Wir haben Filip, den Gitarristen der tschechisch-schwedischen veganen anarchistischen Band Avvika, über den ethischen Rahmen veganer Intersektionalität befragt und wie wir den Veganismus als aktivistische Praxis und als Befreiungswerkzeug politisch navigieren können. Im Text ihres songs „Eternal Treblinka“ thematisiert die Band die Verbindungen zwischen dem totalitären Genozid und dem Tabu des Speziesismus als einem totalitären Zoozid (Tiermord), der in der Epistemik menschlich-hierarchischer Vorstellungen von „Objektivität“ seine Wurzeln findet. Die Band ist leider nicht mehr in der Formation aktiv.
Filip: Der Veganismus stellt für mich in meinem Leben eine wichtige Selbstverpflichtung dar. Ich freue mich immer wenn ich neue Leute sehe, die gerade vegan geworden sind, und bin ehrlich gesagt etwas traurig, wenn manche dieser Lebensweise wieder den Rücken zukehren. Wenn Leute beispielsweise sagen „das ist jedem seine eigene Sache“, dann frage ich mich, ist es auch jedermanns eigene Sache sich einen Sklaven zu halten oder seine Frau zu schlagen? Ich stelle mich eindeutig auf die Seite der Unterdrückten, statt die freie Wahl von irgendjemandem, der Kontrolle über das Leben eines anderen ausübt, zu respektieren. Das mag übertrieben klingen, aber das ist dann das Problem des Lesers und nicht meines. Und überhaupt ist das nämlich das ganze Dilemma mit dem Speziesismus: dass einige Lebewesen angeblich ja „nur“ Tiere sind, und dass die Wahl der Menschen als ein Prinzip übergeordneten Wertes wahrgenommen wird.
Für mich ist der Veganismus eher als ein Weg und ein Prozess statt einer allerletzten Lösung. Der Veganismus ist die Wahl dessen, wie wir/ich an diesem Ort, in dieser Zeit, leben wollen. Das ist für mich eher eine Entwicklung und noch nicht das letzte Endziel. Dieser Weg ist die passivste Handlung und zugleich das solideste Fundament von dem, was wir alle tun und leisten können innerhalb des Rahmens der Entscheidungen, die wir alltäglich treffen. Und, es ist einfach der Anfang langer Entwicklungen, die nötig sind für die Tierbefreiung. Ich betrachte Menschen auch als Tiere. Die Tierbefreiung geht für mich Hand in Hand mit einer anarchistischen Revolution, was auch immer das alles beinhalten muss. Der Veganismus ist nicht zuletzt auch ein Akt der Solidarität.
In einigen Kreisen, deren Fan ich nicht unbedingt bin, ist der Veganismus inzwischen trendig geworden. Ich denke, dass Erkenntnis von einer (Eigen-)Aufklärung oder von mehr Informationsquellen her rühren sollte, statt von einer Mode oder einem Trend. Was bei diesem Trend nämlich geschieht, ist dass Leute zwar schnell vegan werden, dies aber ohne wirklich zu wissen warum, und plötzlich fällt ihnen ein, dass sie es doch nicht so ganz verstehen und sie geben die ganze Sache wieder auf. Wobei ich diesen Trend allerdings solchen Trends wie pelztragen oder jagen gehen definitiv bevorzuge!
Ich denke es wäre ein Fehler zu glauben, dass man heute irgendetwas wirklich effektiv boykottieren kann, indem man schlichtweg ein anderes Produkt wählt. Ich will euch zur Erklärung einige Beispiele nennen: die bekanntesten Hersteller veganer Milchsorten gehören den größten globalen Konzernen für Milchprodukte. Und ich habe neulich von so eine (anti-)sozialen Webseite gehört, die hieß „Compassion Pizza“ (Pizza mit Mitgefühl), man findet auf der Seite eine Liste von Lokalen, Pizzerien, usw. wo man Pizza mit veganem Käse bekommt. Die meisten diese Händler hatten nie vor ein veganes Restaurant zu eröffnen oder es ist ihnen einfach egal, sie haben bloß erkannt, dass sie so noch ein bisschen mehr verkaufen können wenn sie veganen Käse mit auf Menü setzten, und so macht der „Compassion Blog“ tatsächlich Gratis-Werbung für all die Restaurants, die zum größten Teil vom Verkauf von Fleisch- und Milchhaltigen-Produkten ihre Profite machen. Das ist, was ich an diesem Trend für bedenklich halte.
Viele Leute meinen, dass ihre Wahl eines veganen Käses und ein Sojamilch-Cappuchino einen Wandel herbeiführen werde. Leider ist die Lebensmittelindustrie aber ein gieriges Monster (wobei natürlich nicht nur diese Industrie, sondern prinzipiell ist jede Industrie schädlich für das Leben aller). Besonders der sogenannte grüne Kapitalismus ist ein trauriges Beispiel dessen, wie unser System nach allem greift was Menschen hervorbringen, die einiges an Potential haben die Dinge zu hinterfragen und Ungerechtigkeiten und Machtstrukturen zu kritisieren. Das System greift danach, verleibt es sich ein, macht daraus irgendein Produkt und verkauft es zurück an dich. Das macht den Kapitalismus so viel effiziente als irgendeine Diktatur. Er macht beinahe alles möglich, wenn du es dir nur leisten kannst und die Menschen daran glauben, dass das die Freiheit wäre, in diesem Wettbewerb immer höher zu klettern, um imstande zu sein für alles zu zahlen. Das ist „Demokratie“, wenn du fast alles kaufen kannst wenn dir dein Geld dazu reicht, und das klappt noch viel leichter wenn du weiß bist und „am besten“ noch ein Mann. Dann hast du deinen „ebenen und gleichberechtigten Weg“ zur Macht.
