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Mad Studies

VerRücktheitsforschung und Betroffenheit

Statt Ökotherapie > Ökoaktivismus https://baumgemeinschaften.wordpress.com/

Links, die für mich Eye-Opener waren in der letzen Zeit …

Psyche und wie man Psyche erlebt …

Warum diese Links hier, jetzt an dieser Stelle? Meine Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen zwischen Formen der Diskriminierung gegenüber Menschen mit vermeintlichen kognitiven “Abweichungen”, speist sich auch aus der Erfahrung an mir selbst als betroffenem Menschen. Ich frage mich immer wieder, ob ich meine Geschichte diesbezüglich offener angehen sollte oder sie weiter eher verborgen halten sollte, soweit wie möglich.

Das Problem, was sich für mich zu einer offen Thematisierung hinzugesellt ist, dass Teile meiner persönlich erlebten Diskriminierung in besonders starker Form nicht allein von einem gesellschaftlichen Vorurteilsdenken, von uniformierten oder “merkwürdig gesonnenen” Psycholog*innen und Psychiater*innen oder auch von ehemaligen Bekannten und Freund*innen herrührte. All diese Menschen waren irgendwo immer noch “draußen” – schlimm war für mich eine kontinuierliche Abwertung, die ich innerfamiliär durch eine ähnlich altrige Verwandte und im Freundeskreis durch eine enge Freundin erfahren habe.

Diskriminierung auf emotionaler Ebene innerhalb des Familienkreises oder durch Menschen im Freundeskreis oder Bekanntenkreis werden nur teils beleuchtet. Es gibt aber viele Varianten von Diskriminiertheitserlebnissen, die ohne allgemein anerkannte bezeichnende Kategorien stattfinden.

Es gibt zahlreiche Formen der Spannungsverhältnisse, die in engen Beziehungskreisen stattfinden, die wir in kein vorgekautes Muster packen können. So können beispielsweise auch Eltern Opfer seelischer Gewalt ihrer Kinder sein, Menschen, die nah an Deinem Leben dran sind können Konflikte oder problematische Verhältnisse zueinander ganz anders gestalten, gerade aufgrund des direkten Zugangs auf die gegenseitige Privatsphäre.

Und so war auch das Problem, das ich mit einer eng-verwandten weiblichen Person und mit einer Freundin hatte: es war “kein ernstzunehmendes Problem”. In Wirklichkeit gibt es eben doch immer mehr Probleme auf noch mehr Ebenen mit Menschen, als die allgemein beschriebenen und benannten.

Mein Problem mit der Verwandten und der Freundin war folgendes, in Stichworten:

als ich 22 Jahre als war, hat ein 23-jähriger einen Versuch unternommen mich zu ermorden. Er verschaffte sich mit einer Axt Eintritt in mein Elternhaus, in dem ich lebte, und ging durch das Haus und schlug hier und da mit der Axt ein in der Suche nach mir.

Er fand mich nicht. Er nahm einen Kanister mit Benzin und leerte diesen im Heizungskeller aus und entzündete ein Feuer dort. Dann lief er weg. Eine Freundin, die sich mit mir im Haus befunden hatte, konnte von ihm unentdeckt aus dem Haus laufen und sich in Schutz bringen. Ich war von einem Balkon geklettert.

Ich merke, dass ich im Detail über das Geschehen noch nach über 3 Dekaden noch ungerne offen rede. Der Täter wurde von der Staatsanwaltschaft wegen versuchten Mordes angeklagt. Es gab im Hintergrund, wie ich bald herausfand, mehrere “geistige Brandstifter*innen”, d.h. Leute, die den Täter mit anstifteten.

Bei der Polizei gab der Täter sich “verrückt”. Er wurde in die forensische Psychiatrie eingeliefert. Dort konnte er nach einigen Wochen entweichen, fuhr zu seinem Vater und bedrohte diesen mit einem Messer. Er konnte wieder gefasst und wieder eingeliefert werden.

Meine Seele hat nach dieser Erfahrung einen gewaltigen Knacks bekommen, an dem ich über zehn Jahre litt, in allen möglich Formen, die sich psychisch und psychosomatisch äußerten.

