Das Habitat

florae obscurae by Farangis G. Yegane
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Das Habitat

Palang Latif

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Gedanke:

Das Ich: In der ahnenden Erkenntnis über eine eigene „Sinnungebundenheit“, kann eine Erklärung über dasjenige liegen, das sich dem eigenen gegenwartsbestimmten Urteil zu entziehen vermag.

Die Lokalität: Man lebt in einem Raum voller Dinge, die im ungebundenen Raum in (von einem selbst) nicht fassbaren Kontexten stehen.

Der Clash: Würde man den Sinn der Gegenstände, mit dem man sich umgibt, gerecht beurteilen, das hieße unabhängig von derer ästhetischen oder nutzbringenden Funktion für einen „selbst“, dann sähe man in den geschauten und gefühlten Objekten die zu Trophäen umgearbeiteten Trümmer eines menschlichen Feindlzuges gegen „das Andere“.

***

Ihr arrangiert Euer Inventar, aber gebt ihm keine adequate Beurteilung.

Mit der reduzierten Sicht über die Natur auf die Ebene dessen, allein Teil menschlichen Existenzinventars zu sein, glaubt Ihr, habe sich auch die Frage über den Zweifel am Menschlich-Absoluten erledigt.

Der Tisch, der Ring, all die unbestimmten und bestimmten Teile Eures „Inventars“, haben eine Ge­schichte als Bestandteile des Naturhaften.

Die Gegenwärtlichkeit der Natur in allen Ihren Erscheinungsforment bezeugt aber dennoch immer aufs Neue Euer Unvermögen sie zu beherrschen.

Das Habitat, mein Zuhause

Das Habitat des „homozentrisch Menschlichen“ ist gegenwärtig das Konstrukt, das aus dem getöteten oder entrissenem Naturhaften errichtet worden ist. Im Gegensatz dazu ist das Habitat des nichtmenschlichen Tierreichs das Pflanzliche und Geologische, das ursprüngliche ‚reelle Environment’.

Die Ordnung, die homozentrische Menschen sich in ihrem konstrukthaften Habitat einrichten, kann als Spiegel ihrer Denkart gelesen wer­den. Das ursprünglich Naturhafte wird zum „Gegenstand“, der jeweils das Bedürfnis des Menschen als Kleinsteinheit (seines Inventars) befriedigen soll.

In vor- und frühgeschichtlicher Zeit sieht man dass Inventar und Architektur eine an das Naturhafte gebundene, Seins-Affirmative Bedeutung hatten. Auf vielen frühzeitlichen Fundstücken befinden sich Abbildungen die kulturelle Naturbezo­genheit verdeutlichen.

Nun befinden wir uns in einer Gegenwart, in der das Inventar und die Architektur (als Bestandteile des menschlichen Habitats) eine ganz spezifische Form angenommen haben, in der ein krasser Bruch sichtbar ist in der Bedeutungsempfindung des unmittelbaren und weitreichenderen Lebensraumes.

Ortega y Gasset setzt in diesem Gedanken dieses Menschsein in Kontrast zum natürlichen und konstruktiven Lebensbegriff:

Wir Menschen haben die Welt in Fächer eingeteilt, denn wir gehören doch zur Spezies der Klassifikatoren. Jedes Fach entspricht einer Wissenschaft, und darin eingeschlossen ist ein Haufen von Wirklichkeitssplittern, die wir im ungeheuren Steinbruch der Mutter Natur aufgeklaubt haben. In Gestalt dieser kleinen Splitter­häufchen, zwischen denen eine – bisweilen kapriziöse – Übereinstimmung besteht, besitzen wir die Trümmer des Lebens. Um zu solchem seelenlosen Besitz zu kommen, mussten wir die ursprüngliche Natur zergliedern, mussten wir sie töten.

José  Ortega y Gasset, Gesammelte Werke in vier Bänden, Band 1, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1950, S. 40.

Das Inventar und das Architektonische: die fragmentalen Splitter einer reellen Natur und der eine große eine Steinbruch, der wegen dieser Ressourcen ausgebeutet wird. Diese Umschreibung Ortega y Gassets über die Tötung der Natur bezieht sich sowohl auf die Begrifflichkeiten der Art des Denkens, welches die Natur in seinem Begreifen ratio­nalisiert, und er bezieht sich auf den materiellen Realzustand in den die menschlichen Zivilisationen den einstigen Naturzustand versetzt haben.

