Amie Breeze Harper: Rasse als eine „nebensächliche Angelegenheit“ im Veganismus: Eine Hinterfragung des Weißseins, geopolitischer Privilegien und der Philosophie des Konsums „tierqualfreier“ Produkte

kts8

Jahrgang 1, Nr. 2, Art. 1, ISSN 2363-6513, August 2014

Rasse als eine „nebensächliche Angelegenheit“ im Veganismus: Eine Hinterfragung des Weißseins, geopolitischer Privilegien und der Philosophie des Konsums „tierqualfreier“ Produkte

Amie Breeze Harper [1]

Titel der englischsprachigen Originalfassung: Race as a “Feeble Matter” in Veganism: Interrogating whiteness, geopolitical privilege, and consumption philosophy of “cruelty-free”products. Journal for Critical Animal Studies, Volume VIII, Issue 3, 2010 (ISSN1948-352X). Übersetzung: simorgh.de.

Dieser Text als PDF

Zusammenfassung: Im Kontext feministischer Geographie, von Rassenpolitik und mit Studien über Verzehr und Konsumverhalten, habe ich, innerhalb der „Outreach“-Modelle des Mainstreams im Veganismus und in den Bestsellern vegan-orientierter Buchveröffentlichungen, selten, wenn überhaupt, eine Zurkenntnisnahme der unterschiedlichen sozio-historisch rassifizierten Epistemologien rassisch nicht-weißer Gruppen beobachten können. In den weißen veganen Mainstream-Medien besteht eine unterschwellige Annahme, dass Rassifizierung und die Schaffung veganer Räume miteinander in keinerlei Verbindung stehen könnten. Doch ist Raum, ob vegan oder nicht, rassifiziert und gleichzeitig auch sexualisiert und vergeschlechtlicht [gendered], was Individuen und räumlich-/örtliche Identitäten in direkter Weise affiziert. Rassifizierte Orte und Räume bilden eine Grundlage dafür, wie wir unsere sozio-räumlichen Epistemologien entwickeln; diese Epistemologien sind aus diesem Grunde rassifiziert. Dieses Essay befasst sich mit Beispielen dessen, wie Epistemologien des Weißseins sich in der veganen Rhetorik in den USA manifestieren, und versucht eine Erklärung darüber abzulegen, weshalb eine „post-rassische“ Herangehensweise des veganen Aktivismus durch eine anti-rassistische und „farbigkeits-bewusste“ [color-conscious] Praxis ersetzt werden muss.

Schlagworte: Kritische Weißseinsstudien, Rassismus, feministische Geographie, Veganismus

TIERAUTONOMIE,  Jg. 1 (2014), Heft 2.

Rasse als eine „nebensächliche Angelegenheit“ im Veganismus: Eine Hinterfragung des Weißseins, geopolitischer Privilegien und der Philosophie des Konsums „tierqualfreier“ Produkte

Menschen, die vegan leben, enthalten sich tierischer Produkte (in Hinsicht sowohl auf die Ernährung als auch auf alle anderen Zwecke). Die Kultur des Veganismus selbst stellt in sich aber keinen Monolithen dar, sondern setzt sich aus vielen unterschiedlichen Subkulturen und Philosophien aller Orte in der Welt zusammen, rangierend von Punks, die aus strikten Tierrechtsgründen vegan sind, bis zu Leuten, die sich aus persönlichen Gesundheitsgründen vegan ernähren oder Menschen, die aus religiösen und spirituellen Gründen vegan leben (Cherry, 2006; Iacobbo, 2006). Beim Veganismus geht es nicht allein um den Verzicht des Verzehrs und Gebrauchs tierlicher Produkte; sondern es geht auch um das fortwährende Streben darum, sozio-räumliche Epistemologien des Konsums zu schaffen, durch die ein kultureller und räumlicher Wandel bedingt werden kann; es geht um die kritische Infragestellung der Dominanz des Narrativs des Konsums von Tierprodukten, das in der sozio-historischen, sowie in der Nation-stiftenden Rhetorik der Vereinigten Staaten, eine zentrale Rolle einnimmt und vorherrschend ist. Innerhalb meines Interesses für feministische Geographie, Rassenpolitik und die Studien über Konsum und Verzehr, konnte ich beobachten, dass die „Outreach“-Modelle des Mainstreams im Veganismus und in den Bestsellern vegan-orientierter Buchveröffentlichungen, selten, wenn überhaupt, aber solche unterschiedlichen sozio-historischen rassifizierten Epistemologien zwischen dem weißen Status quo einer Mittelklasse und der Kollektivität anderer rassischer Gruppen, wie den Afro-Amerikaner_innen, den chinesischen Amerikaner_innen oder den amerikanischen Ureinwohner_innen, zur Kenntnis nehmen. In den weißen veganen Mainstream-Medien besteht eine unterschwellige Annahme, dass Rassifizierung und die Schaffung veganer Räume miteinander in keinerlei Verbindung stehen könnten. Doch ist Raum, ob vegan oder nicht, rassifiziert (Dyer und Jones, 2000; McKittrick, 2006; McKittrick und Woods, 2007; Price, 2009) und zugleich auch sexualisiert und vergeschlechtlicht [gendered] (Massey, 1994; Moss, 2008), was Individuen und räumlich-/örtliche Identitäten in direkter Weise affiziert. Wie Menschen ihre Wissensbasis entwickeln, hängt unmittelbar mit den verkörperten Erfahrungen der Orte und Räume zusammen, durch die wir hindurch navigieren. Wissenschaftler aus dem Bereich kritischer Geographien der Rassen, gehen sogar davon aus, das die Welt komplett rassifiziert ist.

David Delaney, ein Geograph der im Bereich kritischer Rassentheorie arbeitet, fragt: „Was heißt es für Geograph_innen, die Annahme einer vollständig rassifizierten Welt ernst zu nehmen?“ (Price, 2009). Als schwarze feministische Geographin und Theoretikerin kritischer Rassenstudien nehme ich ernst, dass rassifizierte Orte und Räume eine Grundlage dessen bilden, wie wir unsere sozio-räumlichen Epistemologien entwickeln; diese Epistemologien sind daher rassifiziert.

Das kollektive Wissen in der weißen US-amerikanischen Mittelklasse über Räume und die Bezugnahme darauf, und auf all die Objekte und Lebensformen, die diese Räume besiedeln, stehen mit der physischen und sozialen Platzierung dieser Demographie innerhalb einer rassifizierten Hierarchie in Verbindung, in der

[…] sie als normal, nicht-rassifiziert, universal und als Status quo naturalisiert werden; Weißsein als die Norm steht im Mittelpunkt in der Wissensgenerierung und der Schaffung von Raum und Macht in den USA.

Zudem,

[ist] für farbige Menschen, als Opfer von Rassismus/weißem Überlegenheitsdenken, Rasse ein Filter, durch den sie die Welt betrachten. Weiße blicken nicht auf die Welt durch diesen Filter rassischen Bewusstseins, auch wenn sie selbst eine Rasse [2] bilden. Dieses Privileg, ihre eigene Rasse zu ignorieren, verschafft Weißen einen gesellschaftlichen Vorteil, der sich von jedem Vorteil, der aus der Existenz diskriminatorischen Rassismusses resultiert, unterscheidet. [Grillo und Wildman] gebrauchen den Begriff des Rassismusses/weißen Überlegenheitsdenkens zur Betonung der Verbindung zwischen dem Privileg Weißer, ihre eigene Rasse zu ignorieren, und dem diskriminatorischen Rassismus. (Grillo und Wildman 1995, 565)

In diesem Essay werde ich die Begriffe Weißsein und weißes Privileg als Synonyme für diese Erklärung von Grillo und Wildman über ‚Rassismus/weißes Überlegenheitsdenken’ gebrauchen. Was uns Geograph_innen im Bereich der kritischen Rassestudien anbetrifft, wie verstehen wir also die Funktionsweise des Weißseins als Epistemologie innerhalb der Macht und Schaffung von Räumen? Ich welcher Form beeinflussen rassifizierte Geographien des Ausschlusses/der Einbeziehung nuancierte und verdeckte Handlungsweisen des Weißseins und weißer Privilegien im Rahmen eines rassischen Status quo? Wie manifestieren sich diese Akte verdecken Weißseins und des weißen Privilegs – selbst wenn unverschuldet und unbewusst – in Räumen des Veganismus? In einer rassifizierten Nation lebend, in der die Epistemologien und Ontologien dieser Demographie im Mittelpunkt angesiedelt sind, sind sich die US-Amerikaner_innen kollektiv dessen nicht bewusst, dass dieser „Mittelpunkt“ die Realitäten derjenigen nicht reflektiert, die sich nicht in solchen weiß-privilegierten Räumen des Einschlusses befinden.

Rassifizierte Räume schaffen rassifizierte psychische Räume. Arnold Farr bezieht sich darauf als ein rassifiziertes Bewusstsein – ein Begriff, der besonders in seiner Anwendung auf diejenigen Menschen hilfreich ist, die nicht so ganz verstehen, dass sie verdeckte Handlungen des Weißseins/weiß-priviligierten Rassismusses begehen können, während sie sich gleichzeitig im TR/VEG-gründenden sozialen Aktivismus betätigen. Ein ‚rassifiziertes Bewusstsein’, so definiert der afro-amerikanische Philosoph Dr. Arnold Farr diesen Begriff,

[…] ersetzt den Rassismus als den traditionell operativen Begriff in den Diskursen über Rasse. Das Konzept des rassifizierten Bewusstseins kann uns dabei helfen, zu erkennen, in welchen Weisen das Bewusstsein in Hinsicht auf rassistische soziale Strukturen geformt ist …

Der Begriff eines ‚rassifizierten Bewusstseins’ hilft dabei zu verstehen, weshalb selbst ein weißer Liberaler, der in guter Absicht handelt und am Kampf gegen den Rassismus teilnimmt, unbeabsichtigt selbst eine Form des Rassismusses fortsetzten kann (Farr, 2004).

Bekannte vegan-orientiere Buchveröffentlichungen in den USA, wie Vegan: The New Ethics of Eating (Marcus, 2001), Being Vegan in a Non-Vegan World (Torres and Torres, 2005), The Vegan Sourcebook (Stepaniak and Messina, 2000) und Becoming Vegan (Davis and Vesanto, 2000), die allesamt als eine Art veganer Bibeln für den veganen Status quo gehandelt werden, beziehen die Fragen nicht substantiell oder kritisch mit ein, in welcher Weise Rasse (Rassifizierung, Weißsein, Rassismus, Anti-Rassismus) beeinflusst, wie und warum jemand vegan ist, warum jemand über die vegane Praxis schreibt, sie weiter vermittelt und letztendlich vegane Räume schafft, um einen kulturellen Wechsel zu bedingen. Was aber bedeutet es, sich über Rasse bewusst zu sein, wenn jemand damit beginnt, beispielsweise ein Projekt vegan-orientierter Forschung zu betreiben? Dies ist Teil einer breiteren Auseinandersetzung darüber, wie Rassifizierung, Rasse und Weißsein innerhalb veganer Räume in weiß-dominierten Nationen funktioniert und sich manifestiert.

[…] So wie die Friedens- und die Umweltbewegung, so setzt sich auch die Tierrechtsbewegung vorwiegend aus weißen Personen aus der Mittelschicht zusammen. Andrew Rowan, ein Vizepräsident der Humane Society of the United States, sagte, dass Umfragen zeigten, dass der Anteil farbiger Menschen in der Tierrechtsbewegung „weniger als drei Prozent“ ausmache. Im April diesen Jahres nahmen 316 Personen aus 20 Bundesstaaten an der ersten ‚Grassroots AR Conference’ [Graswurzel-Tierrechtskonferenz) in New York City teil. Die Teilnehmerzahl (inklusive dem Gremium) farbiger Menschen zählte nur acht Personen. Wenn niemand rassistisch ist, warum ist die Bewegung dann innerlich so stark segregiert? (Hamanaka, 2005)

In ähnlicher Weise wie bei der zweiten Welle des US-amerikanischen Feminismus, der die heterosexuelle weibliche Erfahrung der Mittelklasse fälschlicherweise generalisierte und als Erfahrung sozialer Räume, von Macht und Kampf aller Frauen annahm, so geht auch die vegane Mainstream-Rhetorik von dieser falschen Annahme aus. Während der Veganismus selbst zwar entgegengesetzte Räume des Konsums schafft, die die Standardräume der amerikanischen karnizentrischen Ernährung in Frage stellen, so will dieses Essay doch genauer betrachten, wie die Praxis des veganen Mainstreams gleichzeitig sozio-räumliche Epistemologien des Weißseins schafft, die für die meisten weiß-identifizierten Personen aber unsichtbar bleiben.

Man kann interessanterweise davon ausgehen, dass die rassisch weiße Demographie in den USA, sich kollektiv des Rassismusses und des weißen Dominanzanspruchs, als einem fortlaufenden, institutionellen und systemischen Prozess, nicht bewusst ist (Tuana und Sullivan, 2007; Yancy, 2004). Zudem zeigt sich diese Ignoranz häufig als eine „postrassische“ oder eine „rasselose“ Herangehensweise, in der mit der Welt umgegangen wird. Das kann sich so manifestieren, dass geglaubt wird, eine Veranstaltung über Tierrechte, an der 308 weiße und 8 farbige Menschen teilnehmen, habe nichs zu tun mit der US-amerikanischen Geschichte (und Gegenwart) des institutionalisierten und environmentalen Rassismusses sowie dem Weißsein als Norm.

In einer „postrassischen“ oder „rasselosen“ Gesellschaft, so glaubt man, existiere kein Rassismus mehr, weil die Hautfarbe nicht mehr die Gleichheit vorbestimmt. In diesem Text werden die Begriffe „rasselos“ und „postrassisch“ in Anführungszeichen gesetzt, um dadurch zu reflektieren, dass diese Begriffe eine kodifizierte Sprache darstellen für ein „erwartetes Weißsein“ [Weißsein als Norm] (Kang, 2000), und dass „rasselos“ gleichzusetzen ist „mit einem Normalzustand des Weißseins“ (Nakamura, 2002). Die Konsequenzen einer „postrassischen“ Herangehensweise einer Person in der TR/VEG-Bewegung [3], ignorieren den sozio-historischen Kontext von Hautfarbe, sowie die Ausstaffierungen weißen Privilegs, was beides die Zugänge zu und die Generierung von lokalen und globalen Ressourcen mit beeinflusst; hiermit einbeschlossen sind die Ressourcen für vegane Produkte, die von Menschen in der TR/VEG-Bewegung in den USA gekauft werden. Selbst im Kreise des radikalsten Aktivismusses – so wie in den Bewegungen der Anti-Globalisierung, der Tierrechte, des Lebensmittelaktivismus über Erzeugermärkte, im Veganismus und in der Bewegung, die gegen den Wirtschaftskomplex indutriell betriebener Gefängnisse kämpft – erhält und repliziert sich dieses kollektive Unbewusstsein gegenüber weißen sozio-räumlichen Epistemologien als eine Form der Ignoranz (Appel, 2003; Clark, 2004; Nagra, 2003; Poldervaart, 2001; Slocum, 2006; Yancy, 2004).

Die Epistemologie der Ignoranz beinhaltet eine Betrachtung des komplexen Phänomens der Ignoranz. Ziel dabei ist es, die verschiedenen Formen zu identifizieren, genauer zu untersuchen wie sie generiert und aufrecht erhalten werden und welche Rolle sie in den Wissenspraktiken spielen … Manchmal nehmen [die Epistemologien der Ignoranz] eine Form an, indem diejenigen, die sich in ihrem Zentrum befinden, den Marginalisierten das Bescheidwissen darüber verweigern: man blicke dazu auf das im 19. Jahrhundert geltende Verbot für schwarze Sklaven, Lesen und Schreiben zu lernen. Andere Male begegnen wir [diesen Epistemologien] in der Form der eigenen Ignoranz des Zentrums gegenüber der Ungerechtigkeit, der Grausamkeit und dem Leid, wie der gegenwärtige Wahrnehmungsmangel weißer Menschen im Bezug auf Rassismus und die Dominierung durch Weiße/das Weißsein (Sullivan und Tuana, 2007).

Es ist dennoch aber auch wichtig anzumerken, dass nicht alle farbigen Menschen in den USA die Konsequenzen oder selbst die Existenz rassifizierter oder ethnozentrischer Epistemologien der Ignoranz als solche anerkennen. Dr. Charles Mills, der Verfasser von The Racial Contract, geht jedoch davon aus, dass sich die meisten schwarz-identifizierten Menschen in den USA dessen vollständig bewusst sind, dass ihr Bewusstsein „rassifiziert“ ist, und dass die epistemologische Norm in den USA dem Weißsein entstammt (Mills, 2007). Und das ist was mich an der weißen Ignoranz verblüfft: aufgrund verkörperter Erfahrung durch weiße Rassifizierung und Sozialisierung, die diese Demographie strategisch in Richtung einer kollektiven Ignoranz bezüglich Rasse lenkt, verneint die Mehrheit weiß-identifizierter Menschen in den USA, dass ihre Epistemologien und ihr ethisches Verständnis „rassisch“ sind (Sullivan und Tuana, 2007). Dr. Mills hat diese epistemologische Norm als eine Art weißer Ignoranz beschrieben:

[…] Eine Form der Ignoranz, die man als weiße Ignoranz bezeichnen könnte und die mit dem weißen Überlegenheitsdenken verbunden ist. Die Vorstellung eines vorliegenden kognitiven Handicaps einer Gruppe ist der radikalen Tradition in diesem Bereich nicht fremd, wenn nicht überhaupt normaler Bestandteil im Sinne ihrer „Ignoranz“. In der Tat ist das sogar ein direkter Folgesatz der Standpunkttheorie: wenn eine Gruppe privilegiert ist, muss sie sich im Verhältnis zu einer anderen Gruppe befinden, die eingeschränkt (handicapped) ist. Zusätzlich hat für mich dieser Begriff [der weißen Ignoranz] den Vorzug meine theoretischen Sympathien mit dem zu bekunden, was vielen wahrscheinlich als ein bedauernswert altmodisch und „konservatives“, realistisch-intellektuelles Rahmenwerk erscheinen mag – einem in dem Wahrheit, Falschheit, Fakten, Realität und Ähnliches nicht in ironische Anführungszeichen gesetzt werden. Der Ausdruck „weißer Ignoranz“ schließt die Möglichkeit einer kontrastierenden „Kenntnis“ mit ein (Mills, 2007).

Wie manifestiert sich solch eine Ignoranz in der veganen Praxis? Ich werde dies in der folgenden Sektion betrachten.

Rasse und Ethnizität in einer veganen- und Tierrechtsanalyse … ist das wirklich eine „nebensächliche“ Angelegenheit?

Von: Clara
Datum: 8. November 2007
An: sistahvegan98@mac.com
Betreff: Unter uns Veganern …

Hallo, mein Name ist Clara. Ich bin eine Highschool-Erstsemesterin und stieß, als ich einige Recherchen zur Misshandlung von Tieren anstellte, auf Deine Webseite über Dein Buch.

