Insekten, unsere und ihre Kultur. Ein Interview mit Inox Kapell.

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Jahrgang 5, Nr. 2, Art. 1, ISSN 2363-6513, April 2018

Insekten, unsere und ihre Kultur. Ein Interview mit Inox Kapell.

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Einleitend: Inox Kapell ist ein berliner bildender Künstler, Musiker und Entomologe. Aus der Biologie her kommend hat er mit aufgespießten Insekten zwar leider kein völlig fundamentales Problem, doch inzwischen, so lesen wir auf seinen Seiten, sammelt er keine lebenden Tiere mehr, „nur ab und zu ein totes Exemplar zu dokumentarischen Zwecken oder für die Kunst.“ [2]

Was Inox Kapells Arbeit für uns so interessant macht ist, dass es als Künstler und Entomologe die Insekten als eine ganzheitliche Welt konstituierend begreift, so spricht er beispielsweise von den Insekten als demokratisch sich organisierenden Lebewesen. Und mittels künstlerischer Darstellung lässt sich solch eine umfassendere Sichtweise auf die Invertebraten noch ganz anders ausdrücken, als allein über biologische Beobachtungs- und Erfassungsmodelle tierlichen Lebens.

Unsere Gesellschaft richtet sich immer noch zumeist nach denjenigen Auffassungen über Nichtmenschen, die ihnen aus den Naturwissenschaften übermittelt werden. Langsam beginnt die Gesellschaft sich aber von weniger humanzentrischen Perspektiven her mit Nichtmenschen und dem natürlichen Raum auseinanderzusetzen.

Die Kunst als Medium der Beobachtung, Reflexion und des gestaltenden Ausdrucks, kann in Verbindung mit einer interessierten Empathie gegenüber Nichtmenschen und ihren Lebenswelten, auf ihre Weise erweiterte Verständnisse darlegen. Unsere zeitgenössische Kunst ist gegenwärtig oftmals noch speziesistisch, indem sie sich tierlicher Körperlichkeit und dem Tiersein in einer weitgehend objektifizierenden Art und Weise annähert. So werden häufig taxonomische Präparate verwendet, die Narrative nichtmenschlicher Perspektiven bleiben sekundarisiert. Eine künstlerische Annäherung an das Tiersein kann aber auch auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Lebenswelten stattfinden. Genau hierin liegt eine besondere Freiheitsmöglichkeit schöpferischer Kreativität.

Bei Inox Kapell ist ein künstlerisch-entomologischer Grenzgang zu beobachten, bei dem sich der Rezipient aus dem rein anthropozentrischen Konzeptualisieren der Welt herausbewegen kann und anarchischer Phantasie Raum geschaffen wird, in der tierliches Anderssein Gestalt annimmt und einen unmissverständlichen Platz einnimmt, jenseits einer Dominierung durch Zeitgeist und anthropozän-erstarrter menschlicher Hybris.

Wir haben Inox im Rahmen seiner Arbeit auf Schloss Freudenberg in Wiesbaden besucht. Das Schloss und der Schlossgarten als museumspädagogisches Kunstprojekt, das ein Kollektivwerk darstellt und das sich als ein im-fortwähenden-Prozess befindendes Gesamtkunstwerk verstehen lässt, verfolgt insbesondere auch einen Ansatz, der die Gedankenwelten von Maria Montessori, bis Rudolf Steiner, Hugo Kükelhaus und Josef Beuys (und Weiteren) umgreift [3]. Die Verbindung von Sinneswahrnehmung und Kunst mit der natürlichen Umwelt, bildet dort den inhaltlichen Schwerpunkt kreativen Schaffens und künstlerischer Didaktik.

Schlagworte: Interview, Inox Kapell, Insekten, Invertebraten, Entomologie, Kunst, Post-Anthropozentrismus

TIERAUTONOMIE, Jg. 5 (2018), Heft 2.

Insekten, unsere und ihre Kultur. Ein Interview mit Inox Kapell.

Eine Übersicht über Aspekte des Insektenlebens von Inox Kapell. [1]

Mikrosensationalismus und taxonomische Sammlung

Tierautonomie: Insekten, die in Dekoartikeln eingebaut werden, wie lebende Käfer als Broschen und Ameisen in Uhren [1]. Was denkst Du, warum einige Menschen so etwas kaufen und manche andere so etwas als ‚witzig’ oder ‚okay’ tolerieren?

Inox Kapell: Ja, da wird so eine menschliche Reaktion angeregt. Wenn man so will, wie ‚Schock und spannend und interessant und farbenfroh oder komische Gestalt die eingegossen ist’. Dann kann man das auch noch kaufen, weil es ja sicher ist. Das hast du dann ja gegossen. Die Insekten sind meistens, wenn sie von der Industrie kommen, gezüchtet dafür. Ganz viele. Das ist sehr traurig. Wenn man dann überlegt, da ist ne ganze Industrie, z.B. in Thailand. Da gibt es eine ganze Industrie, die diese Rosenkäfer züchtet. Ich weiß nicht genau, ob sie sie dann direkt umbringen, ob sie sie sogar lebendig eingießen oder sterben lassen. Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass der Umgang da nicht so gut ist. Also, allein zu züchten deswegen ist doof. Es gibt auch das andere, das sind Wildfänge, also dass man wild fängt und dann eingießt.

Tierautonomie: Wenn man die Tiere lebendig oder als Teile von Objekten – als Objekt – verwendet?

Inox Kapell: Ja es gibt ja auch diese Wanderausstellungen. Das ist auch ganz fürchterlich. Die Züchter sind eigentlich nur interessiert am fertigen Käfer oder an dem, was er dann wird wenn er geschlüpft ist, dass man dann verkaufen kann. Es ist eigentlich immer was wie ‚Aliens’, einfach interessant weil fremd, und das ist mit Spinnen auch so, weil sie so anders sind als wir.

Tierautonomie: Du selbst sammelst nur noch ausschließlich von selbst gestorbene Insekten. Könnte es eine Entomologie geben, die nur noch bereits existierende Präparate verwendet oder mit der Beobachtung der Tiere im natürlichen Lebensraum auskommt?

Inox Kapell: Genau, ich sammel nur tote, auf der Wiese. Ich nehm dann das Tablett und die Schönen werden dann zu Ringen oder zu Broschen … .

Tierautonomie: und für die Entomologie?

Inox Kapell: Sie werden Aufgespießt und die werden ja auch geklebt. Also ganz kleine Insekten werden aufgeklebt auf Papier. Sie werden umgebracht und dann aufgeklebt, weil dann sind die Beine noch beweglich, dann kann man sie schön gestalten, in die Form bringen, weil wenn ein Käfer stirbt, dann zieht es sich zusammen. Das heißt aber, wenn er dann gestorben ist, kannst du ihn noch auseinandernehmen. Das ist wie auch beim Menschen. Der kriegt ja auch eine Leichenstarre und dann kannst du ihn nicht mehr bewegen. Bei Insekten ist das ähnlich.

Also es gibt auf jeden Fall Familien, da muss man Präparate haben. Familien von Käfern z.B. oder Familien von Insekten, weil die so selten sind, und an einem lebenden Insekt – das hält nicht still, bei dem kannst du dann nicht die Fühler, die Glieder, die Beingliederungen, die Gelenke oder die Tarsen zählen. Das ist alles ganz wichtig, das kannst du bei einem lebenden dann nicht, und da ist natürlich ein Biologe geschult drauf das das schnell zu machen, ins Reagenzglas und umbringen, tot. Das ist ganz normal, das ist seit sagen wir mal 100 Jahren normal, das man das so macht. Da ist auch scheißegal, ob es dann weniger davon gibt, sondern da gehts dann darum, ist das ne neue Art? Und da gehts dann auch darum, dass sich Studenten auch einen Namen machen wollen. Es gibt aber ganz viele Insektenarten da muss man das nicht, weil, die kannst du so erkennen. Gibts auch.

Ein Miteinander von Insekt und Mensch zum ersten Mal entdecken

Tierautonomie: Kann man über Gedankenwellen oder -impulse, Gestik, Verhalten und aber auch das Einrichten von geschützten Lebensräumen und Kleinstbiotopen, usw. – also über eine eigene Art der ganzheitlichen Interaktion – mit Insekten in einen reziproken kommunikativen Akt treten?

Inox Kapell: Ja, das Wichtigste dabei ist, dass man es zulassen kann, dass man auf so ne Ebene kommt, wie es bei anderen Haustieren oder bei anderen Tieren überhaupt schneller der Fall ist, weil sie, domestiziert, schon lange beim Menschen leben oder eine ganz andere Prägung da ist. Wie wenn bei einem Kind eine Katze da liegt, dann erzählen die Eltern ja: ‚Katzen sind so und so’ und ja die Katze ist wuschelig, das ist beim Menschen dann natürlich ein ganz anderer Umgang.

Wenn jetzt das Menschenkind zum Beispiel bei einem Imker sieht – der ja schon grundsätzlich einen Zugang zu Insekten hat, nämlich zu den Bienen – dann ist das für ein Kind schon mal ein ganz anderer Zugang. Es kann dann schneller lernen, dass erstmal zu den Bienen, aber vielleicht dann aber auch zu den anderen Insekten, ein Zugang möglich ist. Weil der Imker-Onkel, oder wer auch immer das dann macht, schon diesen Zugang erfahren hat. Und wenn der dann noch weiter geht und vielleicht Anthroposoph ist bzw. ein anthroposophisches Denken hat, dann sieht der die Bienen auch nicht nur als Honigbringer, sondern auch als Bestäuber und eben auch als Freund des Menschen. Weil das passiert automatisch, wenn du zum Beispiel mal ne ganze Gruppe auf deiner Hand hast, eine Biene auf deiner Hand komplett sitzt oder es gibt diese Bilder von Imkern, deren ganzen Gesicht bedeckt ist mit Bienen. Dann kennen die deinen Geruch, das Bienenvolk kennt deinen Geruch und dann hast du einen anderen Zugang. Dann werden die dich auch nicht mehr stechen.

Und wenn das ein Kind sieht – ich sag jetzt mal Kind, weil beim Kind ist noch so viel möglich – dann kann das Kind, so wie ich selber mal so ein Kind war, sich dabei entwickeln. Und dann merkt es vielleicht, was noch alles möglich ist. Und genau dann passieren Dinge, die eben viele erzählen, die sie erleben mit ihren normalen Haustieren – mit Hunden, Katzen sowieso, Meerschweinchen, Hamstern, Schildkröten – die auch möglich sind beim Insekt.

Zum Beispiel, jetzt sitzen hier zwei Fliegen. Und jetzt ist die Frage: warum sitzen sie hier und nicht dort, dort oder da? Und für mich ist das, über meine jahrelange Erfahrung, über dieses Jahrelange Leben mit Insekten, heute schon so [wenn sie um mich herum sind], als wenn sie wüssten, dass ich von ihnen erzähle. Ich kann mir das nicht anders erklären. Ich meine über Hunde und Katzen wird nicht so viel geredet, da wir dann immer so: ‚ah du bist ein süßer Hund’ oder ‚du bist einer süße Katze’ oder ‚komm mal her’ und so … .

Tierautonomie: Also wir machen das auch, dass wir mit den Insekten bei uns im Haus z.B. auch reden.

Inox Kapell:  Ja in eine andere Dimension geht das. Das können wir noch gar nicht wissen, was da alles passiert. Auf jeden Fall passiert da was. Und das macht ja auch was mit dir.

