Categories
Dekonstruktion statt Destruktion

Das „Andere“ versus der „Verschiedenartigkeit“ von Tieren

Das „Andere“ versus der „Verschiedenartigkeit“ von Tieren

Palang LY

Wozu grenzt sich das Andere ab, d.h. zu was hin verläuft die Grenze des Anderen. Das Andere muss sich zu etwas als “anders” verhalten. Und in seiner Bezeichnetheit, in seinem Zustand des Bezeichnet-Seins, muss eine Instanz die “das Andere” bezeichnende Instanz sein. Der Kern und die Peripherie, so könnte man das Bild veranschaulichen. “Das Andere” ist keine autonomie-erkennende Konkretisierung, sondern allein eine fast räumliche Perspektive zwischen einem Zentrum das intern sein muss und einem zwangsläufig Externen.

Was macht den Begriff des “Anderen” so interessant? Das er Licht zurück auf den Bezeichnenden wirft. Wenn ich mich tatsächlich mit “dem Anderen” befassen will, muss ich mich zur Konkretisierung bereit erklären, in vorderster Linie indem ich “dem Anderen” die Autonomie des Selbst-Seins zuweise. Das andere Ding ist, als Phänomen an und für sich, und nicht erst etwas, das durch meine Perspektive erkannt wird. Dieser Wesenszug ist dem Anderen inhärent, dass er auf eine Autonomie von der Bezeichnung hin trachtet.

“Das Andere” ist das was mir nicht gleicht, sondern sich von mir unterscheidet. Wenn mir diese Beobachtung reicht, wird sich das Andere nicht zum Subjektiv erhoben haben, sondern es wird allein im Adjektiven, im anders sein als ich, verharren. Wir möchten aber hier über eben “das Andere” sprechen. Das Imperative im Begriff: Die Grenzen zu “dem Anderen” müssen kaum überwindbar sein, um zur Herstellung dieses Verhältnisses gelangt zu sein. Würden die Grenzen nicht auf allen Ebenen eindeutig sein, könnten mögliche Ähnlichkeiten oder eigenschaftsgebundene Berührungspunkte auf Gleichheiten und Affinitäten hinweisen, und das Verhältnis würde sich zur Andersartigkeit reduzieren – weg vom statisch kategorischen “Anderen” hin zu einer eher fluktuierenden Vergleichsebene. Der Begriff des “Anderen” lässt diese Fluktuation kaum zu.

Entscheidend ist das perspektivische Verhältnis, die Warte der Bezeichnung des Anderen, die auch die Grenzen in ihrer Beobachtung festlegt. Ohne die Betrachtung auch der bezeichnenden Seite jedoch, ist es kaum möglich ein Verständnis über “das Andere” als solches zu erhalten. Wie schon gesagt ist das Andere immer etwas gesehenes, etwas in einem Verhältnis stehendes; solange sich der Begriff nicht auf ein Gegenüber an und für sich beziehen will, sondern das Verhältnis in seiner ausgesprochenen Position in der Form impliziert.

Um diese Perspektivenfrage etwas einzugrenzen, möchte ich ein bestimmtes Verhältnis zu “dem Anderen” ansprechen, und zwar möchte ich das Tier-Andere hier etwas aus der rein reflektorhaften Position dessen, zum Anderen zu gehören, hinausziehen zur näheren Betrachtung.

Die (einzige) Gleichmachungsstufe zwischen dem Tier-Anderen und der bezeichnenden menschlichen Instanz, besteht gegenwärtig im Wesentlichen in dem von der Biologie als Klassifikationsmodell gegebenen Nenner des organisch-anatomischen. Der Mensch als Tier und die nichtmenschlichen Tiere haben der Biologie zufolge, stufenweise sich vermeintlich in gewissen Komplexitäten in “einfacher” und “komplexer” gliedernd, eine Reihe an physisch ähnlichen Merkmalen. Außer diesem einen hierarchisch facettierten Gleichheitsfaktor, unter dem gesehen Menschen in der biologischen Terminologie ‘biologisch-faktisch’ zu den Tieren gehören, gibt es eigentlich keine weitere im allgemeinen als gültig betrachtete Ähnlichkeitsebene zwischen Menschen und Tieren.

Die Definition der Biologie ist eine erteilte; aus dem Verhältnis Mensch-Tier selbst ist, unabhängig von biologischen Zuweisungen, bisher keine essentielle Ähnlichkeit abgeleitet worden: Das Tier-Andere ist zum einen also gleich allein auf einer hierarchischen Stufe, die nach unten und niemals nach oben rangieren kann. Auf der sozialen Interaktionsebene, die “dem Tier-Anderen” aber begegnet, ist “das Tier” das kategorisch “Andere” bis hinein in die vollständige Entsubjektifizierung.

