Aus: TIERAUTONOMIE, Jg. 1 (2014), Heft 3, ISSN 2363-6513.
Ein Auszug aus der Einführung von Kim Socha: Animal Liberation and Atheism (Freethought House, 2014)
Die griechische Mythologie (ein Glaubenssystem, dass heute nicht mehr so populär ist) erzählt die Geschichte von Prokrustes, einem Schmied, Dieb und Peiniger. Wenn er gerade nicht auf den Wegen zwischen Athen und Eleusis herumstreift, um nach Menschen zu schauen die er ausrauben kann, lädt er Reisende in sein Haus zur Übernachtung ein, und sobald sie sein Haus betreten, stutzt er sie zurecht um sie passend für sein Bett zu machen. Ist einer zu klein für das Bett, so streckt er ihn (der Namen Prokrustes bedeutet wörtlich „der Strecker“), ist einer aber zu lang, dann hackt er ihm die Glieder kurz, bis er ihn auf eine passende Größe gebracht hat. Und wenn wir meinen, jemand hätte diesen „Ausrecker“ überleben können, so hatte Prokrustes tatsächlich doch zwei Betten. Wenn also ein argloser Reisender in ein Bett passen würde, dann platzierte ihn sein Peiniger stattdessen in dem anderen Bett, um ihn dann für das Betten passend zu strecken oder zu kürzen.
Der Gedanke des „Prokrustes-Bettes“ erhielt sich und hat sich als Begriff dem heutigen Sprachgebrauch mit leicht variierenden Bedeutungen und in Abhängigkeit vom Kontext angepasst. Zumeist bezeichnet das „Prokrustes-Bett“ (und ich greife hier nicht weiter als zu einem konventionellen Online-Wörterbuch) „[…] einen arbiträren Standard, der durch exakte Konformität erzwungen wird.“ Ich zeige auf, dass religiöse Argumente für Tierrechte, Tierbefreiung und Tierverteidigung, trotz all des Mitgefühls, das hinter ihnen stehen mag, religiöse Parameter einfach zurechtstutzt oder streckt, um die Tierbefreiung dem passend zu machen, was tatsächlich ein anthropozentrisches, speziesistisches und hierarchisches Glaubenssystem ist, das es versäumt im Sinne der nichtmenschlichen Tiere zu sprechen.
Ich adressiere dabei nicht jede einzelne Religion, die durch die Menschheitsgeschichte hindurch existierte, um anhand dessen zu schildern, warum diese Religion letztendlich nicht Tierfreundlich ist, ich setze mich aber mit einigen spezifischen Religionen auseinander. Worum es mir hauptsächlich geht, ist es zu betrachten, wie das Konzept von Religion selbst (als der Glaube an eine höhere Macht, gleich welche Form auch immer sie annehmen mag) sich antithetisch verhält zur Befreiung der Tiere von der menschlichen Wahrnehmung, dass wir mit ihnen machen könnten, was wir wollen. Natürlich sind einige Religionen um ein beachtliches milder als andere, aber es existiert keine, die davon ausgehen würde, dass nichtmenschliche Tiere, und das menschliche Tier, ein gleiches Recht auf Personenschaft oder Parität haben. Gleichermaßen ist die säkulare Gemeinschaft langsam in ihrer Erkenntnis dessen, was eine Absage an den menschlichen Exzeptionalismus bedeuten könnte in Hinsicht auf unseren Umgang mit anderen Tieren. Wenn diese Verknüpfung von prominenten Atheisten, wie Richard Dawkins (siehe sein Essay „Gaps in the Mind“ auf das ich später noch zurückkommen werde), hergestellt wird, dann folgt den Überlegungen bislang aber keine entsprechende Handlung, wie die Annahme einer veganen oder vegetarischen Lebensweise oder Tierrechtler zu werden. So ist ein weiterer Zweck dieses Buches, sich ebenso den Mangel an Interesse für Tierbelange und Tierthemen in der säkularen Welt anzuschauen, um damit die Freidenker dahingehend zu inspirieren, ernsthafter über die anderen Tiere, mit denen wir gemeinsam auf dieser Erde leben, nachzudenken.