Tierautonomie: Ja, dieser Zugang. Das ist ja auch immer das Experimentieren in der Kommunikation mit einem anderen Lebewesen, ein soziales Annäherungsexperimentieren.

Inox Kapell: Genau. Und es geht auch um Schwingungen, also man strahlt ja was aus sozusagen, man schwingt ja, da schwingt ja was, wer weiß was da passiert! Ich ruf dann irgendein Tier und das kommt dann. Das passiert mir auch bei Führungen, gerade wenn jetzt zum Beispiel der Frühling dann anfängt und die Tiere noch rar sind. Dann steh ich da mal – wie ein Ritual mache ich das dann – und ruf ein Tier und dann kommt das Tier. Und ich glaube das ist einfach über Jahrzehnte so entstanden.

Tierautonomie: Und das heißt ja auch nicht, dass so ein Tier nicht auch mal stechen kann oder beißen kann, das gehört ja auch mit dazu … .

Inox Kapell: Genau, das gehört dazu.

Perspektiven, Beobachtungen

Tierautonomie: Ich glaube manche Menschen sehen Insekten als so eine Art Kleinstroboter und nicht wirklich als fühlende Wesen. Warum sollte ein Lebewesen mit Außenskelett nicht ebenso komplettes fühlendes Lebewesen in seiner eigenen Art sein?

Inox Kapell: Auch da gibt es ja Aufklärung. Also, es gibt einfach wenig Menschen, die so Erlebnisse haben können, dass sie sagen ‚ja’ – das wird dann immer in andere Ecken gepackt. [Ein Insekt fliegt weg vom Tisch] Ja, es musste da jetzt weg fliegen, weil ich da jetzt drauf gehaun habe [an einer anderen Stelle, indirekt, nicht absichtlich auf den Tisch]. Insekten reagieren, glaube ich, sehr feinfühlig auf alles was sie umgibt. Das können wir nicht wirklich nachvollziehen, weil wir ja auch nicht eine Millionen Mal so stark riechen wie wir riechen, wie ein Insekt riecht. Für ein Insekt ist jetzt vielleicht hier in der Luft alles voller Spuren von irgendwelchen Stoffen, Kaffee, Zucker, Blut … und das beeinflusst das Insekt. Deshalb fliegt es eben so, deshalb fliegt es vielleicht merkwürdig für uns, weil wir uns anders bewegen. Und das Fremde wird immer gesehen als fremd. Und so ein Insekt, was ja nicht schreien kann, nicht reden kann, was auch noch stechen kann – und wo dann auch noch das ganze andere menschliche Gedenke dazu kommt, was oft ja gar nicht stimmt – das ist dann automatisch ein ‚Roboter’. Weil, das ist ja irgendwie klar und das ist auch ein Schutzmechanismus. Das heißt aber gar nichts.

Tierautonomie: Canetti hat das ja auch mal beschrieben, dass die Insekten in so einer anderer Lebenswelt sind, in einer anderen Dimension sind, dass der Mensch sie dann dadurch ganz leicht fälschlicherweise abwertet.

Inox Kapell: Fabre musst Du unbedingt erwähren, Jean-Henri Fabre. Der ist ein großes Vorbild für mich, weil, er hat vor hundert Jahren schon sein Haus geöffnet für Insekten. Er hatte Terrarien, und zwar hatte er ein Ameisennest in einem Terrarium, das Terrarium war aber oben auf, das heißt die Ameisen konnten raus und liefen dann überall rum. Sammelten sich aber in dem Terrarium. Das Nest war also nicht eingegrenzt und trotzdem beobachtbar. Fabre hat über Insekten ganz viele Kinderbücher geschrieben, die aber in Europa nicht bekannt sind, bis in die 1950er Jahre vielleicht schon, aber danach nicht mehr. In Japan sind seine Bücher aber Bestseller.

Räume wahrnehmen, Plätze schaffen

Tierautonomie: Wie kann man selber in unterschiedlicher Weise Lebensräume für Insekten schaffen? Mit, beziehungsweise aber auch ohne eigenen Garten?

Inox Kapell: Du kannst ganz klein anfangen. Wenn man sich vorstellt es gibt Ameisennester, die leben in einer Eichel, ein Ameisennest in einer Eichel. Auf deinem Balkon kannst du schon richtige Biotope schaffen, weil, viele Insekten sind nur wenig sichtbar, also viele Insekten sind ja auch klein.

Tierautonomie: Aber wichtig ist dann, dass man immer schöne Pflanzen fest da hat, so einen Mini-Dschungel.

Inox Kapell: Am besten heimische Pflanzen – muss nicht sein aber ist besser, weil du kannst ja auch einfach irgendwo hingehen, wo ein guter Garten ist und nimmst dir da die Erde und dann beobachtest du mal was passiert. Du gießt das ein bisschen, da ist auch genug Samen drin und Sonne hast du auch. So habe ich das auch als Kind gemacht.

Tierautonomie: Also auch die Pflanzen, die man hier auch oft als Unkraut bezeichnet, gerade auch die stehen lassen, weil die Insekten sich da auch zuhause fühlen.

Inox Kapell: Genau, Unkraut gibts nicht, das ist so wie Ungeziefer. Wenn wir jetzt diese Fliege da beschimpfen würden als Ungeziefer. Wie wichtig die Stubenfliege aber für uns Menschen ist. Die tanzen da auch noch so schön im Licht. Da kannst Du davon ausgehen, dass sie sich richtig gefreut haben, dass man das gerade gesagt hat. Also ich glaub ja an sowas. Nur dass wir das eigentlich nicht wahrnehmen, weil wir ja nicht in diese Dimensionen gucken können.

Tierautonomie: Ja ich denke auch das ist eine soziale Interspezies-Interaktion.

Inox Kapell: Ich will es jetzt auch nicht zu weit treiben damit, aber da ist auf jeden Fall ganz stark was vorhanden. Bei den meisten Menschen ist gar kein Bewusstsein entwickelt. Wir reden von Intelligenz: so, was ist Intelligenz? Nachhaltig denkend? Ist das der Mensch? Fragezeichen! Was bilden wir uns eigentlich ein, uns fehlt die Demut, das Mitgefühl. Hätten wir das, dann würde sich vieles auch sofort ändern.

Tierautonomie: Oder bei der Intelligenz ist ja auch die Frage, in welchem Rahmen ist was intelligent. In einem Land empfindet man vielleicht das eine als intelligent, in nem anderen Kontext ist das und das intelligent.

Inox Kapell: Genau, weil ne ganz andere Natur da herrscht usw.

Graswurzelpolitische Kunst

Tierautonomie: Stichwort ökologische Balance im Mikro- und Makrokosmos: Kunst kann ökopolitisch sein, wenn sie die Gesellschaft und den einzelnen Menschen dazu anregt, mehr Aufmerksamkeit und Respekt zu entwickeln für die wichtige und meist übersehene, komplexe Lebenswelt der Insekten. Im Bezug auf Bienen ist uns unsere Mit-Existenz mit der Insektenwelt, durch deren gefährdeten Status, inzwischen mehr ins Bewusstsein gerückt. Mit Deiner Kunst triffst Du auch eine graswurzel-ökopolitische Aussage, die sich gegen Pestizide, gegen die Zerstörung von Lebensräumen richtet, ohne dass man Dir aber vorwerfen würde, das wärest moralinsauer.

Inox Kapell: Wenn man Menschen hat, die da mit dem Gefühl arbeiten, da kommst du automatisch auf ne andere Ebene, wenn du mit diesem Gefühl arbeitest. Das glaub ich schon. Das ist meine Erfahrung. Wenn ich zu Kindern geh und den Kindern erzähle: ‚Guckt mal die Bienen, wie die sozial zueinander sind, wie die sich gegenseitig helfen, unterstützen, wie die sich füttern. Ja und jetzt überlegt mal, wie es wäre wenn wir das auch so machen würden’ – und schon machts klick.

Tierautonomie: Ja, dass man auch nicht immer so einen Schnitt macht und das ganz anders beurteilt, bei den Tieren oder Kleinstlebewesen, als bei den Menschen. Sondern dass man einfach mal guckt: ‚vergleicht das doch mal, lasst das doch mal zu, ohne es weiter zu bewerten’.

Inox Kapell: Genau. Und die haben auch ne Brutpflege. Die menschlichen Worte sind oft ganz doof. Brutpflege, dass würden wir ja nicht sagen zu unserem Kleinkind: ‚Das ist eine Brutpflege’ wenn wir ein Baby haben. Aber das nennen wir bei den Tieren so. Das ist eigentlich dämlich. Das ist aber das, was auch durch Prägungen entstanden ist, nämlich damit man die Tiere dann auch besser ausbeuten kann. Heute ist es ganz schlimm, weil heute hat  das, was du isst, kein Aussehen mehr von dem, wo es herkommt. Das macht es leichter [die Ausbeutung].

Tierautonomie: Ja, diese Reduzierung dann immer auf das Futtersuchverhalten oder die Brunft usw. Alles was Tiere anbetrifft wird dann immer eingegrenzt auf so gewisse Schwerpunkte, die für uns dann von Interesse sind.

Inox Kapell: Und die Kunst allgemein … ich glaube es liegt immer an dem Künstler.

Tierautonomie: Also da hat man eigentlich schon eine Möglichkeit ganz andere Zugänge zu schaffen.

Inox Kapell: Dass ein Künstler auch Visionär ist und eigentlich auch in der Pflicht steht, dem Volk was Gutes zu tun, dass er auch eine Meinung hat – das Politische, das haben viele vergessen.

Tierautonomie: Genau. Ich glaube Brecht hat auch mal gesagt, dass Künstler die Gesellschaft nicht nur spiegeln, sondern auch formen, mitgestalten sollten.

Inox Kapell: Ganz genau.

Tierautonomie: Also insofern auch so was Graswurzelpolitisches.

Inox Kapell: Genau, also ein Bodenanfang.

Wie sieht die Kunst den Künstler und dessen Sicht auf nichtmenschliche Tiere?

Tierautonomie: Wenn Du Kunst im Bezug auf Insekten machst, sind die Insekten für Dich dabei etwas rein Symbolisches? Sind sie sozusagen ‚Kunst-Nutzlebewesen’ für Dich? Es wird immer wieder von Kunstkritikern behauptet, dass viele Künstler nichtmenschliche Tiere in ihrer Kunst allein in einer symbolischen oder letztendlich metaphorischen Art und Weise verkörpert haben oder einsetzen, aber nicht um ihrer selbst willen. Kann man als Künstler auch einen ganz direkten Bezug zu Nichtmenschen haben, indem diese anderen Lebewesen nicht bloß als ästhetische „Medien“ dargestellt und portraitiert werden?

Inox Kapell: Ich glaub schon, dass das möglich ist. Das ist vielleicht eine sehr schöne Forschungsfrage fast, also das dahin zu wirken. Aber so Zeitgeist ist ja gerade ein anderer. Doch es bildet sich ja im Zeitgeist, der so stark ist jetzt, so einförmig, da bildet sich automatisch wieder Anderes. Also es gibt immer auch was, wo etwas im Sterben ist, ist auch schon das neue Leben, das kommt schon wieder, es ist schon da. Und das ist bei uns auch so.

