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Gedanken über Pflegenormen

Gedanken über Pflegenormen

G. Yegane Arani

Eine Hausarbeit, die ich 2017 für meine abgebrochene Ausbildung zur „Pflegefachkraft“ schrieb. Schwerpunkt Altenpflege. Referat zum Thema:  ‚Fördernd pflegen mit einer fürsorglichen Haltung: Das berufliche Selbstverständnis‘. Das Referat sollte sich gezielt um die Begriffe: Normen, Werte, Moral, Ethik und Prinzipien winden. Uns wurden zudem fünf Sätze vorgegeben. Wir sollten fünf Thesen zu fünf vorgegebenen Sätzen und eine längere Erklärung unserer Thesen zu Papier bringen. Den Sätzen sollten wir dazu die genannten Begriffe (Normen, Werte, Moral, Ethik und Prinzipien) frei zuordnen und ein Schaubild sollte erstellt werden.

Schaubild:

Normen → Handlungsrichtlinien.

Werte → bilden sich aus … Moral und Ethik.

→ Moral, individuelles Empfinden und Handeln; steht im kritischen oder affirmativen Bezug zu gemeinschaftlichen Konventionen über ‚Sittlichkeit‘.

→ Ethik, gemeinschaftliche Schlüsse, Erkenntnisse und verbindliche Übereinkünfte; Richtschnur über Sinnhaftigkeit und Werte im Leben und das grundsätzlich Existenzielle anbetreffend.

Prinzipien → bilden dafür Fundamente, Säulen, Träger.

Einleitung

Im Pflegealltag sind alle beteiligten Instanzen, sowohl die helfenden als auch die Hilfe empfangenden, durch Implikationen ethischer Grundsätze betroffen, über die in unserer Gesellschaft und Wertegemeinschaft allgemein anerkannte und gesetzlich verankerte Übereinkünfte bestehen. Diese ethischen Werte werden über moralische Konsense, über das tägliche praktische Handeln, das Interagieren und das Rezipieren ständig beeinflusst, und die Gemeinschaftlichkeit befindet sich in einem fortwährenden Prozess der Mitgestaltung, des Miterfahrens und der Mitreflektion. Dieses Referat stellt sich die Frage seitens des Verantwortungsbereichs professioneller Pflege und ihres pflegerischen Handelns, darüber, wie ethisches Erkennen, Bewusstsein und Handeln als sinnstiftende Elemente dem gemeinschaftlichen Sein stetig aktualisiert zugetragen werden können.

Was entspricht meinem beruflichen Selbstverständnis (Wert)

Mein Ideal eines Selbstverständnisses für die Praxis der pflegenden Berufe speist sich aus Werten, die ich einerseits den allgemeinen Diskursen in unserer Gesellschaft über die Mitverantwortlichkeit gegenüber hilfsbedürftigen Menschen, den anderen Mitmenschen und Mitlebewesen und der Umwelt, als ethisch-moralische Werte verstehen kann, und die ich andererseits auch nach eigenen Vernunftskriterien persönlich nachvollziehen kann. Hier sehe ich urmenschliche Maßstabssetzungen für Richtigkeit, als „Werte“, wie ich sie in meiner allgemeinen Lernerfahrung bereits bei den bekannten Moralphilosophen kennengelernt habe. Werte sind in meiner Sichtweise normative Übereinkünfte über Richtigkeit, und bilden somit Leitlinien für die Ausrichtung des Handelns. Diese Richtigkeit wird aber ebenso über die eigene Reflexion verifiziert und nicht blind ausgeführt.

Parallel hierzu wird mir seit Beginn meiner Ausbildung zur Pflegefachkraft der gesetzliche Rahmen für die Pflegeberufe vertraut. So erfahre ich, dass sich Grundsätze der Unantastbarkeit der menschlichen Würde [1] in übertragener Formulierung in den Gesetzen betreffend behinderter, kranker, pflegebedürftiger und sterbender Menschen [2] in spezifizierter Form wiederfinden.

Die ethisch-moralischen Werte der Gemeinschaft befinden sich im Einklang mit der eigenen Erkenntnis und Erfahrung über die Sinnhaftigkeit des sozialen Miteinanders durch die Universalität dieser Werte. (Ethisch-moralische) Werte sind also ebenso Grundsätze, die den Gemeinsinn und das Funktionieren der Gemeinschaft untermauern, indem sie sich als feststehende gesetzliche Übereinkünfte ausdrücken lassen können.

