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Das Habitat

 

Das Habitat
Revised version: 19.09.2021

Palang LY

Gedanke:

Das Ich: In der ahnenden Erkenntnis über eine eigene „Sinnungebundenheit“, kann eine Erklärung über dasjenige liegen, das sich dem eigenen gegenwartsbestimmten Urteil zu entziehen vermag.

Die Lokalität: Man lebt in einem Raum voller Dinge, die im ungebundenen Raum in (von einem selbst) nicht fassbaren Kontexten stehen.

Der Clash: Würde man den Sinn der Gegenstände, mit denen man sich umgibt, gerecht beurteilen, das hieße unabhängig von derer ästhetischen oder nutzbringenden Funktion für einen „selbst“, dann sähe man in den geschauten und gefühlten Objekten die zu Trophäen umgearbeiteten Trümmer eines menschlichen Feindzuges gegen „das Andere“.

***

Ihr arrangiert Euer Inventar, aber gebt ihm keine adäquate Beurteilung.

Mit der reduzierten Sicht über die Natur auf die Ebene dessen, allein Teil menschlichen Existenzinventars zu sein, glaubt Ihr, habe sich auch die Frage über den Zweifel am Menschlich-Absoluten erledigt.

Der Tisch, der Ring, all die unbestimmten und bestimmten Teile Eures „Inventars“, haben eine Ge­schichte als Bestandteile des Naturhaften.

Die Gegenwärtlichkeit der Natur in allen Ihren Erscheinungsformen bezeugt aber dennoch immer aufs Neue Euer Unvermögen sie zu beherrschen.

Das Habitat, mein Zuhause

Das Habitat des homozentrisch Menschlichen ist gegenwärtig das Konstrukt, das aus dem getöteten oder entrissenen Naturhaften errichtet worden ist. Im Gegensatz dazu ist das Habitat des nichtmenschlichen Tierreichs das Pflanzliche und Geologische, das ursprüngliche reelle Environment.

Die Ordnung, die homozentrische Menschen sich in ihrem konstrukthaften Habitat einrichten, kann als Spiegel ihrer Denkart gelesen werden. Das ursprünglich Naturhafte wird zum Gegenstand, der jeweils das Bedürfnis des Menschen als Kleinsteinheit seines Inventars befriedigen soll.

In vor- und frühgeschichtlicher Zeit sieht man, dass Inventar und Architektur eine an das Naturhafte gebundene, seins-affirmative Bedeutung hatten. Auf vielen frühzeitlichen Fundstücken befinden sich Abbildungen die kulturelle Naturbezogenheit verdeutlichen.

Nun befinden wir uns in einer Gegenwart, in der das Inventar und die Architektur als Bestandteile des menschlichen Habitats eine ganz spezifische Form angenommen haben, in der ein krasser Bruch sichtbar ist, in der Bedeutungsempfindung des unmittelbaren und weitreichenderen Lebensraumes.

Ortega y Gasset setzt in diesem Gedanken dieses Menschseins in Kontrast zum natürlichen und konstruktiven Lebensbegriff:

Wir Menschen haben die Welt in Fächer eingeteilt, denn wir gehören doch zur Spezies der Klassifikatoren. Jedes Fach entspricht einer Wissenschaft, und darin eingeschlossen ist ein Haufen von Wirklichkeitssplittern, die wir im ungeheuren Steinbruch der Mutter Natur aufgeklaubt haben. In Gestalt dieser kleinen Splitterhäufchen, zwischen denen eine – bisweilen kapriziöse – Übereinstimmung besteht, besitzen wir die Trümmer des Lebens. Um zu solchem seelenlosen Besitz zu kommen, mussten wir die ursprüngliche Natur zergliedern, mussten wir sie töten.

José  Ortega y Gasset, Gesammelte Werke in vier Bänden, Band 1, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1950, S. 40.

Das Inventar und das Architektonische: die fragmentalen Splitter einer reellen Natur und der eine große einen Steinbruch, der wegen dieser Ressourcen ausgebeutet wird – diese Umschreibung Ortega y Gassets über die Tötung der Natur bezieht sich sowohl auf die Begrifflichkeiten der Art des Denkens, welches die Natur in seinem Begreifen rationalisiert, und er bezieht sich auf den materiellen Realzustand, in den die menschlichen Zivilisationen den einstigen Naturzustand versetzt haben.