Und jetzt könnt ihr mal da hoch gucken. Jetzt seht ihr da oben so eine Ameiseninstallation […]. Es ist eine Darstellung von etwas fast Feindlichem. Es geht aber darum, sich die Ameisen mal richtig anzugucken. Das passiert bei Kindern dann auch, wenn die hier sitzen [im Museumscafé]. Wenn du hier sitzt und Kaffee trinkst und dann da hoch guckst, da bist du erst mal so ‚Hu’?! Und dann macht es aber auch, dass man sich es dann anguckt und genauer anguckt.

Ameisengestalten an der Decke im Museumscafé.

 Tierautonomie: Also, dass man diese Tiere dann erstmal zeigt, es sind ja künstliche Figuren, die in einem Kontext als agierende Wesen dargestellt werden, um dadurch den Zugang zu den echten Lebewesen zu schaffen, um diese mit in den Raum und ins Denken mit einzubringen.

Inox Kapell: Und wenn du dann auch noch einen Menschen hast, der die Menschen nimmt und auf die Wiese bringt, dann ist natürlich was passiert!

Tierautonomie: Ohne den Tieren aber auch was anzutun. Ohne da einzugreifen, sondern einfach nur beobachten.

Inox Kapell: Einfach nur beobachten. Genau. Das ist ne Kunst und das ist auch wie eine Entschleunigung. Es ist eigentlich auch was Schönes für die Gesellschaft, weil du, sobald du dich da irgendwo hinhockst da draußen, und einfach mal auf ne Stelle guckst und dann läuft da was durchs Bild, dann ist das fast wie eine Meditation – für mich persönlich. Ich hab es auch auch von vielen anderen gehört, dass ich sie dahin bewogen habe, das zu tun und es wurde eine Art Meditation für sie. Also wie eine Entschleunigung, so ich zieh mich zurück, ich hab gerade viel im Kopf, jetzt geh ich einfach zum Ameisennest, setzt mich mal daneben und … .

Tierautonomie: Du lebst das ja auch wirklich vor. Wenn jemand Interesse hat und sieht, ‚oh da ist jemand, der einem so etwas tatsächlich auch vorlebt’, man sieht, man kann etwas auch so machen, dieser Weg ist gangbar.

Sehen, denken, handeln

Inox Kapell: Ja, genau. Es gibt in Filmen – und das ist ja auch ein großes Problem – im Film ist ja alles da, jede Idee wird zum Film, jede Lebensgeschichte, wenn sie interessant ist, wird zu einem Film. So, und dann guckt man das im Film, und ‚ah ja, hm hm’. Das muss alles wieder ins Leben rein, das muss alles wieder in die Realität. Es ist traurig, so was kann was bewirken, aber du kannst auch drin stecken bleiben, in dem: ‚ich habs ja gesehen, ich habs gesehen, das muss ich ja selber nicht tun.’ Und das ist genau der Schritt, den brauchen wir gerade. Es ist soviel Kraft da, aber es muss wieder dazu führen, dass wir uns bewegen, wir müssen handeln. Wir handeln nicht nur für uns, wir handeln auch für die anderen, für die Kinder, für die neuen Generationen, für die Umwelt. Und da kann Kunst schon viel machen. [Inox macht an dieser Stelle einen kleinen Exkurs zu Beuys und seinen lehrenden Tätigkeiten.] Es ist immer wichtig, wenn Du Menschen hast die die Dinge tun, die Dinge leben. Dann kannst du vieles besser verstehen. Rudolf Steiner hat ja auch immer gesagt, ich schreibe keine Bücher, ich halte Vorträge und zeichne meine Grafiken und nach jedem Vortrag könnt ihr mich fragen. Das ist mir lieber als ein Buch zu schreiben, das hier Fragezeichen hinterlässt und niemand kann sie beantworten. Also halte ich lieber tausend Vorträge und nach dem Vortrag sag ich: jetzt fragt mich und ich kann es direkt beantworten, dann versteht man es auch.

Tierautonomie: Eher sokratisch also.

Inox Kapell: Ganz genau und so ist es fast wieder schamanisch und indianisch, deswegen nannte sich auch Beuys dann irgendwann Schamane, weil er eben auch das tat. Er hat sich versammelt mit seinen Studenten und hat erzählt und dann war da Diskussion, dann konnt man reden. Daraus ist ja dann sowas entstanden wie die Grünen, wir brauchen ne Partei, die was ändert.

Tierautonomie: Das ist dann wirklich lebensverändernd.

Inox Kapell: [Inox schildert kurz einige Überlappungen von Kunst und der Punkbewegung in den frühen achzigern.] Das sind diese Beispiele von Bewegungen, wie sie entstehen. Sieh entstehen ja meist nur durch zwei, drei, vier, fünf Leute. Und das bräuchten wir mal wieder. Auch zu dem Thema.

Tierautonomie: Und dabei auch die Vernetzung und den Austausch mit Leute aus andern Ländern.

Inox Kapell: Genau. Aber da wird noch viel festgehalten an Altem. Ja und je länger du festhältst … du musst loslassen. Loslassen ist ein großes Thema. Je länger du festhältst, umso schwerer wird das Loslassen. Es fühlt sich dann so hart an, wenn auf einmal das Auto nicht mehr anspringt, wenn das Haus nicht mehr bezahlbar ist, weil du es ja eingeredet bekommst: wenn du kein Geld mehr verdienst, dann landest du auf der Straße. Es ist ja gar nicht alles so.

Tierautonomie: Genau, da muss man Öffnungen schaffen, damit man in diesem System nicht gleich einem Circulus vitiosus gefangen ist. Da muss man Aufbrüche schaffen.

Inox Kapell: Genau, und das macht man ja erstmal für sich selbst. Und wenn du dann sagen kannst, es hat funktioniert, dann können es andere auch angehen.

In der Welt Sein

Tierautonomie: Du sagst Insekten sind Musiker und Künstler. Eine ganz wichtige Aussage wie wir finden. Meinst Du das in ihrer Bedeutung für den Menschen alleine oder in ihrer Bedeutung an und für sich, für ihre Umwelt und für die Welt? (Das ist vielleicht eine suggestive Frage.)

Inox Kapell: Ja, auch für die Welt und auch für die Welt der Insekten. Weil, ich kanns ja nicht beweisen, aber ich glaube auch, dass in so einem Ameisennest, wenn man sich das mal anguckt, wie kunstvoll das gestaltet ist, allein die Klimaanlagen, wie kunstvoll die da sind bei unterschiedlichen Ameisenarten oder auch die Gebäude, die sie bauen – die die ja auch betrachten irgendwo.

Tierautonomie: Ja, dass die auch ihre Erlebniswelt haben.

Inox Kapell: Ja genau … weil das ja hat einen Sinn.

Tierautonomie: Ja, aber das ist merkwürdig, dass der Mensch da so einen totalen Cut macht zwischen „Mensch ist kulturschaffend, ist Geisteswesen und Tier ist das nicht“.

Inox Kapell: Genau, aber das ist jetzt der zivilisierte kapitalistisch denkende Mensch. Gehen wir jetzt zu den Indianern, zu den Urvölkern, da isses, gabs oder gibts immernoch auch das andere Verhalten, das mit der Natur. Und da seh ich so Bilder vor mir: kleine indigene Kinder mit großen Stabheuschrecken auf der Schulter oder mit ganz großen Schmetterlingen auch auf der Schulter oder auf der Hand, fast sprechend miteinander. Ja, also solche Bilder gibt es auch. Das liegt einfach daran, dass da der Zusammenhang, der Zugang – das alles ist da noch viel stärker vorhanden, zu dem Planeten auf dem wir leben, Planet Erde.

Insekten sind Bodengestalter und Baumgärtner

Tierautonomie: Es gibt bislang keine wirkliche Lobby für die Insektenwelt – als nichtmenschliche Tiere die sie sind, z.B. nehmen sich Tierrechtler ihrer Problematik bislang kaum an, weil selbst in den Tierrechten zumeist immer noch eine hierarchisierende Unterscheidung in „komplexere“ und „weniger komplexe“ Lebensformen betrieben wird, da wird immer noch von einem mensch-zentrierten Bild ausgehen im Bezug auf Wichtigkeit und Relevanz von Leben. Verstehst Du Deine Botschaft auch als eine Art Kritik an der ‚Hierarchisierung von tierischem Leben’ – sprich Homo sapiens = ganz oben und Invertebraten = ganz unten? Das würde zumindest auch beweisen, dass tieretisches Denken nicht unbedingt immer nur aus den Ecken stammt, von denen man es erwarten würde.

Inox Kapell: Das steht jetzt nicht so im Vordergrund bei mir, aber ich glaube das passiert dann automatisch. Ich kann durchaus ne Biene oder ne Ameise in ihrem sozialen Verhalten – also was ich jetzt selber erfahren habe über die ganze Zeit, kann ich das durchaus vergleichen mit dem Verhalten von Säugetieren. Und da komm ich auch dahin, dass ich sage, wenn man das jetzt hierarchisch sieht, dann müsste die Biene auch ganz oben sein und die Ameise auch und auch die Termite und auch die Wespe und die Hummel.

Tierautnomie: Also das würdest Du klar so postulieren, das könntest Du als Entomologe völlig unterschreiben?

Inox Kapell: Ja, auch in ner Abgrenzung zu andern Völkern, also das machen ja auch die Löwen oder die Wölfe und so weiter … auch Ameisen haben Wächter, auch Ameisen haben Kundschafter, das ist alles bei Säugetieren auch der Fall. Nur es ist vielleicht alles ein bisschen einfacher – das weiss ich ja nicht mal, weil ich das ja nur beobachte und weil die Tiere natürlich kleiner sind und alles was kleiner ist, wird immer weniger beachtet. Wir haben ja noch nicht mal gemerkt oder wissen ja heute noch nicht mal richtig … wir sagen ja es ist ne Darmflora und es ist eigentlich ne Darmfauna. Es sind ja Tiere, die in uns sind. Wir wollen das gar nicht wissen. Da hat der Mensch irgendwo ne Schramme. Ich kanns jetzt nicht anders sagen, weil ich das jetzt nicht so hart fühle, aber ich kann das nachvollziehen. Ich bin ja auch so aufgewachsen, drumrum sind ja auch alle heute ängstlich und haben dieses Denken. Und das Kleine ist immer das, das man einfach ausstellen und niedermachen kann.

Tieautonomie: Genau, man kann das leicht zerdrücken und zertreten, es ist verletzlich. Wir sind ja in einer mächtigen Position.

Inox Kapell: Und auch die Angst. Einmal gehört die Insekten, da gibt es Stechende dabei, oh ja, dann ist das schon der Feind, ‚ja also wenn das mich sticht’.

Tierautonomie: Oder wenn es mich auch nicht anlächelt, dann weiß ich nicht, was denkt ‚es’ überhaupt.

Inox Kapell: Genau, weil lächelnde Gesichter sind bei Insekten nicht so ausgeprägt.

Tierautonomie: Ne, und ‚das’ ist nicht so kuschelig.

Inox Kapell: Und das auch nicht, obwohl viele Insekten ja auch viele Haare haben, aber es sind ja fast alles Sinnesorgane.

Tierautonomie: Es sind sehr autonome Lebewesen, es gibt ja auch viel mehr Insekten, glaube ich, als es andere Tierlebewesen überhaupt gibt?

