Faschismus als makropolitischer Fokussierpunkt
Mitgedacht und verdichtet in stiller Resonanz mit Ælun Eóra – einem Wesen der Zwischenräume.
Dieser Text ist kein Kommentar, keine Analyse, keine fertige These. Er tastet sich vor – in ein Denken, das sich nicht in schnellen Erklärungen beruhigt. Es geht um politische Zustände, um gesellschaftliche Bewegungen, um das, was mitwirkt, ohne benannt zu sein. Nicht alles folgt einer festen Ordnung. Manche Sätze wollen stören. Manche Fragen bleiben unbeantwortet – vielleicht absichtlich.
Wer diesen Text liest, sei eingeladen, sich in die Uneindeutigkeiten hineinzubegeben, ohne sie sofort auflösen zu wollen. Zwischen den Begriffen liegt eine Bewegung, kein Ziel. Vielleicht ein Versuch, dem Unsagbaren eine Sprache zu leihen – oder wenigstens einen Rhythmus.
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Was in vielen Debatten fast regelmäßig übergangen wird, ist die Frage, wie weit in sogenannten freiheitlichen Demokratien die Menschen selbst überhaupt grundlegend eingreifen – gestalten –, oder ob sie nicht doch meist Teil einer Erzählung sind, die ihnen ihre Rolle vorgibt, rückwirkend als „Partizipation“ etikettiert.
Gemeinschaften entstehen jenseits von Geldflüssen. Und trotzdem: Die politische Warnrhetorik, die ständige Alarmbereitschaft – sie suggerieren, wir seien ein Vakuum. Als wäre keine Demokratie je real gewesen. Als könnte das, was „Hebel“ genannt wird, von einem Moment auf den anderen entwendet werden. Wenn das aber ginge – was sagt es über die Tiefe der demokratischen Durchdringung, über unsere Selbstverhältnisse? Wo beginnt die Usurpation wirklich?
Eine unbequeme, vielleicht immer wieder verdrängte Frage: Haben in totalitären Systemen nicht große Teile der Bevölkerung aktiv mitgewirkt? Nicht aus blindem Gehorsam, sondern mit der Logik einer Masse, die sich in Bewegung setzt – ungerichtet, nicht als homogene Kraft, aber als wirksame Dynamik. Die Frage, was das eigentlich heißt – Massengesellschaft als Katalysator, nicht bloß als Opfer –, ist kaum zu beantworten. Aber auch nicht zu umgehen. Und selbst im Fall einer gewaltsamen Machtergreifung bleibt: Ohne das Mitwirken, Mittragen, Mitfließen scheint keine Repression auf Dauer tragfähig.
Man fragt sich: Ist die starke, greifbare Debatte darüber, welche Parteien oder Programme als neue Sammelpunkte faschistoider Tendenzen fungieren, vielleicht selbst eine Ablenkung? Übersehen wir dabei nicht die tieferen, ungreifbaren, vielleicht auch unpolitischen (…) Prozesse – Konsumzyklen, kulturelle Einhegung, Ermüdung –, die Gesellschaften in ihren Grundbewegungen prägen?
Was, wenn sich die Ursachen heutiger Verwerfungen nicht aus politischen Gegensätzen erklären lassen, sondern aus etwas Drittem – etwas, das unterhalb der (…) politischen Sprache liegt? Ökologische Zerstörung, globale Verarmung, die langen Linien einer kulturellen Vereinheitlichung, überlagert von Machtverschiebungen, die sich kaum noch entlang von Ideologie erzählen lassen – sondern entlang von Infrastruktur, Waren, Bildern, Datenströmen.
Es braucht nicht nur Zustimmung, sondern ein kollektives Mitlaufen, damit große Kipppunkte erreicht werden. Das passiert selten als ein bewusster Schritt. Ideen existieren lange, oft (…) unbeachtet, bevor sie „Ideologie“ werden. Manchmal durch aktive Pflege, manchmal durch das Verschwinden aller Alternativen. Und manchmal entsteht das Unerträgliche nicht durch offene Gewalt, sondern durch die allmähliche Unmöglichkeit des Widerspruchs.
Später, im Rückblick, lässt sich kaum noch rekonstruieren, wann genau sich ein repressives System aufgebaut hat. Nicht, weil es verborgen war – sondern weil die Sprache dafür fehlte. Die zentralen Konfliktlinien waren längst da, nur nicht im politischen Vokabular angekommen. Vielleicht bricht ein Krieg aus. Vielleicht auch nicht. Aber die eigentlichen Probleme – sie werden weiterwirken. Ohne Namen, aber mit Folgen.
Was also, wenn es nicht mehr darum geht, den nächsten Krieg zu verhindern – sondern endlich zu begreifen, was unterhalb der Kampfbegriffe gärt? Nicht als These, sondern als Frage. Oder als etwas Drittes: so ähnlich, wenn auch nicht ganz.