Wie erkenne ich, was der Lebensgestaltung einer anderen Person entspricht? (Moral)

Die rein persönliche Ebene der Approximation an das Gegenüber birgt eine Gefahr im pflegerischen Handeln Grenzüberschritte zu begehen. So ist einerseits das Persönlich-Emotive Teil des kritisch zu beobachtenden möglichen Spannungsfelds und bildet aber auch den Raum gefühlter persönlich-individueller Empathie und Sympathie, andererseits reicht diese Annäherung aber nicht und wird den nötigen sozialen Mechanismen professioneller Pflege nicht gerecht.

Das primär Persönliche, in der Annäherung an das Wertesystem meines Gegenübers (im Sinne seiner moralischen Empfindungen und seiner Moralität), birgt die potenzielle Gefahr fehlerhafter Annahmen über den Anderen z.B. aus Unkenntnis oder mangelnden Informationen. Ein Mensch ist nicht zu trennen von seinen moralischen Empfindungen über „moralisch richtig“ und „moralisch falsch“. Hier besteht aber ein individueller Spielraum, und das persönliche Empfinden und individuelle Wertesystem des anderen muss erst über Informationen, Kennenlernen und Erfahrung eruiert werden, um es in seiner individuellen Ausprägung zu verstehen.

Der Pflegende hat Zugriff auf einen Großteil persönlicher Lebensbelange des Pflegebedürftigen und so trägt er eine besondere Verantwortung, die sich in der sorgfältigen Bewusstmachung über die Prioritäten in der Lebensgestaltung des pflege- und hilfsbedürftigen Gegenübers ausdrücken sollte.

Moral impliziert moralisches Empfinden. Dieses folgt immer auch einer individuellen Ausprägung beim Menschen [3]. Hier entsteht ein Raum, der gleichermaßen Spannungsfelder sowie auch Harmonie beinhalten kann. Die wechselseitige Beziehung zwischen professionell Pflegendem und Pflegebedürftigem muss den Faktor einer Individualität moralischen Empfindens berücksichtigen und diesen bewusst und sorgsam wahrnehmen, damit der individuelle emotiv-beeinflusste Aspekt der Beziehung zum pflegebedürftigen Gegenüber von Autonomiewahrung im Bezug auf dessen Empfinden geprägt ist, und in jedem Falle unbewusst manipulative Situationen im Bezug auf das moralische Empfinden [4] des Pflegebedürftigen im Pflegekontext vermieden werden.

Wofür bin ich im Berufsfeld Altenpflege verantwortlich (Norm)

Grundsätze ethischen Erkennens und moralischen Handelns [5] stellen in der professionellen Pflege den Kern dar, dem die Pflegeberufe und seine Ausübenden als inhärent bindende Leitlinien verpflichtet sind und sie bilden somit eine Norm. Diese Normen sind genau formuliert und konkret vorgegeben: durch Gesetze (das GG und das AltPflG) [6], durch für das Selbstverständnis des Berufsstands verbildliche Ethikkodizes und Leitlinien [7] und durch medizinische ausgerichtete Pflegestandards [8].

Die soziale Mitverantwortung und Mitmenschlichkeit innerhalb unserer Gesellschaft (und der Lebensgemeinschaft von Menschen und Umwelt insgesamt) sind Werte, die – sei es über humanistische Ideale (der Menschenwürde) oder auch das ideal christlicher Nächstenliebe (und Verantwortlichkeit für die Schöpfung) – bindend und verpflichtend sind, und sie gelten vom Grundsatz her als ein klarer Maßstab. Hier greifen Ethik und Normen wechselseitig ineinander.

Die Praxis unserer Wertegemeinschaft wird also auch durch das eigene Handeln und Mitdenken beeinflusst. So ist der Pflegende nicht allein Teil einer übergeordneten Systematik aus medizinisch-ausgerichteten, pflegerisch stetig optimierten Funktionsmechanismen und sozioökonomischen institutionellen Rahmenbedingungen, sondern er gestaltet ebenso die Prozesse des pflegerisch-sozialen Aspekts täglich in Entscheidung und Handeln mit. Dies findet in gleicher Weise auf der individuellen Ebene statt, im Team, multiprofessionell und gemeinschaftlich mit dem Pflegebedürftigen und dessen Zu- und Angehörigen.

