.2018. Übersetzung: Gita Yegane Arani, mit der freundlichen Genehmigung des Verfassers.
„Unten in der Blutgrube sagen sie, dass der Geruch von Blut dich aggressiv macht. Und das tut er auch. Du kriegst die Einstellung, dass wenn das Schwein dich tritt, du es ihm heimzahlen wirst. Du wirst das Schwein zwar sowieso töten, aber das reicht nicht; es muss leiden. Wenn das Schwein zu dir kommt denkst du, oh gut, dieses Vieh mach ich fertig.“ [1] Diese Worte stammen nicht von jemandem, den die Gesellschaft als mental gesund einstufen würde. Jedoch sind aber traurigerweise genau dies die Worte, die eine Gruppe von Arbeitern repräsentieren, die wir in allen zivilisierten Nationen rund um den Globus vorfinden: es sind die Worte eines Schlachthausarbeiters. In den USA alleine arbeiten über siebzigtausend Arbeiter in der Schlachtung [2] und sie sehen sich jeden Tag der Aufgabe gegenübergestellt einige hundert Tiere stündlich zu töten [3]. Diese Arbeiter üben einen Job aus, der diese Menschen durch das, was dieser Job beinhaltet, dem Risiko aussetzt psychische Störungen und einen pathologischen Sadismus zu entwickeln.
Dieses Risiko resultiert aus einer Kombination mehrerer Faktoren der Schlachthausarbeit, wovon einer die stressvolle Umgebung ist, die der Schlachtungsprozess mit sich bringt. Ein großer Anteil dieses Stresses kommt von den auffallend häufigen Verletzungsfällen unter den Arbeitern. Schlachthäuser weisen Verletzungsraten von 20 auf 100 Arbeiter auf. Eine Proportion, die zwar stetig abnimmt, was aber immernoch nichts daran ändert, dass die Fleischverarbeitung die bei weitem gefährlichste Arbeit in den USA darstellt. [3] Diese monströse Rate rührt vor allem von den alltäglichen Gefahrenquellen, wie wir sie insbesondere in den Schlachtbetrieben selbst vorfinden, hier hinein spielen sich wiederholende Bewegungen und schweres Heben. Ein beachtlicher Teil des Stresses stammt zudem von unvorhersehbaren Gefahren, die zu den Ursachen schwerwiegenderen täglichen Stresses zählen. Die Interaktion der Arbeiter mit lebenden angstvollen Tieren, die sich wehren und die unter Kontrolle gehalten werden, beinhaltet, dass jede Minute dieser Arbeit grundsätzlich mit Gefahren einhergeht.
Die Arbeiter, die dabei am meisten gefährdet sind, sind die, die zur Gruppe der „Sticker“ [wörtl. „Abstecher“] zählen. Das sind die Arbeiter, die die Hälse der Tiere aufschneiden, damit sie ausbluten. Theoretisch müssen alle Tiere, außer ‚Geflügel‘, zur Schlachtung betäubt werden bevor sie ausbluten, und dies geschieht zumeist mit einem Bolzenschussgerät oder mittels eines starken elektrischen Schocks. In vielen Betrieben wird die Betäubung aber kaum erzielt. Oft manipulieren Vorarbeiter an den Einstellungen der Bolzenschussgeräte oder an den Elektroschockpistolen um eine ‚bessere Fleischqualität‘ zu erhalten und stellen die Ablaufrate der Schlachtungsreihe auf ein noch schnelleres Tempo, wodurch die Tiere bei vollem Bewusstsein, sich am Band bewegend, zu den Abstechern katapultiert werden. Die Abstecher müssen dann mit der Gefahr umgehen von den großen angstvollen Tieren getreten zu werden. Die Situation wird dann noch gefährlicher und damit noch stressvoller, da der Abstecher das scharfe Messer hält, mit dem er den Tieren dann die Schnittverletzung zufügt. Diese Messer setzen den Arbeiter, in Kombination mit den tretenden Tieren, dem erhöhten Risiko von Verletzungen aus, rangierend von Schnittverletzungen mit kosmetischen Folgen bis hin zu qualvoll tödlichen Folgen. [1, 4]