Begrifflichkeit lässt sich nicht von Materialität trennen. Die Auffassung über etwas, bestimmt mein Handeln dem Gegenstand gegenüber. Im Falle des Homozentristen ist die Einstellung gegenüber der ursprünglichen Natur eine klassifizierende, das heißt der Gegenstand der Reflektion wird im Denken einer kategorischen Verallgemeinerbarkeit unterworfen, und zwar in Hinsicht auf die Funktion, die der Gegenstand für den Menschen haben soll bzw. kann.

Der homozentrisch orientierte Mensch umgibt sich mit den Splittern der Natur als Kategorien im Denken und im Handeln, er schöpft aus der Quelle des Naturhaften, wobei er die Ganzheit der Natur als störend verwirft und aus ihr eine „Halbheit“, ein „unvollkommen Sein“, einen „Unvollkommenheitszustand“ macht.

Die „Vollkommenheit“ wird im Homozentrismus erst durch die menschliche Subjektivität geschaffen, durch die begriffsgebende und gegenstandserlebende Instanz.

Die Organismen und ihr naturhafter Kontext werden zu den aufgeklaubten Splittern und so zu Objekten bestimmt, die Bestandteile des physischen und psychischen Inventars und Raumes, des durch menschliche Ideologien und Zeitgeister geschaffenen Konstrukts zu sein haben.

Aber diese Teile bleiben auch Teil des Naturhaften, und das Maß, das auf sie angewendet wird, kann auch das Maß des environmental orientierten sein – und das Maß dessen, das sich dem anderen Leben respektvoll zuwendet.

Deutlich wird die Eigenschaft des naturhaft bleibenden vor allem beim Müll, dem, was wir Menschen wegwerfen, entsorgen; der Müll wird in der einen oder anderen Form wieder „der Natur“ zurückgegeben. Die Splitter, denen das naturhaft Kontextuelle entzogen wurde, müssen einen neuen Weg der naturhaften Kontextualität finden. Diese Teile sind nicht mehr Bestandteil des menschlichen Konstrukts, der Mensch hat sie ausgespien. Er gliedert sie nur wieder ein durch Prozesse der Wiederaufbereitung, der Wiederverwendung.

Das naturhafte Außen, das dem Steinbruch gleicht, den man langsam abträgt, muss gänzlich nützlich sein und erschlossen werden.

Teile, die nicht erschlossen werden, bergen eine Gefahr dessen in sich, dass sie entweder nur – einen auf die eigene mögliche Sinnlosigkeit hinweisende – „Natur“ darstellen, oder man hat ein ihnen innewohnendes Geheimnis, einen evtl. Nutzen verpasst, oder der unerschlossene Teil ist bedrohlich, weil er das Habitat anderer Wesen darstellt: Insekten, Mikroorganismen, etc. und soll noch erforscht, erschlossen werden.

Die „Natur“ ist der Ort, an dem man seine Untaten verstecken kann. Der Ort, an dem man seinen Müll loswird, weil diese Natur durch die Scheinachtung ihr gegenüber, als „unvollständig“ deklariert werden kann. Zuhause hält man alles „in Ordnung“, denn das eigene System darf nicht aus den Fugen geraten:

Das Bedürfnis, das eigene Heim auch in anderen Umwelten zur Geltung zu bringen, ist bei Menschen sehr ausgesprochen. Während aber der Mann sich meist damit begnügt, seinem Arbeitszimmer sein eigenes Gepräge zu geben, übernimmt es die Frau, das ganze Haus mit ihrem Geist zu erfüllen, der sich in tausend Kleinigkeiten ausspricht.

Jakob von Uexküll, Niegeschaute Welten, Paul List Verlag, München, 1957, S. 22.

Über das Lebensraumverständnis des Menschen findet man wenig selbstkritisch reflektive Beschreibungen. Es scheint man könne, was den Lebensraum anbetrifft, vom Selbstgeschaffenen geistig nicht mehr zehren, man braucht das naturhafte Ganze, um weiter Stücke daraus zu extrahieren und die Stücke und den Steinbruch dann stetig für unvollkommen zu erklären, und weiter abzubauen, Ressourcen zu extrahieren.

Der Raum innen wird „rein und sauber“ von natürlichen Kontexten gehalten. Im inneren Raum herrscht eine systemhafte Ordnung.

