Wohnen im falschen Leben
Wenn Architektur zur Ware wird und man sich selbst, andere und die Natur dem Konsum opfert, weil ja nichts anderes einzufordern, denkbar und machbar wäre.
Wenn Wohnen zur Ware wird – und Beton die Antwort bleibt
Die Gefahr ist real und global: Wenn Wohnraum zunehmend unbezahlbar wird – in Metropolen ebenso wie in kleineren Städten – entsteht ein Druck, der nicht nur soziale Spaltung verschärft, sondern auch die Landschaften, Städte und Lebensräume formt. Was derzeit vielerorts als Lösung präsentiert wird, ist in Wahrheit oft Teil des Problems: eine flächendeckende Welle neuer Bauprojekte, die unter dem Deckmantel von „Nachverdichtung“, „Wohnraumschaffung“ oder „Stadtentwicklung“ vor allem eins sind – Investitionsmaschinen.
Genau hier setzte die Kritik von Thematisierungen wie der eines „New Build Hate“ an. Zaghaft wurde über Social-Media sichtbar, wie ohnmächtig scheinbar die Gesellschaft gegenüber dem immer aggressiver operierenden globalen Bausystem steht, das Böden als Ressource behandelt, nicht als Gemeingut. Fotos eingesandter Bauperversionen zeigten den schwer zu beschreibenden Trend in den Neubauten, die allesamt Lebensfeindlichkeit als zeitgemäße bauliche Ästhetik gerieren wollen, auf überplanten Böden, endlos weiter versiegelten Flächen – das neue Normal der städtischen Expansion, die auch keine sich trauen würde infrage zu stellen.
Doch was viele übersehen: Es geht nicht nur um den Mangel an lebendiger nachvollziehbarer Ästhetik. Wenn Beton ohne Maß als Standardantwort auf die Wohnraumkrise fungiert, wird der Boden unter unseren Füßen systematisch seiner Möglichkeiten beraubt – für Grünflächen, für soziale Räume und für alles, was ernsthaft in Richtung ökologischer Resilienz gehen könnte.
Die Wohnungsfrage kann nicht länger allein im Raster von Profit und Quadratmetern gedacht werden, sonst folgt auf die Unbezahlbarkeit des Wohnens zwangsläufig der ungehemmte Zugriff auf alle noch unbebauten Flächen – legitimiert als scheinbare Notwendigkeit. Damit wird Wohnen selbst zu einem in sich unvermeidbar naturfeindlichen Akt, weil neu, sozial und ökologisch höchstens als Mogelpackung und neue Verkaufstaktik gedacht wird.
Was dabei verloren geht, ist das Leben selbst. Und was bei diesem drohenden Verlust immer mehr zunehmen wird, ist der Kampf in der Ellenbogengesellschaft, in der niemand auf Dauer in Wohnklos mit Schießschartenfenstern leben möchte. Jeder will durch Statusgewinn dem Normal entfliehen. Keiner wehrt sich aber gegen dieses Normal. Alles rufen einfach nach mehr Wohnraum.
Wer in einer grauen, seelenlosen Betonschachtel wohnt, soll zum Konsumenten seiner Freizeit werden: Arbeit – Konsum – Urlaub. Wer seine Wohnung nur als Rückzugsort vom Alltag begreift, und nicht als Lebensraum, der nimmt vielleicht hin, dass er gezwungen ist, sich Lebensräume zu „leisten“ in Form von Aktivitäten, vielleicht im Wald mit dem Mountainbike kreuz und quer mal die Waldböden platt machen, sich das Café leisten, Kurzurlaub, im Museum, am Kulturprogramm teilnehmen, usw. usf.
Wohnräume, die wie Puppenhäuser aus Katalogen wirken – IKEA, „Schöner Wohnen“, Design – entkoppeln das Zuhause typischerweise von einer Lebensqualität, die ihren Sinn jenseits der Konsumierens sucht. Drinnen und Draußen verkommen alle Orte zu Orten des Konsums.
Jeder Mensch braucht Zugang zu echter Wohnqualität – und das sollte ein Grundrecht sein. Große Fenster, Pflanzen, Gärten, Gemeinschaftsgärten, ein Bezug zur Erde. Raum um anders sein zu können als allein durch die Wohnräume aufoktroyierte Normal, Raum um nicht nur zu Funktionieren in diesem System. Kein Leben im Raster, sondern Orte zum Bleiben, zum Gestalten und zum Wurzeln schlagen. Stattdessen entstehen immer weitere playmobilmäßig anmutende Stadtviertel.
Wir leben in Betonhüllen, arbeiten für Quadratmeterpreise, fliehen in den Freizeitstress, um uns dann auf social media stolz zeigen zu können. Orte zum Leben, nicht zum Funktionieren, gibt es nicht. Und Aufrufe gegen das falsche Normal gibt es in Sachen Wohungsbaupolitik auch nicht.
—