Die Gefahren der Schlachthausarbeit sind selbstverständlich nicht ohne ihresgleichen. Es gibt zahlreiche Industriejobs bei denen die Gefahrenpotenziale Stress für den Arbeiter verursachen. Die Schlachthausarbeit ist jedoch einmalig innerhalb der großen Industrien, aufgrund der Gewalt, die diesem Job innewohnt. Bislang sind sehr wenige wirklich wissenschaftliche Versuche unternommen worden zu quantifizieren, welche Effekte diese Gewalt auf die Gesundheit und das Verhalten von Schlachthausarbeitern hat. Eine bekannte Studie, die in der Hinsicht unternommen wurde, hat sich mit den Kriminalitätsraten in Gemeinden befasst, in denen sich ein Schlachtbetrieb befindet, indem sie diesen Faktor als Maßstab für psychologische Gesundheit festlegte. Die Studie verwendete dazu Daten des FBI [den FBI Uniform Crime Report] zusammen mit Daten aus der US-Volkszählung, und untersuchte dabei, wie die Kriminalitätsraten sich geändert haben, in Abhängigkeit davon, welche neuen Industrien sich in einer Gegend ansiedelten. Die Studie hat dazu die Daten von über fünfhundert Landkreisen zwischen den Jahren 1994 und 2002 erhoben und dann die Auswirkungen von Schlachtbetrieben auf die Kriminalitätsrate mit denen anderer Industrien vergleichen. Die Industrien, die sie zum Vergleich heranzogen waren hinsichtlich anderer möglicherweise krimialitätsrelevanten Faktoren identisch (wie die Demographie der Arbeiter, das Potenzial sozialer Disorganisationsgefahren und der Effekt auf die Arbeitslosigkeit in den umliegenden Gebieten). Die Schlachtbetriebe übertrafen alle anderen Industrien in ihren Auswirkungen auf die Kriminalitätsrate. Sie wiesen nicht nur einen größeren Zuwachs in der allgemeinen Kriminalität auf, sondern beunruhigenderweise auch einen überproportionalen Zuwachs an Gewaltverbrechen und Sexualstraftaten. [5]
Die Autoren dieser Kriminalitätsstudie leiteten daraus ab, dass der Grund für diesen Zuwachs ein „Überlaufeffekt“ [spillover] in der Psyche der Schlachthausarbeiter war – eine Erklärung die durch die Sozialtheorie und anekdotische Beweise gestützt wird [6] Dies lässt sich auch erkennen in den Aussagen eines Arbeiters darüber, wie die langen Schichten in der Schlachtung von „Nutz“-tieren seine Sichtweise und Behandlungsweise von Mitarbeitern beeinflusst hat:
„Ich stelle mir vor wie ich meinen Vorarbeiter kopfüber aufhängen und seine Kehle durchschneiden würde. Ich erinnere mich wie ich in das Büro ging und den anderen Angestellten sagte, dass ich keinerlei Problem damit hätte einen anderen abzuknallen – wenn du mir in die Quere kommst, dann knall ich dich einfach ab.“ [1]
Sozialtheoretiker beschreiben solch ein Verhalten als eine „Progression“ von der Gewalt gegen Tiere zur Gewalt gegen Menschen [6] Jedoch unterscheidet sich diese Progression von der typischen Variante, wie sie von der soziologischen und psychologischen Literatur beschrieben wird. Der Großteil relevanter Literatur befasst sich mit der Gewalt gegen Tiere, wenn sie einem Menschenmord [6] oder häuslicher Gewalt [7] vorausgeht, als Fälle bei denen bereits eine mentale Prädisposition zur Gewaltbereitschaft besteht und wobei Tiere als bequeme Opfer für Aggressionen dienen, als ein relativ ‚problemloser‘ erster Schritt, bevor die Täter sich ihren menschlichen Zielen zuwenden. In Schlachthäusern besteht eine Prädisposition zur Gewaltbereitschaft nicht zwingendermaßen, aber das Töten von Tieren kann einen vergleichbaren Effekt haben, bei dem ohne Prädisposition, so wie in den Fällen bei denen eine Prädisposition besteht, die Handlung ein erster Schritt ist, der die Arbeiter desensibilisiert und sie dadurch bereit macht ähnliche Gewalt in einem weiteren Schritt Menschen gegenüber auszuüben.
