Im Deutschpunk herrscht offensichtlich die gleiche Einheit, wie sonst so.
Gaskammer-Party und Punk-Posen – Wenn entgrenzter Zynismus antifaschistische Kultur aushöhlt
Von Läns
Es wirkt wie ein schlechter Scherz, aber er wird immer wieder gemacht – und leider auch beklatscht: „Party in der Gaskammer“ [ https://www.discogs.com/de/release/2376545-Middle-Class-Fantasies-Helden ; 18.05.25], ein Song der Frankfurter Band Middle Class Fantasies, kursiert seit Jahren im Netz und wird – ausgerechnet in Kontexten, die sich als antifaschistisch verstehen – gefeiert. YouTube-Kommentare sprechen von „ehrlichem Punk“, „radikalem Humor“ und „subversiver Kritik“. Manche Zines und Podcasts nehmen den Song sogar in Listen mit „wichtigen“ Beiträgen zur Punkkultur auf.
Was hier als krasser Tabubruch verkauft wird, ist in Wirklichkeit nichts anderes als zynische Entmenschlichung. Wenn das industrialisierte Morden in der Shoah zur Kulisse für eine ironisch inszenierte „Party“ gemacht wird, ist das nicht provokant – es ist respektlos, geschichtsvergessen und zutiefst entpolitisiert. Und nein, es wird nicht „den Nazis eins ausgewischt“, wenn man mit NS-Terminologie kokettiert – man bereitet vielmehr das Terrain, auf dem rechte Anschlussfähigkeit gedeiht.
Umso bitterer wird es, wenn man sich anschaut, welche Musik im selben Land zur Zielscheibe von Löschungen oder Nichtbeachtung wird: Gemeint sind hier nicht jüdische Stimmen oder Überlebende, sondern nicht-jüdische deutsche Musiker*innen, die sich solidarisch und ernsthaft mit der Shoah und dem NS-Terror auseinandersetzten – und damit eine andere, häufig vergessene Perspektive auf deutsche Geschichte sichtbar machen. Eine Perspektive, die deutlich macht, dass selbstreflektierte Stimmen existieren, die sich der Geschichte der Vernichtungslogik des Nationalsozialismus anders stellen als üblich in der gepflegten Erinnerungskultur der „Mehrheitsgesellschaft“ mit ihrer subtilen Fortsetzung von Verdrängung, Banalisierung und völkischer Kälte. Solche Stimmen erzählen auch von einer antifaschistischen Verantwortung, die der deutsche Staat und viele seiner Institutionen nie wirklich angenommen haben – und die heute im kulturellen Raum immernoch keinen Platz wirklichen gefunden hat.
Die Entpolitisierung von Geschichte ist kein neues Phänomen. Doch in der deutschen Punk- und Alternativszene wird sie oftmals auch besonders krass, weil hier Zynismus mit Radikalität verwechselt wird. Und genau hier liegt ein entscheidender Unterschied zu bestimmten englischsprachigen Punk-Texten der 1980er Jahre, die sich ebenfalls in bitterem Sarkasmus mit dem Nationalsozialismus beschäftigten: Diese Perspektiven – in einer Sprache die Gewalt, Gräuel, Kriegsthemen und Angst überhaupt kritisch thematisiert, wie bei der Destructors, English Dogs, Crass usw. – artikulierten sich aus einer Haltung heraus, die die Geschichte des NS-Terrors aus der Sicht der Alliierten betrachtete. Der Zynismus richtete sich dort gegen die Gewaltideologien selbst und spiegelte eine klare Abscheu gegenüber dem deutschen Faschismus – inklusive einer Fremdheit gegenüber der Faktizität des nationalsozialistischen Grauens.
Wenn jedoch deutsche Bands diesen Tonfall übernehmen – ohne diese historische Distanz, ohne kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wie Involviertheit geschieht, ohne Bewusstsein für die Erbverantwortung (das Sühnbarkeitsproblem), die sich aus deutschem Faschismus ergibt –, dann entsteht kein antifaschistisches Statement. Dann entsteht ein Poseurstück aus sich selbst überschätzender Selbstverherrlichung, falsch verstandener Provokation und entleerter Erinnerung. Das ist nicht Punk – das ist kulturelle Selbstverblendung auf Kosten der Erinnerungsgeschichte und ein fragwürdiges Othering der Opfer bestreibend.
Wir müssen uns fragen: Warum bekommt ein Song wie „Party in der Gaskammer“ Aufmerksamkeit und Lob, während reflektierte, historische und antifaschistische Musik, wie in dem Fall von die Band Carefree aus Lüdenscheid mit ihrem Song 1989er track ‚Bergen Belsen‘ marginalisiert wird? Warum feiern Teile der linken Szene ein Vokabular, das mit NS-Gewalt spielt – als wäre das irgendeine Pose, irgendein Stilmittel, zu akzeptierender Teil dessen, was in der deutschsprachige Punkgeschichte als antifaschistisch verstanden werden will? Und was bedeutet es, wenn genau diese Verrohung auch in explizit „antifaschistischen“ Kontexten eben auch nicht problematisiert, sondern zusätzlich noch kultisch erhöht wird?
Diese Verharmlosung hat Konsequenzen. Sie schafft genau die Grauzonen, in denen rechte Ideologien mitlaufen können. Die Distanz zur Menschenverachtung wird kürzer, wenn sie ironisiert wird. Die Shoah wird entpolitisiert, wenn sie als szenische Bühne für no-context Punkästhetik dient. Wer sich antifaschistisch nennt, aber solche Bilder und Begriffe „feiert“, macht sich mitschuldig an einer Erinnerungsentleerung, die dem historischen Faschismus mehr nützt als ihm zu schaden.
Echter Antifaschismus heißt: Haltung zeigen. Auch und gerade in der Sprache, im Humor, in der punkkulturellen Praxis. Kein Applaus für die Instrumentalisierung von Gräueltaten und Gewalt für die Eigeninszenierung – auch nicht im linken Gewand. Kein Schulterzucken bei menschenverachtenden Texten – auch nicht, wenn sie von DIY-Bands kommen. Und kein Platz für das alte Märchen vom „besseren“ Tabubruch, der angeblich nach unten tritt, aber in Wahrheit historische Gewalt ästhetisiert.
Wir brauchen eine andere Praxis. Eine, die Erinnerung nicht vernutzt, sondern solidarisch hält. Eine, die Antifaschismus nicht als Attitüde, sondern als Verantwortung begreift. Und eine, die mit menschenverachtendem Punk keinen Frieden schließt – egal wie „echt“ er sich gibt.
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Dieser Text ist ein Folgebeitrag, bezugnehmend auf:
[2022] Wenn unter „Nazis Raus“ fragwürdige Inhalte laufen > https://simorgh.de/sprechen/wenn-unter-nazis-raus-fragwuerdige-inhalte-laufen/ , 18.05.25