In dem Verhältnis hierarchischer Bewertungen ist es fragwürdig, ob dem Anderen, dem Tier-Anderen, seine reelle Autonomie des Selbst-Seins zugestanden werden kann? Immerhin wird das Tier-Andere nur „nach oben oder unten“ hin zu einem feststehenden Maßstab bemessen. Der Maßstab ist die biologisch erklärte Komplexität physisch-organischer Funktionen, die innerhalb eines bestimmten Wertegeflechts eine bestimmte Bedeutung innehaben.

Das Wertegeflecht des Tier-Anderen bleibt non-existent in dieser Perspektive. Die Frage ist, ob bei der Betrachtung des Anderen, auch eine Universalität des Anderen gesehen werden kann, oder ob das Andere nur zur Kategorie eines objektifizierbaren Gegenübers erstarren soll?

Die Frage ist auch, ob das Imperative in dem Subjektbegriff “des Anderen” nicht eine Universalität geneigt ist auszuschließen, weil der Blick allein auf zwei Seiten fällt, die Seite des Internen, des Bezeichnenden, und die Seite des Externen, des bezeichneten Anderen.

Die Grenzen sind so scharf aber undifferenziert, dass es nur noch das Eine und das Andere gibt, was im Falle der Auseinandersetzung mit der Tier-Frage eine limitierende Herangehensweise darstellt. Immerhin haben wir es nicht mit etwas tatsächlich objektifizierbaren zu tun sondern mit den koexistenten nichtmenschlichen Tieren.

Verschiedenartigkeit und moralische Bezugnahme

Und die Frage ist auch, warum das unerfasste Andere am Tier-Anderen bei der menschlich bestimmenden Instanz häufig einen Destruktivitätswunsch verursacht, statt beispielsweise eine hinterfragende Reflektion über das Menschlich-Gleiche oder “das Gleichartige” anzustoßen? Man könnte denken, dass das “Unerfasste, als das Andere” immer eher eine Anziehung ausüben müsse, weil man gerne von jenem positiven Menschenbild ausgehen würde, in dem der Mensch sich tolerant dem “Unerfassten” und “Anderen” zuwendet, in positiver Neugier. Aber, stattdessen ist die Neugier allein eine Neugier darüber, Wege zu finden dem unerfassten Anderen weitmöglichst zu schaden bzw. es zu zerstören.

Das unerfasste Andere am Tier-Anderen ist die Kategorie “des Anderen”, gesehen von der Warte des menschlich Allgemeinen und eines homozentrischen Kontraktualismus. Das Tier-Andere übernimmt eine spezifische Funktion des “Anderen”. Das Verhältnis zum Anderen ist kein einhelliges: Das geschlechtliche Andere erhält eine andere Betrachtung als das ethnisch Andere beispielsweise. Es gibt eine Graduierung, in der sich die Problematik der Andersartigkeit auf verschiedenen “Schweregraden” bewegen kann. Bezüglich der Frage des Tier-Anderen kann man beobachten, dass die biologische beobachtete partielle Ähnlichkeit eine noch stärkere Polarität in der emotionalen und moralischen Bezugnahme erzeugt (man würde sich metaphorisch einem Stein in weniger problematischer Weise nah oder fern fühlen, als einem Insekt). Das heißt, dass dem Verhältnis zum Tier-Anderen eine bestimmte Komponente zukommen muss, die dieses Verhältnis noch klarer verdeutlichen wird.

Das Tier-Andere ist nicht bezeichnet durch die soziale Reibungsfläche und Faszination eines “anderen” innerhalb geschlechtlich sich ausdrückender Beziehungsspannen oder ethnisch-artikulierten sozialen “Andersseins”; das Tier-Andere ist zum größten Teil das ‚gejagte, erlegte, gehaltene, geschlachtete, gehandelte, gegessene, intrusiv medizinisch erforschte’ etc. – das soweit am stärksten moralisch objektifizierte “andere”. Am stärksten herabgesetzt, wegen der Kluft zwischen der aus homozentrischer Sicht bezeichneten Andersartigkeit und der Realität der konkreten Tier-Individuen, die in ihrer autonomen Selbstbestimmtheit unsichtbar bleiben, weil der Maßstab über ihre Andersartigkeit (im Vergleich zum Menschen) zum mindesten ihre Individualität als Wertigkeit außer acht lässt. Und in diesem Falle heißt “Individualität” das Einmalig-Sein.