Die Verantwortlichkeit als Norm ist ein von außen gesetzter und erwarteter Maßstab, sowie auch das innere Maß, an dem ich mein Pflegehandeln und seine Ziele und Ideale bemesse. Die pflegerischen Normen sind Übereinkünfte, die aus entwickelten Standards und durch Pflegeverbände formulierten Ethikkodizes für das Berufsfeld bestehen. Beide Eckpfeiler der Altenpflege: die physiologisch-pflegende und die allgemeine ethische Komponente, werden im Zuge der Ausbildung verinnerlicht, reflektiert und in der eigenen Pflegepraxis im Beruf täglich als Norm realisiert und umgesetzt.

Für welche Werte und Normen setze ich mich in der Altenpflege ein (Ethik)

Die Werte und Normen im Umgang mit pflege- und hilfsbedürftigen Menschen werden besonders klar im Verstoß gegen diese und in den Folgen davon: Die Gräuel von Euthanasie und Eugenik im letzten Jahrhundert, insbesondere im Nationalsozialismus [9], die schwärzesten Kapitel der Menschheitsgeschichte im Umgang mit körperlich und/oder geistig behinderten Menschen, und auf der anderen Seite die einzelnen Tragödien von Missbrauchsfällen in Pflegeeinrichtungen an Hilfe- und Pflegebedürftigen, von denen unsere Gegenwartsgesellschaft immer wieder Notiz nimmt [10], stehen in letzter Konsequenz alle in Zusammenhang mit menschlichem fehlinformierten Denken und Handeln auf der soziologischen Makro- und Mikroebene.

Die Tragweite von ethischer Mitverantwortung und Mitgestaltung wurde von Menschen, insbesondere denjenigen die extreme, traumatisierende Situationen bezeugt oder selbst erlebt haben, immer wieder in der jüngeren Geschichte betont wenn es um die Verstöße gemeinschaftlicher, menschlicher Ethikkodizes geht. So wie der Einzelne Schaden in der Gemeinschaft anrichten kann, indem er destruktiv gegen die Menschenwürde handelt, so ist der einzelne Mensch aber auch im Umkehrschluss der, dessen eigenes Handeln und Denken eine positive Wirksamkeit und Wichtigkeit in der Gemeinschaft hat.

Die Anerkennung im Berufsfeld für eine Stärke eigenverantwortlichen Handelns, anhand ethischer Werte und Normen, ist mit Sicherheit ein gelebter Wert der Berufspraxis mit günstigen Folgen für das Gemeinwohl. Die Werte und Normen, die bindend für das Berufsfeld sind, wurden und werden in der Pflegeethik, den Ethics of Care und der Care-Ethik (d.h. in den speziellen Ausrichtungen der Ethik für die Pflege- und Heilberufe) [11] immer weiter formuliert. Hier finden wir die Formulierungen des beruflichen Ethos, den wir vertreten und der unsere ethischen Werte und Normen in der Pflege bildet.

Ethik kommt nicht ohne Werte und Normen aus. Sie kann ohne die Ebenen von Erkennen (Werte), Entscheiden und Handeln (Normen) nicht wachsen, und würde als reine Theorie wirkungslos bleiben. Der Begriff des Berufsethos drückt diese Verbindung aus.

Wie kann „Pflegen mit einer fürsorglichen Haltung“ realisiert werden (Prinzip)

Die Zielsetzung: was geht, was geht nicht, die gemeinsame Erörterung im interdisziplinären Team, die Heranziehung wie z.B. des Palliativbereichs, eines Ethik-Rates, der Pflege-Forschung, medizinischen- und psychologischen Forschung (z.B. im Bezug auf demenziell veränderte Pflegebedürftige), des Ehrenamts, die Vernetzungsmöglichkeiten im Betrieb und darüber hinaus, und die direkte Einbeziehung des Gegenübers – für dessen Wohl, Sicherheit und Geborgenheitsempfinden wir eine berufliche Verantwortung mit tragen auf soziologischer Ebene [12] – bilden alle mitsamt eine Leitstruktur für Prinzipien, die in der Pflegepraxis zum Tragen kommen.