Ich finde es spannend, dass Du dich an vegane afro-amerikanische Feministinnen wendest, bin aber irritiert darüber, wie SEHR du alles mit Rasse und Ethnizität in Verbindung bringst. Ich möchte einfach nur sagen, dass ich ehrlich gesagt nicht daran glaube, dass die Rasse eines Veganers irgendetwas mit der Rettung der Tiere zu haben sollte, und damit, andere über Tierquälerei aufzuklären. Du schreibst über viele Themen, die mir den Eindruck vermitteln, dass Du irgendwann mal in Deinem Leben nicht stolz darauf gewesen bist, Afro-Amerikanerin UND vegan zu sein – wegen der Darstellung der meisten Veganer. Und das finde ich enttäuschend, weil Rasse, für mich, solch eine nebensächliche Angelegenheit ist. Es gibt einfach wichtigere Dinge im Leben als immer nur auf so etwas wie Rasse zu achten. Und ständig zu betonen, dass Rassethemen wichtiger sind als das, an was man glaubt, kommt mir irgendwie ignorant vor.

Naja, also danke für Deine Aufmerksamkeit: Clara :)

Diese Nachricht erhielt ich Anfang November 2007. Als Kulturgeographin, Akademikerin und Aktivistin, die sich mit der Analyse dessen befasst, wie Rasse, Klasse, Rassismus, Weißsein und geopolitische Lokalität die eigene Philosophie über TR/VEG formt, faszinierte diese Email mich. Diese junge Frau schrieb mir bezüglich meiner Webseite www.breezharper.com und meiner Anthologie schwarzer Veganerinnen, Sistah Vegan. Man muss nicht lange im Zeitraum der letzten ein zwei Jahre suchen, um festzustellen, dass Rasse in den USA keine „nebensächliche Angelegenheit“ ist: The Jena 6, der „nappy-headed hos“-Kommentar von Don Imus über das Frauenbasketballteam der Rutgers University und Megan Williams Peiniger, die sie als „Niggerin“ bezeichneten, während sie sie mit dem Messer malträtierten (Tone, 2007), sind einige Beispiele rassisch begründeter verbaler und/oder  physischer Gewalt.

Obgleich Rasse ein soziales Konstrukt ist, so existieren doch die offensichtlichen Konsequenzen dieses Konstrukts – in deutlichster Form das weiße Privileg, weiße Ignoranz und weißer Rassismus –, die alle Aspekte des Lebens in den USA und global in negativer Weise beeinflussen (Bell, 1992; Bell, 2005; Sullivan und Tuana, 2007; Wing, 2003). Diese Konsequenzen schließen den geopolitisch rassifizierten Konsum und eine geopolitisch rassifizierte Produktion veganer Produkte (dazu zählen sowohl Nahrungsmittel so wie auch Wissen als ein Produkt) für US-amerikanische Konsumenten, die zur veganen Tierrechtsbewegung zu zählen sind, nicht aus. Claras Email deutet darauf hin, dass sie sich dessen nicht bewusst ist, in welcher Weise eine geopolitisch rassifizierte Arbeitskraft, und solch ein Verbrauchersystem, es den Personen aus dem TR/VEG-Kreis in den USA ermöglicht, Zugang zu veganen Produkten zu haben.

Die Formulierung, dass etwas geopolitisch rassifiziert ist, habe ich für dieses Essay festgelegt. Darin inbegriffen ist eine Zusammenführung des Gedankens kritischer geopolitischer Theorie mit dem Begriff der Rassifizierung. Die kritische geopolitische Theorie wählt eine „kritische Perspektive auf die Kräfte der Fusionen zwischen geographischem Wissen und Machtsystemen“ (Dalby und Tuathail, 1996). Ich ergänze diese Fusion mit den Begriffen der Produktionssysteme und der Systeme des Konsums, nicht allein von Wissen/Erkenntnissen, sondern auch von materiellen Ressourcen, so wie Nahrungsmitteln, Bekleidung und [selbst bis hin zu] Gewürzen.

Rassifizierung im Zusammenhang mit Geopolitik bedeutet in anderen Worten, dass menschliche Produzenten und Konsumenten innerhalb dieses Machtsystems in „rassifizierten“ Körpern existieren, die sozial und geopolitisch in einem globalisierten kapitalistischen ökonomischen System lokalisiert sind. Solch eine „rassifizierte“ Ortung wirkt sich aus auf ihre Beziehungen zu und ihr Verständnis von Wissen/Erkenntnis und Materialerzeugung, Macht und Ignoranz. Dr. Radhika Mohanram, Professorin für Frauenstudien, Englisch und der Geopolitik rassischer Identitäten, erklärt:

[…] Es ist nichts ungewöhnliches darauf hinzuweisen, dass das Konzept von Rasse immer in Hinsicht auf die geopolitische Verteilung von Menschen artikuliert wurde. Rassische Unterschiede heißt auch räumliche Unterschiede, die ungleichen Machtbeziehungen zwischen verschiedenen Räumen und Orten werden reartikuliert als die ungleichen Machtbeziehungen zwischen den Rassen (Mohanram, 1999).

So hat zum Beispiel zwangsverpflichteter schwarzer haitianischer Zuckerrohrarbeiter in der Dominikanischen Republik eine andere Beziehung zu und Wahrnehmung von Zucker, als ein „freier“ weißer US-amerikanischer Veganer, der ein veganes Produkt verzehrt, das Zucker enthält, der von dem versklavten Dominikaner geerntet wurde. Zudem bedingt sich der eigene Sinn für „ethischen Konsum“ aus der geopolitischen sozialen und physischen Position (Barnett et al., 2005).

Vegane Schokoladen-, Zucker- und Baumwollprodukte (als vegane Alternative zu Wolle und Seide) sind Beispiele dessen, wie ein globalisierter Rassismus geopolitisch rassifizierte Hierarchien in der Nahrungsproduktion und in der tierproduktfreien Textilproduktion aufrecht erhält (Harper, 2010). Ich werde das Obige weiter erläutern, für diejenigen, die vielleicht nicht ganz verstehen, weshalb sie sich damit auseinandersetzen sollten, welche Auswirkungen ein unbeachtetes geopolitisch rassifiziertes Bewusstsein auf ihre Tierrechtsepistemologien hat und auf den Einsatz dieser Epistemologien durch einen veganen Konsumerismus und Verzehr/Konsum.

Es gibt Menschen außerhalb der USA, die Kakao unter den schlimmsten Bedingungen ernten, nur für die Produktion von Süßigkeiten – einschließlich schokoladehaltiger Zutaten, die man in verschiedenen veganen Nahrungsmitteln und Getränken findet. Es gibt tausende von Menschen auf den Kakaoplantagen, die als Sklaven arbeiten um Schokolade für die USA zu ernten. Die Elfenbeinküste exportiert fünfzig Prozent der Kakaobohnen, die in der globalen Herstellung von Schokolade verwendet werden (Hawksley, 2001).

Es existiert ein überraschend anmutender Zusammenhang zwischen der Schokolade und der Kinderarbeit an der Elfenbeinküste … mit der die Schokolade erzeugt wird, unter unmenschlichen Bedingungen und mit den extremsten Formen von Misshandlung. Dieses westafrikanische Land ist globaler Hauptexporteur von Kakaobohnen. Die Kinderarbeit ist somit relevant für die internationale ökonomische Gemeinschaft im Ganzen, durch Handelsbeziehungen und viele Akteure, die unumgänglich in dieses Problem mit einbezogen sind, ob das nun die Regierung der Elfenbeinküste, die Bauern, die amerikanischen oder europäischen Schokoladenhersteller oder die Konsumenten sind, die unwissend die Schokolade kaufen [Betonung hinzugefügt] (Chanthavong, 2002).

Zudem wurden im Jahr 2001 in Mali tausende Kinder als „vermisst“ gemeldet. Die Regierungsbehörden gehen davon aus, dass sich „schätzungweise 15.000 Kinder in der benachbarten Elfenbeinküste befinden und dort in der Kakaoproduktion arbeiten …  . Viele werden in den Landwirtschaftsbetrieben gefangen gehalten, und wenn sie versuchen zu fliehen, körperlich misshandelt. Manche dieser Kinder sind jünger als 11 Jahre alt“ (Hawksley, 2001).

Obgleich viele Veganer_innen in den USA glauben, dass ihr Konsum/Verzehr „gewaltfrei“ [cruelty free] ist, indem sie das Leben eines nichtmenschlichen Tieres dadurch retten, dass sie vegane Schokoladenprodukte essen, so verursachen diejenigen aber, die Kakaoprodukte aus dem nicht-fairen Handel kaufen, Grausamkeit [cruelty] gegen tausende von Menschen. Wenn ein Produkt nicht in einer Art und Weise gekennzeichnet ist, dass erkennbar wird, ob es durch faire und sweatshop-freie Praktiken produziert wurde, wie kann dann jemand wissen, ob dieses Produkt ohne Menschenquälerei erzeugt worden ist? Wer sind die nicht-weißen rassifizierten Populationen, die diese Schokolade unter Bedingungen der Grausamkeit und Gewalt ernten, und damit bestimmten [4] US-amerikanischen Veganer_innen dabei helfen eine moderne Ethik durch den Konsum veganer schokoladehaltiger Lebensmittel zu praktizieren? Die Antwort ist: Es sind Menschen die nicht zur weißen sozio-ökonomisch privilegierten Klasse gehören, die in den Vororten US-amerikanischer Städte lebt.

Seit dem Beginn der europäischen Kolonialisierung und dem europäischen (und heute auch dem US-amerikanischen) Streben nach „Zivilisierung“ und „Modernisierung“ der Welt, sind diejenigen, die die Schokolade, den Kaffee, das Zuckerrohr und den Tee geerntet haben, zu einem überwältigenden Anteil nicht-weiße rassifizierte Populationsgruppen gewesen (Mintz, 1986; Harper, 2010). Und dieses Muster setzt sich bis ins Jahr 2010 fort (Gautier, 2007; Hunt, 2007). In meinem Buch Sistah Vegan habe ich über den Schaden geschrieben, den die US-amerikanische Abhängigkeit von bestimmten Nahrungsmitteln, die aus dem globalen Süden bezogen werden, anrichtet:

Nicht allein verzehren wir in den USA unüberlegt [Un-]Lebensmittel, mit denen wir unserer Gesundheit massiv schaden, wir unterstützen auch den Schmerz, das Leiden und den kulturellen Genozid derer, deren Land und Volk versklavt und/oder ausgebeutet werden, für …. Sucrose, Kaffee, schwarzen Tee und auch Schokolade. Wenn auf einem Paket solch einer suchterzeugenden Substanz nicht „Fair Trade“ und „ökologisch nachhaltig/bio“ steht, dann stammt es mit aller Wahrscheinlichkeit von einer Firma, die den Menschen weniger zahlt als das Minimum von dem sie leben könnten, während sie auf Plantagen arbeiten, die giftige Pestizide verwenden und/oder auch das Recht verbieten, sich für die eigenen Menschenrechte zu organisieren … . Es sind unsere Abhängigkeiten, die Leid und Ausbeutung tausende Meilen weit weg verursachen, auf einer Zuckerplantage in der Nähe einer Stadt, die stark unter Verarmung und einer Unterernährtheit ihrer Bevölkerung leidet, nur weil auf deren Boden unser „Stoff“ angebaut wird, statt regionaler Getreide- und Gemüsesorten für die Bewohner selbst. Wir haben unsere suchtbedingten Konsumgewohnheiten fälschlicherweise mit „Zivilisiertheit“ verwechselt (Jensen, 2006). Die Briten, die ihre zuckrigen Tees schlürften, betrachteten sich selbst als „zivilisiert“, trotz der Folter und Versklavung, die es brauchte um diesen weißen Zucker bis in ihre Teetasse zu bringen (Harper, 2010).

Ich möchte auch behaupten, dass man das problematische Konzept der Modernität (was etwa gleichzusetzen wäre mit „Zivilisiertheit“) nicht übersehen darf, wenn man untersuchen will, wie ein weiß-rassifiziertes Bewusstsein und weiße Epistemologien der Ignoranz unsichtbar bleiben für die „post-rassischen“ Veganer_innen und Tierrechtsproponenten in den USA. Philosophisch [5] kann man die Menschen im TR/VEG-Aktivismus am besten beschreiben, als sich engarierend in einer Form des „ethischen Konsums.“ Jedoch innerhalb dieses „ethischen Konsums“,

[…] existieren unausgesprochene politische Annahmen, die mit dieser Praxis in Verbindung gebracht werden. Wie Tamás Dobos beschrieben hat, so geht es in Ungarn, wo der ethische Konsum gerade erst neu auftritt, nicht allein um den ethischen Konsum selbst: es geht auch darum, modern [Hervorhebung hinzugefügt] zu werden. Die ersten Aktivist_innen, die sich für [den ethischen Konsum] einsetzten, kamen aus Westeuropa und den Vereinigten Staaten, oder stehen mit solchen Leute in engem Kontakt, und ein immer wieder erscheinendes Motiv in den Diskussionen über den ethischen Konsum ist seine Verbindung zu einem okzidentalisierten imaginierten Westen, den die Osteuropäer nachahmen sollten. Es scheint, dass einige Formen des ethischen Konsums nicht verstanden werden können, ohne dies als eine Befürwortung einer bestimmten Art der Modernität zu sehen, die im Speziellen mit der EU in Verbindung gebracht wird (Carrier, 2007).

Obgleich Carrier sich auf die EU bezieht, so fallen mir doch die gleichen Philosophien als der Praxis des ethischen Konsums vieler US-amerikanischer TR/VEG-Organisationen zugrundeliegend auf, wie etwa bei der Organisation Vegan Outreach, die davon spricht die Grausamkeit gegenüber den nichtmenschlichen Tiere zu beenden, indem man, anstelle von Produkten, die auf tierlicher Milch basieren, Kakao der Firma Silk oder Schokoeis von Soy Delicious kauft (Vegan Outreach, 2007). Ich glaube das Vegan Outreach eine enorme Leistung darin vollbracht haben, Menschen über das Leid aufzuklären, das nichtmenschlichen Tieren durch Menschen zugefügt wird. Meine zwei Kritikpunkte lauten aber folgendermaßen, dass a.) die Tierrechtsaktivist_innen, die auf dem Vegan Outreach’s Guide to Cruelty-Free Eating [Vegan Outreach Ratgeber zur tierqualfreien Ernährung] zu sehen sind, alle weiß zu sein scheinen [6], und b.) das Vegan Outreach neuen Veganer_innen die Schokoladenprodukte von Silk und Soy Delicious in ihrem Ratgeber empfehlen (Vegan Outreach, 2007); die Kakaoquellen beider Produkte sind nicht Menschenqualfrei. Auf der Vegetarian Baby & Child Webseite werden die gefrorenen veganen „Soy Delicious“-Desserts von Turtle Mountain in folgender Weise beschrieben:

Die Firma ist nicht groß genug um Fairtrade-Schokolade einzukaufen, doch verwendet Turtle Mountain keinen knochengebleichten Zucker und die Produkte sind alle Bio. Zudem unterstützen sie das Sea Turtle Restoration Project – eine Organisation die dabei hilft, die Meeresschildkröten vorm Aussterben zu bewahren. Welchen besseren Grund gäbe es sich ein Sojaeis zu kaufen, als um damit den Meeresschildkröten zu helfen? (Veggies123.com)

Man wundert sich weshalb die Firma Turtle Mountain nicht einfach überhaupt keine Schokolade einkauft, wenn sie es sich nicht leisten können, fair gehandelte Schokolade einzukaufen. Zudem wird erwähnt, dass der Zucker vegan ist, aber man erfährt nicht, ob seine Herstellung die Ausbeutung von Menschen beinhaltete. Man kann davon ausgehen, dass Profit die Motivation dazu darstellt, weiterhin den Kakao von einer Quelle her zu beziehen, die nicht fair-trade ist. Auch kann man annehmen, das die Rettung von Meeresschildkröten und die Verwendung eines Zuckers, der ohne Knochenkohle raffiniert wurde, das ist, was dieses vegane Dessert zu einem „ethischen“ und „ohne Quälerei hergestellten“ Produkt macht, was bei vielen heutigen modernen TR/VEG Leuten in den USA eine positive Wirkung erzielt. Es ist nicht zu übersehen, dass die „Ethik“ einer geopolitisch rassifizierten Produktion von Nicht-Fairtrade-Kakao und -Zucker für Turtle Mountain (und seine Kunden), nicht im gleichen Maße wichtig genommen wird, wie die Garantie dessen, dass der Zucker „ohne Knochenmehl“ ist, und dass Meeresschildkröten ihr Recht auf Selbstbestimmtheit und Überleben erteilt wird. Wäre es anders gewesen, so nehme ich an, dass Turtle Mountain zahlreiche Beschwerden von seinen Kund_innen (oder Boykottaufrufe) erhalten hätte, mit der Aufforderung, dass man beginnen solle Zutaten aus fairem Handel zu kaufen.

Was die Bilder auf der Broschüre anbetrifft, die nur weiße Menschen dabei zeigen, wie sie sich im Tierrechtsaktivismus engagieren, wundert man sich, warum Vegan Outreach keine Bilder von rassisch verschiedenen Menschen zeigen, die dabei sind Flugblätter zu verteilen oder in irgendeiner anderen Form im Tierrechtsaktivismus tätig sind. Auf der zweiten Seite einer dieser Flugschriften sehen wir eine weiße Frau mit einem weißen Baby, die ihr Essen mit einem Truthahn teilt (Vegan Outreach, 2007). Auf Seite zweiundzwanzig sehen wir ein weißes Kind, das einen Apfel hält und das Kind wird als „junge_r Veganer_in“ beschrieben (Vegan Outreach, 2007). Auf Seite sechsundzwanzig sehen wir einen jungen weißen Mann, der gerade dabei ist, Literatur über die Tierverteidigung zu lesen (Vegan Outreach, 2007). Auf Seite siebenundzwanzig sehen wir ein Bild eines weißen Mannes, der einem Schwarzen eine ein Vegan Outreach-Flugschrift reicht (Vegan Outreach, 2007). Auf Seite achtundzwanzig ist ein junges weißes Mädchen zu sehen, dass Broschüren von Vegan Outreach verteilt (Vegan Outreach, 2007).

Die Kombination von Bildern weißer Menschen als Tierrechtsaktivist_innen gekoppelt mit Bildern, die für vegane Produkte werben, die Zucker und Schokolade enthalten, die nicht-fair geerntet wurden, durch die Arbeit nicht weißer rassifizierter Menschen, stellt für mich einen widersprüchlichen Ethos dar, bei denen, die Veganismus praktizieren und wie sie dies tun. Was mir merkwürdig erscheint, ist dass dies die Praxis hinter dem „tierqualfreien Verzehr“ [„cruelty-free eating“] bildet (daher der Titel dieses Vegan Outreach Ratgebers für Neulinge). Durch den ganzen Ratgeber hindurch wird kein einziges Mal das Vermeiden veganer Produkte erwähnt, die nicht als fair-trade gekennzeichnet sind, nicht aus Sweatshops kommen und keine heutigen Versklavungspraktiken von Menschen beinhalten. Welche Art geopolitisch rassifizierter „Ethik“ wird hiermit also generiert und verbreitet? In einem Interview, das im Jahr 2005 im Satya Magazine erschien, schreiben Sheila Hamanaka und Tracy Basile:

Es ist eine Sache, wenn eine weiße Person vegane Flyer verteilt, aber die Versuche weißer TR-Aktivist_innen anderen Kulturen ihre Agenda vorzuschreiben, erinnert in unangenehmer Weise an das geschichtliche Muster der Unterdrückung durch die dominierenden Nationen. Statt der „Demokratie“, exportieren die TR-Aktivist_innen ihre kulturellen Konzepte über die richtige Beziehung zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren (Hamanaka 2005).