Anfang der 1990er war es noch nicht so “normal” oder üblich – außer man war beim Militär und dort traumatisiert oder durch sexuelle Übergriffe … – dass einem ein posttraumatisches Belastungssyndrom diagnostiziert wurde. Zum Teil wollte ich auch gar nicht über mein Erlebnis sprechen, weil ich auch davon ausging, dass man mir unterstellen würde, dass ich gewiss übertreiben würde um mich interessant zu machen oder etwas aufblasen würde um irgendein Mitleid oder irgendeine merkwürdige Aufmerksamkeit zu erheischen.

Allein so eine Unterstellung auf ein Trauma hin, ist eine Reaktion von Menschen, wenn auch manchmal vielleicht nur eine angedeutete, mit der man einen Betroffenen von menschlichen Gewalthandlungen und Aggressionen retraumatisieren kann.

Nun gut. Den Leuten die reißerischen Zeitungsartikel aus der Lokalpresse über das Geschehene vorzulegen, wäre mir absurd erschienen. Zumal, einige Personen genossen es regelrecht, wenn jemand zum Opfer einer Straftat wird; sie genießen das “Privileg” nicht Opfer von solch einem Horror geworden zu sein … .

Wenn man als weiblich-identifizierte Person Opfer von einer männlich-identifizierten Person geworden ist, nimmt das Ganze sowieso kaum jemand mehr ernst, weil Gender-Kampf in allen möglichen Ausprägungen an der Tagesordnung steht und solche Fälle, in denen es zu Übergriffen kommt, in die besonders unappetitlichen Ecken gerückt werden.

Gendergewalt ist ziemlich durchsetzend und verhält sich nicht erkennbar linear, dass man sagen könnte, die Unterdrücker sind immer nur die Männer und es sind immer nur die unkritischen oder unreflektierten Menschen. Langes Thema.

Der Täter war zudem noch religiös (ein Thema für sich) gespeist. Ich selbst komme seitens meiner Eltern aus einer, man könnte sagen ‘heidnisch-orientierten Familie’. Die oben erwähnte verwandte Person, durch die ich mich verletzt fühlte und fühle, jedoch ist und war aber auch immer sehr religiös motiviert – zwar von einer anderen Religion her als der Täter, aber nichtsdestotrotz.

Das macht die Sache auch noch schwieriger: Ethnische, kulturelle, religiöse Hintergründe, ethisch-weltanschauliche Haltungen, politische Einstellungen, all das wirkt in menschliche Begegnungen ein. Innerhalb engerer sozialer Konstellationen, sowie weitläufig in der Gesamtgesellschaft … .

Egal, auf jeden Fall hatte mein Posttraumatisches Belastungssyndrom (das mir also kein*e Psycholog*in und kein*e Psychiater*in damals ‘zugestanden’ hat; das heißt mein Trauma wurde therapeutisch nicht wahrgenommen) auch die Folge, dass die Reaktionen mancher mir nahestehender Menschen auf mich, meine Situation und mein Erleben, völlig auseinander trifteten:

Meine Eltern standen zu mir, aber die eine enge verwandte Person stempelte mich einfach mir nichts dir nichts als Loser in einer Art Täter-Opfer-Umkehr ab.

Ich stolpere dauerhaft über die Erfahrung der Retraumatisierung durch Menschen, die einem sehr nahe stehen bzw. standen … . Gerade der Umstand, dass ein Mensch, der mir so nah ist, mich so dermaßen aus aller Nähe diskriminieren kann und konnte, hindert mich über meine Geschichte in der Offenheit zu reden, in der ich es gerne tun würde, weil diese Verletzung einfach nicht bewältigbar scheint. Ich verstehe so ein Fehlverhalten durch einen nahestehenden Menschen wirklich nicht.

Die Herabsetzung fühlt sich konstant an, biografisch ganz nah, geht nicht weg. Es gibt Menschen, die haben in unserer Gesellschaft einen zu starken Zugang zu einem persönlich.

Ich darf zudem wahrscheinlich auch aus Datenschutzgründen gar nicht offen über mein Erleben diesbezüglich reden, sobald mein Name öffentlich ist und man die Identität meiner Verwandten eventuell irgendwie ableiten könnte via Google.

Also mach ich es nun so … . Ich versuche Antworten in Relation zu setzen und meine Erfahrungen konstruktiv zu deklinieren, im Vergleich mit den Erfahrungen anderer, mit Stigmatisierung und Diskriminierungsformen, die auf seelische und geistige Zustände abzielen.

