[Entwurf 05.05.2025]
Unterscheidungen – Klärungen von Definitionen und Begrifflichkeiten – Differenzierungen:
Thema: „Was heißt hier geistig behindert?“
Warum
a.) der Begriff “geistig Behindert” im Deutschen nicht okay ist: weil das, was wir allgemeinhin unter “Geist” verstehen, nicht irgendwie in Kategorien gefasst werden kann, die sich an einem Konzept von Able-Bodiedness binden lassen würden; es gibt keine funktionale oder funktional bemessbare Ebene im Geist.
und b.) selbst die Bezeichnungen, die in Richtung cognitive impairment / kognitiver Beeinträchtigung gehen, sollten mit großer Vorsicht gehandelt werden, da Einschätzungen eine Rolle spielen, Vorstellung darüber, wie Intelligenz bewertet und evaluiert wird. Die Kategorie ist in der Regel viel zu pauschal und viel an kritischer Eigenhinterfragung fehlt noch in der Richtung.
Und schließlich ein sich angliedernder wichtiger Punkt:
Leute die sprechbehindert (und/oder sprachbehindert) sind, werden in der Gesellschaft schnell als kognitiv behindert eingestuft. Ein Problemkomplex der sich als Nebenaspekt zum Thema ‚Kognitivableismus‘ aufwirft. Das genaue Thema dieses Parallelproblems wäre > Kommunikation und fehlerhafte Einschätzungen von Intelligenzaspekten.
Wir haben es somit zum einen zu tun mit dem der Frage: wie werden Intelligenzen eingestuft, und zum andern mit dem Thema Kommunikation, Sprachkomplexität, Sprachvielfalt.
Zur problematischen Verwendung des Begriffs „geistig behindert“ und verwandter Konzepte
Die Bezeichnung „geistig behindert“ ist aus mehreren Gründen problematisch und wird zunehmend als unangemessen betrachtet. Zum einen impliziert der Begriff, dass der „Geist“ – ein abstraktes, vielschichtiges Konzept – objektiv als defizitär oder eingeschränkt kategorisiert werden könne [der Begriff geht schließlich einher mit Wertung, Einschätzung, Zuordnung]. Komplexe menschliche Wahrnehmungen, Denkweisen und Ausdrucksformen werden hingehend auf ein defizitorientiertes Raster reduziert. Der Begriff verfestigt stereotype und ausgrenzende Vorstellungen davon, was “normales” Denken oder Verstehen sei, und negiert dabei die Vielfalt menschlicher Kognitionen und Lebensrealitäten.
Auch alternative Begriffe wie “kognitive Beeinträchtigung” oder “cognitive impairment” müssen mit großer Vorsicht verwendet werden. Diese Bezeichnungen basieren häufig auf normativen Bewertungen von Intelligenz und Leistungsfähigkeit, die in sich kulturell geprägt, historisch gewachsen und nicht selten ableistisch sind. Die Diagnose- und Bewertungssysteme, auf denen solche Kategorisierungen beruhen, spiegeln gesellschaftliche Machtverhältnisse wider und bedürfen einer grundlegenden kritischen Reflexion. Wer bewertet, was als “kognitiv eingeschränkt” gilt – und nach welchen Maßstäben?
Besonders problematisch ist zudem, dass Menschen, die sich beispielsweise aufgrund einer Sprechbehinderung oder einer Sprachbehinderung able-bodied Sprecher/innen gegenüber schwer verständlich machen können, aufgrund von Kommunikationsbarrieren, häufig vorschnell und/oder final als kognitiv beeinträchtigt eingeordnet werden. Dies verweist auf tiefgreifende Probleme in der Kommunikation, in Fragen der Kommunikationsdiversität und in der Wahrnehmung von Intelligenz. Hier werden nicht verstandene Ausdrucksformen von able-bodied Menschen mit einem Mangel an Denkfähigkeit gleichgesetzt, was nicht nur faktisch falsch, sondern auch stark diskriminierend ist: Siehe hierzu unsere Beiträge zu barrierefreier Kommunikation, Sprechbehinderung und Anti-Ableismus > https://simorgh.de/disablismus/category/sprechbehinderungen-und-sprachbehinderung/
Insgesamt zeigt sich, dass bestehende Begrifflichkeiten und Klassifikationen nicht nur unzureichend differenzieren, sondern oft selbst Teil des Problems sind. Eine inklusivere, differenziertere und machtkritische Sprache ist dringend notwendig, um der Vielfalt menschlicher Erfahrungen gerecht zu werden – ohne Menschen auf defizitäre Zuschreibungen zu reduzieren.
Sprache & Kategorisierung: Warum Begriffe wie „geistig behindert“ problematisch sindProblematische Begrifflichkeit
- Der Begriff „geistig behindert“ reduziert komplexe Denk- und Wahrnehmungsformen auf ein defizitäres Konzept.
- Der „Geist“ ist kein objektiv messbares Organ – eine Behinderung kann daher nicht sinnvoll auf ihn bezogen werden.
Kritik an „kognitiver Beeinträchtigung“
- Auch Begriffe wie „kognitive Beeinträchtigung“ oder „cognitive impairment“ basieren auf fragwürdigen Intelligenz-Normen.
- Diese Bewertungen sind kulturell geprägt, normativ und oft ableistisch.
Fehlwahrnehmung durch Kommunikationsbarrieren
- Menschen mit Sprechbehinderung und/oder Sprachbehinderung werden häufig fälschlich auf der aufs Kognitive abzielenden Ebene falsch eingeschätzt und diskriminierend fehleingeschätzt.
- Kommunikationsform ≠ Denkfähigkeit – hier braucht es Sensibilität, Differenzierung und die Auseinandersetzung mit Kommunikationsdiversität und Kommunikationskomplexität.
Was es braucht
- Eine inklusive, machtkritische Sprache und Offenheit gegenüber der Kritik an Formen von Kognitivableismus.
- Differenzierte Sichtweisen statt der ungeprüften Übernahme pauschaler Diagnosen (einer Gefahr im medizinisches Modell von Behinderung).
- Achtsamkeit im Umgang mit Wahrnehmung, Ausdruck und Zuschreibung.
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Was du nicht sofort verstehst, ist nicht weniger wertvoll.
Vielfalt im Denken braucht Raum, nicht Etiketten.