Die Prinzipien in der Pflege – die sich aus der angestrebten optimalen Funktionalität aller teilhabenden und betroffenen Instanzen ergeben – sind die tragenden Säulen, die den Normen als Handlungsebene und den Werten, die auf moralischem Empfinden und ethischen Übereinkünften basieren, ein festes Fundament verschaffen, und so für eine stabile Statik der Pflege-Architektur mit all ihren Bausteinen als ganzem Komplex sorgen. Das wesentliche Prinzip, das hier zugrunde liegt, ist das der Menschlichkeit, das den gesamten soziologischen Bereich der Pflege und der Pflegebedürftigkeit durchdringt [13].

Fazit

Ethische Dilemmata gehören nicht nur zur Pflege, sondern sie werden uns zwangsläufig in allen Lebenssituationen gewahr, insbesondere heute in einer komplexen Welt, in der Zusammenhänge von Mitverantwortung häufig kaum mehr deutlich wahrgenommen werden, in einer kollektiv beschädigten Welt, und Möglichkeiten erforderlicher Verantwortung häufig fast unmöglich einzulösen sind, wenn es um die Makroebenen globalen Ausmaßes geht.

Nichtsdestotrotz weist der Weg immer nach vorn, ist Lösungsorientiert. So ist es zielführender konstruktiv zu denken und manchmal nur einen Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein beizutragen [14], als davon auszugehen, dass jeder Veränderungsversuch eine vergebliche Sisyphusarbeit sei. Das eigenverantwortliche kritische Denken [15] bietet die voraussetzende Möglichkeit an den Stellen zu handeln, an den ein Umlenken bzw. Eingreifen notwendig ist.

Fußnoten

[1] § 1 Abs. 1 der GG (Schutz der Menschenwürde), siehe http://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_01/245122, Stand 09.12.2017, bzw. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html, Stand 09.12.2017. Der im ersten Paragraphen, Artikel eins des Grundgesetzes ausgedrückte prioritäre Wert der Würde des Menschen baut auf einer Geschichte moraltheoretischer Handlungswerte (Christentum, Humanismus) auf, wie sie durch wegweisende Philosophen wie Emanuel Kant und andere humanistische Denker formuliert wurden, siehe dazu z.B.: Bundeszentrale für politische Bildung: Einfach Politik: Das Grundgesetz – Die Grundrechte. Die Würde des Menschen ist unantastbar, http://www.bpb.de/politik/grundfragen/politik-einfach-fuer-alle/236724/die-wuerde-des-menschen-ist-unantastbar, Stand 09.12.2017. Wobei bemerkt werden muss, dass humanistisch bedeutsame Werte nicht allein ein Ergebnis der christlich sowie humanistisch geprägten okzidentalen Welt, sondern universeller Natur sind. So wurden beispielweise Menschen als „Zweck ihrer Selbst“ (Kant) anerkannt, die Definition wer aber ein Mensch sei, war bis in das 18. und 19. Jahrhundert aber noch lange nicht eindeutig in allen Instanzen westlicher Aufgeklärtheit und Humanität geklärt. Vgl.: Breuer, Ingeborg: Freiheit, Toleranz oder Menschenwürde, Über die weltweite Bedeutung humanistischer Werte, http://www.deutschlandfunk.de/freiheit-toleranz-oder-menschenwuerde.1148.de.html?dram:article_id=180699, Stand 09.12.2017.

[2] Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. BMFSFJ/BMG 2005, https://www.bmfsfj.de/blob/93450/cb3a711f218cca72c859592655ef723c/charta-der-rechte-hilfe-und-pflegebeduerftiger-menschen-data.pdf, Stand: 20.11.2017, siehe auch http://www.pflege-charta.de/de/startseite.html, Stand: 20.11.2017. „In der Charta wird konkret beschrieben, welche Rechte Menschen in Deutschland haben, die der Hilfe und Pflege bedürfen“. Siehe BMFSFJ Der Hintergrund der Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen: https://www.pflege-charta.de/de/die-pflege-charta/hintergrund.html, Stand: 09.12.2017.