Begrifflichkeit lässt sich nicht von Materialität trennen. Die Auffassung über Etwas, bestimmt mein Handeln dem Ge­genstand gegenüber. Im Falle des Homozentristen ist die Einstellung gegenüber der ursprünglichen Natur eine klassifizierende, das heißt der Gegenstand der Reflektion wird im Denken einer kategorischen Verallgemeinerbarkeit unterworfen, und zwar in Hinsicht auf die Funktion die der Gegenstand für den Menschen haben soll bzw. kann.

Der homozentrisch orientierte Mensch umgibt sich mit den Splittern der Natur als Kategorien im Denken und im Handeln, er schöpft aus der Quelle des Naturhaften, wobei er die Ganz­heit der Natur als störend verwirft und aus ihr eine „Halbheit“, ein „unvollkommen Sein“, einen „Unvollkmmenheitszustand“ macht.

Die Vollkommenheit wird im Homozentrismus erst durch die menschliche Subjektivität geschaffen, durch die begriffsgebende und gegenstandserlebende Instanz.

Die Organismen und ihr naturhafter Kontext werden zu den aufgeklaubten Splittern und so zu Objekten bestimmt, die Bestandteile des physischen und psychischen Inventars und Raumes des durch menschliche Ideologien geschaffenen Konstrukts zu sein haben.

Aber diese Teile bleiben auch Teil des Naturhaften, und das Maß das auf sie angewendet wird, kann auch das Maß des environmental orientierten sein, und das Maß dessen, das sich dem anderen Leben respektvoll zuwendet.

Deutlich wird die Eigen­schaft des naturhaft bleibenden vor allem beim Müll, dem was wir Menschen wegwerfen, entsorgen; der Müll wird in der einen oder anderen Form wieder „der Natur“ zurückgegeben. Die Splitter, denen das naturhaft Kontextuelle entzogen wurde, müssen einen neuen Weg der naturhaften Kontextualität finden. Diese Teile sind nicht mehr Bestandteil des menschlichen Konstrukts, der Mensch hat sie ausgespieen.

Das naturhafte Außen, das dem Steinbruch gleicht den man langsam abträgt, muss gänzlich nützlich sein und erschlossen werden.

Teile die nicht erschlossen werden, bergen eine Gefahr dessen in sich, das sie entweder nur – einen auf die eigene mögliche Sinnlo­sigkeit hinweisende – „Natur“  darstellen, oder man hat ein ihnen innewohnendes Geheimnis einen Nutzen verpasst, oder der unerschlossene Teil ist bedrohlich weil er das Habitat anderer Wesen darstellt: Insekten, Mikroorganismen, etc. und soll noch erforscht, erschlossen werden.

Die „Natur“ ist der Ort an dem man seine Untaten verste­cken kann, der Ort an dem man seinen Müll loswird, weil diese Natur durch die Verachtung/Mißachtung/Scheinachtung ihr gegenüber, als „unvollständig“ deklariert werden kann. Zuhause hält man alles „in Ordnung“, denn das eigene System darf nicht aus den Fugen geraten.

Das Bedürfnis, das eigene Heim auch in anderen Umwelten zur Geltung zu brin­gen, ist bei Menschen sehr ausgesprochen. Während aber der Mann sich meist damit begnügt, seinem Arbeitszimmer sein eigenes Gepräge zu geben, übernimmt es die Frau, das ganze Haus mit ihrem Geist zu erfüllen, der sich in tausend Kleinigkeiten ausspricht.

Jakob von Uexküll, Niegeschaute Welten, Paul List Verlag, München, 1957, S. 22.

Über das Lebensraumverständnis des Mensches findet man wenig selbstkritisch reflektive Beschrei­bungen. Es scheint man könne, was den Lebensraum anbetrifft, vom Selbstgeschaffenen geistig nicht mehr zehren, man braucht das naturhafte Ganze um weiter Stücke daraus zu extrahieren und die Stücke und den Steinbruch dann stetig für unvollkommen zu erklären, und weiter abzubauen.