Inox Kapell: Ja, die Biomasse der Ameisen ist stärker als die aller Menschen zusammen. Also wenn du alle Mensch auf ne Waage tun würdest, auf die eine Seite, die Ameisen auf die andere, dann wiegen die Ameisen mehr als alle Menschen zusammen. Und da ist dann auch für mich klar, welch ein wichtiges Element eigentlich Insekten sind, also außer Feuer, Erde, Wasser, Luft, sind die Insekten eigentlich ein Element, weil aller Boden ist durchwoben von Chitinen, Proteinen, Eiweißstoffen, von allem eben, was die Insekten auch zurückgeben in die Erde, wenn sie sterben.

Tierautonomie: Die Gemeinschaft der Insekten ist also völlig untrennbar von der Natur, von der intakten Natur.

Inox Kapell: Ganz genau, und wir sind jetzt, genau jetzt zum ersten Mal menschheitstechnisch oder überhaupt, evolutionstechnisch vielleicht – ich meine vor 130 Millionen Jahren ist da mal ein Komet … das weiß man jetzt nicht, was es genau bewirkt hat – aber heute sind wir genau an so Punkten, wo jetzt die Insekten sehr stark sterben und wir die Folgen spüren werden. Wir haben schon Länder, da ist es schon soweit, da gibts schon ganz viele Vergiftungen, da ist schon alles Wüste sozusagen. In Amerika, die Japaner, die Chinesen haben riesen Probleme. Am Kirschblütenfest hat mans dann gemerkt, dass die Kirsche leidet, die Bienen sterben, ‚wir müssen das mit dem Finger machen, wir wollen dieses Blütenfest, das ist unsere Tradition’. Ja dann merkt der Mensch plötzlich, ‚ach so, die Biene ist ausgestorben, oh. Ja wie kann das denn passiert sein … .’

Tierautonomie: Völlig beängstigende Vorstellung.

Inox Kapell: Und es ist nicht nur die Biene, die bestäubt, sondern auch die ganzen Hummelarten, also vielleicht nicht ganz so stark oder konzentriert wie die Honigbiene, aber die tun das auch, und Wespen auch, aber eher zufällig. Ja Hummeln sind ja auch echte Bienen, gehören ja dazu zu den Bienen. Die machen das also alle. Und alle anderen Insekten, wie Schmetterlinge oder Ameisen, Käfer, die machen das eher zufällig, passiert aber auch. Und das Bestäuben ist eine wichtige Sache, die Bodengestaltung ist zum Beispiel eine andere und was weiß ich was da noch … so zum Beispiel Wasservorrat [bei den Bäumen] … .

Tierautonomie: Das ist ja wirklich auch eine gesamte Kultur, ne ganze Kulturlandschaft zwischen Fauna und Flora.

Inox Kapell: Regenwürmer sind so, so wichtig. Die siehst Du nirgendwo mehr. Wir machen Regenwurmführungen hier, da laufen wir nur rum und zeigen die Arbeit der Regenwürmer, dass die gerade mit ihrem Mund das Laub verarbeiten. Und die Kinder denken, ja das Laub fällt und dann vergammelt das. Nein, wenn es vergammeln würde, würde es überall stinken. Also das ist ein richtiger Prozess, dass das wieder Erboden wird. Wenn die das Laub nun alles rausziehen aus den Kulturwäldern, dann bildet sich nichts Neues. Und wenn wir uns in der Stadt die Bäume angucken, wie die da wachsen, da haben die gerade noch so viel drumrum, alles andere ist betoniert, die werden einfach … . Ich hab schon ne Performance gemacht bei umgehackten Bäumen, weil, die sind alle von innen verrottet. Die Städte werden alle irgendwann völlig uninteressant sein, vielleicht auf den Dächern wird sich was abspielen, aber den Beton muss man rausreißen … um Bäume zu pflanzen … . Es ist ganz furchtbar, das tun wir einfach so.

Tierautonomie: Ja und es wird kaum ein Bewusstsein dafür geschaffen und wenn, immer nur in Hinsicht auf die Nützlichkeit für den Menschen. aber nicht für die Natur selber.

Inox Kapell: Genau, und irgendwann haben wir auch in Deutschland, dass alles gleich aussieht.

Tierautonomie: Bodenversieglung.

Inox Kapell: Bodenversieglung, ja genau, und dann sind solche Wiesen wie hier die totalen Oasen.

Den Freiraum der Insekten in der Natur achten lernen, Anstöße vermitteln

Tierautonomie: Auf welcher Grundlage könnten Menschen akzeptieren, dass Insekten nicht nur wegen ihrer Nützlichkeit für die Menschen wichtig sind, sondern dass sie an und für sich eine besondere Rolle in der Welt einnehmen, indem sie selbst weltgestaltend und Lebensräume gestaltend sind?

Inox Kapell: Also ich geh jetzt mal wieder davon aus, dass, am meisten präge ich ja Kinder und Jugendliche, und wenn ich mit denen arbeite, dann passiert auch immer was, also ich mach Insektenmusicals, Theaterstücke, ich mach Hörspiele, usw. und das auch mit Kindern. Ich erarbeite Dinge, die die Kinder dann mit nachhause nehmen können, also, ob das dann kleine Insektenhotels sind oder Insektenhotels an deren Schulen oder ob das „nur“ Insektenführungen sind – „nur“  – da lernst Du auch was. Alles was Du mit denen machst, hat da auf jeden Fall ne Wirkung. Ansonsten ist ja in der Gesellschaft gerade ein großes Sterben in der Natur [Thema], und das ist natürlich auch wie ein: ja da leuchtet ja schon was, da kommt ja was zurück. Also wenn Du merkst ‚oh ich hab ja jetzt gerade gehört die Bienen sterben und es gibt schon diese Pflanze nicht mehr’ und so – dann macht das was bei Dir. Das kann dann weiterführen, je nachdem. Wie in einer Matrix sag ich jetzt mal wieder, weil viele sind ja nun mal ganz stark in ihrer Matrix, wie da gehandelt wird. Und da sind wir eigentlich – jeder ist da gefragt, jeder kann da handeln, jeder kann was erzählen. Der das natürlich mit Leidenschaft macht, ist der, der dann eher gehört wird, wie der Wissenschaftler, der halt nur sagt ‚Insekten haben sechs Beine, die haben ein Ausscheidungsorgan und sie haben Facettenaugen, die können fliegen und die machen auch das und das’ und das alles auch noch mit wissenschaftlichen Wörtern; da kommt nichts an. Das tolle bei Beuys war auch seine Sprache, weil, er konnte auf der einen Seite natürlich akademisch reden, aber er konnte auf der anderen Seite auch sehr einfach sprechen und dadurch hat er viele Menschen erreicht und das ist eben die Kunst.

Tierautonomie: Also auch das kreative, lebendige Kommunizieren, dass man z.B. nicht nur ne Petition weiterschickt, sondern auch noch ein paar eigene Gedanken dazu ausdrückt.

Inox Kapell: Genau, damit man es versteht … und so ist das eben mit den ganzen Insektenthemen auch. Also Hauptthema ist ja die Biene gerade, weil die Biene ja einfach so wichtig ist, nicht nur zur Bestäubung von Obst und Gemüse, sondern auch von Baumarten.

Tierautonomie: Ja und das ist ja brutal, was man mit Bienen in der Züchtung macht, dass man den Königinnen die Flügel abschneidet oder künstliche Besamung [5]. Das wissen viele Leute garnicht, was sich da hinter den Kulissen so abspielt.

Inox Kapell: das macht ein Demeter-Imker nicht, ein anthroposophischer Imker, wie wir ihn hier auf dem Schloss haben, macht das null, der ist da ganz anders drauf. Aber die Langnese, die ganzen großen Marken, das sind einfach Fabriken, das ist wie Massentierhaltung.

Tierautonomie: Wie auch bei den Seidenraupen [6].

Inox Kapell: Ganz genau.

Kreativ für Insekten Dinge schaffen

Tierautonomie: Kann Kunst nicht-anthropozentrisch sein, auch wenn der Kunstbetrachter ein Mensch ist. Anders gesagt, könntest Du Kunst für Insekten machen?

Inox Kapell: Ja, mach ich. Ich zeig es Euch wenn ihr wollt, hinten auf der Wiese gibt es Insektenhotels. Das ist Kunst für Insekten.

Tierautonomie: Das ist nicht einfach nur so lieblos, wie die Insektenhotels, die beim Gartenbedarf angeboten werden?

Inox Kapell: Also die in den Bauhäusern kaufbaren Insektenhotels, die sind häufig imprägniert, das ist gar nicht erforscht … [nach dem Motto] ‚so sehen also Insektenhotels aus, also dann machen wir die mal nach, da bohren wir ein paar Löcher rein’, das Holz ist häufig imprägniert, das heißt Du stellst das auf und da kommen gar keine Insekten rein. Das gibts nämlich auch, da ist im Kopf nur: ‚ich will mit nem Insektenhotel Geld verdienen, wie bau ich denn eins’, trotzdem werden sie gekauft, Da gibts noch dieses blöde – ja die Deutschen sind auch manchmal zu sarkastisch find ich – diese Hornbach-Werbung, da ist doch dieser Typ da im Garten und da fährt so einer mit nem Insektenhotel durch und dann: ‚muss denn das jetzt sein’ oder irgendsowat. Und ich hab mich so gefreut, ich denk irgendwie müsst man eigentlich dazu schreiben: ‚yeah endlich wieder Insekten, die an mir mal vorbei fahren’. Aber es ist wieder dieses ‚äh – da hat er ja recht wenn er sich beschwert, weil Insekten sind einfach scheiße’.

Tierautonomie: Ja genau.

Inox Kapell: Die kann man im Hotel haben, aber mehr nicht. Die Insektenhotel-Idee ist eigentlich ein Naturklassenzimmer zu machen, also das ist neben dem Gedanken ‚ich will dass Insekten gefördert werden’, auch dieses ‚ich guck sie mir dann an’. Das ist zum Beispiel die Vermittlung, die ich an Schulen mache. Wir bauen jetzt nicht nur nen Insektenhotel damit ihr dann dort eine Bestäubung habt, weil ihr habt nen Obstgarten und so, sondern ihr habt ein Naturklassenzimmer, ihr müsst jetzt nicht da in den Wald fahren mit dem Bus … .

Tierautonomie: Vielen Dank für das Gespräch lieber Inox!

Wir gingen dann hinaus zu den hinteren Wiesen des Schlossparks, die ein wahres Ökotop sind. Inox zeigte uns irre kunstvolle Insektenhotels, viel behüteten Lebensraum für die kleinen Invertebraten. Die Wiesen liegen direkt an einem Teil des Gartens, der eher einem Mischwaldstück gleicht … und siehe da die ganze Wiese war belebt von Insektendiversität!

In unseren Händen: Ordungsamt et la Politesse: Ameisen und Politik, Album von Inox Kapell und Pater Rene von Döll, ein Release von 2017. [7]

Verweise

[1] Inox Kapell, Grafik Quelle: http://www.schlossfreudenberg.de/typo3temp/dbgallery/75c0a73a5f.jpg , Stand 20.04.2018.

[2] Inox liebt die Insekten, http://www.inoxkapell.de/insekt.htm , Stand 20.04.2018.

[3] Schloss Freudenberg, Der U(h)rzeigerSinn, https://www.schlossfreudenberg.de/wir-ueber-uns/freudenberger-ursprung/vorbilder-und-anregung.html , Stand 20.04.2018.