Wie erlebt man solch eine Stigmatisierung in eigenen engeren Umfeld, wie reflektiert ist das gesellschaftliche Umfeld denn wirklich, wenn es um deinen seelisch-geistigen Zustand geht – und das bezieht Traumatisierung in irgendeiner Form immer mit ein, ob ursächlich oder in Folge der Erfahrungen mit Ausgrenzung aufgrund eines Dir abgesprochenen richtig funktionierenden ‘Denkvermögens’ (…) oder deiner neurodiversen Einsichten.

Ich glaube ich habe eine Lobby-Gruppe für mein Anliegen weitläufig gefunden in den: Mad Studies. Sie bieten einen Rahmen für eine vernünftige Diskussion – wobei ich zugleich aber auch für eine “Entakademisierung” solch einer Diskussion bin, das aber allgemein … denn Klugheit und Besonnenheit darf nicht an Bildungsvorgaben und Bildungsvorstellungen gekoppelt sein. Bildung kann vieles sein, und auch Menschen, die sich schlecht ausdrücken können oder die nichts von Cross-References halten, haben gleichermaßen wertvolle und wichtige Beiträge zu allen Belangen in der Gesellschaft beizutragen. Ganz, ganz wichtig!

Über das Empowerment, die Mad Studies und die Disability Rights Bewegung / Behindertenrechtsbewegung, über diesen Weg kann ich nun schließlich und endlich doch noch über alles reden, indem ich eigentlich immer noch keine klinische Klarheit in meine eigene Situation hinein-formuliert parat habe. Und das ist gut so.

Selbsttherapie-als-Kunst und “Verrücktsein” ist, wenn man Grenzerfahrungen, die von außen negativ bewertet wurden, selbst neu bezeichnen kann. Seelisch verletzt sein ist das, um was es mir hier gerade geht, und das, was für mich psychisch Krank heißen kann.

Ein Thema über das man auch mal reden müsste ist eine neue Differenzierung von ‘psychisch abweichendem Verhalten’. Das geht aber erst, wenn man weg von den Diagnosen im alten Sinne kommt.

Über meine Verarbeitung des Erlebten schreibe ich nochmal an anderer Stelle. Arbeite gerade an einem Text dazu.

In die Tat spielten übrigens interessante Faktoren in die Situation der Tat hinein: eine weibliche Person hatte mir gegenüber geäußert, sie haben dem Typen ‘dazu geraten’ mich umzubringen. Ich hatte die Frau persönlich überhaupt nicht gekannt. Ich habe oben bereits erwähnt, dass sich bald nach der Tat herausstellte, das es mehrere beteiligte Anstifter*innen gab.

Und ja, so wenig ist anderen Leuten das Leben eines anderen Menschen Wert, den sie anscheinend für verachtenswert oder überflüssig halten.

Und überhaupt fand der Täter einiges an Zuspruch vor und nach der Tat auch von weiteren Personen.

Lustig in aller Groteskheit war, dass der Täter, der nichtweiß-identifiziert war, wohl bereits in jüngeren Jahren gerne Skinhead geworden wäre, das in der ‘deutschen Szene’ aber nicht “schaffte” – die Szene hier in der BRD war in der betreffenden Zeit ziemlich auf Phänotypen hin völkisch und ansonsten Image-orientiert ausgerichtet, und der Täter passte irgendwie wohl in keines der möglichen kompatiblen Identitäten.

Und als der die Tat verübte, zog er sich, anscheinend ganz bewusst, eine Clockwork-Orange lange Gumminase über. Lustig nicht. Gewalt kann jeder. Er meinte wohl nur er könne es, dann wenigstens einem oder zwei Menschen und dessen Leuten gegenüber.

Es gibt so viele Formen von Gewalt. Dass ich von ihm und seinen Unterstützer*innen als Opfer ausgewählt worden bin, schützt diese Menschen nicht selbst Opfer im Leben zu werden.

Ich bin mir dessen bewusst. Und sie werden es eines Tages wohl selbst nochmal lernen müssen, dass Opfer schaffen einen niemals zum unbesiegbaren Supertäter macht.

Jetzt reichts erstmal.

Dir lesendes Wesen alles Gute … !!!

rev. 08.02.23

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