Der Raum innen wird „rein und sauber“ von natürlichen Kontexten gehalten. Im inneren Raum herrscht eine systemhafte Ordnung.

Das Habitat der nichtmenschlichen Tiere wird als ausbeutbarer Raum betrachtet. Es wird argumentiert, dass Tiere sich sowieso nur instinkthaft in ihren Habitaten bewegen, wodurch sowohl Tieren als auch deren Habitat der Eigenwert abgesprochen wird. Schlimmer noch „das Tier“ wird als Teil des menschlichen Habitats angesehen, und die Frage ob es einen Eigenwert hat, spielt in dem „eigenen“ humanzentrischen System keinerlei Rolle mehr. „In dem Moment, indem ich etwas in meinem Raum einfüge, un­terliegt es meinem persönichen Souverän“, so etwa.

Nicht das Verlangen nach wahren Gütern verdirbt den Menschen, sondern das nach falschen. Niemals würde ein Volk dadurch verdorben, dass es Getreide, Früchte, reine Luft, besseres Wasser, vollkommenere Künste, schönere Frauen, sondern weil es Gold, Edelsteine, Sklaven, Gewalt, falschen Ruf und eine ungerechte Überlegenheit haben wollte. – Joubert

Die französischen Moralisten, Band 2, Hg. F. Schalk, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1979, S. 284.

Der Mensch kann sich, folgt man Joubert, mit wahren Gütern umgeben und mit falschen. Die Vorstellung darüber ob ein Gut „wahr“ ist, hängt allerdings von der Auffas­sung über Moral und Notwendigkeit ab. Moral und Notwendigkeit als eines genommen, als Kombination.

Moral und Notwendigkeit: Braucht man das Inventar und die Architektur als Form einer negierenden Haltung gegenüber der äußeren naturhaften Umwelt? Muss das eigene Habitat, in dem man gepflegte Subjektivität erleben will, die Objektifizierbarkeit des Außen postulieren? Muss das Habitat „Außen“, das Habitat des „Anderen“, in Form von Luxus dem „Außen“ und den „Anderen“ entrissen werden?

Der Raum den der Homozentriker sich schafft, symbolisiert seine Grenzen nach außen über die Architektur und seine Grenzen nach innen über das Inventar.

Der Mensch kann sich in dem Raumgefüge mehr oder weniger frei umherbewegen. Die inneren Grenzen sind gegeben durch bloße Zwangläufigkeiten, und sind ein Übel dem man immer wieder versucht Abhilfe zu verschaffen. Die Natur konstituiert die völlige Offenheit über die Ebene der Verbindungen: Himmel schließt an Berg an, der an das Tal anschließt, wovon alles von der Luft durchströmt wird. Die Bedeutung von Grenze verläuft im natürlich environmentalen Kontext anders als im Raum menschlicher Ge­sellschaften.

Die Begrifflichkeit, die sich in dem Raum menschlicher Gesellschaften in Abgrenzung zum „Außen“ – dem Naturhaften – entwickelt und bewährt hat, reicht nicht mehr dazu aus, das Menschliche in Gesamtkontext des Naturhaften zu lokalisieren. Der Mensch wird wahrgenommen und nimmt vor allem wahr, aus der Sicht seines eigenen Habitates heraus. Und die gewählte Perspektive setzt immer wieder den Men­schen als Zentrum.

Es scheint abwegig sich mal ein Bild darüber zu machen, wie die Welt aus Sicht eines Ökotops, in dem Sinne der Wesenhaftigkeiten solch eines organischen Gefüges, aussehen kann. Doch das scheint allein deshalb abwegig, weil wir der homozentrischen Perspektive, die Welt aus unserer selbst-gestalteten Sichtluke heraus zu betrachten, eine einzigartige Bedeutsamkeit zuschreiben. Die Welt im Kontext ihrer wesenhaften und naturhaften Beziehungen anzuschauen ist für den Homozentriker un­interessant.

Aber, so sehr wir uns selbst und der „Natur“ zu entfliehen und zu entziehen scheinen: alle unsere Konstrukte bleiben Teil einer umfassenderen Kontextualität, die unser Kalkül umreißen könnte.