Konzept Pflege als Systemfehler?

Wir müssten zum gleichen Ansatz der Assistenz (vollumfänglich in den möglichen Aufgabenbereichen) in der Senior*innenhilfe kommen, wie sie bereits in der Unterstützung für Betroffene von Behinderungen Normalität sind.

Während ich immer wieder darüber nachdenke, wie ich über das Thema schreibe, habe ich hier mehrere vielleicht zaghafte Versuche gemacht, meinen Kummer über das System “Pflege” zum Ausdruck zu bringen, von verschiedenen Angelpunkten, im Rahmen der abgebrochenen Ausbildung und danach:

Allgemein

Senior*innen im Kontext von Pflege als beinahe sozialem Hauptrahmen > https://simorgh.de/disablismus/seniorinnen-und-pflegeheime/

Demenzielle Veränderungen (bei Senior*innen)

Sterben

Wie setzen wir Rahmen

(Im Rahmen meiner abgebrochenen Ausbildung) Gedanken über Pflegenormen > https://simorgh.de/disablismus/pflegenormen-senioren/

Kultursensible Herangehensweisen

Angehörigenpflege

(Im Rahmen meiner abgebrochenen Ausbildung: Wir sollten in Form eines Interviews eine Pflegesituation darstellen oder abbilden, die wir für empfehlenswert halten würden. Ich entschied mich für die Angehörigenpflege.)

Sich an die Persönliche Assistenz angliedernde Gedanken

Hier geht es teilweise um die Schnittstellen zwischen Assistenz für Menschen mit Behinderung und der ‘Pflege’ für Senior*innen; zwischen denen erhebliche Diskrepanzen bestehen in der Herangehensweise an das Konzept von “Hilfe” oder Unterstützung:

Ein wichtiges Thema in der Phase des Krankseins, des Sterbens und des Älterwerdens in Kombination mit Krankseins, Stress, etc.

Das schwierige Thema Betreuung und mögliche und vorkommende Fallstricke

Soweit habe ich mich also in der Form an das Erlebte herangearbeitet.

Ich schaffe es nicht, die richtige Form zu finden, um das auszudrücken, was ich seit meiner vorzeitig beendeten Ausbildung zur “Pflegefachkraft” und den (damit im Zusammenhang stehenden) Erlebnissen in einem Pflegeheim für Senior*innen, sagen will. Ich sage es jetzt so unbeholfen, wie ich es kann. Anders kann ich es nicht.

Das Pflegesystem ist völlig falsch konzipiert, was die menschliche und die sozial-zwischenmenschliche und die bürgerschaftliche (!) Ebene anbetrifft. Menschen werden plötzlich entsozialisiert und einem (primär) “pflegerischen” Rahmen unterworfen. Dieses System, die Art Menschen und Menschsein zu verstehen, limitiert das Individuum auf einen verwaltbaren defizitären Körper. Defizitär, denn aus der Hilfebedürftigkeit erwachsen Konsequenzen, die der pflegerische Rahmen bei aller Umfänglichkeit doch übersieht.

Der Mensch könnte in der Realität, in der er nun steckt, jeden Moment zur Erkenntnis gezwungen werden, dass er im Zuge seiner “schwindenden Kräfte” das Recht auf selbst gestaltete soziale Kontakte einbüßen wird. Dem Menschen im Heim begegnest Du als “altem Menschen”, nicht einfach als Menschen. Die Wahrung seiner Privatsphäre wird soweit getrieben, dass normales Kennenlernen und der normale Austausch eigentlich nicht mehr möglich sind, zwischen “den Generationen”.

(Und, der Datenschutz erlaubt aber zugleich auch, dass Fotos von Verstorbenen, die keine Angehörigen haben, in einem Heim plötzlich in der Demenzstation rumkursieren dürfen – als Material zur Unterstützung eines “milieugetreuen” Ambientes mit “alten Fotos” aus privater Hand. Keiner kontrolliert das, ob das rechtlich in Ordnung ist. Vor allen Dingen, was kommt bei solchen Aktionen in dem ganzen Setting überhaupt zum Ausdruck, was wird hier aus persönlicher Familiengeschichte, für diejenigen, die die Materialien in dem Sinne der Einrichtung nutzen sollen, und für jene, deren Bilder da in der Form “genutzt” werden?)

Menschen in Pflegeheimen werden konzeptuell segregiert

Unsere Gesellschaft segregiert Menschen, die zur älteren Generation gehören durch solche Räume, aber auch indem sie nicht so viel Sinn für die Verschiedenheit von Generationen hat, und, dass auch in diesen verschiedenen Generationen das Individuum immer der stärkste und wichtigste Faktor bleibt.

So ist die Menge der Menschen, die z.B. vor 80 Jahren geboren ist, nicht einfach passé und kalter Kaffee, und, kennen tun wir die Zeit auch nicht wenn wir jünger sind, und, der Einzelne wird auch nicht zum lächerlichen Abklatsch seiner Zeit, über den man dann auch noch sagen kann “der/die hat sein/ihr Leben doch gelebt”.

Das Pflegesystem und die Gesellschaft sind in einer Art und Weise grausam zu alten pflegebedürftigen Menschen, in ihrer Herangehensweise – in dem Moment in dem ein alter Mensch auf “fremde Hilfe” angewiesen ist – die auf sehr merkwürdige aber gleichsam erschreckende und alarmierende Weise verläuft.

Und ja, es gibt etliche ältere Herrschaften, die sich etwas fies und unsozial verhalten, wie viele Menschen das eben gewohnt sind zu tun, vor allem, wenn sie auf irgendjemanden treffen, bei dem sie nach unten oder zur Seite treten können. Die meisten Menschen in diesen Einrichtungen sind in solch einer Situation aber in erster Linie hilflos (und nicht fies), überfordert und ohnmächtig. Obgleich zwischenmenschlich schwieriges Verhalten bei einem Menschen im sozialen Kontext nicht zum Hindernis werden sollte, wenn man einen Menschen in irgendeiner Form unterstützen will, so funktioniert ein Hilfesystem jedoch dann besser, wenn alle involvierten Beteiligten sich mit Respekt begegnen.

Ich bin todunglücklich darüber, und fühle mich wie ein Mittäter dafür, dass ich den Ableismus, den viele Senior’innen in unserer Gesellschaft generell, vor allem aber im institutionellen entpersönlichten Rahmen erleben, nicht mit ausreichendem Nachdruck öffentlich kritisch genug priorisiere.

Der Ableismus gegen Senior*innen, der mit einem Ageismus verschränkt einhergeht, ist so habitualisiert und funktioniert so normalisiert – und ich spreche hier von schwerwiegender Altersdiskriminierung, die viel härter und viel abgründiger ist, als die Dinge, die wir in der Regel heute als Altersdiskriminierung diskutieren – dass es selbst mir als einem relativ geübten Kritiker von sozialer Diskriminierung schwer fällt, hier eine mir richtig und vermittelbar erscheinende Herangehensweise zu finden. Ich müsste öffentlich so hart über unsere Gesellschaft urteilen, und in der Tat auch erinnern, dass Milgram recht hatte, dass mir hier die passenden Worte fehlen. Ich sehe mich als schuldig, weil ich die Normalität unserer Zeit schlichtweg mittrage.

 

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