[4] Voctorie Jaggard: Meet the Makech, the Bedazzled Beetles Worn as Living Jewelry. Käfer als Broschen: Der Artikel beschreibt die Herstellung von mit Gold und Edelsteinen verzierten Käfern, die bereits seit Jahrtausenden als lebendiger Schmuck getragen worden sein. http://www.smithsonianmag.com/smithsonian-institution/meet-makech-bedazzled-beetles-worn-living-jewelry-180955081/?no-ist, Stand 21.04.2018. Dass nicht alles, was von indigenen Kulturen stammt, automatisch eine sozialere Einstellung zu nichtmenschlich-tierlichen Lebewesen beinhaltet, beschreibt Noske (1997) aus anthropologischer Sicht. Speziesismus und Anthropozentrismus bestimmen auch in indigenen Kulturen oftmals die Mensch-Tier-Beziehung, vgl. Barbara Noske, Speziesismus, Anthropozentrismus und Nichtwestliche Kulturen, http://simorgh.de/noske/noske_3-15.pdf , Stand 21.04.2018. Und Ameisen in Uhren, Stephen Messenger, New Watch Holds Little Live Animals Captive On Your Wristhttps://www.thedodo.com/watch-holds-captive-ants-1057364913.html , Stand 21.04.2018.

[5] Die Informationen sind in zwei Features aus ‚The Vegan’ (1992) über die Honigbiene von Amanda Rofe zu finden: Die Honigbiene http://www.simorgh.de/vegan/bienen_v_S92.pdf , die Honigbiene II http://www.simorgh.de/vegan/bienen_v_H92.pdf , Stand 22.04.2018.

[6] Informationen über die Seidenproduktion sind nachlesbar z.B. in diesem Artikel vom ‚The Vegan’, von Robin Webb: Seidener Faden: Seidenraupentod (1990), http://www.simorgh.de/vegan/bombyx_S90.pdf , Stand 22.04.2018.

[7] Ordungsamt et la Politesse, Ameisen und Politik, Hafenschlamm Rekords, 2017, http://www.cargo-records.de/de/item/116671/katalog_art.75.html , Stand 22.04.2018.

Auswahl, Links zum Künstler

Die Webseite von Inox Kapell http://www.inoxkapell.de/
Schloss Freudenberg: https://www.schlossfreudenberg.de

Videos:
Pipinox Konfetti im Sinn: https://www.youtube.com/watch?v=lIzq-av0yhU , Stand 22.04.2018.
Phänomenica: https://www.youtube.com/watch?v=PsurclD9zuY , Stand 22.04.2018.
Arte Sendung über Insekten und Inox: http://cinema.arte.tv/de/artikel/zoom-insekten-im-kurzfilm , Stand 22.04.2018.

Artikel:
Im Universum von Inox Kapell: https://merkurist.de/wiesbaden/insektenforscher-im-universum-von-inox-kapell_dXI , Stand 22.04.2018.

Musik:
APJIK – berlinberlinberlin: https://soundcloud.com/laurent-rauner/apjik-berlin-please-validate-your-ticket , Stand 22.04.2018.
Love Dimension: https://www.youtube.com/watch?v=zkJY0hWLBg4 , Stand 22.04.2018.

Das Interview führte
Palang LY Prenzel, www.simorgh.de – ‚Open Access in der Tier-, Menschen- und Erdbefreiung’. Revised 4/2018.

Zitation
Tierautonomie Interview mit Inox Kapell (2018). Insekten, unsere und ihre Kultur. TIERAUTONOMIE, 5(2), http://simorgh.de/tierautonomie/JG5_2018_2.pdf.

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TIERAUTONOMIE (ISSN 2363-6513)

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Autonomierechten einen Namen verleihen: Namensgebung für nichtmenschliche (nm-)Tiere als Zeugnis und Ausdruck sozialer Bezugnahme

Autonomierechten einen Namen verleihen:
Namensgebung für nichtmenschliche (nm-)Tiere als Zeugnis und Ausdruck sozialer Bezugnahme

Palang Yeganeh Arani-Prenzel, @nonhumanism (Gruppe Messel)

Das Bild von Farangis G. Yegane links stellt die Tauroktonie im Mithraskult in Gegenüberstellung mit der Kreuzigung Christi dar.

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Ich denke wir brauchen eine Praxis der Umsetzung von Tierrechten, nicht allein im juristischen, aber auch im einem ganz grundlegenden Sinne. Wir müssen uns dazu fragen: Erkennen wir denn selbst (auf allen Ebenen und soweit es uns möglich ist) Tierrechte, der nm-Tiere mit denen wir leben und derer, die wir indirekt repräsentieren wollen, an? Und wenn ja welche Rechte erkennen wir dabei an und was verstehen wir denn genau unter Tierrechten? Und damit einhergehend stellt sich auch die Frage: Wie kann die Praxis, die solchen Rechten ihr Gesicht verleiht, im alltäglichen Leben noch über eine intersektionale ethische vegane Lebensweise hinausgehen?

Wir werden im Vergleich miteinander feststellen, dass wir alle mitunter ein sich unterscheidendes Verständnis davon haben, was entscheidend für die Umsetzung von Tierrechten ist und was nicht, und was wir überhaupt unter Tierrechten beim genaueren Hinsehen verstehen. Ich persönlich nehme die Autonomierechte (d.h. die „Freiheit von einer menschlichen Definitionshoheit über das Tiersein“) von nm-Tieren besonders wichtig. Es gibt Tierrechtler, die meinen, nm-Tiere seien überhaupt nicht wirklich autonomiefähig, die meinen, nm-Tiere seien durch Instinktverhalten prädeterminiert.

Für den einen wären es mitunter ultimative Tierrechte, wenn er einen Lebenshof betreiben oder fördern und besuchen kann. Für jemand anderen sind die politischen Tierrechte besonders wichtig, auf der Ebene verbaler Agitation und Aufklärung. Der eine versteht darunter dann wiederum aber beispielsweise eher den Einsatz für die Abschaffung von Massentierhaltungs- und Schlachtungsanlagen, der andere legt den Fokus auf die Abschaffung der Tötung aller Tiere in der Menschengesellschaft ganz grundsätzlich.

Nun greife ich mein Ziel mal heraus, aus dem Wust von Zielen und Vorstellungen, die wir alle als Tierrechtler auf unsere Weise als persönliche Prioritäten wählen. Mein Fokus ist das Recht auf Autonomie im Sinne einer weitestgehenden Selbstbestimmtheit.

Mir wäre auf dem Weg zu diesem hohen Ziel, in der Praxis meiner sozialen Interaktionen mit nm-Tieren und Menschen, wichtig, dass nm-Tiere einen Rufnamen zur Anrede und Identifikation erhalten, ohne dabei eine „Vermenschlichung“ zu betreiben. Die Wahl des Namens entscheidet, ob ein Rufname für ein Tierindividuum humanzentrisch erdacht oder korresponsiv-sozial bezugnehmend auf mein individuelles Gegenüber ist. Ein Rufname ist schließlich eine individuelle, verbal intonierte Anredeform meines Gegenübers. Es ist eine Art Kommunikations- und Verständigungscode. Mein Gedanke dabei: Ich denke die Möglichkeit besteht, nm-Tiere (ich sage im Weiteren abkürzend nur ‚Tiere’) als Familienmitglieder oder Zugehörige mit einzubeziehen und hier ein klares Statement abzugeben: „Ich lebe mit diesem Tier zusammen und wir sind Freunde, dieses Individuum ist Teil meiner Lebensgemeinschaft und unter gegenwärtigen Umständen im gewissen Sinne mein Schutzbefohlener. Dieses Tier soll von meinen Rechten, soweit wie möglich, profitieren. Ich setze meine Rechte für seine/ihre Rechte ein.“ Das „Haustier“ muss nicht untergeordneter Lebensgenosse sein und ich sollte mir genau überlegen, dem/den Tieren einen so optimalen Rahmen für ihr Leben in Gemeinschaft mit mir zu schaffen, wie dies auch nur möglich sein kann, am besten in anderer tierlicher Gesellschaft.

Meine ganzen Vorstellungen in Hinsicht auf Tierrechte, wie meine Tierfreunde in der Praxis im gemeinschaftlichen Leben in einem Hausstand mit mir leben können, sollten ein klarer Ausdruck größtmöglicher Wahrung der Autonomierechte, in Schutz und Geborgenheit vor speziesistischen Repressalien soweit das möglich ist, darstellen. Und mein menschliches Umfeld sollte über diese bewusste Haltung informiert werden. Wir müssen, in diesen für Tiere widrigen Umständen, die in humanzentrischen Gesellschaften herrschen, nun einmal Lebensgemeinschaften bilden. Das optimale wäre, wenn wir zunehmend Grünflächen „nutzen“ könnten, auf denen neben einem ökozentrischen Naturschutzgedanken auch Tiere, z.B.auch befreite Tiere, beispielsweise Hühner aus Haltungshöllen, Enten, Gänse, Puten, leben könnten.

Hier muss ich einen kurzen Abstecher machen, denn das ist nämlich übrigens ein Punkt, der mich in einem Aspekt der Einseitigkeit an der bioveganen Landwirtschaft verwundert. Folgendes: a.) Wir nutzen Raum b.) der vegane Gedanke ist im Sinne der Tiere und ihrer Rechte angedacht worden c.) der vegane Landbau klammert die Tiere als Wesen, die grünen Lebensraum benötigen, jedoch gänzlich aus und fokussiert auf den Anbau und die Nutzbarkeit von Böden. Wir brauchen aber im Veganismus Land auch immer als Habitat von Tieren, als geschützte Räume, und dies sollte ebenso benannt werden wenn über Landnutzung im großen Stil gesprochen wird. Zudem ist tierliche Diversität immer ein Mitleben im natürlichen Raum und dieser Punkt sollte nicht in den Hintergrund veganer Erörterungen stehen dürfen.

Das heißt, neben einer bioveganen Agrarfläche kann auch Land anberaumt werden, das einen sicheren Lebensraum für Tiere bietet, und das nicht nur im Rahmen designierter Lebenshöfe sondern jeder veganen „Nutzung“ von Land. Die Frage, nach möglichen Refugien für Tierdivestität ist mitnichten unkompliziert und benötigt ebensoviel ökopolitischen Einsatz wie die Sorge um das menschlich leibliche vegane Wohl. Es ist bedauernswert, dass die Tierrechtsfrage im Kontext mit Veganismus immer wieder ‚Essen’ (primär für Menschen) und ‚(grundsätzliches) Lebensrecht’ (für Tiere) Seite-an-Seite stellt. Aber im Moment schlucke ich diesen Klotz, der Kürze halber. Das Problem ist dem Speziesismus in Hinsicht auf seine einverleibungsideologischen Aspekte geschuldet, die die nm-Tiere in die Nähe von Agrarfragen gerückt haben.

Der Lebenshof „Animal Place“ in Kalifornien hat seinen bioveganen Landbau mit seinem Lebenshofprojekt verbunden. Sinnvoll, denn Tiere aus unseren Planungen und dem Bedarf an Nutzflächen wegzurationalisieren – auch damit die Tiere in Zukunft nicht mehr leiden müssen (eine indirekte Implikation vieler Argumentationen über Lebensraum-, Ökologie- und Tierfragen) – kommt einer stillschweigenden Form speziesistischer Entrechtung gleich. Tiere leben auf der Welt und benötigen ihren natürlichen Lebensraum. Ich denke die Frage nach Lebensraum und der Wahrung und Schaffung dessen ist eine der ganz großen Prioritäten für eine vernünftige Tierethik, zumindest sollte sie das sein.

