Betreuung darf kein Faktor sein, der immernoch existenten Ableismus normalisiert und damit de facto die UN-BRK untergräbt

Das schwierige Thema Betreuung und mögliche und vorkommende Fallstricke

Gesetzliche Betreuung darf kein Faktor sein, der zulässt, dass immernoch existenter, weiterhin ‚normalisierter‘ Ableismus die UN-Behindertenrechtskonvention untergräbt.

Tabu Ableismus in der Betreuung …

Beispiel: Demenz, Kunst und Menschenrechte?
Beispiel: Selbstbestimmtes Leben mit Sprech-Apraxie?
Beispiel: Altersbedingte Behinderungen und Selbstbestimmtheit?

Vorsicht vorm Betreuungsgericht und seinen Betreuern. In Sachen Betreuung werden viele gute Absichten und viele sozialen Vorteile beschrieben, die in der Praxis lückenhaft und in vielen Fällen ethisch überhaupt nicht praxistauglich umgesetzt werden.

In dem Thread unten beschreiben wir einen Fall, den Freunde an uns herangetragen haben, bei dem es um Urheberrecht, Demenz und Betreuung geht: Eine Akademikerin, die in ihrem Leben neben ihrer Berufstätigkeit privat Kunst gemacht hat, wollte ihre künstlerischen Arbeiten gerne anderen Menschen zeigen, nun im Alter, in dem die Kunst für sie nochmal eine ganz besondere spielt. Sie hat eine demenzielle Veränderung und sie hat eine gesetzliche Betreuerin, die zugleich auch Anwältin ist. Die Betreuerin untersagt, dass die Kunst ihrer Klientin mithilfe von assistentischer Hilfe ausgestellt oder veröffentlicht werden darf, mit der unqualifizierten (und zumindest auch nicht juristischen) Begründung, durch die Demenz könne die Frau den Sachverhalt selber nicht mehr einschätzen. Der ambulante Dienst, der die Klientin im Alltag begleitet, fügt sich der Betreuerin. Es gibt keinen, der das Interesse der Klientin, ihre Kunst mit anderen Menschen zu teilen, unterstützen würde. Die Menschen, die mit der Klientin Berührung haben, sind zumeist Pfleger, die es entweder nicht ernsthaft interessiert oder die Angst vor einer Kündigung haben, wenn sie sich der Sichtweise von Betreuerin, Pflegedienstleitung und Fachkräften nicht unterordnen. Die eigene Kommunikation von Pflegenden in der täglichen Begegnung im pflegerisch-sozialen Kontext, spielt zivilgesellschaftlich de facto keine Rolle. Aus dem Grund wendete sich ein involvierter Pfleger an uns, damit wir das Szenario hier schildern und zur offenen, potenziell breiteren Diskussion stellen.

Das Gericht selbst, sowie andere Anwälte, die auch Berufsbetreuer sind, teilten uns mit, dass es keine rechtliche Grundlage gibt auf der die Betreuerin ihrer Klientin sowohl das öffentliche Zeigen ihrer Kunst oder auch die anderweitige Veröffentlichung ihrer Kunst verbieten könne – ihre Begründung, dass die Klientin durch ihre demenzielle Veränderung nicht in der Lage sei Sachverhalte selbst beurteilen zu können oder keine zuverlässigen Wünsche, etc. äußern könne, sei rechtlich nicht relevant … .

Der Pfleger teilte dies seinem Arbeitgeber mit, damit der Betreuung nochmal Rückmeldung gegeben werde, mit der Bitte um Begründung ihres Ausstellungs- und Veröffentlichungs-„Verbots“. Der Arbeitgeber knickte ohne wenn und aber gegenüber der Betreuerin ein, die auf ihrem Standpunkt bestand ohne diesen juristisch begründen zu können.

Es liegt kein Einwilligungsvorbehalt bei der Klientin vor, der spezifisch eine Veröffentlichung von Kunst der Klientin verbieten würde.

Unsere Twitter-Threads dazu:

#Ableismus + #Demenz
Wenn eine gesetzliche #Betreuung einem kunstschaffenden mit diagnostizierter beginnender demenzieller Veränderung und starken Depressionen verbietet … 1/…
— against animal objectificating paradigms (@farmtiere) September 26, 2022 > https://twitter.com/farmtiere/status/1574480461820198915 (Stand 02.02.23)

(Dementia, Human Rights and Arts?)