[3] Nach Lawrence Kohlbergs Stadienmodell der moralischen Entwicklung / Stages of Moral Development wird in den Stadien 6.: “Following self-chosen ethical principles even if they violate the law” und 5. “Valuing rights of others and upholding absolute values and rights regardless of the majority‘s opinion” beschrieben, dass Moralität eigenen Entscheidungsprozessen folgen kann und sich dadurch als eine Form individueller Vernunftsbegabtheit qualifiziert (letztendlich ist selbst neurobiologisch der Denk- und Abstraktionsprozess in letzter Konsequenz ein ursächlich individueller Akt; das Abwägen und die letztendliche Entscheidung, die ein Mensch trifft, stellen immer eine dem Menschen eigene Handlungsebene dar). Vgl.: Hrsg. Becker, Lawrence C., Becker, Charlotte B., Encyclopedia of Ethics, S. 1122, 2013, https://books.google.de/books?id=KfeOAQAAQBAJ&lpg=PA1122&ots=21C1BfW0Ps&dq=%22Following%20self-chosen%20ethical%20principles%22&hl=de&pg=PA1122#v=onepage&q=%22Following%20self-chosen%20ethical%20principles%22&f=false, Stand: 09.12.2017.

[4] “Ethische Probleme erkennen: Moralisches Empfinden und ethische Kenntnisse erhöhen die Wahrscheinlichkeit ethische Probleme und Dilemmata wahrzunehmen” siehe Lay, Reinhand, Ethik in der Pflege: Ein Lehrbuch für die Aus-, Fort- und Weiterbildung , S. 36, 2012, https://books.google.de/books?id=LxYuBQAAQBAJ&pg=PA36&lpg=PA36&dq=%22moralisches+empfinden%22+definition&source=bl&ots=gxmd8bL2tM&sig=YNKIxyBJjJqa-to_Qce1iXKpruo&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwj-h5aitf3XAhWDcRQKHUVpDyoQ6AEITjAI#v=onepage&q=%22moralisches%20empfinden%22%20definition&f=false, Stand: 09.12.2017. Ergänzend kann man aber zu dieser wichtigen Kompetenz aus der Pflege auch sagen, dass sich eine Wichtigkeit des „moralischen Empfindens“ aber nicht allein auf der Seite der Pfleger befindet – wobei hier selbstverständlich die Professionalität eine bewusste, durch ethische Grundsätze geleitete Praxis mit sich bringt. Wichtig ist aber auch bei der Frage des Umgangs mit der unausweichlichen Vorkommnis ethischer Dilemmata, dass der Pflegebedürftige selbst ebenso eine ethisch aktive und auch in dem Sinne relevante Position mit einnimmt, die gleichermaßen Komponenten eines sozialen Miteinanders gestaltet und die mit berücksichtig werden muss eben nicht allein als passiv; selbst die Rezeption von Verhalten stellt einen aktiven Vorgang dar (Stichwort: Interaktions- und Kommunikationsethik).

[5] “Das ‚Oxford Dictionary’ definiert Ethik als „moralische Prinzipien, die das Verhalten einer Person oder die (Art der) Ausführung einer Handlung bestimmen […]“ und als „der Zweig der Wissenschaften/menschlichen Wissens, der sich mit den moralischen Prinzipien befasst […] Weder Metaphysik noch Ethik beheimaten die Religion.“ Moral wiederum wird im ‚Oxford Dictionary’ definiert als „[sich befassend] mit den Prinzipien richtigen und falschen Verhaltens […].“ Und als „[sich befassend] mit oder [sich] ableitend von dem Verhaltenskodex, der in einer bestimmten Gesellschaft als richtig oder akzeptabel empfunden wird. […] Ethik ist grob gesagt die Art und Weise wie eine Gesellschaft ihre Überzeugungen, ihre Wertvorstellungen und ihre langfristigen Entscheidungen gestaltet. Beide Konzepte sind somit unvermeidbar miteinander verbunden […].“ Siehe: Oxford Learning College, o.V., Ethics Versus Morals – Critical Thinking, 2014 https://www.oxfordcollege.ac/news/ethics-versus-morals/, Stand: 09.12.2017.

[6] Vgl.: das Grundgesetz, das Altenpflegesetz (AltPflG) und die relevanten Gesetze für die Pflegeberufe.