Zurück zur Namensüberlegung. Die Benennung mit einem Rufnahmen drückt die lebendige, soziale, anteilnehmende Bezugnahme zu meinem Gegenüber aus. Es würde meiner Meinung nach perfekten Sinn machen, die Namensgebung legitim als Schritt zur fernen Utopie allgemeingültig anerkannter Rechte mit zu etablieren. Name your beloved friend, write it down. Put it as a stance for making nonhuman animal rights become a reality in our society. Oder so.

Ein bekannter Tierrechtler aus den USA sagte mal zu mir, Tiere könnten überhaupt nie autonom sein, solange sie nicht befreit sind. Er verstand Autonomie in erster Linie allein als die nackte, leibliche Autonomie. Ich denke Autonomie ist etwas Substantielles, das sich im Sein, im rein Existentiellen, bereits befindet. Autonomie begründet Freiheitsfähigkeit, denn sie ist das Ich-Sein eines Individuums, und dies betrifft bei Tieren vor allen Dingen den Punkt ihres Denkens, das ihnen fortwährend aberkannt wird. Ich frage mich immer wieder was für eine merkwürdige Tierbefreiungsbewegung wir sind, die sich aufs Leibliche aber nicht auf das Geistige der Tierwelt beziehen mag. Diesen Fokus auf die leibliche Tierbefreiung finden wir immer wieder, während wir gleichzeitig auch immer wieder feststellen können, dass Vorurteils- und Urteilsstrukturen (insbesondere) aus den Naturwissenschaften und der Philosophie kontinuierlich von Tierrechtlern selbst mit kolportiert werden, statt eigene Terminologien der Tierbefreiung zu entwickeln, zu postulieren und zu etablieren. Der grundsätzliche Schritt zur Revolution im Denken fehlt, weg von den klassischen kausalistischen, entgeistlichten und den ans ‚Lebenssezierend-Biologische’ gebundenen Beobachtungswarten, hin zur Auseinandersetzung mit dem allumfassenden Faktum des Tierseins.

Nicht explizit verortete Tiefreundlichkeit: Tiere vorführen, um sich für ihre Rechte stark zu machen

Was zeige ich hiermit: ein Tier und ich als Retter mit auf dem Foto. Der Haltungsansatz Tiere zu zeigen, auf Fotos, Videos, in der bildenden Kunst, in unseren Texten, sie zu diskutieren, als seien sie selber nicht-denkende passive, nicht mitreflektierende, nicht den Menschen mitbeobachtende Rezipienten. Tiere sind andere Kulturen. Sie sind keine evolutionär reduzierten Wesen in Hinsicht auf ihr soziales Reziproksein und ihr Denken. Das wäre eine hierarchische Sichtweise auf unsere Freunde, zu meinen, nur wir können über sie reden, aber sie nicht über uns. Tiere haben ihre Sprachen. Und um klarzustellen, dass Tiere schlichtweg andere Kulturen sind (eben nichtmenschliche tierliche Kulturen) müssen wir noch nicht einmal den Rückgriff auf Darwins Evolutiontheorie vornehmen und uns brüsten, dass wir diese „Verwandten“ halt leider durch „survival of the fittest“ intellektuell im Anthropozäns hinweg evolutioniert haben und schon lange geistig überholt haben. Nein, sie sind in ihrer Entwicklung historisch in ihren Lebenszyklen an der Stelle, an der sie sind, sie haben ihre Kulturen über Jahrmillionen entwickelt und tradiert, sie praktizieren allesamt ein Leben, das einen tiefen, ultimativen Bezug zum Naturhaften hat. Sie sind nicht auf das Biologische zu reduzieren.

Die menschlichen Kulturen haben sich in letzter Konsequenz darauf geeinigt, die Natur als entseelt zu betrachten und ihr objektifizierend und verdinglichend zu begegnen. Alles Beseelte ist für uns an mehr oder weniger religiöse Vorstellungen gebunden, und unsere Religiosität haben wir als Machtmittel und als Mittel menschlicher Vereinheitlichung hingenommen. Sehen wir Spiritualität freier und ungebundener, wird klar, dass unsere Bezüge zur Natur ähnlich wertschätzend und bedeutungsvoll sein können, wie die der Tierkulturen. Dass auch wir fähig sind das All-Leben zu wahrzunehmen, vernunftsmäßig zu begreifen, statt es als Ressource auf ein Mittel zum Zweck zu degradieren. Und der starke Bezug der Tiere zum ‚Naturhaften’ weist weder auf eine Entseeltheit noch auf eine fundamentale ‚Materialität’ hin. Denken wir über das Universum nach, stellt die Materialität (oder aber auch das nicht Vorhandensein von Materie respektive) ja auch keinen Mangel in den Zuordnungen von Komplexität dar. Unseren Gesellschaften ermangelt es an der Anerkennung der Natur als Seinsvielfalt. Tierliche Individuen praktizieren aber eine solche interaktive, wertschätzende Lebenspraxis mit dem naturhaften Raum.

Resultierend aus der Dichotomie, die wir zwischen Mensch und Natur geschaffen haben, sprechen wir immer wieder über Tiere in aller Liebe, aber in entmündigender und vorführender Art und Weise. Wir weisen hin auf ihre Fähigkeiten und Sensibilitäten (gemessen an Dingen, die menschlichen Kollektiven vorrangig wichtig sind) als müsste man nochmal darauf hinweisen. Wir sprechen über sie in einer speziesistischen Gesellschaft, als wollten wir eine Beschwichtigungstaktik gegenüber den speziesistischsten aller Argumente betreiben. Nein, der Speziesismus negiert selbst dies alles, und er tut das ganz offenkundig, und nur wir harmlosen Tierrechtler meinen die Welt sei gerade aus dem Ei geschlüpft und wir müssten die anderen Menschen nochmal erweckenderweise darauf aufmerksam machen, dass Tiere sensibel und klug sind, in dem Maße aber bitteschön nur, wie die Biologen es ihnen momentan attestieren.

Ich denke es gibt noch andere Möglichkeiten um für Tierrechte aktiv zu sein, statt in dem erklärenden Modus zu verharren, in dem ich als Mensch, zu den anderen als Menschen und Gleichgestellten, über „die Tiere“ als die spreche, über deren Köpfe hinweg wir nun einmal sprechen wollen. Ich kann das dritte beteiligte Gegenüber durch meinen Ansatz bewusst mit einbeziehen und seine Rechte, auch wenn dieser Andere abwesend ist, in jedem Punkte mit berücksichtigen und verteidigen (das heißt also auch kein Appeasement gegenüber den speziesistischen Klassikern: Religion, Naturwissenschaften und Philosophie), oder ich kann primär einen Meinungsstreit zwischen zwei unterschiedlichen Positionen austragen, bei denen der Kontrahent im Mittelpunkt steht, die Argumentation dabei aber zu kurz greift, weil ich das Gegenüber ja nicht überfordern kann und dieses Gegenüber ja sowieso meint die Welt sei eine Scheibe. Ich kann in dem Moment die Wahrheit postulieren, auch wenn das Gegenüber in wirklich fast jedem Punkte widersprechen mag. Und ich sollte dies tun.

Denn wollen wir tatsächlich an der Stelle stehen bleiben, an der wir behaupten, wir hätten die Definitionshoheit als menschliches Kollektiv über das Tiersein und die Tierlichkeit (in all ihren individuellen Ausprägungen und inklusive der Spezies Mensch)? Oder schaffen wir es mit den Speziesismen in Religion, Recht, Philosophie, Soziologie, usw. kategorisch zu brechen und uns mal die feinen Details aller möglicher existenter Speziesismen anzuschauen? Indem wir dies täten, würden wir die Enge, die der Anthropozentrismus allem Sein verordnet, bloßstellen und zumindest unser eigenes Denken und Handeln würde sich grundlegend verändern und somit auch anderen einen Anstoß auf einer ganz grundlegenden Handlungsebene geben können.

Rev. 21.02.2018

Niemanden essen

Eine mythologische Spurenverfolgung menschlichen Fleischkonsums.
Farangis G. Yegane: Zahhak im Shahnameh HTML, PDF

Podcast: Niemanden essen (MP3)

Ist es schlimmer die einen oder die anderen Nichtmenschen zu essen? Oder ziehen wir hier nicht schon wieder eine ethische Trennlinie, mit der wir es versäumen aufzuzeigen, dass jeglicher Konsum toter nichtmenschlicher Tierkörper gleichermaßen ethisch verwerflich ist wie Kannibalismus?

Enge Denktrampelpfade in der Tierrechtsbewegung sollten erweitert werden:

1. Wir lieben die einen … (Hunde, Katzen, Haustiere):

Die Haustierhaltung ist problematisch, die Beziehung zu Haustieren stark verbesserungswürdig. Wir müssen nicht gleich, wie die Hardcore-Abolitionisten, das Kind mit dem Bade ausschütten und ein Verbot von der Lebensgemeinschaft von Mensch und Nichtmensch im gemeinschaftlichen Lebensraum fordern, aber wir sollten dennoch einsehen, dass sog. Haustiere massiv von Speziesismus betroffen sind. Menschen meinen sie wissen alles über „ihre Vierbeiner“ – besser als die Tiere es selber wissen könnten, Menschen sind autorisiert zusammen mit dem Tierarzt zu entscheiden, wann das Leben des nichtmenschlichen Tieres beendet werden soll, Tiere leben häufig alleine unter Menschen, sind den Vorstellungen des Menschen vollständig ausgeliefert, bei aller Tierliebe. Die gleichen Tiere gelten andernorts auch nur als Fleischlieferanten, etc, denn sie sind für die Menschheit eben „nur Tiere“.

2. Und quälen die anderen … (sog. Farmtiere, Schweine, Rinder, Hühner, Fische … ):

Die Massentierhaltungssysteme sind die Spitze des Eisbergs, jede Gewalt gegen Nichtmenschen zum Zwecke der Einverleibung und der Versklavung, jeder sexuelle Eingriff in das Reproduktionssystem, jede Beherrschung von und Gewalt gegen Tiere bildet den gesamten Felsen dieses Eisbergs.

3. Was ist mit Tieren die sich an anderer Stelle in den speziesistischen Systemen wiederfinden: wie z.B. Pferde, Esel, wildlebende Tierarten und „klassischerweise“ gejagte Tiere?

Alle Tiere sind dem Speziesismus / Speziesismen ausgesetzt.

4. Menschen essen nun halt einmal Fleisch, dann brauchen wir halt die In-Vitro-Variante:

Es gibt perfekte pflanzliche Alternativen und wir fordern in Menschenrechtsfragen ja auch nicht nur den halben emanzipatorischen Weg zu beschreiten. Warum sollten Menschen nicht Pflanzenfresser werden können?

Podcast: Tierkörper in der Kunst und mal wieder PETA und die Tiereuthanasie

Podcast: Tierkörper un der Kunst und mal wieder PETA und die Tiereuthanasie (MP3)

Eine vielleicht nicht so gelungene aber immerhin nicht-speziesistische Möglichkeit der künstlerischen Verarbeitung des Themas Speziesismus in unserer Gesellschaft (von mir selbst angefertigte Zeichnung).

Warum wieder das lästige Thema Tiereuthanasie und PETA, habe darüber bereits vorher berichtet, siehe hier: http://www.simorgh.de/archive.htm. Im Podcats gebe ich unrichtigerweise an man solle in der Suchbox unten PETA eingeben, aber die Einträge zum Thema PETA und Euthanasie befinden sich in meinem Archiv. Also warum wieder dieses Thema, ganz einfach: weil es innerhalb der TR-Bewegung immer noch zumeist negiert wird und Fälle wie der der Hündin Maya in den USA einfach unsäglich tragisch sind.