Psychologisch gesprochen kann man diese Desensibilisierung auch durch den Mechanismus der „Verdopplung“ [doubling] erklären, bei dem der Mensch sich dazu bewogen fühlt ein zweites Ich zu entwickeln, ein gutes Ich und ein schlechtes. [8] Dieser Coping-Mechanismus wurde insbesondere im Falle der Naziärzte untersucht, einer Situation, die vergleichbar sein kann zur institutionalisierten und notwendigerweise empathielosen Tötung von Tieren in den Schlachtbetrieben. [8] Die Schaffung und die Illusion des eigenen moralischen Charakters als „gut“ während man zugleich ein anderes Selbst hat, das mechanisch jeden Tag stundenlang Leben beenden kann, stellt nicht alleine eine weitere Quelle des psychologischen Stresses von Arbeitern dar, sondern hierbei sind die Arbeiter auch dem Risiko ausgesetzt, dass ihr pathologisch empathieloses arbeitendes Selbst in ihr Gemeinschaftsleben mit hineinrutschen kann. Dies ist eine andere Erklärung für den Überlaufeffekt, den wir im Denken von Schachthausarbeitern und in deren Gemeinschaftsleben vorfinden.
Eine Kombination dieser mentalen Akrobatik und dieser Stressoren trägt zu psychologischen Störungen bei, und kann eine Art des posttraumatischen Belastungssyndroms hervorrufen, die als Tat-induzierter traumatischer Stress, engl. perpetration-induced traumatic stress oder PITS, bezeichnet wird. [8] Ungleich vieler Formen der traumatischen Stressbelastungen bei denen die Betroffenen das Opfer einer traumatischen Situation gewesen sind, sind PITS-Betroffene „herbeiführende“ oder „verursachende Teilnehmende“ (engl. causal participants) einer traumatischen Situation, [9] In anderen Worten: sie sind der direkte Grund für die Traumatisierung eines Anderen. Das Leben mit dem Wissen um die eigenen Taten und Handlungen verursacht Symptome, die denen des Opfers eines Traumas ähneln: Drogenmissbrauch, Angststörungen, Depression und eine Entkopplung von der Realität. [8] Und wiederum haben Untersuchungen dieses psychologischen Phänomens die Gruppe der Schlachthausarbeiter größtenteils ausgelassen, aber sie haben sich mit dem Thema in analogen Bevölkerungsgruppen befasst, vor allem mit Nazis und Scharfrichtern. [8] Man kann aber, ohne sich der formalen Untersuchung zuzuwenden, davon ausgehen, dass die Symptome (und Ursachen) von PITS sich problemlos mit den Aussagen von Schlachthausarbeitern über deren Erfahrungen decken:
„‘Und dann erreicht man einen Punkt an dem man sich nur noch in einem Tagtraumstadium befinden. Wo du über alles andere nachdenken kannst und immer noch deinen Job machen kannst. Du bist emotional tot.‘ […] Viele Kerle bei Morell [einem großen Schlachthausbetrieb] trinken und nehmen Drogen um mit ihren Problemen fertig zu werden. Einige von ihnen Misshandeln ihre Partner, weil sie die Gefühle die sie quälen einfach nicht los werden. Sie verlassen die Arbeit mit dieser Einstellung und gehen dann zur nächsten Kneipe um dort alles zu vergessen.“ [1]