[7] Im Wesentlichen geht es hierbei um den für die Pflegeberufe maßgeblichen ICN-internationalen Ethikkodex für Pflegende, Übersetzung, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), https://www.dbfk.de/media/docs/download/Allgemein/ICN-Ethikkodex-2012-deutsch.pdf, Stand: 10.12.2017; Originalfassung: International Council of Nurses, The ICN code of ethics for nurses, rev. 2012, http://www.icn.ch/images/stories/documents/about/icncode_english.pdf, Stand: 10.12.2017. Zudem existieren aber auch ethische Richtlinien und Wegweiser, die durch andere Stellen und Autoren formuliert wurden, vgl. Deutschen Pflegerat e.V., Rahmen – Berufsordnung für professionell Pflegende, 2004, S. 9, http://www.deutscher-pflegerat.de/Downloads/DPR%20Dokumente/Rahmenberufsordnung.pdf, Stand 10.12.2017.

[8] Gemeint sind hiermit die Expertenstandards des DNQP und die hauseigenen Standards (die eventuell teilweise abweichen, sich primär aber an den Expertenstandards ausrichten) der jeweiligen Träger und Einrichtungen.

[9] Ich mache diesen drastischen zeitlichen Sprung um zu verdeutlichen, dass im geschichtlichen Kontrast erst immer klar wird, wie mühevoll und hart erkämpft die Menschenrechte insbesonders vulnerabler Bevölkerungsschichten und -gruppen immer wieder geschützt werden mussten. Und dass das Selbstverständliche in Zeiten vergangener Gewaltherrschaft (Euthanasie im Nationalsozialismus) aber selbst auch in Zeiten relativer Normalität (die Eugenik in den westlichen Nationen, wie in den USA Anfang und Mitte des letzten Jahrhunderts) nicht immer das war, was selbst den chronologisch weitaus früheren Vorstellungen von Menschenrechten und Menschenwürde entsprach. Aber auch in unserer Gegenwartsgesellschaft spielt die Diskriminierung Behinderter (Ableismus, Disableismus) sowie aber auch alter und hochaltriger Menschen (die heutzutage in der Gesellschaft als ‚relativ schwach‘ [biologistischer Sozialdarwinismus] bewertet werden und deren Probleme häufig für die Gesellschaft unsichtbar bleiben) eine Rolle, die der ständigen kritischen und mahnenden Auseinandersetzung bedarf. Die Bewusstmachung der Wichtigkeit ethischer und moralischer Werte in Hinsicht auf marginalisierte und hilfsbedürftige Gruppen ist immer wieder ein wichtiger gesellschaftlich-sozialer Prozess, der ständig vergegenwärtigt werden muss und Auseinandersetzung benötigt, damit diese Teile der Gesellschaft nicht im Abseits bleiben oder dahin gerückt werden, mit ihren Problemen und Belangen. Zahlreiche Veröffentlichungen von staatlichen wie nichtstaatlichen Organisationen zu den Themen Behinderung, dem Schutz kranker und alter Menschen belegen diese Relevanz. Die folgende Beobachtung drückt das spezifisch gegenwärtige Problem der Wichtigkeit der Intersektionalität zwischen Alter und Behinderung treffend aus: „Viele Behinderte werden alt, und viele Alte sind behindert. Diese Überschneidung auszublenden, bedeutet den (sich ähnelnden) Ursachen die Aufmerksamkeit mittels Verständnis und Auseinandersetzung zu entziehen, damit die Diskriminierung beider Gruppen letztendlich zu fördern und den Schutz für beide Gruppen zu mindern“, siehe Francis, Leslie Pickering and Silvers, Anita (2009) Bringing Age Discrimination and Disability Discrimination Together: Too Few Intersections, Too Many Interstices, Marquette Elder’s Advisor: Vol. 11: Iss. 1, Article 8, http://scholarship.law.marquette.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1017&context=elders, Stand 10.12.2017.

[10] Eine zeitbegrenzte Google-Suche über Missbrauchsfälle in den letzten ein- bis zwei Jahren ergab zahlreiche Treffer zu Meldungen über Missbrauchsfälle in Pflegeinrichtungen aus der allgemeinen bundesweiten Medienlandschaft. Für persönliche Zwecke habe ich mir eine Auflistung solcher Fälle erstellt.

[11] Vgl. Internet Encyclopedia of Philosophy, o.V., Care Ethics, o.J., http://www.iep.utm.edu/care-eth/, Stand 10.12.2017.