Das Habitat der Nichtmenschen

Das Habitat der nichtmenschlichen Tiere wird als ausbeutbarer Raum betrachtet. Es wird argumentiert, dass Tiere sich sowieso nur instinkthaft in ihren Habitaten bewegen, einhergehend wird sowohl Tieren als auch deren Habitat der Eigenwert abgesprochen. Schlimmer noch „das Tier“ wird als Teil des menschlichen Habitats angesehen, und die Frage, ob „es“ einen Eigenwert hat, spielt in dem eigenen humanzentrischen System keinerlei Rolle mehr. „In dem Moment, indem ich etwas in meinem Raum einfüge, unterliegt es meinem persönlichen Souverän“, so etwa … .

Nicht das Verlangen nach wahren Gütern verdirbt den Menschen, sondern das nach falschen. Niemals würde ein Volk dadurch verdorben, dass es Getreide, Früchte, reine Luft, besseres Wasser, vollkommenere Künste, schönere Frauen, sondern weil es Gold, Edelsteine, Sklaven, Gewalt, falschen Ruf und eine ungerechte Überlegenheit haben wollte. – Joubert

Die französischen Moralisten, Band 2, Hg. F. Schalk, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1979, S. 284.

Der Mensch kann sich, folgt man Joubert, mit wahren Gütern umgeben und mit falschen. Dass man den Wunsch nach „schöneren Frauen“ als wahres Gut bezeichnen könnte, ist allerdings natürlich fraglich (und das gleiche würde ebenso für „schönere Männer“ gelten). Die Vorstellung darüber, ob ein Gut „wahr“ ist, hängt von der Auffassung über Moral und Notwendigkeit ab.

Unser Raum

Braucht man das Inventar und die Architektur als Form einer negierenden Haltung gegenüber der äußeren naturhaften Umwelt? Muss das eigene Habitat, in dem man gepflegte Subjektivität erleben will, die Objektivierbarkeit des Außen postulieren? Muss das Habitat „Außen“, das Habitat des „Sich-Unterscheidenden“, in Form von vermeintlichem Luxus beispielsweise dem „Außen“ und den „Sich-Unterscheidenden“ entrissen werden?

Der Raum den der Homozentriker sich schafft, symbolisiert > seine Grenzen nach außen über die Architektur und > seine Grenzen nach innen über das Inventar.

Der Mensch kann sich in dem Raumgefüge mehr oder weniger frei umherbewegen. Die inneren Grenzen sind gegeben durch bloße Zwangläufigkeiten, und sind ein Übel, dem man immer wieder versucht Abhilfe zu verschaffen.

Die Natur konstituiert die völlige Offenheit über die Ebene der Verbindungen: Himmel schließt an Berg an, der an das Tal anschließt, wovon alles von der Luft durchströmt wird. Die Bedeutung von Grenze verläuft im natürlich-environmentalen Kontext anders als im Raum menschlicher Gesellschaften.

Die Begrifflichkeit, die sich im Raum menschlicher Gesellschaften in Abgrenzung zum „Außen“ – als dem Naturhaften – entwickelt und bewährt hat, reicht nicht mehr dazu aus, das Menschliche in Gesamtkontext des Naturhaften zu lokalisieren. Der Mensch wird wahrgenommen und nimmt vor allem wahr, aus der Sicht seines eigenen Habitats heraus. Und die gewählte Perspektive setzt immer wieder den Menschen als Zentrum, nicht einfach als Perspektivnehmer, sondern als anvisiertes Subjekt, von Subjekt zu Subjekt.

Es scheint abwegig sich mal ein Bild darüber zu machen, wie die Welt aus Sicht eines Ökotops, in dem Sinne der Wesenhaftigkeiten solch eines organischen Gefüges, aussehen kann. Doch das scheint allein deshalb abwegig, weil wir der homozentrischen Perspektive, die Welt aus unserer selbstgestalteten Sichtluke heraus zu betrachten, eine einzigartige Bedeutsamkeit zuschreiben. Es ist nicht so sehr das Problem, dass das menschliche Subjekt das nichtmenschliche Subjekt wahrnehmen und reflektieren kann, sondern es ist das Problem der Wertung und nämlich der Geringschätzung in Hinsicht auf Einzigartigkeit. Die Welt im Kontext ihrer wesenhaften und naturhaften Beziehungen anzuschauen ist für den Homozentriker per Definition uninteressant.

Aber, so sehr wir uns selbst und der „Natur“ zu entfliehen und zu entziehen scheinen: alle unsere Konstrukte bleiben Teil einer umfassenderen Kontextualität, die unser Kalkül umreißen könnte.

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