Nein, aber das ist keine Freiheit! Wir leben in einer „vom Menschenhand geschaffenen Hölle“!
Wir haben uns ein Mantra geschaffen, das inzwischen größer ist als wir selbst, als jeder einzelne von uns. Die meisten Werte und Beziehungen die Menschen teilen, sind kapitalistische; man sieht andere Lebewesen und andere Dinge gemäß ihres sozialen Statuses bzw. ihres zu Profit wandelbaren Potentials. Die Tierindustrien, insbesondere auch die Vivisektion, ist nur die Spitze des Wahnsinns und der Ignoranz unserer Gesellschaft. Und das ist ein krasses Beispiel. Ich glaube an keine Freiheit oder Gleichberechtigung, die im Rahmen des Kapitalismus möglich wäre. Der Kapitalismus mit seiner eigenen Beschränktheit, die sich im ökonomischen Wettbewerb ausdrückt, den globalen „freien“ Märkten, dem Gefängnis-System, den Nationalstaaten, der Polizei usw. usf. … all das wird sich durch den Kauf eines veganen Kaffees nicht ändern lassen. Und das ist auch der Grund, weshalb ich den Veganismus (ohne einer antikapitalistischen Kritik) nicht als ethisch (genug) bezeichnen würde.
Ich sehe unseren Weg zur Tierbefreiung über die komplette Abschaffung der Domestizierung der Tiere (einschließlich derer von uns Menschen). Domestizierung durch Arbeit, Geld, Industrien, Kirchen, Alkohol, soziale Zwänge (Gender, sexuell), Normen, usw. – all diese Dinge führen schlichtweg zur Entfremdung. Sicher, man kann solch eine Meinung ablehnen und sagen, dass so Leute wie ich lieber in den Wald ziehen und die Klappe halten sollten. Aber ich bleibe dabei und spreche über die Abschaffung der Domestizierung und ich werde mich davor niemals verstecken. Nicht zuletzt existiert in der Gegend in der ich lebe, selbst im ganzen Land (und wahrscheinlich im größten Teil Europas) kaum mehr viel natürlicher (nicht durch Menschenhand gepflanzt und verwalteter) Wald, der nicht privat- oder staatlicher Besitz wäre, wo man sich einfach so aufhalten könnte und „wild“ und ohne weitere Repressalien leben könnte.
Wir müssen kämpfen und uns nicht verstecken oder wegflüchten!
Niemand ist frei bis nicht alle frei sind.
GO VEGAN! GO FURTHER!
Filip//AVVIKA
You can find an explanation of this song here. Here are the Czech and Swedish translations of the lyrics.
The beginning of Genesis says that God created man in order to give him dominion over fish and fowl and all the creatures. Of course, Genesis was written by a man, not a horse. There is no certainty, that God actually did grant man dominion over other creatures.
What seems more likely, in fact, is that man invented God to sanctify the dominion that he had usurped for himself over the cow and the horse, over the pig and the bird. Yes, the right to kill an animal is the only thing that all mankind can agree upon, even during the bloodiest of wars.
We have been at war with the other creatures of this earth ever since the first human hunter set forth with spear into the primeval forest. Human imperialism has everywhere enslaved, oppressed, murdered, and mutilated the animal peoples.
All around us lie the slave camps we have built for our fellow creatures, factory farms and laboratories, Dachaus and Buchenwalds for the conquered species.
We slaughter animals for our food, force them to perform silly trics for our entertainment and delectation, gun them down and stick hooks in them in the name of sport. We have torn up the wild places where once they made their homes.
Speciesism is more deeply entrenched within us even than sexism, and that is deep enough.
The most calamitous and fragile of all creatures is man, and yet the most arrogant. Is it possible to imagine anything so ridiculous as that this pitiful, miserable creature, who is not even master of himself, should call itself master and lord of the universe?
The domestication of women followed the initiations of animal keeping, and it was then that men began to control womens reproductive capacity, enforcing chastity and sexual repression.
A greedy monster devouring with a thousand mouths.
The spirit of Capitalism made flesh.
European explorers and colonists, who at home abused, slaughtered, and ate animals to a degree unmatched in human history up to that time, sailed forth to other parts of the world representatives of a religious culture that was as theologically arrogant and violence-justifiying as any the world had ever seen.
In the made-for-TV culture the only addmitted genocide is now part of history. “It’s comforting – it’s over”.
But aren’t the Auschwitzes of today animal farms, transports, laboratories and slaughter houses that are so carefully hidden from view? Where the most defenseless of the world’s victims are merely seen as material.
Nowhere is patriarchy’s iron fist as naked as in the opression of animals, which serves as the model and training ground for all other forms of opression.
Sight, sound and smell. Death on monumental scale.
No one wants to hear it, no one wants to see.
All unseen and unheeded, this horrible crime is
buried out of sight, wiped out of memory.
…thou shalt not be a perpetrator; thou shalt not be a victim; thou shalt not be a bystander. …”If learned throughout society, those three commandments could help people see that choices we make determine the extent to which we are perpetrators, victims, or bystanders in a society that has long been carrying out a holocaust against animals and other beings and ecosystems while declining to recognize it as a holocaust.”
“the point of understanding the Holocaust in Europe is to prevent and halt other ones, not to remain narrowly focused on that particular one, traumatic though it was.”
Credits: from S/T 12″, released26 February 2014
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Ehemalige Webseite der Band: https://web.archive.org/web/20160412092643/http://avvika.musicforliberation.com/