#Ableism + #Dementia
When a legal #caregiver forbids an artist diagnosed with incipient dementia and severe depression … 1/…
— against animal objectificating paradigms (@farmtiere) September 26, 2022 > https://twitter.com/farmtiere/status/1574483857616822272 (Stand 02.02.23)

Wir haben nicht nur ein Problem mit einigen Betreuern und einem Mangel an Überprüfung und wirklicher Überprüfbarkeit deren Handelns. Nach unseren Informationen beginnt das Problem mit Ableismus im Rahmen von Betreuungsverfahren und der Zuteilung von Betreuung bereits in der Phase, in der Sozialarbeiter des Betreuungsgerichts Fälle im Vorfeld beschreiben, damit diese den sachverständigen psychiatrischen Gutachtern und dann dem Gericht vorgelegt werden können. Der Verfahrenspfleger kann im günstigen Falle, in der ihm eigentlich angedachten Rolle im Sinne des Betreuten oder potenziell Betreuten, eingreifen.

Ein Frau, nennen wir sie Kamilla K., die von einer Sprech-Apraxie betroffen und mehrfach schwerbehindert ist, hat sich zweimal beim Betreuungsgericht um die Aufhebung ihrer Betreuung bemüht. Erst durch die Verdeutlichung von Ableismus in der Bearbeitung Kamillas Falles, der die Selbstständigkeit von Kamilla als kategorisch unmöglich framte, konnte die Betreuung aufgehoben werden.

Die Schilderungen/Fallbeschreibungen seitens der Sozialarbeiterinnen, die im Vorfeld vom Betreuungsgericht zu Kamilla geschickt wurden, lasen sich in beinahe jedem Punkt diskriminierend und ableistisch. Die Sozialarbeiterin schilderte ihre Sicht auf die Dinge, wie Kamilla gestikulieren würde, was man daraus schließen könne, wie die Beziehung zur Familie intern sich gestalte, wie sämtliche sozialen-, sowie Kontexte [die tatsächlich mit Barrieren zu tun haben], zu beurteilen seien. Alles schilderte die Sozialarbeiterin mit der festen vorweggenommenen Schlussfolgerung, die bereits in den Schilderungen rehauszulesen war, dass eine Selbstständigkeit, ein Verzicht auf Betreuung, ein unrealistisches Hirngespinst und Wunschdenken von Kamilla sei.

Als Kamilla mir ihren Fall darlegte, im Rahmen einer Assistenztätigkeit bei ihr, schlugen wir einen anderen Weg ein: wir benannten das ableistische Fehlkonstrukt, das einer grundsätzlichen Ablehnung von Selbstständigkeit insbesondere bei einer Sprech-Apraxie und gleichzeitiger gegebener Abhängigkeit von Assistenz in der Kommunikation zugrunde gelegen haben muss.

Wir schlugen den Ersatz von Betreuung durch Assistenz vor. Diesmal konnten die kontraproduktiveren Narrative beteiligter Instanzen keine Argumentationsbasis mehr bilden, und das Gericht stimmte nun der Aufhebung der Betreuung in sämtlichen Punkten zu und hielt unseren Alternativvorschlag für machbar.

Was nun aber das dritte Problemfeld anbetrifft: Altersbedingte Behinderungen und Selbstbestimmtheit, so ist dies ein sehr schlecht in einfacher Weise zu beschreibender sozialer Missstand. Bis heute assoziieren wir Ableismus nicht explizit mit Behinderung plus Alter, obgleich eine unabdingbare Verknüpfung gegeben ist und berücksichtigt werden muss. Die Fälle, die wir selbst beobachtet haben, in denen im Rahmen von Betreuung Menschen auf ein Abstellgleis funktionaler Versorgung gestellt wurden, in denen kein Mensch mehr auf wirklich menschlicher, mitmenschlicher Ebene zuständig ist und auch überhaupt erst gar nicht zuständig sein darf, sind so viele … sowie die Fälle, die uns von andern geschildert wurden, welche sich mit unseren Beobachtungen deckten.

Die in unserer Gesellschaft wenig beachteten Alltagsproblematiken im Rahmen von gesetzlicher Betreuung im Alter, scheinen so tief verankert zu sein als normalisierte Handhabe von Altsein innerhalb unseres neuliberalen, demokratischen Sozialstaates, dass die Frage im Raum steht, an welcher Stelle wir hier überhaupt die „schuldige Instanz“ oder den systemischen Fehler lokalisieren sollten. Das Problem kann keinesfalls ein dem Altwerden inhärent-sein-müssendes sein. Es ist ein Problem, dass wir gemeinschaftlich erst schaffen und so müssen wir auch in der Lage sein, uns gemeinschaftlich damit auseinander setzen zu wollen, um diese Normalisierung aufzubrechen.

Betreuung darf kein Faktor sein, der immernoch existenten Ableismus normalisiert und damit de facto die UN-BRK untergräbt.

 

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