[12] Versteht man die Pflege (in Sinne ihrer Fürsorglichkeitshaltung) als ursoziale Handlung und ursozial-menschliches Phänomen, so wird aus ganz verallgemeinernder Sicht klar warum man von einer Soziologie der Pflege, Pflegesoziologie, einer sociology of care, etc. spricht. Die Pflege ist offensichtlich ein sozialer Beruf und offensichtlich Gegenstand soziologischer Gesichtspunkte und Betrachtungen. Der gesellschaftliche Faktor ist für mich der entscheidende bei der Pflege, um auch von den vorkommenden oder wahrnehmbaren Prinzipien zu sprechen, denn grundlegend stellen Humanität und Menschlichkeit Prinzipien im klassischen Sinne dar und beide sind leitend und maßgeblich in den sozialen Berufen, und somit auch in der Pflege.

[13] Riedel stellt 2015 zu pflegerischer Ethik dar, dass „Im Hinblick auf die stationäre Langzeitpflege […] pflegeethische Sensibilität z. B. die situative Wahrung von und das Respektieren der Autonomie, die Achtung der Freiheitsrechte oder auch die sensible Abwägung zwischen dem Respekt der Privatheit und dem Angebot der Teilhabe [bedeutet]. Die geforderte ethische Sensibilität begründet sich in diesem Setting u. a. aus den spezifischen Charakteristika einer ‚Totalen Institution’ heraus.“

Zugleich formuliert sie aber auch, dass deutlich sei, dass es in der Pflege keine leitenden Werte oder Prinzipien gäbe, es gäbe aber Werte die wiederkehrend und „deren Berücksichtigung im Kontext pflegeprofessioneller Entscheidungen unumstritten sind – wie z. B. die (Menschen-)Würde, die Autonomie, die Fürsorge, die Teilhabe und die Verantwortung. Die exemplarisch benannten Bezugspunkte (wie der ICN- Ethikkodex, Pflegetheorien, Chartas, UN-BRK) lösen mit ihren ethischen Anhaltspunkten indes nicht die in der Pflegepraxis vorhandenen ethischen Fragestellungen und Konfliktfelder. Vielmehr können die benannten und für die professionelle Pflege handlungsleitenden Werte selbst ein ethisches Spannungsfeld auslösen, so z. B. zwischen dem Wert der Autonomie und der Fürsorge […]“ Siehe: Riedel, Annette, Pflegerische Ethik, 2017 http://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/182461/pflegerische-ethik, Stand 10.12.2017. Ich sehe hier einen gewissen Widerspruch hinsichtlich einer Soziologie der Pflege, die ich als Prizipienebene betrachte. Werte und Prinzipien finden sich eingebettet in die Struktur gesellschaftlicher normativer Handlungsebenen, wie wir sie in anderen soziologisch relevanten Bereichen kennen. Der ethische Konflikt in der Pflegepraxis alleine hebelt für mich noch nicht die leitstrukturbildende Funktion von sozialen Grundsätzen, wie wir sie in allen menschlichen Interaktionen, betrachtet aus der Ebene der Relevanz für den öffentlichen Raum kennen, aus. In der Pflege kann es sich hinsichtlich der Existenz von leitenden Prinzipien und Werten nicht anders verhalten, wie in jeglichem Bereich der durch ethisch bedeutsame Spannungsfelder beeinträchtigt ist.

[14] In einer Geschichte beschreibt die Umweltaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai die Geschichte des Kolibris: als eines Tages ein Feuer im Wald ausbricht kommen alle Tiere in Schrecken zusammen und sind wie gelähmt. Nur ein kleiner Kolibri holt einen Tropfen Wasser nach dem anderen aus dem nahe gelegenen Fluss und lässt so jeden einzelnen Tropfen über dem Feuer fallen. Die anderen Tiere würden weitaus mehr schaffen, wie der große Elefant mit seinem Rüssel. Doch alle stehen wie gebannt vor lauter Angst vor der Feuerwand. Die Tiere werfen dem Kolibli Anmaßung vor, er sei doch viel zu klein das große Feuer zu löschen. Der Kolibri entgegnet ihnen: „Ich tue das was ich kann, ich tue mein Bestes.“ Vlg: Schreier, Doro, Die Geschichte des Kolibris, wie Wangari Maathai sie erzählt hat, 2013, https://netzfrauen.org/2013/08/11/die-geschichte-des-kolibries-wie-wangari-maathai-sie-erzaehlt-hat/, Stand 10.12.2017.

