Wer ist schuld am Anthropozän?
Es werden, so wie die vereinfachten Lösungen für Probleme historischen Ausmaßes, auch immer wieder vereinfachte Ursachen gefunden, für die Antwort darauf, wer eigentlich an allem Schuld ist:
ist es der Kapitalismus, sind es die Lobbyisten betreffender Wirtschaftszweige, sind es die Politiker, ist es letztendlich der Globalismus oder schlichtweg die allgemeine Ignoranz, und werden wiederum (…) „von oben“ zu wenig Restriktionen verhängt über eine Gesellschaft, die sich von all dem leiten lässt. Die Gesellschaft bietet einem dem zu Trotz aber immer wieder vielversprechende Allheilmittel für jegliches Desaster an. Das Mehrheitsprinzip muss funktionierende Lösungen bieten können, und die Mehrheiten nach denen gestrebt wird, sollen die sein, die nicht zuletzt lenkbaren Prinzipien folgen.
Ethische Erkenntnis ist wenig lenkbar. Wäre sie lenkbar, wäre sie manipulierbar, dann verlöre sie Wirksamkeit, Authentizität und Erkenntniskraft.
Hinter all den Gründen an denen es liegt, dass wir im Anthropozän und nicht in einem anderen Zeitalter leben, stehen immer wir selbst, in der Weise, wie wir zu den Systemen stehen aus denen dieses Zeitalter gewachsen ist. Wenden wir uns nun also den endlosen Symptomen zu oder auch vertieft der Analyse von Ursachen?
Wäre eine Lösung vielleicht eine Gesellschaft „totaler Befreiung“ von allen Herrschaftssystemen? Dabei würden wir in viel zu weiter Ferne nach den vermeintlichen Stellschrauben suchen. „Fehler im System“ kommen nicht nur in den Klassikern der Herrschaftssysteme vor. Nicht alles was sich als „frei“ deklariert, ist so progressiv wie es vorgibt zu sein.
Nun stellen wir uns z.B. einmal vor, wir hätten also endlich eine bio-vegane Landwirtschaft in dem Sinne jedoch, wie sie sich gegenwärtig tatsächlich konzipiert. Wäre dadurch gewährleistet, dass die-Nichtmenschen-unterdrückende-Spezies Mensch dem nichtmenschlichen Raum tatsächlich seine eigenen Lebensräume und Autonomie vom Menschen gewährt? Der bio-vegane Landbau schließt bislang die Fragen des Lebensraumes für Nichtmenschen (ungeachtet ihrer Spezies) aus und befasst sich mit der technisch-veganen Ernährungsdimension für Menschen. Ökosoziales Leben mit den Nichtmenschen und ihren Interessen ist kein Primärthema, ehrlich gesagt ist nichts in der Richtung dort Thema. Es geht auch dort erstmal um die Rettung unseres Systems, ohne die Systeme von Nichtmenschen mit einzubeziehen als sozialen und politischen Teilhaber. Die nichtmenschlichen Tiere, denen wir pazifistisch begegnen wollen, kommen nur vor indem sie nicht vorkommen. Sie werden gerettet, indem sie einfach nicht mehr „Teil des Problems“ sind.
Wäre die Gesellschaft weniger humanzentrisch, wenn sie eher sozialistisch, weniger bürokratisch, weniger korrupt wäre? Ist die Lösung im eigenen Denkgebäude unserer Gesellschaft zu finden? Ratlosigkeit – denn die meisten würden behaupten, es existieren gar keine Alternativen zu unseren Vorstellungen von Mehrheits- und Minderheitspositionen. Ein wirklicher Ausstieg aus dem System menschlicher Herrschaft müsste sich meiner Meinung nach an uns bislang eher unbekannten Modellen ausrichten, die wir im Zuge unserer eigenen Veränderung erst neu verstehen lernen und erlernen würden.
All das, woraus sich eine neue Kulturform entwickeln könnte, wurde über Jahrtausende akribisch unterdrückt und bewegt sich nicht an den Stellen, die informativ Systemkompatibel wären. Es ist möglich, von ökosozialen pazifistischen Gedanken anderer und alter Kulturen und „Subkulturen“ (1) zu lernen, von denen wir bislang nicht viel wissen, weil wir deren Gedankengebäude unsichtbar gemacht haben. Wir könnten lernen von Tierkulturen, deren eigene Vernünfte und eigenes Denken wir ihnen immer noch in Abrede stellen – insbesondere dadurch, dass wir sie biologistisch objektifiziert verorten.
Die Mehrheit der Leute suggeriert sich gegenseitig, man könne nur von allgemein „bewährten Konzepten“ lernen und schafft den Switch nicht, ihre wirkliche Umwelt wahrzunehmen: weder die anderer tierlicher und nichtmenschlicher Kulturen, noch die anderer menschlicher Kulturen/und „Subkulturen“. Sie wollen aber zugleich, dass die „Welt“, die nicht Teil ihres Systems ist, bestehen bleibt – und das zur weiteren Beherrschbarkeit.
‚Who is to blame for the Anthropocene … ‘
[1] Es gibt mMn auch eine chronologische Diversität; man müsste bestimmt noch weiter auf den Punkt “Subkulturen” eingehen.
Malerei: Farangis G. Yegane
Text: G. Yegane Arani