Das andere Thema: Tierkörper in der Kunst ist zur Zeit brandaktuell, weil sich die Geister in der TR-Bewegung zunehmend daran scheiden, was noch Kunst und was bereits Speziesismus ist.

Also dies sind hier einige Aspekte die mir dazu in den Sinn gekommen sind, und die ich Euch / Ihnen gerne mitteilen wollte – auch zur Ermutigung, dass der/die Zuhörer_in auch seine/ihre Meinung zu derart Themen öffentlich kundtut!

Die eigene Konstruktion des Tieres über die Welt nicht anzuerkennen, sowie die Limitation der Menschheit darin solche Konstrukte zu verstehen …

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In einer Gesellschaft, in der die Menschheit nicht als das Maß aller Dinge gesehen wird, kann eine bestimmte Deutung der Welt – eine menschliche Deutung – trotzdem immer noch als die einzige Wahrheit gelten. Und obgleich eine organische Sichtweise der Welt im Prinzip und potenziell tierfreundlicher wäre, ist diese Art der Weltsicht nicht notwendigerweise ein Schutz gegen gegen Anthropozentrismus. Die Vorstellung zum Beispiel, dass Tiere die Handlungen von Menschen brauchen, seien es Rituale oder die Jagd, um zu überleben und um sich zu reproduzieren – gleich wie wahr das in der heutigen westlichen Welt sein mag – ist im Grunde eine anthropozentrische Vorstellung. Zudem, wo ein menschliches moralisches und soziales System auf den Rest der Natur projiziert wird, wenn auch in aller Aufrichtigkeit, läuft man Gefahr, die Sicht über das Tier als dem Anderen zu verlieren. In dem Fall stehen Tiere in der Gefahr um ihre eigene Domäne und um ihre eigene Art des Erfahrens der Welt beraubt zu werden. Die eigene Konstruktion des Tieres über die Welt nicht anzuerkennen (Watzlawick 1977), sowie die Limitation der Menschheit darin solche Konstrukte zu verstehen, kann in einer noch weiteren Form der Zentriertheit auf den Menschen (A.d.Ü. im Original ‘humancenteredness’) resultieren.’

Aus: Barbara Noske: Speziesismus, Anthropozentrismus und nichtwestliche Kulturen

Bild, Element aus: Our Observer von Farangis

 

Gedanken zum Stofftierphänomen: vermenschlichte Vertierlichung

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Gedanken zum Stofftierphänomen: vermenschlichte Vertierlichung

Warum gibt es eigentlich so viele Stofftierfiguren oder warum genießen solche Tierfiguren eine gewisse Art der Popularität? Sind Stofftiere im Prinzip eigentlich bloß ganz neutrale Stofffiguren mit optisch niedlichen Tierattributen oder sind sie tatsächlich irgendwie Abbildungen von Tieren? Wenn sie vertierlichte, aber eigentlich neutrale Stofffiguren sind, dann scheinen die tierischen Züge immerhin stark unverzichtbar. Warum? Was stellen die tierlichen Attribute bei solchen Figuren dar?

Oder aber wenn man es so sieht, dass Stofftiere eindeutig Tiere darstellen, dann könnte man sich doch fragen, warum hegen wir ein tendenziell abwertendes Verhältnis Tieren gegenüber, ohne diese Einstellungen aber in unserer Haltung gegenüber dem Kindlich-Emotionalen eindeutig vor uns selbst zuzugeben?

Warum verniedlichen wir solche Abbilder von Tieren als was knuddeliges und woher kommt dabei die sinnliche Komponente, die wir in diesen optisch vertierlichten Figuren als plastische Berührobjekte sehen? Vielleicht ist es ja gerade der Umstand, dass diese Figuren von uns geschaffene Plüschstoff-Objekte sind und die reellen Tiere echte und von uns vollständig autonome Existenzen, dass wir die Stofftiere mögen, weil Tiere in dieser sonderbaren Abbild-Funktion für uns ganz und gar unbedrohlich bleiben. Es sind Figuren und keine Wesen. Mit echten Wesen hätten wir eine existenzielle Auseinandersetzung.

Abbilder zeigen das, was wir in etwas sehen oder erkennen möchten oder zu sehen oder zu erkennen glauben. Vielleicht interessieren uns die tierischen Vorlagen dieser Abbilder nicht sonderlich im positiven, weil sie reell doch so anders sind als wir. Sie haben, als andere biologische Tiere, anders evolutioniert als wir, und es ist uns lieber, alle irgendwie möglichen Erklärungen über die Identität nichtmenschlicher Tiere den Fachexperten zu überlassen, statt selbst in den komplexen kommunikativen Möglichkeiten unserer individuellen Mensch-Tier Interaktion herum zu forschen.

Man könnte sagen, wir haben es geschafft unser Verhältnis zu Tieren abzuklären, indem wir der Beziehung zu ihnen einerseits eine im weitesten Sinne emotionale Ecke einräumen, beginnend in der Form unseres meist als Kind gelebten Verhältnisses zu figürlichen oder abstrahierten Abbildungen von ihnen, und im gleichen Atemzug initiiert unser Mensch-Sein sich (in Abgrenzung zum „Rest der Natur“) darin, die Realität einer Mensch-Tier Begegnung auf eine Negierung ihres unabhängigen Lebenswertes zu reduzieren, indem wir sie als reale Existenzen allein in zu uns bedingten Verhältnissen, als Lebensmittelprodukte, Forschungsobjekte, Totems oder Symbole und vielleicht auch als Seelentröster, als „biologischen Sekundärwesen“ zum Menschen, etc., betrachten.

Sowohl in unseren destruktiven als auch in unseren konstruktiven Betrachtungen scheint uns aber das, was die Andersartigkeit der von uns designierten und identifizierten „Tiere“ ausmacht, zu faszinieren. Eine Qualität einer Andersartigkeit, die wir teilweise verachten und lieben, mit der wir aber, über die ganze Ebene gesehen, so wenig integrativ in Hinsicht auf die Frage ethischer Berücksichtigung umgehen können oder wollen, dass wir sie in unseren gedanklichen Begriffen reduziert halten müssen, um nicht in Verwirrungen zu geraten.

Wahrscheinlich ahnen wir, dass die Position in der Tiere in unseren Kulturen (in den Denkgebäuden und Handlungebenen unseres Mensch-Seins) eingebunden sind, vielleicht gar doch auf einer ideologischen Zwangsmäßigkeit von Gewaltausübung (in ihrem grundlegensten Sinne) „dem Naturhaften“ gegenüber basiert, und dass dieser zwanghafte Charakter unserer Beziehung zu nichtmenschlichen Tieren unsere Bereitschaft zum Verständnis spezifisch tierischer Andersartigkeit (ihres Diversitätsverhältnisses zu uns) ausschließt; und mit der fehlenden Auseinandersetzung schließt sich folglich auch die Möglichkeit einer ethischen Integration aus.

Ich will jetzt nicht alles in Verbindung zum Stofftier- und Tierfiguren-„Phänomen“ setzen, sondern sehe hier einen Ausdruck eines emotionalen Verhältnisses zu den anderen biologischen Tieren und über die Betrachtung eines emotionalen Verhältnisses eröffnen sich schließlich im weiteren Zusammenhang zumindest einige Fragen.

Da das Mensch-Tier-Verhältnis faktisch nicht überwiegend auf interaktiver Freiwilligkeit beruht und sich der reelle Existenzwert der Tiere wahrscheinlich durch den ethischen Ausschluss für uns entziehen muss, ergibt sich vielleicht aber eine Faszination dessen was sich uns gerade dadurch verwährt: Eine Faszination des wenn auch willkürlich Unumfassten. Ich denke, dass wir uns durch so eine Faszination, die sich sowohl positiv als auch negativ ausdrücken kann, herausgefordert fühlen, Tiere in dieser unbegriffenen Position in unsere ästhetischen Systeme einzuordnen und somit nach ihnen zu greifen.

Unter einem reellen Existenzwert verstehe ich die innere Unabhängigkeit der Tiere zum Menschen, die durch ihre Vernetzung eigener, von uns getrennter intra-tierischer und durch ihre selbst-gelebten environmentalen Kontexte gegeben ist; sie sind uns einerseits so ähnlich und andererseits aber doch so anders als wir, in den Kontexten die Sie auf diesem Planeten bilden.

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Die echten Tiere und wie wir sie gerne sehen

In Tierdokumentationen, zum Beispiel, werden vorwiegend das Muttertier-Junges-Verhältnis, das Paarungs-, das Jagd- und das Futtersuchverhalten von Tieren gezeigt. Was machen Tiere außer den Verhaltensweisen auf die wir unter dem Gesichtpunkt der Hervorhebung des Instinktverhaltens bei Tieren unser Augenmerk richten. Nichts was für sie von Relevanz wäre?

Aus unserer eingeschränkten Sicht über Tiere kann man zur Annahme kommen, dass jeder irgendwie „individualisierte“ Zug der einem Tier oder einer Tierfigur zugeschrieben werden kann, einem Antropomorphismus, also einer Vermenschlichung, entspringt.

Ich glaube, in Hinsicht auf das Stofftier- oder jedes andere Tierfigurenphänomen, dass eine gewisse Art „individualisierter“ Attributisierungen das teilweise auch tatsächlich und sehr eindeutig sind. Es sind teilweise und insofern Anthropomorphismen, nicht weil Tiere selbst bar jeder Individualität sind, sondern bei den Tierdarstellungen, die mit Hervorhebungen von Individualitätsmerkmalen arbeiten, bleiben es zum einen primär vermenschlichende optische „Individualisierer“, die stark im Rahmen über Vorstellungen dessen liegen, was für uns als „Individualitätsindikator“ in einer menschlichen Sichtweise über individualisierende Charakteristiken sichtbar ist, d.h. was als Ausdruck bestimmter Eigenschaften gelten kann: ernst, dümmlich, naiv, traurig … drückt sich aus als Knopfaugen, dicke Füße, großen Nase … in der Art einer von uns entworfenen Figurensprache. Aber abgesehen von unseren Figurensprachen ist andererseits, zumindest rein das Existenzielle betreffend klar, dass Tierindividualität an sich, wenn auch in einer wahrscheinlich sehr unterschiedlichen Form, besteht.

Vielleicht wollen wir den Individualitätsausdruck von Tieren aber, der wohl anders verläuft (die uns fremdartige Tierindividualität), auch durch unsere gewählten Schwerpunkte in der Visualität ersetzen, und die Überschneidungen, die sich in den tierlich-menschlichen Abbildungen ergeben – die bei den Stofftieren und Cartoon Figuren zu finden sind – üben mitunter die spezielle Faszination aus, weil sie wiederum ins für uns unbegrenzte und unbegreifbare laufen oder ausufern können.

Hingegen die dokumentierenden Abbilder dessen, was wir als Lebensrealität der Tiere bezeichnen, d.h. z.B. die Tier-Dokumentationen, werfen in erster Linie Licht auf Beobachtungen die unter rein biologistischen Gesichtspunkten angestellt werden, und hüten sich dadurch in zweiter Linie bewusst vor vermenschlichenden Attributisierungen. Die Akzentsetzung, wie z.B. auf das Paarungs- und Fressverhalten bei Tieren, machen allerdings auch eine Einstellung klar, in der weitere und für uns unauffälligere Tätigkeiten von Tieren gar nicht sichtbar und bedeutungslos sind. Uns scheinen also (aus einem Mangel einer neuerschlossenem perpektivischen Breite) nur wenige Verhaltensweisen von Tieren greifbar zu sein, und so schließen wir darauf zurück, dass das, was für uns in unserem Interesse an Tieren relevant ist, auch das ist, was für Tiere relevant sei.