Wird im Falle des Ratgebers von Vegan Outreach ein weiß-rassifiziertes neoliberales US-amerikanisches Konzept darüber, was richtige vegane Produkte sind, exportiert? Ist dies eine Konsequenz weißer Epistemologien der Ignoranz, von „Post-Rassischheit“ und Modernität der Praxis im TR/VEG-Aktivismus, ohne ein volles Bewusstsein darüber, wie all die verschiedenen Unterdrückungsformen miteinander verbunden sind (Harper, 2010; Smith, 2007), und kann es nicht sein, dass es ebenso „grausam“ [„cruel“] ist, Tiere zu essen, wie die Lebensmittel und die Textilien zu konsumieren/verbrauchen, die von versklavten Menschen auf Kakao-, Zucker- oder Baumwollplantagen erzeugt werden?

Um das noch einmal festzuhalten, ich kritisiere die Leute im TR/VEG-Bereich in den USA, die Produkte wie Silk oder Soy Delicious konsumieren, nicht. Meine Kritik richtet sich gegen die (weißen und nicht-weißen Personen), die meinen, „Rasse sei eine nebensächliche Angelegenheit“ im Tierrechtsaktivismus. Solche Menschen produzieren und praktizieren ihre eigenen „post-rassischen“ Epistemologien und ihre eigene Praxis einer TR/VEG- „tierqualfreien Ethik“. Zugleich ignorieren solche „post-rassischen“ Herangehensweisen aber die Abhängigkeit von der ausgebeuteten Arbeitskraft nicht-weißer rassifizierter Minderheiten, die außerhalb der Vereinigten Staaten leben – die Materialien für vegane Produkte produzieren, wie z.B. diejenigen Menschen, die Zucker in der Dominikanischen Republik ernten. [7] Eine Abhängigkeit, die in veganen Lebensmittelprodukten wiederzufinden sein kann; viele dieser veganen Leckereien sind nicht einschließlich daraufhin gekennzeichnet, ob ihre Erzeugung/Herstellung Praktiken der Grausamkeit gegenüber Menschen beinhaltet haben.

In der Dominikanischen Republik ist Onkel Toms Hütte nie verschwunden. Nahe der privaten Luxusresorts und ihrer Strände, verborgen hinter dem undurchdringbaren Vorhang des Zuckerrohrs, stehen die heruntergekommenen Barracken der Bateyes in Gruppen beieinander. In diesen improvisierten Dörfern, in denen es kein Wasser gibt, keine Elektrizität, keinen Schutz, leben [schwarze] haitianische Familien. Nachdem du den Eingang in die Bateyes gefunden hast, kannst du dich dem dort herrschenden Elend nicht mehr entziehen: die Männer arbeiten in den Zuckerrohrplantagen bis zur völligen Erschöpfung, die Frauen kämpfen um das Überleben ihrer Familien, die Kinder der haitianischen Eltern dort sind dazu verdammt, selbst wieder zu Sklaven zu werden.

Jedes Jahr überqueren etwa 20.000 Haitianer die Grenze zur Dominikanischen Republik, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Dort werden sie der Zwangsarbeit unterworfen, ihre Freiheiten werden eingeschränkt, die Lebensräume sind inadäquat und die Arbeitsbedingungen gefährlich. Die Vereinigten Staaten sind der größte Verbraucher von Zucker aus der Dominikanischen Republik (Gautier, 2007).

Nochmal: Ich kritisiere nicht die Entscheidung von Menschen, Produkte zu konsumieren, die durch die ausbeuterische Arbeit nicht-weißer rassifizierter Menschen im globalen Süden hergestellt worden sind. Was mir Sorge bereitet, sind die Folgen, die einige Menschen aus dem TR/VEG-Bereich verursachen, durch ihre Verneinung und/oder Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass „Rasse ein ernstzunehmendes Problem darstellt“ – auch in dem Moment, indem man ein Baumwollshirt, das nicht aus fairem Handel stammt, trägt, das mit einem Bild oder einen Slogan der für Tierrechte oder den Veganismus wirbt.

Ein Großteil der weltweit vermarkteten Baumwolle (eine vegane Alternative zu tierisch-basierenden Fasern) wird von Zwangsarbeitern in Usbekistan geerntet (Grabka, 2007). Kinder sind von dieser verachtenswerten Praktik der Arbeit unter sklavenähnlichen Bedingungen nicht ausgenommen. „Im Oktober 2004 gab ein Minister zu, dass 44.000 Schüler_innen und Stutent_innen die Baumwolle [in Usbekistan] ernteten“ (Grabka, 2007). Solange der „tierqualfreie“ Baumwollsweater kein Label trägt, durch das erkennbar wird, dass er über eine Fair-Trade Quelle bezogen wurde, und nicht unter Sweatshop-Bedingungen hergestellt wurde, existiert keine Garantie dafür, dass das Bekleidungsstück ohne menschliches Leid und/oder Sklaverei hergestellt worden ist. Und nochmal, die Menschen, die unmittelbar durch unfaire Bedingungen in der Baumwollerzeugung betroffen sind, sind keine weiß-rassifizierten Menschen und/oder sind durch ihre sozial-ökonomische Klasse privilegierte Menschen, die in den USA leben (Grabka, 2007). Und das ist keine „nebensächliche Angelegenheit“.

Als Clara schrieb, „Ich möchte einfach sagen, dass ich ernsthaft nicht glaube, dass die Rasse eines Veganers/einer Veganerin irgendetwas mit dem Ziel der Rettung der Tiere zu tun haben sollte, und damit, andere über Tierquälerei aufzuklären“, sprach sie da von einer privilegierten Position innerhalb der Moderne/Kolonialität und der privilegierten Seite der geopolitisch rassifizierten Produktion von Konsumgütern? Ramón Grosfoguel, ein Wissenschaftler, dessen Schwerpunkt die dekoloniale Theorie ist, verwendet den Begriff ‚Kolonialität’ um damit

[…] ‚koloniale Situationen’ in der Gegenwartsperiode [zu bezeichnen], in der koloniale Administrationen fast gänzlich aus dem kapitalistischen Weltsystem verschwunden sind. Mit ‚kolonialen Situationen’ meine ich die kulturelle, politische, sexuelle, spirituelle, epistemische und ökonomische Unterdrückung/Ausbeutung rassifiziert/ethnisch „untergeordneter“ Gruppen durch dominante rassifizierte/ethnische Gruppen [Hervorhebung hinzugefügt] mit oder ohne der Existenz kolonialer Verwaltungen. Fünfhundert Jahre europäischer kolonialer Expansion und Herrschaft formten eine internationale Aufteilung der Arbeit zwischen Europäer_innen und Nicht-Europäer_innen, die in der gegenwärtigen sogenannten ‚post-kolonialen’ Phase des kapitalistischen Weltsystems reproduziert wird (Wallerstein 1979, 1995 in Grosfoguel 2007). Heute überschneiden sich die Kernzonen der kapitalistischen Weltwirtschaft mit den prädominant weißen/europäischen/euro-amerikanischen Gesellschaften wie Westeuropa, Kanada, Australien und den Vereinigten Staaten, während die peripheren Zonen sich mit den vormals kolonialisierten nicht-europäischen Völkern überschneiden. Japan bildet hier die einzige Ausnahme, die diese Regel bestätigt. Japan ist niemals durch die Europäer kolonialisiert gewesen, und hat aber, vergleichbar mit dem Westen, eine aktive Rolle in der Errichtung eines eigenen kolonialen Imperiums gespielt … . Der Mythos einer ‚Dekolonialisierung der Welt’ verdunkelt die Kontinuitäten zwischen kolonialer Vergangenheit und gegenwärtig global-kolonialen/rassischen Hierarchien und trägt zur Unsichtbarkeit von ‚Kolonialität’ heute bei [Hervorhebung hinzugefügt] (Grosfoguel, 2007).

„Der Mythos einer ‚Dekolonialisierung der Welt…“ kann auch ersetzt werden mit:

Der Mythos eines ‚post-rassischen’ Status der USA verdunkelt die Kontinuitäten zwischen kolonialer Vergangenheit und gegenwärtig global-kolonialen/rassischen Hierarchien und trägt zur Unsichtbarkeit eines ‚weiß-rassifizierten klassenprivilegierten Bewusstseins’ in den USA heute bei. [8]

Wenn wir uns die „koloniale Vergangenheit und die gegenwärtigen kolonialen/rassischen Hierarchien“ anschauen, wird Clara dann zu einem weißen christlichen Priester aus der Zeit vor dem Sezessionskrieg, der den weißen Herren über Plantagen und Sklaven sagt, dass Gott die „Ethik“ der Einrichtung der Ehe und der Heiligkeit der Familie (Modernität) für gut beheißt, während schwarze Famillien in Fesseln auseinandergerissen werden, jedes Mal wenn eine Ehefrau oder ein Kind oder ein Vater verkauft wird, um in einem Baumwollfeld oder auf einer Tabakfarm (Kolonialität) zu arbeiten? Wird Clara der „zivilisierte“ und „moderne“ US-amerikanische Aristokrat aus dem acthzehnten Jahrhundert, der Texte verfasst, die ihren Beitrag zu den Philosophien der „Ethik“ und „Aufklärung“ der Menschheit (Moderne) beitragen, während man den Tee mit Zucker schlürft (Moderne), der von nichtweißen Menschen in Fesseln produziert wurde (Kolonialität)? Wird Clara hier zu einem weißen Lehrer aus den USA des frühen neunzehnten Jahrhunderts, der die weißen Kinder über die „Ethik“ dessen „aufklärt“ ein freier [weißer] Mensch zu sein (Moderne), als einem Preis, der durch die Amerikanische Revolution gewonnen wurde, während man ein Stück moderner Baumwollbekleidung trägt, dass mit dem Leid der schwarzen Menschen in Fesseln hergestellt wurde, Menschen die diese Freiheit niemals erfahren dürften (Kolonialität). Ist Clara der weiße US-amerikanische Regierungbeamte des zwanzigsten Jahrhunderts, tätig im internationalen Huminitarismus, der vorschlägt, dass wir als eine Nation „ethisch“ handeln sollten und kuhmilch-basierende verarbeitete Produkte (Moderne) an afrikanische Länder, in denen in den 1980ern in denen Hungersnöte herrschten, schicken sollten – vollständig davon überzeugt, dass jeder [tierliche] Milch vertragen können sollte und muss, so wie das die eigenen weiß-europäischen Vorfahren können (Kolonialität)?

Claras Einstellung repräsentiert die Einstellungen vieler Menschen in den USA – aus der Vergangenheit, so wie in der Gegenwart – die eine gewisse Vorstellung über „Ethik“, „Freiheit“, „Aufklärung“ und „Moralität“ durch den Schleier von Universalismus, Ignoranz und eurozentrischer Logik (Yanca, 2004) hochhalten und anwenden. Solch eine singularistische eindimensionale Herangehensweise an die Frage von „Ethik“ ignoriert häufig und selbstbequem die Systeme miteinander einhergehender Unterdrückungsformen, die durch den Rassismus, Klassismus, Ableismus, Heterosexismus, Nationalismus, etc. beeinflusst werden und diese auch wiederum reziprok beeinflussen. Rámon Grosfoguel argumentiert, dass

die hegemonischen eurozentrischen Paradigmen, die die westliche Philosophie und die Wissenschaften im ‚modernen/kolonialen kapitalistichen/patriarchalen Weltsystem’ in den letzten 500 Jahren beeiflusst haben, nehmen einen universalistischen, neutralen, objektiven Standpunkt ein … . Niemand entkommt den Hierarchien von Klasse, Geschlecht, Spiritualität, Linguistik, Geographie und Rasse des ‚modernen/kolonialen kapitalistichen/patriarchalen Weltsystems’ (Grosfoguel, 2007).

Zusätzlich sehen Veganer_innen, die Claras Wahrnehmung über Rasse teilen, unter Umständen weder die Bedeutung noch die Implikationen rassischer Identität innerhalb der TR/VEG-Philosophie und ihrer erzieherischen Aufklärung, da viele Menschen im globalen Westen, wie etwa in den Vereinigten Staaten, dahingehend erzogen wurden, die Kräfteverhältnisse außerhalb von „Klassenanalyse und ökonomisch-strukturellen Transformationen“ nicht zu verstehen (Grosfoguel, 2007). Obgleich meine Webseite, auf der ich meine Forschung vorstelle, eindeutig angibt, dass ich über die Implikationen von Rasse und Klasse in der Wahrnehmung von Nahrungsmitteln, Gesundheit, „ethischem Konsum“ und Tierrechten forsche, war Clara nur über die rassische Komponente meiner Forschung „irritiert“. [9]

Ich hoffe, dass dieses Essay dabei helfen wird, „post-rassiche“ weiße vegane Aktivist_innen näher an ein Einbrechen der Barrieren heranzubringen, und daran, sich stärker kritisch reflektierend zu betätigen im Punkte rassisch privilegiert-orientierter Formen dessen, Teil der weltweiten TR/VEG Bewegung zu sein – und zwar nicht nur innerhalb der weiß dominierten oder weißer Siedlernationen, sondern überall in der Welt. Weiße Freund_innen und Unterstützer_innen, so wie die antirassistischen Tierrechtsaktivist_innen Noah Lewis, Say Burgin und Daniel Hammer, so wie auch pattrice jones, haben sich proaktiv dazu entschieden, sich über ihr eigenes weiß rassifiziertes Bewusstsein Gedanken zu machen. Sie versuchen weiß identifizierten und TR/VEG Aktivist_innen die Wichtigkeit dessen zu vermitteln, sowohl die kritischen Weißseinsstudien als auch den Antirassismus in ihren TR/VEG und nicht-TR/VEG-verbundenen Philosophien und Erziehungsmodellen mit einzubeziehen. So lautet die Beschreibung eines Workshops den Burgin, Hammer und Lewis 2008 unter dem Titel ‚Weiße hinterfragen den Rassismus – eine Studiengruppe’ organisiert haben, folgendermaßen:

Die erste Session unserer Gruppe fand von Juli bis September 2007 statt und wurde von Say Burgin, Daniel Hammer und Noah Lewis organisiert. Diese Gruppe hat sich aus einem experimentellen College-Kurs zum Thema weißes Privileg und antirassistischer Organisation am Oberlin College heraus entwickelt, am dem Noah teilgenommen hatte während seines Aufenthaltes in Oberlin, Ohio.

Die Organisator_innen sind keine „Expert_innen“ – wir erheben diesen Anspruch in keiner Weise für uns! Wir sind schlichtweg weiße Individuen, die sich ernsthaft darüber Sorgen machen, auf welche Weise das weiße Überlegenheitsdenken, männliches Überlegenheitsdenken, Klassismus und andere Unterdrückungsformen, sowohl auf persönlicher Ebene als auch durch unseren Aktivismus, fortgesetzt werden. Wir möchten uns aus diesem Grunde darum bemühen, uns über diese Probleme zu informieren und unser Verhalten entsprechend zu verändern, und, wir möchten diesen Lernprozess gerne mit denjenigen Teilen, die ebenfalls daran interessiert sind, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen (Burgin et al., 2007).

Was diese Form des Aktivismus so auszeichnet, ist, dass die Organisator_innen gleichzeitig auch im Bereich des veganen- und des Tierrechtsaktivismus tätig sind; sie bieten ebenso Workshops über Veganismus und Tierrechte über ihre Gruppe ‚Animal Freedom’ an. Denjenigen weißen Personen, die den Bezug zwischen Tierrechten und kritischen Weißseinsstudien bislang nicht sehen, erklären die Organisator_innen auf ihrer Webseite:

Weshalb wird dies von einer Tierrechtsgruppe organisiert?

Warum nicht? Animal Freedom hinterfragt den Speziesismus und das menschliche Überlegenheitsdenken im Kontext mit einer Beendigung der damit verbundenen Unterdrückungssysteme (die auf Sexismus, Rassismus, Klassismus, Ageismus, Ableismus, usw. basieren und/oder Diskriminierung betreiben wegen sexueller Ausrichtung, religiöser [oder nicht-religiöser] Anschauungen, Nationalität und Ethnizität, usw.). Wir planen in Zukunft einen Kurs anzubieten, der sich speziell mit dem Rassismus in der Tierrechtsbewegung auseinandersetzt. Dieser nun stattfindende Kurs ist aber allgemein gehalten und bezieht jede_n mit ein (Burgin et al., 2007).

Menschen, die sich aktivistisch für eine vegane Ernährung einsetzen, sind fortwährend mit Ängsten, Verneinung und Abwehrhaltungen konfrontiert, seitens von Menschen, die vom institutionalisierten Speziesismus „als Norm“ profitieren. So wie diese Menschen nicht ohne weiteres einsehen können, warum sie sich über Speziesismus Gedanken machen sollten, so können in einer vergleichbaren Weise manche weißen TR/VEG Aktivist_innen nicht einsehen, in welcher Weise sie profitieren vom institutionalisierten Weißsein „als der Norm“ oder wie dies ihr Engagement für den Veganismus mitbeeinflusst. Ich hoffe, dass dieses Essay diejenigen, die eine „post-rassische“ Haltung vertreten oder die meinen, „Rasse sei eine nebensächliche Angelegenheit“, dazu bewegen kann, die eigene Wahrnehmung über Rasse einmal kritisch zu überdenken und zu überlegen, ob man selbst zu sozialer Ungerechtigkeit innerhalb des eigenen veganen- und Tierrechtsaktivismus mit beiträgt.

Anmerkungen

[1] Amie Breeze Harper promoviert [A.d.Ü.: im Jahr 2013 hat die Autorin ihre Promotion mit summa cum laude abgeschlossen] an der University of California, Davis, im Bereich der Critical Food Geographies. Sie untersucht in welcher Weise Rasse, Klassenzugehörigkeit und Region/Lokalität innerhalb der USA die Beziehung einzelner zu ihrer Wahrnehmung pflanzlich-zentrierter Ernährungsweisen (‚food ways’) beeinflussen. Die Autorin ist in Connecticut, USA, geboren und aufgewachsen und lebt heute mit ihrem Ehemann und ihrem neugeborenen Sohn in Berkeley, Kalifornien. Amie kann unter der Emailadresse breezeharper@gmail.com kontaktiert werden.

[2] A.d.Ü.: der Begriff „Rasse“ bezeichnet selbstverständlich auch an dieser Stelle ein politisch-soziologisches Phänomen, und keine biologistisch-ethnische Demarkationslinie verschiedener Kulturgeschichten.

[3] „TR/VEG“ ist die Abkürzung, die ich hier verwende, wenn ich mich auf den Tierrechts-, den vegetarischen- und den veganen Aktivismus und seine Philosophien beziehe.

[4] Ich schreibe hier „bestimmte“, weil es vegane Produkte aus fairem Handel gibt, die auch von Veganer_innen gekauft werden können, wie zum Beispiel Equal Exchange Bio-Tees, Zucker und Kaffee aus fairem Handel oder Produkte von Steaz Energy. Ich habe hier jedoch die Marken Silk und Soy Delicious kritisch im Auge, weil sie in den USA den Markt für vegane, auf Soja basierende Getränke und tiermilch-freie gefrorene Desserts dominieren.