[15] Folgende Aussage in einem Lehrbuch über Pflegepädagogik beschreibt die Möglichkeit des Eingreifens in den Situationen ethischer Dilemmata zutreffend: „Pflegeethik und Grenzsituationen: Ethische Normen sollen den Menschen bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Im konkreten Einzelfall, z.B. einer bestimmten Pflegesituation, ist der Mensch jedoch aufgefordert, sich kritisch mit diesen Normen auseinanderzusetzen und ihre Bedeutung für den Einzelfall zu reflektieren. Die kritische Auseinandersetzung ist eine wichtige Voraussetzung für den Umgang mit ethischen Normen in der Pflege.“ Siehe: o.V., Thieme Pflegepädagogik: Pflegeethik und Grenzsituationen, o.J., https://www.thieme.de/de/pflegepaedagogik/48-pflegeethik-und-grenzsituationen-68957.htm, Stand 10.12.2017.

Fünf Thesen zur Fürsorglichkeitshaltung und –pflicht in der ‚Pflege‘ [im Sinne von ‚Care‘]:

Was entspricht meinem beruflichen Selbstverständnis (Wert)

Mein Selbstverständnis richtet sich nach Werten aus, die auf gemeinschaftlicher Ebene formuliert sind (Gesetze, Richtlinien) und individuell von mir reflektiert werden. Es geht dabei um die Fürsorgepflicht gegenüber Hilfe- und Pflegebedürftigen. Konstruktive Werte diesbezüglich bilden in meiner Sichtweise normative Übereinkünfte über Richtigkeit, und geben somit eine Ausrichtung im Handeln vor. Diese Richtigkeit wird über eigene Reflexion verifiziert und nicht blind ausgeführt.

Wie erkenne ich, was der Lebensgestaltung einer anderen Person entspricht? (Moral)

Die rein persönliche Ebene zur Annäherung an das Gegenüber genügt nicht. Hier muss eine professionelle Haltung eingenommen werden. Ein Mensch ist nicht zu trennen von seinen moralischen Empfindungen über „moralisch richtig“ und „falsch“. Das persönliche Empfinden und individuelle Wertesystem des anderen muss über fortwährend durch aktualisierte Informationen, Kennenlernen und Erfahrung eruiert werden um es in seiner individuellen Ausprägung zu verstehen.

Wofür bin ich im Berufsfeld Altenpflege verantwortlich (Norm)

Grundsätze ethischen Erkennens und moralischen Handelns stellen in der professionellen Pflege den Kern dar, dem die Pflegeberufe und seine Ausübenden als inhärent bindende Leitlinien verpflichtet sind, und sie bilden somit eine Norm. Diese Normen sind genau formuliert und konkret vorgegeben: durch Gesetze (das GG und das AltPflG), durch für das Selbstverständnis des Berufsstands verbindliche Ethikkodizes und Leitlinien und durch medizinisch ausgerichtete Pflegestandards. Soziale Mitverantwortung und Mitmenschlichkeit innerhalb unserer Gesellschaft sind Werte, die bindend und verpflichtend sind, und sie gelten vom Grundsatz her als ein klarer Maßstab. Hier greifen Ethik und Normen wechselseitig ineinander.

Für welche Werte und Normen setze ich mich in der Altenpflege ein (Ethik)

Werte und Normen im Umgang mit pflege- und hilfsbedürftigen Menschen werden besonders klar im Verstoß gegen diese und in den Folgen davon. Fehlhandeln steht im Zusammenhang mit menschlich fehlinformierten Denken und Handeln. So wie der Einzelne Schaden in der Gemeinschaft anrichten kann, so ist der einzelne Mensch aber auch im Umkehrschluss der, dessen eigenes Handeln und Denken eine positive Wirksamkeit und Wichtigkeit in der Gemeinschaft hat. Schlüsselbegriffe sind hier also wiederum die selbstständige und informierte mitverantwortliche Haltung und Mitmenschlichkeit

Wie kann „Pflegen mit einer fürsorglichen Haltung“ realisiert werden (Prinzip)

Die Zielsetzung, die gemeinsame Erörterung im interdisziplinären Team und die Einbeziehung des Gegenübers, für dessen Wohl, Sicherheit und Geborgenheitsempfinden wir eine berufliche Verantwortung mittragen, bilden eine Leitstruktur für Prinzipien, die in der Pflegepraxis zum Tragen kommen.

Rev. 01.02.2023

 

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