Diese Geschichten erinnern an die von Kriegsveteranen und an Überlebende von Katastrophen, die an Stressstörungen leiden. Die Notwendigkeit sich von der Realität zu entkoppelt um mit der Arbeit weiterzumachen, führt die Menschen dazu einen Weg einzuschlagen, den manche als „pathologisch“ bezeichnen würden. Gegenwärtig ist die Arbeit in den Schlachthäusern noch immer eine notwendiges Übel [10] in der amerikanischen Gesellschaft, und genau deshalb sollte das Thema mehr akademische Aufmerksamkeit als bislang erhalten. Eine beachtliche Menge an theoretischen und anekdotischen Beweisen liegt dem Gedanken zugrunde, dass die Arbeit in Schlachtbetrieben mental schädlich ist. Doch ohne harte empirische quantitative Nachweise zur Untermauerung dieser Annahmen kann nur wenig unternommen werden um die Situation zu verbessern. Studien, die sich in Verbesserungen der Bedingungen zum Schutze der Arbeiter niederschlagen würden, sind insbesondere deshalb notwendig, da Schlachthausarbeiter allgemein aus Demographien stammen, die Schwierigkeiten damit haben, ihre eigenen Rechte zu vertreten oder damit, sich aus solch grundlegend schädigenden Arbeitsbedingungen herauszubewegen. [3] Das kontinuierliche Versagen darin, dieses Thema zur Kenntnis zu nehmen und zu adressieren, bedeutet eine nicht entschuldbare Gefahr für die individuelle Gesundheit solcher Arbeiter und für die Gesundheit der Gemeinschaften in denen sie leben.
Verweise und Anmerkungen
* Education Yale University, New Haven, CT August 2013 – May 2017 Bachelor of Arts in Chemistry with Distinction in the Major, cum laude
- Eisnitz, G.A. (1997). Slaughterhouse: The Shocking Story of Greed, Neglect, and Inhumane Treatment Inside the U.S. Meat Industry. Amherst, NY: Prometheus Books.
- Occupational Employment and Wages: Slaughterers and Meat Packers. (2013). Bureau of Labor Statistics, 51-3023, https://www.bls.gov/oes/current/oes513023.htm , Stand 14.10.2018.
- Worrall, M.S. (2005). Meatpacking Safety: Is OSHA Enforcement Adequate? Drake Journal of Agricultural Law, 9, 310-312.
- Cleeland, N. (2002). Need for Speed Has Workers Seething. Los Angeles Times, http://articles.latimes.com/2002/jun/19/business/fi-speedup19 , Stand 14.10.2018.
- Fitzgerald, A.J., Linda K., & Thomas D. (2009). Slaughterhouses and Increased Crime Rates: An Empirical Analysis of the Spillover From ‘The Jungle’ Into the Surrounding Community. Organization & Environment 22(2), 1. doi: 10.1177/1086026609338164.
- Beirne, P. (2004). From Animal Abuse to Interhuman Violence? A Critical Review of the Progression Thesis. Society & Animals, 12(1), 1.
- Ascione, F.R., Claudia V. W., and David S.W. (n.d.). Animal Welfare and Domestic Violence. National Online Resource Center on Violence Against Women, https://web.archive.org/web/20150918225429/http://www.vawnet.org/Assoc_Files_VAWnet/AnimalWelfareDV.pdf , Stand 14.10.2018.
- Dillard, J. (2008). A Slaughterhouse Nightmare: Psychological Harm Suffered by Slaughterhouse Employees and the Possibility of Redress through Legal Reform. Georgetown Journal on Poverty Law & Policy, 15(2), 398.
- MacNair, R. (2002). Perpetration-Induced Traumatic Stress: The Psychological Consequences of Killing. Lincoln, NE: Praeger/Greenwood.
- Anmerkung des Übersetzers: Die Formulierung, dass die institutionalisierte Tötung von nichtmenschlichen Tieren für die Lebensmittelindustrie ein „notwendiges Übel“ ist, würden wir in der Form nicht unterstützen, sondern hier andere Argumentationsstränge anführen, um pazifistische, nichtspeziesistische Alternativwege einzufordern.
In: Das Schlachthaus als Hauptort des institutionalisierten Zoozids (2018). Hrsg. G. Yegane Arani, TIERAUTONOMIE, 5(5), S.2, http://simorgh.de/tierautonomie/JG5_2018_5.pdf.