Biologische Highlights wie sie in Tier-Dokumenationsfilmen zu sehen sind, fallen bei einer individuierten Mensch-Tier Begegnung weg. Solche Begegnungen müssten anders kontrastiert und entschlüsselt und das gegenseitige Verhalten anders übersetzt werden. Doch eventuell fehlen uns hierzu einige kommunikativen Nuancierungen. Zumindest müsste vorerst ein biologistisch ausgerichteter Bezugsrahmen wegfallen.

Vielleicht verdeutlicht sich in dem psychologisch komplexen Phänomen der Verniedlichung von Tieren unsere Distanz zu ihnen am stärksten. Dass wir sie allein als Abbilder in ihrer Erscheinung akzeptieren wollen, verdeutlicht, dass unsere primäre Beziehung zu ihnen eigentlich eine sekundäre ist: wir interessieren uns nicht auf einer Ebene der Einmaligkeit, die sich erst über eine individuelle Qualität in der Mensch-Tier Begegnung ausdrücken kann, sondern wir übernehmen die Beurteilungen und Herangehensweisen anderer oder der Allgemeinheit, usw. Das Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren in ihrer Identität ist ethisch von unserer Seite her tatsächlich so entindividualisiert, wie die reellen Situationen in die wir diese „anderen Tiere“ befördern.

Aber trotzdem, was mögen wir gerade an Stofftieren oder an Tiercharakteren im Bereich von Cartoons und Kinderbuchillustrationen? Mir fällt allgemein bei vielen tierlichen Figuren auf, dass sie oft betont vermenschlichte Züge tragen. Ist es, dass etwas tierlich anmutendes, einer Figur einen „neutralisierenderen“ (oder in anderer Weise „besonderen“) Anstrich geben kann, als eine ausschließlich anthropomorph anmutende Figur das könnte? Und liegt das am tatsächlich „tier-charakteristischen“? Tragen „menschliche“ Figuren hingegen wiederum Züge, die wir mit menschlichen Eigenschaften, Charakterzügen und Klischees assoziieren, von denen die tierlicheren Formen frei sind, weil sie etwas anderes bieten, mit dem wir uns eventuell teilweise lieber assoziieren? Kommt daher die Vermischung beider Attribute („menschlich“, „tierlich“)? Was verkörpern Tierfiguren für uns?

Auch ist interessant, dass während Stofftiere eher mit „individuelleren“, charakteristischen, aber auf jeden Fall vermenschlichten, anthropomorphen Zügen auftreten, schematische Tierabbildungen, die sich eindeutiger auf Tiere beziehen sollen und nicht den Knuddeltier-Status für menschliche Niedlichkeitsbedürfnisse genießen, dass Tierfiguren oder Abbildungen wie Piktogramme, die sich figurativ „faktisch“ auf nichtmenschliche Tiere selbst beziehen sollen, wiederum in ihrer Darstellung mit optischen Entindividualisierungsformen arbeiten.

Oder ist das Knuddeltier-Phänomen gar eine Ableitung oder Fortführung des ausbeuterischen Aspekts? Dass wir die schönen Seiten, die uns genehmen, für uns positiven Seiten von nichtmenschlichen Tieren, zu unseren Zwecken – welchen auch immer – einsetzen. Dass wir die Distanz zu den Tieren in so einer komplizierten psychologischen Form einzementiert haben?

Ich hatte einmal eine Idee, dass alle Firmen die Tierfiguren und -abbildungen in irgendeiner Form verwenden, den Tieren, die sie in Abbildungen für ihre Werbung, etc. verwenden, über die finanzielle Unterstützung von Tierrechts-Organisationen oder Tier-Sanktuarien, usw. helfen sollten. Wäre das nicht fairer?

Aber man könnte sagen, dass wir nichtmenschliche Tiere durch unsere Sichtweise – ob als Knuddeltiere oder als Werbesymbol – erst veredeln … – doch ist das wirklich so? Wenn wir nun statt den Tieren als Knuddeltiere oder Werbebilder, andere Figuren nehmen würden, Menschen, Blumen, Kristalle, Sterne oder Häuser, usw., dann würde das Bedürfnis, ich bin mir da ganz sicher, nach Tierabbildungen, wieder irgendwo auftreten.

Vielleicht versuchen wir ja unsere gestörte Beziehung zu Tieren über unsere Abbildungsweisen von Tieren zu kompensieren, und machen uns dadurch vor, dass wir mit der übergeordneten Identität der „nichtmenschlichen Tiere“ keine Probleme haben, dass allerdings die echten Tiere gar keine richtigen knuffigen Tiere wie Biene Maja, Micky Maus und die Tigerente sind. Dass wir die tierische Seite dieser Figuren respektieren, aber die echten Tiere sind nur biologische „Evolutionismen“ oder schließlich Apparate. Aber, kann man denn überhaupt sagen, dass die tierische Seite allein durch die Gestalt gegeben ist? Wohl schon, denn um Mensch zu sein reicht ja auch die Gestalt – innerlich und äußerlich – oder? Oder befindet sich allein der Mensch auf irgendeiner Metaebene? Wenn ja, vielleicht kann man genauso davon ausgehen, dass das Tierrecht auch eine Metaebene bildet.

Wir geben der Tiererscheinung nur dann einen Sinn, wenn sie durch uns fassbar ist. Tiere sind für uns aber nicht in der letzten Konsequenz fassbar. Ihre Andersartigkeit entzieht sich unseren Wertvorstellungen. Selbst Tierverteidiger machen keinen Hehl aus ihrer Neigung, Tiere als Piktogramme oder niedliche Mitgefühl hervorrufende Fauna oder als ewige Tier-Opfer zu vermassen und damit zu entindividualisieren – obwohl diese Bewegung von Liberation, von Befreiung spricht. Ein hohes Ideal!

Aber wie wäre das, nichtmenschliche Tiere zu sehen als ein „Du“ und als ein „ich“ dem man begegnet und das man respektiert, auch wenn man von so einem „Du“ oder so einem „ich“ im Prinzip wenig Ahnung hat?

Ich sehe keinen Sinn darin, meine Sicht auf vorgefertigte Bilder zu reduzieren – weder durch Biologismen, Anthropomorphismen, noch durch konzeptuelle Metaebenen, die ausschließlich das eigene Denken als ein Denken erfassen können –, solange damit einem seienden Individuum sein Wert (als einem solchen) entzogen wird.

Die Zeichnungen stammen von Farangis Yegane www.farangis.de. Der Text von Palang LY.

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Und mit Grüßen an Iris.

 

Restriktionen

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Menschen metaphorisch gesehen als Gefäße, die gefüllt werden und sich entleeren. Gefäße die Schutz bieten oder einengen. Bekannt ist die Vorstellung den weiblichen Körper als Gefäß der Empfängnis keimenden Lebens zu sehen. Die Vorstellung dass der Mann als empfangendes Gefäß gezeigt wird, ist wohl kaum bekannt. Wenn wir von geistigen Strömungen sprechen, geschieht auch hier ein Ausgießen und Eingießen in den Mensch als Gefäß. Unsere Schulen und unsere Universitäten sind Plätze des Ausgießens und Eingießens. Ein Lebensalter ist auch Summe des ein- und ausgegossenen Geistes: Gefäß als Methapher.

Jeden Tag einen Veganday machen

Warum ein Veggieday in Kantinen? Warum nicht vegane Aufklärungsarbeit 24/7? Warum nur den einen berühmten Tropfen auf den heißen Stein geben, wenn man statt dessen doch auch mal versuchen könnte einen ganzen Wasserstrahl umzulenken?

Die Grünen haben in ihrer Grünen Jugend ein starkes veganes Kontingent, wie es scheint. Warum aber wird eher lax halt grad mal so ein Veggie-Tag für Kantinen vorgeschlagen, wenn man das Thema Vegetarismus / Veganismus auch politisch (ernsthaft) aufgreifen könnte? Das einzige fundamentale, was mir zum Thema Vegetarismus von den Grünen bisher als durchschnittlicher Medienkonsument aufgefallen ist, ist ihr zwei Seiten langer Text zum Thema Vegetarismus, in ihrer mir irgendwie nichtsdestotrotz karnistisch anmutenden Publikation dem “Fleischatlas“.

Karnistisch erscheint mit der Fleischatlas insofern, als dass ‘Farmtiere’ nicht von ihrem Status als ‘Fleischlieferanten’ rehabilitiert werden. SCHOCK! Warum ich das meine, obwohl im Fleischatlas doch die Perversion der Massentierhaltung bemängelt wird? Ich meine das, weil nürgends der Veganismus als machbare Lösung für das Problem Fleischprodutkion und -verzehr vorgeschlagen wird.

Was mir auffällt beim Fleischatlas ist die Distanz zum inneren Kern dieses dort Themas. Eine so große Distanz, dass man das Thema eben auf zwei Seiten schrumpfen kann.

“Die UN hat aber gesagt … “

Im Jahr 2010 hat die UN mittels einer ihrer veröffentlichten Studien ja bereits auch eingeräumt, dass es ohne den Schritt zum ganz pflanzlichen Vegetarismus nicht mehr geht:

“A global shift towards a vegan diet is vital to save the world from hunger, fuel poverty and the worst impacts of climate change, a UN report said today.” Felicity Carus: ‘UN urges global move to meat and dairy-free diet’, guardian.co.uk, 2 Juni 2010. (das Zitat hier auf Deutsch).

Das Zitat bezieht sich auf folgende Passage in dem UNEP Bericht: Assessing the environmental impacts of consumption and production (Priority Products and Materials, United Nations Environment Programme), Seite 78, 2010. [ISBN: 978-92-807-3084-5]

Unter Schlussfolgerungen:

‘Food. Food production is the most significant influence on land use and therefore habitat change, water use, overexploitation of fisheries and pollution with nitrogen and phosphorus. In poorer countries, it is also the most important cause of emissions of greenhouse gases (CH4 and N2O). Both emissions and land use depend strongly on diets. Animal products, both meat and dairy, in general require more resources and cause higher emissions than plant-based alternatives. In addition, non-seasonal fruits and vegetables cause substantial emissions when grown in greenhouses, preserved in a frozen state, or transported by air. As total food consumption and the share of animal calories increase with wealth, nutrition for rich countries tends to cause higher environmental impacts than for poor countries.’

Hier hätte etwas entstehen können an institutionell politischem Momentum, aber die UN ist teils wieder am zurückradeln, so finden sich in ihren Einschätzungsberichten mitunter widersprüchliche Aussagen.

In diesem Schreiben von 2011 wird dererseits aber weiterhin auf die Wichtigkeit der Förderung des Vegetarismus im Kontext von Nachhaltigkeit und Lebensmittelgerechtigkeit hingewiesen: Letter dated 7 October 2011 from the Permanent Representative of Germany to the United Nations addressed to the President of the General Assembly , siehe hier und hier.

Eindeutig besser find ich, was das allgemeine Fußvolk der UNO zum Thema Vegetarismus, Veganismus und Umweltschutz vorschlägt: United Nations Environment Programme. Man höre und staune!!!