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Für diejenigen, die über religiöse Autorität verfügen, eröffnet die Religion-als-Mittel einen Weg zur Macht über die Tierheit, einschließlich den Menschen, und die Ressourcen der Erde. Wie Prokrustes Bett, ist die Religion ein Instrument, das immer wieder dazu gebraucht worden ist andere zu verletzen. Immer wenn Religion eingesetzt wurde um in die Irre zu führen, zu diskriminieren und zu entmündigen, zeigt sie sich als Gewalt. Und, wie jemand, der glaubt, dass Götter, Göttinnen, Dämonen, Geister, göttliche Gebote und andere übernatürlichen Konzepte konstruierte, erfundene Konzepte sind, die häufig von Menschen, die Macht haben, missbraucht werden, so argumentiere ich, dass Religion einen fortwährenden Zustand der Irreführung darstellt. Es liegt bei jedem Individuum selbst zu entscheiden, ob es/sie Religion nutzen will oder nicht. Meine Intention liegt darin, dieses Prokrustes-Bett zu dekonstruieren und aufzuzeigen, dass es ein gefährlicher Apparat ist – einer, über den wir nicht gezwungenermaßen zu lügen hätten. Und wenn man auch seinen Trost in der Religion finden mag, so sollte man ihre Fundamente nichtsdestotrotz kritisch analysieren. Die kuscheligen Kissen und Decken, können so angenehm sein, man liegt in ihnen und ist dem Zustand letztendlich erlegen. Die anderen-als-menschlichen Tiere, auf deren Leben und Tod sich die westliche Zivilisation errichtet hat, sind ebenso machtlos gebettet und werden zu Milliarden jedes Jahr getötet. Religion erlaubt, sanktioniert und fordert sogar dieses vermeidbare Gemetzel.
An dieser Stelle fragen Sie sich vielleicht, was aus Prokrustes geworden ist. Die Antwort erweitert die Metaphorik und klärt auch den Zweck dieses Buches. Er wurde von dem griechischen Helden Theseus getötet, auf genau dem Bett, auf dem er seine zahllosen Opfer verstümmelt hatte. Fritz Graf merkt an, dass Theseus eine neue Art des Helden im griechischen Mythos verkörperte, einer der progressiver als solche Rohlinge wie Herkules waren; in der Tat bezeichnet Graf die Gestalt Theseus als einen „Zivilisierer.“ Prokrustes und seine Erweiterung im Bild seines Folterbettes wurde durch eine zivilisierende und aufklärerische Kraft vernichtet. Theseus „machte den Weg von Troezen nach Athen für die Reisenden sicher. Es wird gezeigt, wie er die Straßen und Wege von allen Arten der Banditen bereinigt“, auch von den anderen bösartigen Unholden, die die Menschen die Felskluften hinabwerfen, sie zerschmettern und zerreißen. Für mich ist das letztendlich, was der Atheismus tut. Er bereinigt den Weg zur säkularen Aufklärung, so dass beispielsweise Menschen mit dem gleichen Geschlecht (oder keinem identifizierbaren Geschlecht) ohne Angst vor sozialem Ausschluss leben können; er lässt Frauen gebildet und einflussreich sein; er macht klar, dass kein Kind eine genitale Verstümmelung durchleben muss/darf; und er hinterfragt die Myriaden an Grausamkeiten, die im Namen einer unsichtbaren Gottheit durchgeführt wurden und werden. Was dem Atheismus noch fehlt, ist es, sich für die anderen-als-menschlichen-Tiere auszusprechen, denn auch ihr Weg muss bereinigt werden, so dass sie ihr Leben führen können, auch wenn das impliziert, dass sie andere Tiere, um zu überleben, töten – ohne dass der Mensch sich in diesen Prozess gewaltsam einmischen darf. Der Zweck dieses Textes ist es, ein Gespräch über das Thema zu starten, was im Interesse der Tierverteidiger, so wie auch der säkularen Gemeinschaft liegen sollte. Idealerweise kann dieses Thema für jeden, der sich ein gewaltfreieres Leben und eine gerechtere Welt wünscht, von Interesse sein.