[5] Damit meine ich die eurozentrischen und griechischen Grundpfeiler der Philosophien, der Ethik und der Moralität. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass diese nur eine Art der Philosophien ausmachen.

[6] A.d.Ü.: Vegan Outreach haben ihre Broschüre „Guide to Cruelty-Free Eating“ im Jahr 2013 überarbeitet und die in diesem Text beschriebene Bebilderung wurde ausgetauscht, durch Fotos, die auch farbige Menschen als Aktivist_innen zeigen und nicht nur als Rezipienten veganer Aufklärungsprogramme.

[7] A.d.Ü.: Im Bezug auf die BRD liegt bei diesem Kritikpunkt der Schwerpunkt nicht in erster Linie auf dem Zucker, der bei uns zu einem prozentual geringen Anteil aus Drittländern importiert wird. Allgemein ändert dies allerdings nichts an der beschriebenen Problematik, der nicht aus Fairtrade-Quellen bezogenen Rohstoffe und Produkte, die im veganen Marktsegment ihren Gebrauch finden können.

[8] Im Bezug auf Clara kann man sagen, dass die Auswirkungen, die dieses dominierende Bewusstsein auf die Erziehungsphilosophie im primären und sekundären Bildungsbereich hat (das die meisten Kinder, ungeachtet ihrer Rasse, in den USA prägt) hier nicht zu übersehen sind. Den Kindern und Jugendlichen wird zumeist vermittelt, dass die eurozentrischen philosophischen Fundamente von „Gerechtigkeit“ und „Ethik“ nicht „rassifiziert“ seien; dass sie in der Tat „post-rassisch“ sind und für alle zutreffen, ungeachtet der Tatsache, dass zentrale philosophische Gedanken zu einem Großteil für und durch die Interessen weißer männlicher Europäer und US-Amerikaner geschaffen wurden. So soll ein zwölfjähriges Mädchen, dass aus einer Familie mit niedrigem Einkommen stammt und im ländlichen Raum Alabamas lebt, lernen und akzeptieren, dass die Philosophien von „Freiheit“, „Ethik“ und der „Aufklärung“ (die von europäischen und US-amerikanischen Männern „guten Willens“ geschaffen worden sind), nicht rassifiziert sind; und dass sie niemals von weißen Philosophen produziert wurden, die kleine schwarzen Mädchen, so wie sie selbst eines ist, hätten unterdrücken wollen. Das ist auffällig, da die Mehrzahl dieser „großen Männer“ Nichtweiße entweder als minderwertig sahen und/oder ihr eigenes weißes männliches Privileg in der Schaffung ihrer universellen Philosophien ignoriert haben. Dazu zu zählen sind Thomas Jefferson, Hegel, Kant, Hume und Locke (Farr, 2004; Jones, 2004; Moore, 2005; Yancy, 2004). Dies sind Männer, die eindeutig dachten, dass Schwarze minderwertige Menschen wären, doch produzierten sie gleichzeitig universale Gedanken und Literatur über „Freiheit“, „Ethik“ und „Aufklärung“, die größtenteils integriert sind in das Gewebe der modernen US-amerikanischen Gesellschaft, in der Schulbildung und in den philosophischen Fakultäten der Universitäten. Das Weißsein und die geopolitisch rassifizierten Aspekte dieser Philosophien sind als universalistisch maskiert (Yancy, 2005) und werden in falscher Weise als für genau die Menschen zugänglich konstruiert, die diese „großen Männer“ für minderwertig hielten. Hinsichtlich der Philosophien, auf denen die USA begründet wurde, schreibt Dr. T. Owen Moore:

Seit der Etablierung dieser weiß-dominierten und durch Weiße kontrollierten Gesellschaft, bestand von Anfang an ein mentaler Konflikt. Dieser mentale Konflikt wurde von der Seite der Unterdrücker her generiert (wie zum Beispiel von den Gründervätern), durch die Hypokrisie in ihrer Agenda. Es ist nicht möglich eine demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft zu entwickeln, wenn die weißen Menschen, die die Gesetze geschrieben und implementiert haben, nicht-weiße Menschen als Untermenschen betrachteten. Die Hypokrisie der Gründerväter hat eine soziale Erkrankung weitergereicht (Forbes, 1992) die in dieser Gesellschaft niemals ausradiert werden kann, da die demokratischen Prinzipien auf einer falschen Grundlage gebildet wurden (Moore, 2005).

[9] Wenn Sie auf meine Seite unter http://www.breezeharper.com gehen, können Sie sehen, dass mein letzter Call for Papers sich mit dem Thema „Rassen- und Klassenbewusstsein“ in der Bewegung ethischen Konsums befasst hat.

Literaturangaben

Appel, L. (2007), “White Supremacy in the Movement against the Prison-Industrial Complex,” Social Justice 30, pp 81-88.

Bailey, C. (2007), “We Are What We Eat: Feminist Vegetarianism and the Reproduction of Racial Identity,” Hypatia 22.2, pp 39-59.

Barnett, C., Cloke, P., Clarke, N., and Malpass, A. (2005), “Consuming Ethics: Articulating the Subjects and Spaces of Ethical Consumption,” Antipode 37, pp 23-45.

Bediako, S.M., Kwate, N.O., and Rucker, R.A. (2004), “Dietary Behavior among African Americans: Assessing Cultural Identity and Health Consciousness,” Ethnicity and Disease 14, pp 572-32.

Bell, D. A. (1992), Faces at the Bottom of the Well: The Permanence of Racism, BasicBooks: New York.

Bennett, M. and Dickerson, V.D. (2001), Recovering the Black Female Body: Self-Representations by African American Women, RutgersUniversity Press: NewBrunswick.

Booth, S. and Chilton, M. (2007), “Hunger of the Body and Hunger of the Mind: African American Women’s Perceptions of Food Insecurity, Health and Violence,” Journal of Nutrition Education and Behavior 39, pp 116-25.

Burgin, S., Hammer, D., and Lewis, N. “Whites Challenging Racism, a Study Group”, http://www.animalfreedom.info/study/wcr/wcr.html [Zugriff 28. August 2014].

Carrier, J. G. (2007), “Ethical Consumption,” Anthropology Today 23, pp 1-2.

Chanthavong, S. (2002), “Chocolate and Slavery: Child Labor in Cote D’ivoire,” TED Case Studies 664, https://web.archive.org/web/20140628230731/http://www1.american.edu/ted/chocolate-slave.htm [Zugriff 28. August 2014].

Cherry, E. (2006), “Veganism as a Cultural Movement: A Relational Approach,”

Social Movement Studies 5, pp 155-70.

Clark, D. (2004), “The Raw and the Rotten: Punk Cuisine,” Ethnology 43, pp 19-31.

Dalby, S., and Tuathail, G.O. (1995), “The Critical Geopolitics Constellation: Problematizing Fusions of Geographical Knowledge and Power,” Political Geography 15, pp 451-56.

Dwyer, O. J., and Jones III, J. P. (2000), “White Socio-Spatial Epistemology,” Social & Cultural Geography 1, pp 209-22.

Farr, A. (2004), “Whiteness Visible: Enlightenment Racism and the Structure of Racialized Consciousness,” In Yancy,G. (Ed.) What White Looks Like: African-American Philosophers on the Whiteness Question, New York,Routledge,

Foster, G., Harris, M.A., Melby, C.L., Schmidt, W.D., Toohey, M.L., and Williams, D. (1998), “Cardiovascular Disease Risk Factors Are Lower in African-American Vegans Compared to Lacto-Ovo-Vegetarians,” Journal of the American College of Nutrition 17, pp 425-34.

Gautier, C. A. (2007), “Slaves in Paradise,” Satya Magazine, pp.38-39.

Grabka, T. (2007), “The Cost of Uzbek White Gold,” Satya Magazine, pp 12-13.

Grillo, T. and Wildman, S.M. (1995), “Obscuring the Importance of Race: The Implication of Making Comparisons between Racism and Sexism (or Other – Isms),” In Delgado, R. (Ed.) Critical Race Theory: The Cutting Edge, TempleUniversity, Philadelphia, pp. 564-572.

Grosfoguel, R. (2007), “The Epistemic Decolonial Turn: Beyond Political-Economy Paradigms,” Cultural Studies 21, pp 211-23.

Hamanaka, S. and Basile, T. (2005), “Racism and the Animal Rights Movement,” Satya Magazinehttp://www.satyamag.com/jun05/hamanaka.html [Zugriff 28. August 2014].

Harper, A. B. (2010), Sistah Vegan: Black Female Vegans Speak on Food, Identity, Health, and Society, Lantern Books: New York.

Hawksley, H. (2001), “Mali’s Children in Chocolate Slavery,” BBC News,  http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/1272522.stm [Zugriff 28. August 2014].

Hill Collins, P. (2004), Black Sexual Politics: African Americans, Gender, and the New Racism, Routledge: New York.

Hunt, J (2007), “Just for the Taste of It,” Satya Magazine, March 2007, pp 34-37.

Iacobbo, K. and Iacobbo, M. (2006), Vegetarians and Vegans in America Today, Praeger Publishers: Westport, CT.

James, J. (2002), Shadowboxing: Representations of Black Feminist Politics, St. Martin’s Press: New York.

James, D. C. S. (2004), “Factors Influencing Food Choices, Dietary Intake, and Nutrition-Related Attitudes among African Americans: Application of a Culturally Sensitive Model,” Ethnicity & Health 9, pp 49-367.

Jensen, D (2006), Endgame, Seven Stories Press: New York.

Kang, J. (2000), “Cyber-Race,” Harvard Law Review 113, pp 1131-209.

Mangels, R. (1994), “A Vegetarian Diet Helps to Protect Older African Americans from Hypertension,” Vegetarian Journal 13, pp 347-56.

Massey, D. B. (1994), Space, Place, and Gender, University of Minnesota Press: Minneapolis.

McKittrick, K. (2006), Demonic Grounds: Black Women and the Cartographies of Struggle, University of Minnesota Press: Minneapolis.

McKittrick, K. and Woods, C.A. (2007), Black Geographies and the Politics of Place, South End Press: Cambridge, MA.

Mills, C. (2007), “White Ignorance,” In Sullivan, S. and Tuana, N. (Eds) Race and Epistemologies of Ignorance, State University of New York Press, Albany, pp13-38.

Mintz, S. W. (1986), Sweetness and Power: The Place of Sugar in Modern History, Penguin Books: New York.

Mohanram, R. (1999), Black Body: Women, Colonialism, and Space, University of Minnesota Press: Minneapolis.

Montgomery, J. R. (2005), “Preliminary Model for Understanding and Healing the Impact of Slavery on American Women of African Descent,” Dissertation, WrightInstituteGraduateSchool of Psychology.

Moore, T. O. (2005), “A Fanonian Perspective on Double Consciousness,” Journal of Black Studies 35, pp 751-62.

Moss, P. and Al-Hindi, K.F. (2008), Feminisms in Geography: Rethinking Space, Place, and Knowledges, Rowman & Littlefield: Lanham.

Nagra, N. (2003), “Whiteness in Seattle: Anti-Globalization Activists Examine Racism within the Movement,” Alternatives Journal, pp 27-28.

Nakamura, L. (2002), Cybertypes: Race, Ethnicity, and Identity on the Internet, Routledge: New York.

Poldervaart, S. (2001), “Utopian Aspects of Social Movements,” In “Postmodern Times: Some Examples of Diy Politics in the Netherlands,” Utopian Studies 12, pp 143-64.

Price, P. L. (2009), “At the Crossroads: Critical Race Theory and Critical Geographies of Race,” Progress in Human Geography, pp 1-28.

Slocum, R. (2006), “Anti-Racist Practice and the Work of Community Food Organizations,” Antipode 38, pp 327-49.

Smith, A. (2007), “Social-Justice Activism in the Academic Industrial Complex,”

Journal of Feminist Studies in Religion 23, pp 140-45.

Sullivan, S. and Tuana, N. (2007), Race and Epistemologies of Ignorance, SUNY Series, Philosophy and Race, StateUniversity of New York Press: Albany.

Tone, D. (2007), “Megan Williams Kidnapping, Rape and Torture Case: Advocates and Family Call for Federal Hate Crime Charges.” Send2Press Newswirehttps://web.archive.org/web/20080706151032/http://www.send2press.com/newswire/2007-10-1003-002.shtml [Zugriff 28. August 2014].

Twine, F. W. and Warren, J. (2000), Racing Research, Researching Race: Methodological Dilemmas in Critical Race Studies, New YorkUniversityPress: New York.

“Guide to Cruelty Free Eating,” Vegan Outreach, http://www.veganoutreach.org/guide/gce.pdf [Zugriff 28. August 2014].

Williams-Forson, P. (2006), Building Houses out of Chicken Legs: Black Women, Food, & Power, University of North Carolina Press: Chapel Hill.

Yancy, G. (2004), What White Looks Like: African-American Philosophers on the Whiteness Question, Routledge: New York.

Zur Autorin
Dr. A. Breeze Harpers Arbeitsschwerpunkte liegen in den Themen kritischer Rassestudien, schwarzer feministischer Theorie und den Intersektionen kritischer Nahrungsmittelstudien. Ihre gegenwärtige Forschung befasst sich mit schwarzen männlichen Veganern, die Hip Hop und dekoloniale Methodologien im Gesundheits-, Nahrungsmittel- und Umweltaktivismus einsetzen. Dr. Harper ist Leiterin und Begründerin des Sistah Vegan Project, http://www.sistahvegan.com.

Übersetzung
Gita Yegane Arani-May, www.simorgh.de – ‚Open Access in der Tier-, Menschen- und Erdbefreiung’. Revised 8/2014.

Zitation
Harper, A. Breeze (2014). Essay: Rasse als eine „nebensächliche Angelegenheit“ im Veganismus: Eine Hinterfragung des Weißseins, geopolitischer Privilegien und der Philosophie des Konsums „tierqualfreier“ Produkte. TIERAUTONOMIE, 1(2), http://simorgh.de/tierautonomie/JG1_2014_2.pdf.

TIERAUTONOMIE (ISSN 2363-6513)

by-nc-nd.eu

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

Leser_innen dürfen diese Publikation kopieren und verbreiten, solange ein Verweis auf den/die Autor_innen und das Journal TIERAUTONOMIE gegeben wird. Die Verwendung ist ausschließlich auf nicht-kommerzielle Zwecke eingeschränkt und es dürfen keine Veränderungen am Textmaterial vorgenommen werden. Weitere Details zu dieser Creative Commons Lizenz findet sich unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/. Alle anderen Verwendungszwecke müssen von dem/den Autor_innen und den Herausgeber_innen von TIERAUTONOMIE genehmigt werden.

Vasile Stanescu: Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten

kts8

Jahrgang 1, Nr. 1, Art. 1, ISSN 2363-6513, Juni 2014

Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten

Eine Präsentation von Vasile Stanescu

Titel der englischsprachigen Originalfassung: The Judas Pig: How we Kill “Invasive Species” on the Excuse of “Protecting Nature”. Übersetzung: simorgh.de.

Dieser Text als PDF

Zusammenfassung: Sowohl Michael Pollans The Omnivore’s Dilemma als auch Donna Haraways When Species Meet führen das Beispiel „invasiver Spezies“ (und im spezifischen die Tötung „verwilderter“ Schweine auf Santa Cruz Island) als einen Beweis dafür an, dass Tierrechte und Umweltschutz miteinander unvereinbar seien. Man hat, als solche, die „invasiven Spezies“ im Allgemeinen, und die „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island im Spezifischen, zu einem Prüfstein erklärt, anhand dessen eine Konkurrenz zwischen Tieren und der „Natur“ erkennbar werden soll. Ich argumentiere hingegen, dass die Entfernung „verwilderter“ Schweine von Santa Cruz Island nicht durch Ziele des Umweltschutzes motiviert war, sondern durch den Wunsch, eine vermarktbare Ansicht auf eine „von Menschenhand unberührte“ (laut Angaben der für Besuche der Insel werbenden Webseite) Natur zu schaffen. Ironischerweise wurden die Tiere mittels technologischer Herangehensweisen getötet – wie durch den Beschuss von Helikoptern aus, den Einsatz elektrischer Zäune und in erster Linie durch die Entfernung des Uterus weiblicher Schweine, das Einsetzen von GPS-Sendern in den Uterus und die Rückimplantierung, um dadurch die anderen Schweine auffindbar zu machen (eine Technik, die die Industrie als die „Judas Schwein“-Methode bezeichnet). In anderen Worten erkläre ich, in welcher Weise diese großangelegte Gewaltaktion, gegen sowohl nichtmenschliche Tiere als auch die „natürliche“ Welt, mit einer falschen Rhetorik des “Schutzes der Natur“ vor vermeintlich „invasiven“ Spezies stattgefunden hat. Zudem erläutere ich, dass die eingesetzten Argumente im Ganzen, ausschließlich die statistische Realität verbergen, dass die invasivste und umwelt-zerstörendste Tierart auf dem Planeten, nicht Schweine auf einer kleinen Insel, sondern der Mensch selbst ist.

Diese Präsentation wurde im Rahmen der internationalen Konferenz ’Animals and Their People: The Fall of the Anthropocentic Paradigm’ (12.-14. März 2014) am Institute of Literary Research of the Polish Academy of Science in Warschau, Polen, und beim ’Animal // Environment: A Multidisciplinary Symposium’ (1.-2. Mai 2014) an der Stanford University, Kalifornien, USA, gehalten.

Schlagworte: Invasive Spezies, Tierrechte, Umweltschutz, Biopolitik, Warenfetisch

TIERAUTONOMIE,  Jg. 1 (2014), Heft 1.

Vasile Stanescu: Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten

Wie das Pentagon, wenn es einer unbeugsamen Armee gegenübersteht, so gürtet sich der Park Service nun für seinen erbarmungslosen Krieg gegen die Schweine von Santa Cruz Island. Bei dieser Aktion wird es keine Gefangenen geben.
– Beschreibung eines Reporters über die Entfernung der Schweine von Santa Cruz Island (Zitiert nach Shelton, 6)

Seit kürzerem sind die „invasiven Spezies“ generell, sowie im Spezifischen die „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island, zu einem übergreifenden und symbolischen Prüfstein geworden, an dem gemessen wird, in welchem Maße sich Tiere in Konkurrenz zur „Natur“ befinden. In seinem populären Text: The Omnivore’s Dilemma [des Omnivoren Dilemma] führt z.B. Michael Pollan das Beispiel der „invasiven Spezies“ (und spezifisch die Tötung der „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island) als Beweis an, dass Tierrechte und Umweltschutz miteinander unvereinbar seien. Er geht soweit, die Schweine auf der Insel selbst zu jagen und zu töten; ein Erlebnis, das ihm so gut tut, dass er es damit vergleicht, „high“ zu sein (Pollan 342). Pollan und andere [1] haben sich auf dieses Beispiel verwilderter Tiere im Allgemeinen, und der verwilderten Schweine auf Santa Cruz Island im Spezifischen, als ein angeblich umfassendes Argument bezogen, um zu begründen, dass – da solche verwilderten Schweine eindeutig der Umwelt schaden würden und sie auf dieser Insel hätten getötet werden müssen – Tierrechte und Umweltschutz von Grund auf miteinander unvereinbar seien.