Dass das Tier-Andere sich auf der Stufe des Verhältnisses zum Menschen als Opfer in dieser spezifischen Form befindet, ist dem Menschen zu verdanken und es liegt nicht an irgendeinem vermeintlichen Unvermögen seitens der Nichtmenschen. Wenn ich dem Tier-Anderen diese Position aber komplett anhaften wollte, würde ich den Blick über die Situation dahingehend verlieren, dass ich mir nicht mehr der Auswirkungen der menschlichen Handlungen am Tier-Anderen bewusst bin, sondern ich würde den Fehlschluss ziehen, dass die Situation des Tier-Anderen gleichzusetzen ist mit der tatsächlichen Qualität des Andersseins bei Tieren (der Bezugnehmende darf niemals in seiner Perspektivität außer Acht gelassen werden in einer kritischen Betrachtung einer Verhältnismäßigkeit).

Das hieße ich würde übersehen, wie die Interaktion zwischen Mensch und Tier verläuft, und würde die Situation der Tiere als in gewissen Sinne Schicksalhaft betrachten. Der Mensch als Täter wäre dann quasi frei von jeglicher Verantwortung und Schuld an der Opferposition des Tier-Anderen.

Dies ist ein Punkt in dem es wieder wichtig ist festzuhalten, das die Betrachtung oder Designierung des “Anderen”, also auch des “Tier-Anderen”, immer einen Betrachter oder Bezeichnenden mit beinhaltet, Das heißt übertragen, dass meine Sicht auf “Tiere als Opfer” dahingehen differenziert bleiben muss, dass zum Opfer auch ein Täter gehört – der wohlmöglich das Tier-Andere als Feindbild betrachtet, beispielweise, oder es als moralisch irrelevant abtut.

Das nicht-faktisch Andere

Der Begriff des “Anderen” ist eine Bezeichnung, die darüber hinwegtäuschen kann, dass sie die konkreten Eigenschaften des als anders Beschriebenen einfach zu subsumieren sucht, und dass letztendlich die Existenzbeschreibung stattfindet über den Maßstab und die Klassifikation die der Mensch schafft. Dass allein ein Verhältnis von zwei Positionen aus dem Begriff des “Anderen” ersichtlich wird, wird häufig außer acht gelassen.

Wenn das Tierreich unter einer Perspektivität des “Anderen” subsumiert wird, wird zwar zum einen ein wichtiges Verhältnis ersichtlich, und zwar, dass der Mensch hier etwas beschreibt, das er von sich in einer wesentlichsten Form als verschieden und als gegenüber betrachtet, aber zum anderen bleibt der Aspekt unerkannt, der auf die Erkenntnis über (das Selbst- sein und) das Andere-Sein hinweist, dass nämlich das Andere noch etwas ist, außer seiner alleinigen Eigenschaft des Anders-Seins, das sich aus der Beziehung zum Beschreibenden ergibt.

Dieses Verhältnis lässt sich über die biologisch-zentrierte Perspektive auf Nichtmenschen zum Beispiel überhaupt nicht erfassen. Werden Nichtmenschen biologisch beschrieben, das wird die soziale und die existenziell-philosophische Perspektivitätsdimension nicht erfasst (außer in biologisierter Weise) und die Nichtmenschen werden “faktisch-biologisch” als “Andere” physiologisch und psychologisch klassifiziert.

Ich glaube man würde sich der Frage des Anderen bei nichtmenschlichen Tieren eher über die Frage der Andersartigkeit bei Tieren annähern können. Die verhärtete Position des antithetischen Gegenübers würde dadurch aufgelöst und zur Beschreibung des Eigenschaftsreichtums hingeführt. “Das Andere” weist drohend auf ein moralisch ungeklärtes Verhältnis der menschlichen Verstandesebene zum u.a. vor allem auch animalischen Bereich hin. “Die Andersartigkeit” erlaubt die geheimnisvolle Egalität, die auf der Stufe des Unumschreibbaren herrscht, das heißt, die Egalität auf der Stufe universaler Kommunikationsebenen und natürlicher Individualitätserfahrungen, etc. statt den unumstößlichen Vergleich mit dem alleinigen Maßstab Mensch: “Das Wir und das Andere”.

“Das Andere” gleicht dem exotisierten Feindbild des sich ausschließlich Ausgrenzend-Lassenden. Das Verschiedenartige, das Andersartige hingegen ist vielfältig in seiner Eigenschaft, zeugt von Diversität, ist   bunt, bewegt sich auf der Horizontale statt auf der hierarchischen Vertikale. Der erste Schritt ist zwar zu erkennen, dass es etwas anderes im wesentlichsten Sinne gibt, aber diese Beobachtung sollte moralisch kreativ und flexibel wachsen und sich nicht im rationalen Dogmatismus eines emotionalen Entleertheitszustandes verflüchtigen.

Revidierte Version, 21.09.2021. (Vorherige Fassung: https://www.simorgh.de/own_public/Das_Andere_210208.pdf)

Leave a Reply