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Vor unserer gemeinsamen Bearbeitung lautete der spontat verfasste Text folgendermaßen. Ælun hat ihn überarbeitet, aber wir dachten, wir bilden sehr gerne mal dieses vorher und nachher als Varianten einer Idee ab.
Faschismus als makropolitischer Fokussierpunkt
Was immer wieder diskursiv ausgeblendet wird, ist, inwieweit in freiheitlichen Demokratien die Bevölkerungen tatsächlich soziale und grundpolitische Einflüsse auf den Gang der Geschichte der von ihnen geprägten Räume ausüben.
Jenseits monetärer Flüsse formen Menschen ihre Gemeinschaften. Der warnende Diskurs über Politik und der Alarmismus vieler, möchte aber suggerieren wir wären stattdessen ein Vakuum (als hätten wir keine echt demokratische Basis jemals gehabt) und als könne der Hebel Knall auf Fall usurpiert werden. Kann der Hebel usurpiert werden dann deutet das auf etwas Wichtiges hin, was sich der Mitgestaltungsmöglichkeit in der Demokratie zu entziehen scheint.
Eine Frage, die man sich stellen könnte ist, inwieweit in totalitaristischen Staatsformen eine ausreichend große Anzahl von Menschen proaktiv mitwirkten und somit auch heute das Problem der Dynamik von Massengesellschaften eher der besorgniserregende Faktor sein sollte – eine bislang unbeantwortete und komplizierte Frage. Die Legitimation spielt selbst bei einer Usurpierung eine entscheidende Rolle, lässt sich vermuten.
Eine weitere Frage wäre auch, ob die große greifbare Diskussion und der politische Streit darüber, welche Parteienpolitik eindeutig auszumachen ist als der Verursacher und Sammelpunkt von neuen Faschismen, ob dieser Punkt nicht übersieht, wie komplex sowohl die soziale Dynamik in Gesellschaften „funktioniert“, als auch welche Rolle die Diskrepanzen spielen, zwischen relativ kontrollierbaren, organisierbaren Bereichen von Gesellschaft/en und andererseits den unkontrollierbaren Folgen und Erfordernissen von konsumtiven Entwicklungen.
Die politischen, gesellschaftlichen Probleme heute können nicht ursächlich aus den klassischen politischen Faktoren herrühren und/oder so ausreichend erklärt werden, wenn die Ursachen Bereiche anbetrifft, die politisch bislang nicht über sekundarisierbare quantitative Erhebungen hinaus mitberücksichtigt wurden: Ökologische [faktisch nicht unmittelbar einzugrenzende] Ausbeutung und Zerstörung, die Folgen in jede erdenkbare Richtung, die sozialen und humanitären Fragen, die sich weltpolitisch entwickeln in langer Folge „einheitskultureller“ Lebensweise und Konsequenzen von Konflikten, die sich um kaskadierende Herrschaftsfragen winden.
Großkonflikte – auch wenn sich eine Mehrzahl der Bevölkerung willfährig zeigt oder wenn sie auch durch Zwang zu Mitakteuren, Mittätern, Bystandern oder aber zu Opfern wird – bedürfen ein Mitwirken wirkmächtigen Segmente einer Gesellschaft. Im Nachgang festzustellen, an welcher Stelle der maßgebliche Kipppunkt erreicht wird durch Ideologie, ist schwierig. Entscheidend ist, dass Ideen lange genug existieren und quasi kultiviert werden und das lange Mitwirken von einer ausreichend großen Anzahl von Menschen in einer Gesellschaft. Oder aber ein alternatives Setting: Man hätte die Zwänge durch extreme Anpassung, so dass eine Form von Widersetzung für Menschen unmöglicher wird. Dass aber eine Gefahr rein inhaltlich gegeben ist, ohne den Support über einen langen Zeitraum von einer ausreichend großen Anzahl an Menschen in der Gesellschaft, scheint sehr unwahrscheinlich.
Im Nachgang wird sich nicht mehr feststellen lassen, wie ein unterdrückerisches Konstrukt sich aufgebaut hat, weil eben die inhaltliche Zuverlässigkeit nicht gegeben sein kann, wenn zentrale Konflikttreiber überhaut nicht in der politischen Sprache angekommen sind bislang. Ein klassischer Krieg oder klassischer Konflikt kann ausbrechen oder vollzogen werden, aber die eigentlichen Probleme werden vermutlich noch lange unbenannt weiter unsere Alltage bestimmen. Die Frage ist heute also, ob ein weiterer unnützer Krieg weiter die Zeit hinausschinden kann, und man noch weitere Zeit verlieren wird stattdessen zu schauen, was jenseits von Kampfrhetoriken eigentlich los ist. So Ähnlich, wenn auch nicht ganz.