Ich möchte hingegen argumentieren, dass die Entfernung der „verwilderten“ Schweine auf Santa Cruz Island nicht aus Gründen der Sorge um die Umwelt geschah, sondern um eine zu vermarktende Ansicht auf die Natur zu schaffen. Auch möchte ich darlegen, dass diese Tiere mit technologischen Vorgehensweisen getötet wurden, die in gravierender Weise jedem traditionellen Verständnis von Natur oder dem Natürlichen entgegenstehen. Ich argumentiere dahingehend, dass diese Gewalt gegen sowohl nichtmenschliche Tiere als auch die „natürliche“ Umwelt, in dem Ausmaße wie sie hier stattfand, mit Zuhilfenahme einer falschen Rhetorik des „Schutzes der Natur“ vor vermeintlich „invasiven“ Spezies begangen wurde. Ich glaube, dass stattdessen ein Warenfetisch und Biopolitik als Konzepte die besten Herangehensweisen zum Verständnis derjenigen Grundlage bieten, auf der die aktive Massentötung von Spezies, die man als kosmetisch unerwünscht betrachtet, reimaginiert wird über ein System protektiver Quarantäne. Und als solche ist diese Tötung dabei dienlich, die Realität zu verbergen, dass die invasivsten und die umwelt-schädigendsten Tiere auf diesem Planeten nicht Schweine auf einer kleinen Insel, sondern in der Tat wir selbst sind.

Teil I: Von Schweinen, Adlern und Füchsen

Die umweltschützerische Rechtfertigung zur Tötung der ausgewilderten Schweine durch den Nature Conservancy – der privaten Nonprofit-Organisation, die Besitzer des größten Anteils von Santa Cruz Island ist – war die behauptete Notwendigkeit des Schutzes der Biodiversität und der gefährdeten Tierarten auf der Insel. Das Argument lautete, die „verwilderten“ Schweine hätten einige Steinadler angezogen, die dann wiederum begonnen hätten, eine bestimmte, ausschließlich auf der Insel beheimatete, gefährdete Fuchsart zu jagen. So erklärt sowohl die Webseite des National Park Service, wie auch deren gedrucktes Mitteilungsblatt im Bezug auf die Angelegenheit:

[…] Die ausgewilderten Schweine spielten eine wesentliche Rolle bei der katastrophalen Abnahme der Fuchspopulation der Insel. Die Ferkel stellen eine ganzjährige Futterquelle für die Steinadler dar, die die Insel zuvor eher selten besuchten, und die aus diesem Grunde nun aber auf der Insel siedelnde Populationen bilden und dabei den Inselfuchs jagen. Die Prädation der Steinadler hat die Füchse von Santa Cruz, Santa Rosa und den San Miguel Islands, bis an die Grenze des Aussterbens gebracht. (National Park Service 2008)

Es ist dieses Narrativ (dass die Schweine hätten getötet werden müssen, um die Adler zu vertreiben, damit man dadurch die Füchse schütze), welches Pollans Argument zugrunde liegt, dass die Rechte der Tiere sich inhärent in einem Spannungsfeld mit dem Umweltschutz befänden. So schreibt Pollan in The Omnivore’s Dilemma:

Während ich schreibe, ist ein Team von Scharfschützen im Auftrag des National Park Service und des Nature Conservancy an der Arbeit um tausende ausgewilderter Schweine auf Santa Cruz Island, acht Meilen vor der Küste Südkaliforniens, zu töten. Die Tötung ist Teil eines ehrgeizigen Planes, den Lebensraum der Insel und den Inselfuchs – eine gefährdete Tierart, die auf nur wenigen südkalifornischen Inseln beheimatet ist, und sonst nirgends auf der Welt – zu schützen. Um den Fuchs vorm Aussterben zu retten, müssen der Park Service und der Nature Conservancy zuerst eine komplizierte Kette ökologischer Veränderungen, die von Menschen vor mehr als hundert Jahren verursacht wurden, rückgängig machen. (Pollan 324)

Diese vereinfachende Schilderung hat sich angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten des Falles aber als ein Vermarktungstrick erwiesen. So erklärte beispielsweise Tim Setnicka, der ehemalige Superintendent des Channel Islands National Park, ursprünglicher Verfechter des Programms zur Entfernung der Schweine und einer der Co-Autoren des ersten Gutachtens über den Zustand der Insel (Reynolds et al 2002), dass die wesentlichen Beweggründe für das Programm nicht umweltschützerischer, sondern ästhetischer Natur gewesen seien. Diese Erklärung Setnickas wurde in einer Gastkolumne zitiert:

Um das Artenschutzprogramm für den Fuchs zu verkaufen, für das wir selbst keine Gelder hatten, hatten wir diese Idee für eine Pressemeldung, in der wir sagten, dass einer der Hauptgründe für das Erscheinen der Steinadler hier auf den Inseln, die Schweine gewesen wären. Dadurch konnten wir die Schweine zu den Übeltätern erklären und damit das Programm zur Entfernung der Schweine vorantreiben. Wir mussten die Leute ja nicht auch noch daran erinnern, dass wir 1991 bereits die Schweine von Santa Rosa Island abgeschossen hatten, und dass die Adler dort damit keine Schweine mehr zu essen hatten. Klar jagen die Steinadler Schweine, aber sie jagen noch viel mehr Füchse, weil sie die leichter kriegen können. (Markarian)

Zugeständnisse, die wiederum dazu führten, dass Michael Markarian, Chief Program & Policy Officer der Humane Society of the United States [HSUS] Zusätzliches offenlegte, dass nämlich der Vorschlag für ein Verhütungsmittelprogramm zur Entfernung der Schweine, ohne Umschweife abgelehnt wurde. Markarian erklärt:

All dies wirft die Frage auf, warum der Park Service und der Nature Conservancy eigentlich weiterhin Millionen an Dollar für das Ausgeben, was manche Parkangestellte intern als ihren „Mega-Kill-, Vergiftungs- und Verbrennungs“-Plan bezeichnen. Also selbst wenn wir die Vermutung akzeptierten, dass die Schweinepopulation auf Santa Cruz Island kontrolliert oder reduziert werden müsste, gibt es da doch humanere und weniger drakonische Methoden. Die Humane Society of the United States bot an, mit einem Verhütungsmittelprogramm für die Schweine auszuhelfen, bei dem ein Impfstoff verwendet wird, der vom National Wildlife Research Center des Department of Agriculture entwickelt und von der Food and Drug Administration zu Experimentierzwecken freigegeben wurde. Aber der Park Service und der Nature Convervancy haben einfach nein gesagt. (Markarian)

Sowohl Setnicka als auch Markarian sagten also, dass die Tötung der ausgewilderten Schweine eigentlich nicht aus Umweltschutzgründen geschah, sondern aufgrund des Wunsches, alle Tierspezies allein wegen ihrer Abstammung ausrotten zu wollen. Oder, wie Markarian es formuliert:

Angesichts dieser ablehnenden Haltung gegenüber einer vielversprechenden und humanen Technologie, kann man sich nur wundern, ob der Wunsch, Schweine, Ratten, Adler, Schwäne und andere „nichteinheimische“ Tiere auszumerzen, eher mit ihrer Abstammung zu tun hat, als mit den angeblich schädigenden, durch sie verursachten Auswirkungen. Die zuständigen Behörden haben einen besonderen Ehrgeiz darin entwickelt, jede Tierart zu vernichten, die für eine willkürlich festgelegte Zeitdauer hier noch nicht gewesen ist. (Markarian)

Ich zitiere hier sowohl Setnicka als auch Markarian deshalb so ausführlich, weil Pollan beachtlicherweise genau diesen Artikel, aus dem all die Zitate stammen, anführt, dabei aber all die dort getroffenen Aussagen ignoriert (Pollan 324). Mit anderen Worten war es also nicht so, dass die Seite der Befürworter des Programms zur Entfernung der Schweine sich der Kritik an dem Programm, in Hinsicht auf Tiere und Umwelt, nicht bewusst gewesen wären. Auch ist es wahrscheinlich, dass der Nature Conservancy die Kritikpunkte gekannt haben muss, da Setnicka zuvor als Superintendent des Channel Islands National Parks arbeitete und auf dem Gutachten als Kontaktperson angegeben war, das der Nature Conservancy als Grundlage zur Begründung der Entfernung der ausgewilderten Schweinepopulation verwendete (Reynolds et al. 2002). Was Pollan anbetrifft, so finden wir keine Erwähnung der Kritik. Und auch auf den Webseiten und Publikationen des Nature Conservancy ist eine Reaktion auf Kritik nicht zu finden (Nature Conservancy). Das heißt, während man sich der unterschiedlichen Kritikpunkte am ‚feral pig removal project’ in demonstrativer Weise bewusst zeigt, reagiert man darauf aber nur mit selektiver Ausblendung. Pollan zitiert sogar wortgetreu den ersten Teil des erwähnten Gastkommentars, ohne aber dabei einen weiteren Bezug zu nehmen auf den Rest und den Gesamtzusammenhang des Artikels. Er schreibt:

Ein Sprecher der Humane Society of the United States [Michael Markarian] behauptete in einer Gastkolumne [dieselbe, die das Zugeständnis von Tim Setnicka enthielt], dass „verletze Schweine und verwaiste Ferkel mit Hunden gejagt und schließlich mit Messern und Knüppeln getötet [würden].“ Bemerkenswert ist der rhetorische Wechsel in seinem Fokus, nämlich vom Schwein [der Spezies] – und das wäre auch, wie die Ökologen des Park Service uns die Angelegenheit vermitteln wollen – nun hin zum Bild einzelner Schweine, die verletzt und verwaist sind, und von Hunden und Knüppelschwingenden Männern gejagt werden. (Pollan 325)

Pollan erwähnt  nicht, dass der ehemalige Superintendent des Channel Islands National Parks zugesteht, dass das Programm nichts mit Umweltschutz zu tun hatte, dass die Humane Society of the United States einen anderen Lösungsansatz, mit dem Einsatz von Verhütungsmitteln und Sterilisation, zur Entfernung der Schweine vorgeschlagen hatte, dass vorausgegangene Bemühungen zur Ausmerzung von Spezies auf den anderen Inseln katastrophale Folgen hatten, oder dass verschiedene Gruppen den Einwand vorbrachten, dass die Argumente des Umweltschutzes, die der Nature Concservancy anführte, fadenscheiniger Natur wären (all das wurde in dem gleichen Artikel erwähnt). Stattdessen gibt Pollan vor, der einzige Kritikpunkt seitens der Tierrechtsaktivisten würde auf einer Unterscheidung zwischen dem Leid einzelner Tiere und dem einer Tierspezies basieren, auch wenn es ihm unmöglich gewesen wäre, den von ihm angeführten Teil des Artikels zu lesen, ohne dabei auf die anderen Kritikpunkte zu stoßen.

Solche Aussparungen überraschen nicht. Wie Jo-Ann Shelton [2], eine Professorin des Umweltstudienprogramms der University of California, Santa Barbara, dokumentierte, so ist das Ziel des Nature Conservancy (auf dem Pollan seine Argumentation aufbaut) nicht, ein Umweltgleichgewicht herzustellen, sondern alle postkolumbianischen Pflanzen- und Tierspezies zu eliminieren, ungeachtet der environmentalen Realitäten, die dabei eine Rolle spielen. Shelton drückt dies so aus:

Trotz seines Namens [der den Naturschutz suggeriert] plante der Nature Conservancy nicht einfach die Populationen präkolumbianischer Pflanzen und Tiere zu schützen und zu erhalten, sondern stattdessen eine präkolumbianische Landschaft wiedereinzuführen. Diese zwei Ziele ähneln sich, sind aber nicht identisch. Der Artenerhalt lässt das mögliche Zusammenleben von Spezies zu; eine Wiederherstellung hingegen bedeutet eine Art biologischer Säuberung – einen „Exorzismus gegen die exotischen, fremdartigen Lebewesen“ […], der erfordert, dass alle europäischen Elemente enfernt werden, um so eine archaische Szene wiederentstehen zu lassen. (Shelton 5)

Beide, der Nature Conservancy und Pollan, entschieden, obgleich sie sich der Kritik gegen die Tötung der Schweinepopulation bewusst waren, auf die vorgebrachten Einwände nicht einzugehen, da diese Kritik ihr vorgefasstes Umweltnarrativ ins Wanken gebrachte hätte.

Teil II: Fetische

Dennoch, während dieses Narrativ, das Pollan und der Nature Conservancy hier boten, faktisch unrichtig ist, haben wir es zugleich mit noch einigen tiefer liegenden Problemen zu tun, die ich hier anreißen will. Denn, während die wissenschaftlichen Argumente, die zur Legitimation der Tötung der Schweine angeführt wurden, pseudowissenschaftlich waren, bargen die echten Beweggründe zweierlei Aspekte. Zuerst herrschte da eine bestimmte Vorstellung darüber, was die „Wildnis“ konstituiert – „wilde“ Tiere, aber nicht „verwilderte“ Schweine, und zweitens lag eine speziesistische Voreingenommenheit gegen diejenigen Tiere vor, die für den heimischen Nahrungsmittelkonsum verwendet werden. Tatsächlich hinterließen die Spanier auf der Insel vor etwa hundertfünfzig Jahren, drei verschiedene Spezies: Pferde, Schafe und Schweine. Keines der Pferde wurde getötet (sie wurden alle weggebracht und man fand eine Unterbringung für sie); einige der Schafe wurden getötet, was aber zu Protesten führte, so trieb man die Schafe zusammen, töte sie nicht, sondern verkaufte sie stattdessen weiter an eine Lebensmittelverarbeitungsanlage; all die Schweine tötete man in einer äußerst brutalen Weise. So wurde jeder dieser gleichermaßen „verwilderten“ Spezies ein deutlich unterschiedlicher Wert beigemessen, anscheinend aber nicht basierend auf der Spezies an sich (Schweine sind gleichermaßen intelligent wie Schafe), sondern wegen ihres relativen sozialen Wertes für den amerikanischen Nahrungsmittelverzehr.

In der Tat wurde die „Überpopulation“ der ausgewilderten Schweine teils durch die Tötung/Entfernung der ausgewilderten Schafe verursacht, die man zuerst als das schlimmste ökologische Problem ansah. Sobald es dann keine Schafe mehr gab, mit denen sich Nahrung geteilt werden musste, löste dies mit eine „Explosion“ verwilderter Schweine aus, was heißt, dass das „Management“ und die Tötung einer Spezies, zu noch mehr Management und noch mehr Tötung führt.

Zudem brachte der Nature Conservancy, aufgrund seiner Erfahrung mit der Empörung wegen der „verwilderten“ Schafe, nun private Dienstleister aus Neuseeland (Prohunt Incorporated) mit ins Spiel. Diese sind im Wesentlichen ein globales kommerzielles Unternehmen zur Tierbekämpfung. Um die Schweine zu töten, gingen sie in folgender Weise vor:

  1. Sie errichteten Zäune über die ganze Insel verteilt, um übersichtliche Sektionen mit Fallen und Schusseinrichtungen zu schaffen;
  2. Sie setzten Hunde und Schusswaffen ein, um die Schweine zu jagen;
  3. Sie gingen in die Höhe, um die Schweine von Helikoptern aus zu jagen;
  4. Als das nicht (komplett) funktionierte, pflanzten sie den Schweinen GPS-Sender ein. Da Schweine von Natur aus soziale Wesen sind, würden sie sich gegenseitig aufsuchen. Sobald sie das taten, kamen die Dienstleister und töteten die Schweine. So wurde das soziale Verhalten der Schweine zu einer Waffe gegen sie umgewandelt;
  5. Als auch das nicht vollständig funktionierte, begannen sie damit (a) den gefangenen weiblichen Schweinen ihre Reproduktivorgane zu entfernen; (b) zwangen sie über chemische Manipulation ständig „in Hitze“ zu sein; (c) pflanzten ihnen GPS-Sender ein und (d) setzten diese Schweine ein, um die anderen anzuziehen, die dann getötet wurden. Diese Strategie, die die Bezeichnung „Judas-Schweine“ erhielt, erwies sich als höchst effizient und wurde dann am häufigsten eingesetzt (Macdonald 2008).

So wurden zwei gewaltsame Eingriffe gegen natürliche Vorgänge (Freundschaft und Paarung) chemisch, biologisch und mechanisch instrumentalisiert, um so angeblich die Natur zu „schützen“. Jede dieser Maßnahmen beinhaltete ein beachtliches Maß an ökologischen- und Umweltbeeinträchtigungen (Helikopter, Munition und die Einzäunung einer ganzen Insel), was keinerlei Beachtung oder Erwähnung fand, weder im gesamten Bericht von Prohunt, noch auf der Webseite des Nature Conservancy oder in der Arbeit Pollans oder irgendeines anderen Befürworters des Programms. Und in gleicher Weise wurde dem Leid der Schweine selbst keinerlei Aufmerksamkeit durch die Beteiligten gezollt. [3] Ironischerweise bildete die Angst, dass manche Leute sich wegen der Tiere Sorgen machen könnten, selbst die Rechtfertigung für diese enorme Brutalität. Sie mussten alle Schweine töten, bevor jemand darauf hinweisen könnte, was dort geschah. Der Bericht von Prohunt International formulierte es so: „Weil Tierkontrolle ein kontroverses Thema ist, gehen wir davon aus, das rechtliche Schritte gegen ein Vernichtungsprojekt eingeleitet werden könnten  […] Eine Klage oder ein Gerichtsverfahren könnten aber die vollständige Abwicklung des Projekts verhindern, und öffentlicher Druck kann die Entschlossenheit der Landverwalter zur Durchführung eines Projekts ins Schwanken bringen, auch wenn die Exterminierung zuvor als einzige Lösung für ein spezifisches Naturschutzproblem eingestuft wurde … Um solche Risiken zu vermeiden, müssen Vernichtungsprojekte effizient operieren, was die gründliche Planung und den vollen Einsatz der Organisation, die die Arbeiten im Feld durchführt, erfordert“ (Macdonald 8). In anderen Worten mussten Tiere vernichtet werden, um Tiere zu schützen, es musste Gewalt gegen die Natur ausgeübt werden, um die Natur zu schützen. Und schließlich liegen da noch die ziemlich eindeutigen Beweise vor, dass all die ökologischen Argumente gegen die Schweine (zum Schutze der Füchse, der Adler, usw.) selbst, entweder unwahr oder übertrieben waren, oder durch andere Optionen hätten gelöst werden können (Shelton; Reynolds; Markarian; Channel Islands Animal Protection Association). Es scheint stattdessen, dass die eigentlichen Motivationen ästhetischer Natur waren – die Tiere zu entfernen, weil sie den Besuchern als unnatürlich (verwilderte Schweine, Schafe und Pferde) erscheinen würden. Das heißt, die „Natur“ repräsentiert, immerhin in diesem spezifischen Falle, weniger eine Frage stabiler Ökosysteme, als einen edenhaften Mythos einer „unberührten“ und „unverdorbenen“ Wildnis. Die sichtbare Annäherung an diesen romantischen Mythos wurde erreicht durch eine chemisch induzierte Brunst, GPS-Ortung und Maschinengewehre (Macdonald). Was das Beispiel der Vernichtung ausgewilderter Schweine auf Santa Cruz Island zeigt, ist nicht der Schutz der Natur, sondern die Generierung einer Natur als käufliches und verkäufliches Produkt. Der Nature Conservancy ist, wobei er auch eine Nonprofit-Organisation ist, die vermögendste Umweltorganisation [weltweit], (hinsichtlich der Summe bestehend aus ihren Vermögenswerten, ihrer finanziellen Ausstattung und ihrem jährlichen Budget). Ihre Webseite listet mehr als 16 unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie Menschen ihre Arbeit mit Spenden unterstützen können (Nature Conservancy „Membership and Giving“). Selbst die Washington Post hat den Nature Conservancy als „einen unternehmerischen Giganten“ angesichts seiner Verbindungen und Ähnlichkeiten zu For-Profit-Organisationen bezeichnet. Die Post dokumentierte dies in einem detaillierten dreiteiligen Artikel über den Conservancy:

Der Nature Conservancy, mit seinem Hauptsitz in Arlington [Virginia] ist zur weltweit wohlhabendsten Umweltschutzgruppe angewachsen, mit einem Kapital von 3 Milliarden Dollar, mit denen sie versprechen, wertvolle Naturschauplätze zu erhalten. […] Doch betreibt der Conservancy auch Waldrodungen, wickelte einen 64 Millionen Dollar Handel ab, zur Errichtung eleganter Siedlungen in fragilen Graslandgebieten und bohrte nach Naturgasvorkommen unter den letzten noch bleibenden Brutstätten einer gefährdeten Vogelart. […] Zu seinem Führungsteam und seinem Beraterstab zählen inzwischen Manager und Direktoren verschiedener Ölunternehmen, Chemieproduzenten, Autohersteller, Minenkonzerne, Rodungsunternehmen und Kohlekraftwerke. Einige dieser Unternehmen haben schon Geldstrafen in Millionenhöhe wegen Umweltvergehen hinter sich. Letztes Jahr, spendeten sie und weitere Unternehmen 225 Millionen Dollar an den Conservancy – was ungefähr nochmal der Summe entspricht, die in dem Jahr von Einzelpersonen gespendet wurde. Heute ist der mehr als eine Millionen Mitglieder zählende Conservancy selbst so etwas wie ein Unternehmensgigant, groß und grün. Er ist auch der führende Befürworter der Sorte des Umweltschutzes, die für den Kompromiss zwischen Naturerhalt und Corporate America wirbt. (Ottoway und Stephens)

Ich sehe also in dieser Generierung von Natur ein vom Menschen hergestelltes Produkt des Konsums, eine Art des Warenfetisches. Es ist eine Verkehrung, denn normalerweise sehen wir in der Natur das Gegenteil eines vom Menschen hergestellten Produkts, und in der Tat hat dieser Wunsch, ein Naturpanorama als „durch Menschenhand unberührt“ zu verkaufen,  ganz offensichtlich dabei geholfen, der Tötung der Schweine von Santa Cruz an erster Stelle überhaupt einen Grund und einen Anreiz zu verschaffen. Und weil es hier um eine Art des Fetisches im Bezug auf einen Metagegenstand geht, ist es dieser Wunsch den Engen einer Menschengemachten und konsumeristischen Kultur zu entfliehen, um zur Idee einer edenhaften Wildnis zurückzukehren, der wiederum dem Wunsch zur Ausrottung der Schweine zu unterliegen scheint. In anderen Worten ist ironischerweise genau das Produkt, das nunmit selbst verkauft wird, der Wunsch, den Warenfetisch der Konsumkultur zu transzendieren, um zu einer vermeintlichen früheren Zeit der „Echtheit“ und „Authentizität“ zurückzukehren. Als solche übernimmt die „Natur“ die Funktion eines Produkts, aber eines Produktes, dass ständig gemanaged werden muss, in einer Art des „anthropozentrischen Umweltschutzes“, in dem der Mensch kontinuierlich im Mittelpunkt der Schöpfung gehalten wird, selbst wenn dabei jede Bemühung unternommen wird, die Dinge so erscheinen zu lassen, als würde die Schöpfung in eine durch Menschenhand unberührte Landschaft übergehen.

Der zweite wesentliche Punkt, den ich festhalten will, ist, dass dieser massenhafte Tod, die Schlachtung, Folter und Tötung von Tieren, allein über die Berufung auf eine Notwendigkeit des „Schutzes“, sowohl der Tiere als auch der natürlichen Welt, gerechtfertigt wird. Und als solche will ich diese, wenn auch falsche, angenommene Notwendigkeit zur Entfernung der verwilderten Schweine, auch im Zusammenhang lesen mit dem Locavorismus, oder der Praxis, sich von kleinen regionalen und „artgerechten“ Bauernbetrieben, die innerhalb eines begrenzten geographischen Umkreises liegen, zu ernähren. Wie ich zuvor bereits argumentierte (Stanescu, „Green Eggs and Ham“; „Why Loving Animals is not Enough“; „Crocodile Tears“), ist das Produkt, das die locavore Bewegung verkauft, selbst die Idee zur Rückkehr zu einer früheren Zeit der Authentizität, jenseits des Konsumerismus und des Warenfetisches. In der Tat liegt diese Verbindung zwischen verwilderten Tieren und sogenanntem artgerechten oder regional produzierten Fleisches, im Herzen von Pollans Arbeit. Er geht von einer „Symbiose“ aus, die die Menschen dazu zwingt, die Schweine zu töten (um die Füchse zu retten), und geht über in seine Behauptung, dass es da auch um eine „Symbiose“ gehe, wenn Bauern Tiere zum Zwecke des menschlichen Verzehrs aufziehen (Pollan 325). So fungiert das Argument im Bezug auf die verwilderten Tiere, in Wirklichkeit als eine Randbemerkung zum Beweis seines zentralen Arguments zur Begründung der Natürlichkeit des Fleischverzehrs. Und tatsächlich erscheint seine Diskussion über die verwilderte Schweinepopulation direkt vor einer Sektion mit dem Titel „The Vegan Utopia“ [Die vegane Utopie], die selbst den Hauptteil des Kapitels ausmacht (Pollan 325-327). Dieses zweite Argument bildet vielleicht das Hauptargument Pollans, dass – als eine Art ungeschriebener sozialer Kontrakt zwischen dem Menschen und den Tieren, die er isst – wir die Tiere füttern und uns um sie kümmern, und dadurch sind wir im Gegenzug dazu berechtigt, sie zu essen. So stellt auch seine Kritik an „Fabrikfarmen“ keinen Aufruf zur Beendigung allen Fleischverzehrs dar, sondern es ist nur ein Aufruf dazu, den Mangel an „Fürsorge“ für die Tiere zu beheben. Sein zugrundeliegendes Argument und die Art und Weise in der er imstande ist, von den verwilderten Tieren zur artgerechten landwirtschaftlichen Tierhaltung überzuleiten, basiert auf der zweiten Idee, die, so meine ich, seinen beiden Argumenten unterliegt: der Biopolitik, dem Argument also, dass die Menschen das Leben selbst verwalten müssten. Das heißt, der Grundgedanke scheint zu sein, dass die „Natur“ sich nicht um sich selbst kümmern kann, ohne ständige menschliche „Intervention“. Und trotzdem muss genau zur gleichen Zeit diese „Intervention“ kontinuierlich im Verborgenen gehalten werden. Gleich den unsichtbaren Händen der Märkte, die der fortwährenden menschlichen Regulation bedürfen, scheint dieser Aufruf – sowohl zur Entfernung der verwilderten Tiere als auch zur Aufzucht artgerechten Fleisches – in simultaner Weise die ständige Einmischung der Menschen innerhalb des sogenannten „Natürlichen“ zu fordern und zugleich zu leugnen.

So müssen wir, um diese Entfernung der Schweine von Santa Cruz zu verstehen, einen Warenfetisch und die Biopolitik in gegenseitiger Hinsicht betrachten. Der klassischen Idee des Warenfetisches zufolge kann die Arbeitskraft zur Herstellung eines Gegenstandes im Verborgenen liegen, so dass ein Produkt erscheinen kann, als wäre es ohne Arbeit entstanden, fast wie durch Magie. (Unser neuer Apple-Computer wirbt damit, dass er „in Kalifornien entworfen“ worden sei, während er vollständig in China zusammengesetzt wurde, von Arbeitern, die immerhin formell Verträge unterzeichnen mussten, dass sie keinen Selbstmord begehen würden [Daily Mail; Horn]). Und so verschwindet auch die Arbeit, die dieses Land produziert: Prohunt – die Tötung und all das, haben zu verschwinden. Doch im klassischen Warenfetischismus besteht immerhin die Idee, dass man tatsächlich irgendetwas erwirbt; es wird tatsächlich ein Produkt gekauft, eine Ware, gleichwie entfernt von der Arbeit, die dieses Produkt herstellte diese Ware nun auch ist (d.h. wir erkennen immerhin, dass wir einen Computer erwerben, egal wie entfernt er von den Arbeitsbedingungen ist, die ihn produziert haben). Jedoch, in diesem neuen Post-Warenfetischismus, ist das, was verborgen ist, nicht nur (oder in wichtigster Weise) der Arbeitsaspekt, den die Ware beinhaltet, sondern schlichtweg die Idee, dass jemand überhaupt eine Ware erwirbt. So stellt diese vermeintliche edenhhafte Ansicht von Santa Cruz Island – die in erster Linie vom Nature Conservancy besessen und privat verwaltet wird – sich in keiner Weise als ein Produkt dar, sondern erscheint einfach als eine Rückkehr zur „Natur“. Und so muss auch der Gewalt, als inhärenter Teil der Herstellung, des Erhalts und der Optimierung dieser generierten und vermarkteten Ansicht, selbst eine natürliche oder in anderen Worten biopolitische Gültigkeit inskribiert werden. Es kommt zu der nicht eingrenzbaren Fiktion, dass die technologische Gewalt, die in der Tötung sogenannter invasiver Spezies der Regelfall ist, schlichtweg eine Rückkehr zur Natur darstellt, unter Zuhilfenahme der Behauptung, dass der Nature Conservancy nicht gewaltsam in die Natur eingreife, sondern stattdessen eine Wiederherstellung – fast eine Wiedergutmachung für einen früheren Verstoß gegen die Natur – betreibe, indem eine verwilderte Spezies entfernt wird, um die Insel in ihren früheren Zustand zu versetzen. Die Logik der Biopolitik (dass der Mensch das Leben selbst verwalten und schützen muss) dient als Rechtfertigung zur Erzeugung eines Warenfetisches, während diese Logik eines Warenfetisches – und in der Tat haben wir es nun mit einem Post-Warenfetischismus zu tun – (die Natur erscheint wie durch Magie, nicht allein nicht vom Menschen gemacht, sondern noch nicht einmal vom Menschen verkauft) die Funktionen des biopolitischen Managements verbirgt. Der Nature Conservancy kann nun behaupten, was er auch gegenwärtig auf seiner Webseite tut, dass „einst kurz vor dem ökologischen Kollaps stehend, […] Santa Cruz Island nun seinen Besuchern einen Eindruck davon [bietet], wie Südkalifornien vor hunderten Jahren einmal ausgesehen haben muss“ (Nature Conservancy “Santa Cruz Island”). Das Produkt, das hier verkauft wird, ist genau die Fähigkeit, simultan eine Zeitreise anzutreten, zum Punkte bevor jegliche menschliche Intervention und Kontrolle stattfand, und zugleich die Wiedergutmachung eben des Umweltschadens, der durch die menschliche Kontrolle verursacht worden ist, und nicht mit weniger menschlicher Herrschaftsausübung und Kontrolle, sondern mit immer mehr davon.

Teil III: Die menschliche Bürde

Schließlich besteht da, so denke ich, ein noch weitaus tiefer liegender Grad an Verleugnung und an vermeintlichem Wiedergutmachungswillen, der sich hinter dieser edenhaften Fassade verbirgt, spezifisch in der Hinsicht, dass die Haupttreiber, sowohl in der Speziesvernichtung als auch beim Verlust an Biodiversität, nicht verwilderte Schweine sind, sondern der globale Fleischkonsum. Die Vereinten Nationen formulierten es zuerst im Jahr 2006 [eine Situation die sich seither nur verschlimmert hat]:

Nutztiere machen heute 20 Prozent der gesamten tierischen Biomasse der Welt aus, und 30 Prozent der Landfläche der Erde, die sie nun an Platz einnehmen, bildete zuvor den Lebensraum wildlebender Tier- und wilder Pflanzenarten. Der Sektor landwirtschaftlicher Tierhaltung ist mit aller Wahrscheinlichkeit Hauptverursacher des Verlusts an Biodiversität, da er Haupttreiber in der Entwaldung ist, sowie einer der Hauptverursacher von Landdegradation, Umweltverschmutzung, des Klimawandels, der Überfischung, der Sedimentierung von Küstengegenden und der Begünstigung des Eindringens fremder Spezies. (Steinfeld et al. xxiii)

Ich möchte also diesen Diskurs bezüglich der Tötung verwilderter Tiere im Zusammenhang mit dem Diskurs über die artgerechte Viehwirtschaft betrachten. In Wirklichkeit werden Tiere aus vermeintlich humaneren, sog. artgerechten Haltungsbedingungen immernoch genetisch manipuliert, grob misshandelt und im Babyalter in industriellen Schlachthäusern getötet (Stanscu, „Green Eggs and Ham“; „Why Loving Animals in Not Enough“; „Crocodile Tears“). Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre, so wäre diese Praxis immernoch praktisch irrelevant, da 99,9 Prozent aller Tiere, die zu landwirtschaftlichen Zwecken gehalten werden, unter den Bedingungen von Fabrikfarmen bzw. in der Massentierhaltung aufgezogen werden (Farm Forward). Ich habe daher auch zuvor argumentiert (Stanescu und Pedersen, „The Future of Critical Animal Studies“), dass der ganze Reiz oder die ganze Nützlichkeit eines locavoren Produkts darin liegt, die beinahe universelle Realität des Fabrikfarmensystems zu maskieren, und, was noch wichtiger ist, die Realität der harten Wahl, die getroffen werden muss, zu maskieren – dass es im Wesentlichen nämlich unmöglich ist, Fleisch und Ethik, beides zu haben. In anderen Worten: das, was die Verbraucher zu einem erhöhten Preis kaufen, ist nicht das Fleisch per se, sondern das Vergessen, dass eine Wahl getroffen werden musste. Und als solche dienen diese wenigen Vorzeigetiere, die auf den vermeintlich humaner oder artgerecht betriebenen Höfen leben, in einer Art symbolischer Stellvertretung der Wiedergutmachung, vergleichbar mit der sonderbaren Praxis der Präsidenten der Vereinigten Staaten, einen Truthahn vor Thanksgiving, zu dem in den USA Millionen Truthähne getötet werden, zu begnadigen (Fiskesjö). In ähnlicher Weise agieren diese Höfe, als begnadigten sie symbolisch einige wenige Tiere, um eine Wiedergutmachung für die schätzungsweise 70 Milliarden Tiere zu betreiben, die nun bald weltweit fast ausschließlich unter Farbrikfarmbedingungen getötet werden.

Der letzte Gesichtspunkt, unter dem ich die Tötung der Schweine auf Santa Cruz Island betrachten möchte, ist die symbolische Wiedergutmachung und die Verleugnung, die – wie in der locavoren- oder der Bewegung zur artgerechten Haltung – stattfindet, um die Realität zu verbergen, dass tatsächlich der einzige größte Treiber für einen Artenverlust und das Artensterben, nicht Schweine sind, sondern Menschen, und spezifisch der unersättliche Fleischkonsum der Menschheit. In der Tat funktioniert diese Verleugnung sehr gut, da sie die Tötung von Tieren erforderlich erscheinen lässt und vermeintlich rechtfertigt, wobei es in Wirklichkeit die Aufzucht und die Tötung von Tieren, so wie von Schweinen ist, die selbst genau diese Epidemie des Artensterbens bedingt, und die durch diese Morde wiedergutgemacht werden sollen. So ist, gemäß einer perfekten anthropozentrischen Logik, die Ursache des Verschwindens von Spezies, vom Menschen auf die Tiere selbst verlegt worden, und hierbei kann der Mensch nun, über Biopolitik und Warenfetisch, zuhilfe eilen, um „Rettungsmaßnahmen“ einzuleiten. Wir haben den Begriff „[der] Bürde des weißen Mannes“ (Stanscu, „’Man’s’’ Best Friend“), und bei dieser Art der Vernichtung, denke ich, können wir von einer Art der „menschlichen Bürde“ sprechen, in der unser Herrschaftsanspruch nun einfach unter der Logik schützender Fürsorge weiterläuft. Wir müssen die natürliche Welt kontrollieren, um sie so zu Retten, und wir müssen Tiere töten, um sie so zu schützen. Und ähnlich wie im Falle des Kaufs artgerechten Fleisches, ist der Reiz der Vernichtungsbemühungen des Nature Conservancy, dass man sich simultan den Weg aus dem Warenfetisch hinauskaufen kann, sich aus der Logik der Biopolitik hinaustöten kann, und, irgendwie aus dem anthropozentrischen Paradigma hinausdominieren kann.

Anmerkungen

[1] Donna Haraway erwähnt in ihrem Text When Species Meet ebenso die ausgewilderten Schweine auf Santa Cruz. Ihre Umgangsweise mit dem Thema ist jedoch komplexer als die von Pollan, auf die ich mich in dieser Präsentation konzentrieren will. Haraways Interesse bezieht sich auch auf die symbolische Wichtigkeit, die dieser besondere Fall trägt, da sich nun unterschiedliche Wissenschaftler mit ihm auseinandergesetzt haben, um ein vermutetes Spannungsfeld zwischen Tierrechten und dem Umweltschutz genauer zu betrachten.

[2] Ich möchte dabei auf den Blog „Say What, Michael Pollan?“ von Adam Merberg hinweisen, einem Mathematik-Doktoranden von der Univesity of California, Berkeley. Ich danke Merberg insbesondere für seine Erwähung des Artikels von Jo-Ann Shelton, den ich ohne seinen Blog vielleicht nicht entdeckt hätte. Merberg weist auch auf den Fehler Pollans hin, sich nicht an die Bedeutung des originalen Gastkommentars, im Bezug auf die invasiven Spezies, zu halten; eine Schlussfolgerung, zu der ich ebenso gelangte. Es ist auch beruhigend zu wissen, dass er Pollans Auslassung des Rests von Markarians Kommentar ebenso problematisch empfunden hatte.

[3] Wie bereits zuvor erwähnt, gab der Nature Park Service, bevor das Projekt gestartet wurde, einen Bericht zu Prüfung der environmentalen Auswirkungen in Auftrag. Dieser Bericht wurde also in Auftrag gegeben, bevor man mit dem Projekt begonnen hatte, nicht danach. Er ließ als solcher verschiedene der hauptsächlichen von Prohunt eingesetzten Praktiken aus, einschließlich den Einsatz von „Judas Schweinen“ (Reynolds et al 2002).

Literaturangaben

Channel Islands Animal Protection Association. “Channel Islands National Park Ex-chief Hits Cruelty of Killing ‘invasive species,’” Animal People, April 2005. Web.

Daily Mail Reporter. “You are NOT allowed to commit suicide: Workers in Chinese iPad factories forced to sign pledges,” Daily Mail, May 1, 2011. Web.

Farm Forward, “Food Choices” Accessed on May 17, 2011. Web.

Fiskesjö, Magnus. The Thanksgiving Turkey Pardon, the Death of Teddy’s Bear, and the Sovereign Exception of Guantanamo. Chicago: Prickly Paradigm Press, 2003. Druckausgabe.

Haraway, Donna J. When Species Meet. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2008. Druckausgabe.

Horn, Leslie. “Foxconn Employees Forced to Sign ‘No Suicide’ Pledge,” PCMag. May 2, 2011. Web.

Macdonald, Norm & Kelvin Walker. “A New Approach for Ungulate Eradication; A Case Study for Success,” Prohunt Incorporated, February 2008. Druckausgabe.

Markarian, Michael. “Pig Eradication Plan Out of Control,” San Francisco Chronicle. May 22, 2005. Web.

Merberg, Adam. “The Pigs of Santa Cruz Island,” Say what, Michael Pollan? July 7, 2010. Web.

National Park Service. “Restoring Santa Cruz Islands,” August, 2008. Web.

Nature Conservancy, “Membership and Giving,” Accessed on April 11, 2014. Web.
— “Santa Cruz Island:” Places We Protect. Accessed on April 11, 2014. Web.

Ottaway, David B. and Joe Stephens, “Nonprofit Land Bank Amasses Billions,” Washington Post, May 4, 2003. Online.

Pollan, Michael. The Omnivore’s Dilemma: A Natural History of Four Meals, New York: Penguin Books, 2006. Druckausgabe.

Reynolds, John; National Park Service; Tim Setnicka. “Final Environmental Impact Statement,” Santa Cruz Island Primary Restoration Plan, June, 2002.

Shelton, Jo-Ann. “Killing Animals That Don’t Fit In: Moral Dimensions of Habitat Restoration,” Between The Species, Issue IV, August, 2004. Druckausgabe.

Steinfeld and others, Livestock’s Long Shadow: Environmental Issues and Options, Rome, Italy: Food and Agriculture Organization of the United Nations, 2006. Druckausgabe.

Stanescu, Vasile. “Crocodile Tears: Compassionate Carnivores and the Marketing of ‘Happy Meat’” in Critical Animal Studies, Canadian Scholars Press, (2014): 216
–“Green Eggs and Ham: Michael Pollan, Locavores, and the Myth of Environmentally Sustainable Meat,” The Journal of Critical Animal Studies, VII. 3 (2009): 18-55.
–“Man’s’” Best Friend: Why Human Rights Need Animal Rights,” The Journal of Critical Animal Studies Special Issue: Animals and Prisons, (2012): 66-97.
–‘Why ‘Loving’ Animals is Not Enough: A Response to Kathy Rudy, Locavorism, and the Marketing of“ Humane” Meat,” The Journal of American Culture, Vol. 36 (2013): 100–110.
Stanescu, Vasile and Helena Pedersen. “The Future of Critical Animal Studies: From the Margins to the Center” in The Future of Critical Animals Studies: A Reader, Routledge (im Erscheinen).

Zum Autor
Vasile Stanescu promoviert an der Standford University im Program of Modern Thought and Literature. Er ist Mitherausgeber der Critical Animal Studies Book Series, des Journal for Critical Animal Studies und Mitorganisator und Mitbegründer des Stanford Environmental Humanities Project. Seine gegenwärtige Forschung konzentriert sich auf den Schwerpunkt der Intersektionen zwischen Tierrrechten und Umweltschutz.

Übersetzung
Gita Yegane Arani-May, www.simorgh.de – ‚Open Access in der Tier-, Menschen- und Erdbefreiung’. Revised 6/2014.

Zitation
Stanescu, Vasile (2014). Präsentation: Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten. TIERAUTONOMIE, 1(1), URL: http://simorgh.de/tierautonomie/JG1_2014_1.pdf.

TIERAUTONOMIE (ISSN 2363-6513)

by-nc-nd.eu

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

Leser_innen dürfen diese Publikation kopieren und verbreiten, solange ein Verweis auf den/die Autor_innen und das Journal TIERAUTONOMIE gegeben wird. Die Verwendung ist ausschließlich auf nicht-kommerzielle Zwecke eingeschränkt und es dürfen keine Veränderungen am Textmaterial vorgenommen werden. Weitere Details zu dieser Creative Commons Lizenz findet sich unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/. Alle anderen Verwendungszwecke müssen von dem/den Autor_innen und den Herausgeber_innen von TIERAUTONOMIE genehmigt werden.

 

Will Potter: Die problematische Taktik der Kriminalisierung gewaltfreier Proteste. TED-Rede vom März 2014.

Will Potter speaks at TED Fellows Retreat – August 26-30, 2015, Asilomar Conference Grounds, Pacific Grove, CA. Photo: Ryan Lash/TED

Die problematische Taktik der Kriminalisierung gewaltfreier Proteste

Will Potter

TED-Rede vom März 2014. Quelle:http://www.ted.com/talks/will_potter_the_shocking_move_to_criminalize_non_violent_protest. Übersetzung der Transskripts: Palang LY (NiceSwine.Info), mit der freundlichen Genehmigung von Will Potter.

Dieser Text als PDF

Im Jahr 2002 entschied der Investigativjournalist und TED-Fellow Will Potter, eine Pause einzulegen von seiner alltäglichen Routine Artikel über Schießereien und Mordfälle für die Chicago Tribune zu schreiben, Er half einer lokalen Gruppe bei ihrer Kampagne gegen Tierversuche: „Ich dachte das sei ein sicherer Weg um etwas Positives zu leisten,“ erinnert er sich; er wurde stattdessen festgenommen, und so begann seine fortdauernde Reise in eine Welt, in der friedvolle Proteste als Terrorismus gebrandmarkt werden.

Diese Rede wurde bei einer offiziellen TED-Konferenz aufgezeichnet und wurde von den Herausgebern der TED-Webseite gefeatured.

0:11 – Es war vor weniger als genau einem Jahr nach dem 11. September 2001. Ich schrieb zu der Zeit für die Chicago Tribune über Schießereien und Mordfälle, und fühlte mich dadurch ziemlich belastet und deprimiert. Im College war ich bereits als Aktivist tätig gewesen, und so entschied ich, einer lokalen Gruppe beim Verteilen von Flugblättern gegen Tierversuche zu helfen. Ich dachte das wäre ein sicherer Weg etwas Positives zu leisten, aber leider hatte ich absolutes Pech gehabt und wir wurden allesamt festgenommen. Die Polizei machte, als Beweismittel gegen mich, dieses verschwommene Foto von mir, dabei, wie ich Flugblätter in der Hand halte.

0:40 – Die Anklage gegen mich wurde fallen gelassen, doch einige Wochen später klopften zwei FBI-Agenten an meiner Tür und sagten mir, dass, wenn ich ihnen nicht dabei helfen würde einige solcher Protestgruppen auszuspionieren, sie mich auf eine Liste heimischer Terroristen setzen würden. Ich würde nun gerne behaupten können, dass ich nicht völlig verunsichert war, aber ich hatte Angst. Und als mich dann schließlich meine Angst verließ, packte mich die Leidenschaft herauszufinden, wie dies geschehen konnte, wie Tierrechts- und Umweltaktivisten, die niemanden jemals verletzt hatten, vom FBI als heimische Terrorgefahr Nummer eins eingestuft werden konnten.

1:11 – Einige Jahre später wurde ich eingeladen vor dem Kongress über meine Recherchen zu sprechen. Ich sagte den Abgeordneten, dass in dem Moment, in dem wir alle darüber reden „grün“ zu werden, einige Menschen ihr Leben dabei riskieren, Wälder zu schützen und Öl-Pipelines zu stoppen. Diese Menschen stellen ihren Körper zwischen die Harpunen von Walfängern und die Wale. Es sind gewöhnliche Menschen, wie diese Demonstranten in Italien, die spontan über die Stacheldrahtzäune kletterten um Beagle von Tierversuchen zu retten. Und diese Bewegungen sind seit ihrer Existenz außerordentlich effektiv und populär gewesen, und es muss auch diesem Grund gewesen sei, weshalb ihre Gegner im Jahr 1985 ein neues Wort erfunden haben: „Ökoterrorismus“, damit wir unsere Ansichten über sie verändern. Diese Bezeichnung wurde einfach erfunden.

1:54 – Und so haben nun also diese unterschiedlichen Unternehmen neue Gesetzgebungen, wie den Animal Enterprise Terrorism Act, unterstützt, Gesetzgebungen, die den Aktivismus zu Terrorismus umdeuten, wenn er für sie einen Verlust an Profiten verursacht. Die meisten Leute haben von diesem Gesetz noch nie etwas gehört, so auch einige Abgeordnete des Kongresses nicht. Weniger als ein Prozent von ihnen waren anwesend, als das Gesetz im Haus erlassen wurde. Der Rest von ihnen befand sich gerade draußen bei einem neu eingeweihten Ehrenmahl. Sie priesen dort Dr. King – doch  seine Art des Aktivismus wäre als Terrorismus gebrandmarkt worden, wenn er im Namen der Tiere oder der Umwelt stattgefunden hätte.

2:25 – Die Unterstützer dieser Gesetzte sagen, dass solche Gesetze gebraucht werden wegen der Extremisten: den Randalierern, den Brandstiftern, den Radikalen. Aber genau in diesen Tagen beraten sich Unternehmen wie TransCanada mit der Polizei, in Präsentationen wie diesen hier, um gemeinsam zu eruieren, wie man gewaltfreie Demonstranten strafrechtlich als Terroristen verfolgen kann. In den Schulungsmaterialien des FBI über den Ökoterrorismus, geht es nicht um Gewalttätigkeiten, sondern um Public Relations. Heutzutage drängen Unternehmen verschiedener Länder auf Neuerungen in den Gesetzgebungen, damit das Fotografieren der Gewalt gegen Tiere, in deren Landwirtschaftsbetrieben, illegal wird. Der letzte dieser Fälle fand gerade vor zwei Wochen im Bundesstaat Iowa statt, und heute haben wir eine Klage eingereicht, in der wir die Gerichtsentscheidung als unkonstitutionell und Gefährdung der Pressefreiheit anfechten.

3:07 – Der erste Fall in der Reihe solcher Strafverfolgungen im Namen dieser sog. Ag-Gag Laws [„Knebelgesetze“] betraf eine junge Frau namens Amy Meyer. Amy sah von einer öffentlichen Straße aus, wie eine kranke Kuh, außerhalb eines Schlachthauses, mit einem Bulldozer verfrachtet wurde, und sie tat, was wir wohl alle getan hätte: sie filmte diese Szene. Als ich von ihrem Fall erfuhr, schrieb ich darüber, und innerhalb von 24 Stunden daraufhin entstand solch eine Empörung, dass die Staatsanwaltschaft alle Anklagen gegen sie fallen ließ.

3:32 – Aber scheinbar wird selbst die Öffentlichmachung solcher Geschehnisse als eine Bedrohung eingestuft. Über den Freedom of Information Act habe ich erfahren können, dass die Antiterroreinheit meine journalistische Tätigkeit und solche Reden wie diese hier überwacht. Sie haben sogar eine kurze Rezension meines Buches in den Akten. Sie beschrieben es als „überzeugend und gut geschrieben.“ (Applaus) Das wäre bestimmt etwas für den Klappentext meines nächsten Buches, oder nicht?

3:57 – Der Sinn und Zweck all dessen ist es, uns Angst einzujagen, aber als Journalist bin ich fest von der Macht der Aufklärung überzeugt. Unsere beste Waffe ist das Tageslicht.

4:08 – Dostojewski schrieb einmal, dass die ganze Arbeit des Menschen darin besteht, zu beweisen, dass er ein Mensch und keine Klaviertaste ist. Immer und immer wieder durch die Menschheitsgeschichte hindurch, haben Menschen, die sich an der Macht befanden, die Angst eingesetzt, um Wahrheit und den Widerspruch zum Schweigen zu bringen. Es wird Zeit, dass wir einen neuen Ton anschlagen.

4:23 – Ich danke Ihnen.

4: 25 – (Applaus)

Anmerkungen und Verweise des Redners

Relevante Verweise und Quellen mit ergänzenden Erklärungen, http://www.ted.com/talks/will_potter_the_shocking_move_to_criminalize_non_violent_protest/citations.

00:25 – Will Potter, Green Is the New Red (http://www.greenisthenewred.com), City Lights Publishing, 2011.

Das erste Kapitel meines Buches befasst sich mit diesem Besuch des FBI im Detail, den Folgen dessen, und wie dies meine weiteren Nachforschungen über den sog „Ökoterrorismus“ beeinflusst hat. Das Kapitel kann auf der Verlagsseite gedownloaded werden:

http://www.citylights.com/resources/download.cfm?GCOI=87286100839230&thefile=GreenNewRedExcerptCL.pdf

00: 52 – “U.S. Government Watchlisting,” American Civil Liberties Union, März 2014.

Gegenwärtig sind schätzungsweise 900.000 Personen auf diesen Antiterrorlisten verzeichnet, die basierend auf geheimen Standards und geheimen Beweismaterialien erstellt werden.

01:06 – Jerome P. Bjelopera, “The Domestic Terrorist Threat,” Congressional Research Service, 15. Mai 2012.

Wie alle sozialen Bewegungen setzen sich die Tierrechts- und die Umweltschutzbewegung aus legalen und illegalen Elementen zusammen. Die radikaleren Gruppen, wie die Animal Liberation Front und die Earth Liberation Front, haben Sabotageakte an öffentlichen Einrichtungen und privatem Besitz durchgeführt, Tiere gestohlen und im Namen ihrer Ziele Brandstiftung begangen. Jedoch, ungleich zu einigen anderen Bewegungen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, zielen diese auf die Beschädigung und Zerstörung von Gegenständen ab, machen aber halt von der Verletzung und Gefährdung von Menschen.

Wie der überparteiliche Congressional Research Service bemerkt, „[zeigt] diese Art der Abwägung, dass die Verbrechen, die die Tierrechtsextremisten und die Ökoterroristen begehen, nicht mit den eindeutig gewalttätigen Attacken von Gruppen wie der al-Qaida verglichen werden können.“

01:09 – Henry Schuster, “Domestic Terror: Who’s Most Dangerous?,” CNN.com, 24. August 2005.

Im Jahr 2003 prüfte das Office of the Inspector General des Justice Department das FBI, und teilte der Behörde mit, sie sollten es unterlassen, Tierrechts- und Umweltaktivisten wie Terroristen zu behandeln. Das FBI solle sich auf gewaltsame Bedrohungen konzentrieren. Das FBI lehnte die Empfehlung ab.

Währenddessen dokumentierte ein Forschungsbericht des West Point Combating Terrorism Center einen Anstieg rechter Gewalt um 400 Prozent seit dem Jahr 1990. Das sind 190 Verletzte und 30 Tote jährlich, doch werden diese Straftaten vom FBI nicht als „Terrorismus“ klassifiziert. So erklärt das FBI für die drei Jahren nach 9/11 beispielsweise, dass jeder Akt heimischen Terrorismus, außer einem Fall, ausschließlich die Arbeit von „Ökoterroristen“ gewesen sei; nach Angaben von West Point resultierte die Gewalt durch rechte Straftaten in dieser Zeitspanne in 283 Verletzten und 71 Toten.

01:15 – Will Potter, “Congressional Testimony on the Animal Enterprise Terrorism Act,” Committee on the Judiciary, U.S. House of Representatives, 23. Mai 2006.

Ich wurde eingeladen um über meine Berichte, als der einzige Zeuge, der sich gegen den Animal Enterprise Terrorism Act aussprach, auszusagen. Dies ist das ganze Transkript der Anhörung und meine schriftliche Zeugenaussage.

01:20 – Acht Leute sind 24 Meter hoch in die Bäume geklettert um die Errichtung der Keystone XL Pipeline in Texas zu verhindern. Gewaltlose Taktiken wie diese werden auch angewendet um gegen Entwaldung zu kämpfen. Wenn die Holzfäller die Bäume dennoch fällen, können die Protestierenden dabei zu Tode kommen.

01:26 – Die Sea Shepherd Conservation Society blockiert den illegalen japanischen Walfang im Südpolarmeer. Auf diesem Foto lenken einige Freiwillige ein kleines Schlauchboot, das man auch einen Zodiac nennt, zwischen die Harpune der Walfänger und die Wale, in der Hoffnung das Töten dadurch zu verhindern.

01:37 – Eine Demonstration in Italien gegen Green Hill – eine Einrichtung, in der Hunde für Versuchslaboratorien gezüchtet werden –, wandelte sich spontan zu einer Rettungsaktion, die am helllichten Tage stattfand, als dutzende Aktivisten mehr als 40 Hunde befreiten, die sonst zu Tierversuchszwecken eingesetzt worden wären.

01:45 – Lisa Levitt Ryckman, “Environmental ‘Warriors’ Use Radical Tactics to Make Point,” The Los Angeles Times, 26. Januar 1986.

Die “Ökoterrorismus”-Rhetorik tauchte zuerst in den 1980ern auf, als die Öffentlichkeit und die Mainstream-Presse selbst radikaleren Demonstrationspraktiken mit Sympathie begegneten. Ein Beispiel dessen ist dieser Artikel aus der Los Angeles Times von 1986.

01:51 – Ron Arnold, “Eco-Terrorism,” Reason, Februar 1983.

Ron Arnold behauptet (stolz), dass er den Begriff “Ökoterrorismus” erfunden hat.

02:00 – “The Animal Enterprise Terrorism Act,” United States Congress, 3. Januar 2006.

Hier ist eine Übersicht über das Gesetz auf der Seite Jurist.org, die zeigt, wie dieses Gesetz funktioniert und weshalb Bürgerrechtler es ablehnen. Der Center for Constitutional Rights hat gerade eine Klage vor dem First Circuit Court of Appeals eingereicht, in der die Konstitutionalität des Gesetzes angezweifelt wird.

02:12 – Will Potter, “The Green Scare,” Vermont Law Review 2009.

Das Gesetz des Animal Enterprise Terrorism Act wurde im Repräsentantenhaus unter der Verwendung eines Verfahrens erlassen, dass sich „suspension of the rules“ nennt, und eine Sonderregelung schafft, in der die Gesetzesverabschiedung vereinfacht wird. In der gleichen Woche setze man das Verfahren noch einmal ein, um mehr Zeit dafür zu haben, den St. Louis Cardinals für ihren Sieg bei den World Series zu gratulieren.

02:23 – Rep. Bobby Scott, Speaking on Animal Enterprise Terrorism Act, House Session, C-SPAN, 13. November 2006.

Selbst Ünterstützer des Gesetzes, wie der Abgeordnete Bobby Scott aus dem Bundesstaat Virginia, räumen ein, dass es so weit gefasst ist, dass es dadurch auch leicht in Fällen zivilen Ungehorsams eingesetzt werden könnte. Im Repräsentantenhaus sagte Scott: „Es gibt Menschen, die überzeugt sind, dass sie eine Pflicht haben, friedlich gegen ‚animal enterprises’ [Unternehmen, die Tiere zu wirtschaftlichen Zwecken halten] zu protestieren, und das bis zu einem Grad, der sie an Akten des zivilen Ungehorsams teilnehmen lässt. … Während Verluste an Profiten, an der Anzahl von Versuchen in Laboratorien oder andere nicht kalkulierbare Verluste dazu zählen, muss aber bewiesen werden können, dass diese Verluste [seitens der Demonstranten] intendiert waren, um das Gesetz zu Anwendung zu bringen.“

In anderen Worten dürfen diejenigen, die der Überzeugung sind, es sei ihre Pflicht an friedlichen Protesten mit Mitteln des zivilen Ungehorsams teilzunehmen, als Terroristen bezeichnet werden, aber nur, wenn sie darauf abzielen, dem Unternehmen einen finanziellen Schaden zuzufügen. (Die zitierte Stelle beginnt in der 46:25 Minute)

02:38 – Will Potter, “TransCanada Is Secretly Briefing Police About Keystone XL Protests and Urging Terrorism Prosecutions,” Green Is the New Red, 12. Juni 2013.

Das Briefing bemerkt, dass die Demonstranten “[…] der Polizei sagten, dass sie friedvoll seien und es dann auch blieben.“ TransCanada hat sogar ein eigenes Slide nur für [die an Protesten teilnehmende Schauspielerin] Daryl Hannah.

02:49 – Juliet Eilperin, “As Eco-Terrorism Wanes, Governments Still Target Activist Groups Seen as Threat,” The Washington Post, 10. März 2012.

Wie die Washington Post berichtet, haben das FBI und die regionalen Polizeibehörden diese Richtlinien beibehalten, obgleich die von den betreffenden Gruppen begangenen Straftaten inzwischen abgenommen haben. Derzeit bezeichnen diese FBI-Schulungsmaterialien den „Ökoterrorismus“ als einen „Krieg der Public Relations.“

03:00 – Legalising Animal Abuse?, Al Jazeera, 10. April 2013.

Die Ag-Gag Laws [Knebelgesetze] erklären das Fotografieren in Massentierhaltungen und Schlachthöfen zu einer Straftat. Einige Versionen des Gesetzes verbieten sogar das Weiterleiten von Film- und Bildmaterialien, die solche Tiermisshandlungen zeigen, an die Medien. Solche Gesetze wurden in mehreren US-Bundesstaaten verabschiedet und werden derzeit in Australien debattiert.

03:07 – Christopher Zara, “Ag Gag Law in Idaho Sparks ACLU Lawsuit and Fierce Battle Over Press Freedom, Animal Rights and Food Safety,” International Business Times, March 19. März 2014.

Ich trete in diesem Fall als Kläger auf, als ein Journalist, dessen Arbeit in direkter und unkonstitutioneller Weise von den Knebelgesetzen betroffen ist. Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass sechzehn Organisationen professioneller Journalisten – einschließlich des National Public Radio (NPR) und des Reporters Committee for Freedom of the Press – einen Amicus-Curiae-Brief in Unterstützung unseres Falles verfasst haben.

03:18 – Eli Epstein, “Nation’s first ‘ag gag’ prosecution dismissed in Utah,” MSN, 1. Mai 2013.

Als der Gesetzentwurf des Bundesstaates Utah für ein Knebelgesetz besprochen wurde, warnte die Utah Sentencing Commission, das Gesetz könne gegen jeden angewandt werden, der schlichtweg ein Foto von einem Schlachthof macht. Der Abgeordnete Greg Hughes aus Draper, Utah, antwortete derzeit auf diesen Einwand: „Aber wer würde das im Sinne einer Anklage schon verfolgen?“

Amy Mayer wurde verklagt – und zwar in Draper – und der Fall betraf genau solch ein Szenario. Es war der erste Fall einer Klage im Sinne der Ag-Gag Laws in Lande. Nur 24 Stunden nachdem ich über den Fall berichtet hatte und es zu massiver öffentlicher Empörung kam, ließ man die Klage fallen. Ich veröffentliche später noch ihr zusätzliches Videomaterial, aus dem eindeutig erkennbar wird, dass sie sich auf öffentlichem Boden befand, als sie filmte, wie die kranke Kuh von einem Traktor transportiert wurde.

03:42 – Will Potter, “Counter-Terrorism Unit Keeps Files on Journalists,” Green Is the New Red , 26. July 2012.

In dieser Sache geht es leider um mehr als nur die Dokumente der Antiterroreinheit. Ich habe mit Ryan Shapiro, einem Doktoranden am MIT – und dem, dem Justice Department zufolge,  „aktivsten“ Rechercheur was den Freedom on Information Act anbetrifft – zusammengearbeitet, um an zusätzliche FBI-Dokumente über meine Arbeit heranzukommen. In Reaktion auf die effektiven Anfragen, die Mr. Shapiro für die Unterlagen stellte, behauptet das FBI nun, dass eine Veröffentlichung der Dokumente eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstelle. Ein detaillierter Einblick in diesen historischen Gerichtsfall findet sich in meinem Bericht im Mother Jones Magazin.

04:16 – Fjodor Dostojewski, Notes from Underground, Vintage Classics, 1994.

Das ganze Zitat von Dostojewskis unbenannten Erzähler lautet [aus den „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“]: “Ich glaube daran, ich antworte darauf, denn die ganze Arbeit eines Menschen scheint wirklich in nichts anderem zu liegen, als sich selbst jede Minute lang zu beweisen, dass er ein Mensch und keine Klaviertaste ist!”

(Alle Links: 25. Juni 2014.)

Richard Ryder: Darwinismus, Altruismus und Schmerzfähigkeit

Richard Ryder: Darwinismus, Altruismus und Schmerzfähigkeit

Originaltitel: Darwinism, Altruism and Panience. Ein Vortrag den Dr. Richard Ryder im Sommer 1999 hielt, im Rahmen eines von der IVU veranstalteten Symposiums mit dem Titel: ‚Animals, People & the Environment’.

Übersetzung aus dem Englischen: Gita Yegane Arani. Mit der freundlichen Genehmigung von Dr. Richard Ryder.

Dieser Text als PDF – revidierte Fassung mit englischem Originaltext.

Das ganze Thema über den moralischen Status von Tieren tauchte zwischen 1918 und den 1960ern immer wieder latent auf. Diejenigen von uns, die dabei halfen das Thema in den 1960ern und 1970ern wiederzubeleben, begannen etwas, was in beachtlicher Weise über die Jahre zum Anwachsen kam. Ich persönlich setzte von Anbeginn an als eines der Argumente das Darwinistische ein. Darwin hat die konzeptionelle Kluft zwischen der Menschheit und den Tieren geschlossen.

Warum hat sich die viktorianische Gesellschaft so sehr über den Darwinismus empört? Ein Grund war sicherlich, weil er dem menschlichen Stolz einen Hieb versetzte. Menschen, und ganz besonders den steifen und selbstgefälligen Viktorianern, gefiel es nicht, sich selbst als ungebändigte und sexuelle Tiere zu sehen! Dies stand der ganz grundsätzlichen Essenz viktorianischer Kultur, die aus Selbstdisziplin und der Verneinung tierischer Impulse bestand, entgegen. Aber ein anderer Grund, warum der Darwinismus die Viktorianer empörte, war, wegen seiner nur halb verstandenen moralischen Implikationen. Die Viktorianer begriffen sich als sehr moralisch. Sie hatten einen ausgeprägten Moralsinn. Und sicherlich, sie hatten nun auch damit begonnen Tiere in ihr moralisches Schema einzufügen, aber bloß als „Bürger sehr zweiter Klasse“ – oder, vielleicht eher noch, als Bürger dritter, vierter oder fünfter Klasse. Es gab die oberen Klassen, die Mittelklassen, die Arbeiterklassen, Ausländer, „Eingeborene“ (ethnisch native) und dann vielleicht Tiere. Die Errichter des viktorianischen Empires und deren Gattinnen waren dafür bekannt, tierschützerische Gesellschaften in Indien, Afrika und im Fernen Osten zu errichten. Aber der gebotene Schutz war unzuverlässig und geschah auf herablassende Weise. Güte und Milde gegenüber Tieren sah man als Zeichen guter Manieren und Zivilisiertheit, aber die Implikation, dass Tiere und Menschen moralisch gleichstehend sein könnten, war schockierend; hatte Gott nicht die Menschen unter den Engeln stehend aber über den Tieren erschaffen, und zudem noch in seinem eigenen Ebenbild?

Darwin selber schrieb: „Tiere, die wir zu unseren Sklaven gemacht haben, betrachten wir nicht gerne als mit uns gleichstehend.“ Er sagte auch: „Die Liebe für alle lebenden Kreaturen, ist die edelste Eigenschaft eines Menschen.“

In bedeutender Weise aber schrieb er:

„Es gibt keinen fundamentalen Unterschied in den mentalen Fähigkeiten der Menschen und der höheren Säugetieren. Der Unterschied des Verstandes zwischen dem Mensch und den höheren Säugetieren, so groß wie er ist, ist mit Sicherheit nur einer des Grades, nicht aber der Art.“

Zwei wichtige moralische Implikationen können von Darwin abgeleitet werden. Die erste, die fälschlicherweise gezogen wurde, ist, dass da die Stärksten überleben, nur die Stärksten überleben sollten. Diese gefährliche Doktrin ist falsch in mehrerlei Hinsicht: Erstens ist es falsch zu argumentieren, dass „es ist so“, „es soll sein“ hieße – dass etwas gut wäre weil es natürlich ist – das wäre der sogenannte naturalistische Irrtum. Man könnte letztendlich auch argumentieren, dass Mord und Vergewaltigung „natürlich“ seien, aber daraus würde nicht folgen, dass diese Handlungen moralisch richtig wären. Zweitens ist die Doktrin falsch, weil Darwin tatsächlich sagt, dass es die (biologisch) fittesten sind die überleben, und nicht die stärksten. „Fittest“ [gut adaptiert] kann abhängig von den Umständen die sanftesten und mitfühlendsten bedeuten.

Die andere bedeutende moralische Implikation des Darwinismus ist, dass wenn, wie Darwin darlegt, es keinen fundamentalen Unterschied zwischen uns und den anderen (höheren) Säugetieren gibt, sollten wir dann nicht alle in die gleiche moralische Kategorie eingestuft werden? Wenn wir psychologisch und physiologisch gleich sind, warum dann nicht auch moralisch? Man kann davon ausgehen, dass der moralische Status von psychischen und physischen Eigenschaften abhängt. Wenn wir diese Eigenschaften zu einem Grad mit anderen Tieren teilen, dann ist die Moralität, die sich daraus ergibt auch die gleiche.

Ich verwendete dieses Argument seit dem Jahre 1970. Meine moralische Position, die ich als ‚Painism’ (Schmerzfähigkeit) bezeichne – da der Schwerpunkt auf der Kapazität des Individuums zum Erleiden von Schmerz und anderem von außen zugefügtem physischen oder psychischen Leids liegt – verläuft etwa so:

Grundsätzlich glaube ich, dass es falsch ist, irgendeinem Individuum, unabhängig von dessen Geschlecht, Rasse oder Spezies, Leid zuzufügen. Ich kann jedoch akzeptieren, dass dies gerechtfertigt sein kann im Zusammenhang sich daraus ergebender Vorteile für ein anderes Individuum. Aber die Aggregation der Schmerzen und Vorteile vieler Individuen, betrachte ich als bedeutungslos. Schmerz ist, in seinem weitesten Sinne, das was moralisch zählt; er unterliegt allen anderen moralischen Kriterien. Unser erster Belang sollte dem Individuum gelten, das am stärksten leidet.

Lassen sie uns die Ethik betrachten. Robert Garner – ein Politikwissenschaftler, der in hervorragender Weise über den Schutz nichtmenschlicher Tiere geschrieben hat, schrieb einst, dass meine ethische Position eine Synthese der utilitaristischen und der Rechts-Ansätze darstellt. Im weiteren wurde mir ein sehr beachtliches Kompliment vom Pro-Jagd Philosophen Roger Scruton gemacht, dass ich als dritter Mann in ein philosophisches Trio, das noch aus Tom Regan und Peter Singer besteht, hineingemengt werden könne. Die literarische Figur Michael Sissons hat mich sogar als „den führenden britischen Tierrechts-Intellektuellen“ beschrieben. Doch wie dem auch sei, ich entwarf den Begriff Speziesismus 1970, teilweise um zu vermeiden den Begriff „Rechte“ einzusetzen. Also wo genau stehe ich also? Bin ich ein ‚Rights’-Theoretiker oder ein Utilitarist oder noch etwas anderes? Das sonderbare ist, dass sich meine ethische Position nicht sehr verändert hat seit dem ich mich das erstemal 1969 im Namen der Tiere in den Kampf stürzte. In einem Brief an eine nationale Tageszeitung, in dem ich Tierversuche attackierte (eine Tageszeitung die interessanterweise heute nicht mehr so einen Brief veröffentlichen würde, so stark ist der unglückliche Rückschlag gegen Tierrechte durch einige Fraktionen des Rechten Flügels) schrieb ich derzeit:

„Es ist nicht oft hervorgehoben worden, dass seit Darwin, Wissenschaftler selber das Foltern anderer Spezies nicht besser legitimieren konnten, als man absichtlich begangene Gewalt gegen Menschen hätte legitimieren können, da sie ja selbst im Prinzip keine essentiellen Unterschiede zwischen dem Mensch und Tieren akzeptieren. Und es gibt in der Tat keinen Weg einen Gegenbeweis dazu zu erbringen, dass ein intelligenter Affe ein größeres Potential hat Schrecken, Elend der Langeweile zu erleben als zum Beispiel ein mental retardiertes Kind. Wird es nicht langsam Zeit, dass das bewundernswerte ethische Interesse der Zivilisation für Menschenrechte nicht in ganz logischer Weise auch auf unsere Nachbarspezies ausgeweitet werden sollte?“

Dieser Brief wurde am 7. April 1969 veröffentlicht. Am 3. Mai veröffentlichte ich einen anderen Brief im ‚Daily Telegraph’, mit dem Titel ‚The Rights of Non Human Animals’ [die Rechte nicht-menschlicher Tiere]:

„Die Frage der Tierrechte, kann eine Frage sein, in der unsere Nation so viel in der Welt anstoßen könnte, dass die zivilisierte Menschheit in der Zukunft auf unsere gegenwärtigen Ungerechtigkeiten mit so viel Grauen zurückschauen wird, wie wir es jetzt tun auf die Versklavung, die Kinderarbeit und die andere großen Problemkomplexe mit denen sich die Reformbewegungen unseres Jahrhunderts auseinandersetzen.“

Ich beendete diesen Brief, indem ich meine Hoffnung ausdrückte, „dass die Rechte nicht-menschlicher Tiere eines Tages ein echtes Thema bei den Wahlen bilden werden.“

1970 entwarf ich ein Flugblatt mit dem Titel Speziesismus – eine Idee die mir eines Tages im Badezimmer kam, und ich verbreitete dieses Flugblatt überall in Oxford. Ich erhielt überhaupt keinerlei Rückmeldung. Uneingeschüchtert fragte ich damals einen Freund, David Wood, darum, seinen Namen einer zweiten illustrierten Version des Flugblattes beizufügen, um so eine Universitätsadresse dabeistehen zu haben, und verbreitete so diese Version an den Colleges in Oxford. Und wiederum, keine Rückmeldung. Immernoch unerschrocken fuhr ich fort damit drei weitere Flugblätter zu schreiben (die auch von Clive Hollands veröffentlicht wurden), alle mit einem ethischen Thema, und alle attackierten den Speziesismus. In all diesen Flugblättern trat ich der Gewalt gegen Tiere entgegen und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Gleichheit zwischen den Spezies. Ich bezog mich dabei auf Darwin, identifizierte Schmerz als die wesentliche Verletzung und lehnte die Legitimierung der Zufügung von Leid und des daraus resultierenden Schmerzes für ein Individuum im Sinne der aggregierten Vorteile für Viele ab. Mein Kapitel in Animals, Men and Morals, herausgegeben von Stanley und Roslind Godlovich und John Harris, veröffentlicht 1971, enthielt ebenfalls diese Gedanken. Als ich mich, ich glaube in dem Jahr, das erste mal mit Peter Singer traf, erinnere ich mich, dass ich all das mit ihm bei mehreren Gelegenheiten diskutierte.

Ich liste dies alles auf, um zu erklären, dass sich meine ethischen Gedanken seit 1970 nicht wirklich viel verändert haben. Ich bin immer davon ausgegangen, dass Leid das grundsätzliche Übel ist, und dass das Individuum, nicht die Spezies oder die aggregierten Erfahrungen der Gruppe, den Fokus des ethischen Interesses bilden sollten.

Warum habe ich dann nicht einfach den Begriff „Rechte“ verwendet? Wie Sie wissen, macht das ethische Interesse für das Individuum einen wesentlichen Teil der Rechtstheorie aus. Ich denke die Antwort ist, dass der Begriff „Rechte“ 1970 eine stark negative Besetzung in Großbritannien hatte. „Rechte“ wurden in Zusammenhang gebracht mit Hausbesetzern und Schnorrern; mit denen die forderten, dass der Staat sich um sie kümmern müsse, ohne dass sie sich dabei Mühe geben sollten für sich selbst zu sorgen. Auch glaube ich, dass es historische Gründe gibt, warum das Wort in Großbritannien unbeliebt ist: es war ein Begriff der von Thomas Paine eingesetzt wurde, von den gefährlichen französischen Guillotinisten der 1790er, und natürlich von diesen verdammten amerikanischen Rebellen! Das ist warum die Briten diesen Begriff nicht mögen, und das sind einige Gründe warum ich mich für den Begriff „Speziesismus“ entschied. Aber auf einer rationaleren Ebene gab es andere Gründe dafür. Ich ging davon aus, dass Leute zu oft von „Rechten“ sprachen, als ob sie eine unabhängige Existenz besäßen – das erschien mir wenig durchdacht. Zweitens sah ich mich selbst nicht als einen moralischen Revolutionär, sondern hatte einfach den Wunsch, eine konventionelle, christlich-basierende Ethik auszuweiten, um die anderen Tiere darin mit einzubegreifen. (Ein prägender Moment meines Lebens war als meine Mutter zu mir als Kind sagte „Menschen sind auch Tiere, weißt du das nicht?“). 1970 fühlte ich auch, dass man einen gigantischen Fehler begangen hatte. Die Nichtmenschen sind durch eine kategoriesche Außerachtlassung aus der moralischen Gemeinschaft ausgeschlossen worden – meine Meinung dazu hat sich nicht geändert. Und es macht mich wütend! Schließlich war ich Teil der moralischen Bewegung in den 1960ern, die sich gegen die Ungerechtigkeit, gegen sexuelle Unterdrückung und Ungleichheit in der Gesellschaft stellte, und wir begannen uns nun zunehmend mit der Umwelt zu befassen. Nach den Attacken gegen Rassismus und Sexismus schien es mir nun als allzu logisch den Speziesismus ebenfalls zu attackieren.

Die Oxforder Gruppe veröffentlichte also mehrere Bücher, Flugblätter, Straßenposter, Radio- und Fernsehsendungen und wir hatten das Glück ernst genommen zu werden, nicht nur von dem jungen Peter Singer, sondern auch von Tom Regan.

Was ich damals sagte und was ich jetzt noch sage ist, dass es prima facie falsch ist, irgendeine Art des Leids zu verursachen, ohne Zustimmung; gleich welchem Individuum, und ungeachtet dessen Geschlechts, der Ethnizität, der Spezies oder in der Tat seiner ‚configuration’ [Art der Gestalt]. Mit dieser letzten Kategorie meine ich, dass schmerzfähige Außerirdische oder schmerzfähige Maschinen, wenn sie jemals hier existieren sollten, mit in die moralische Gemeinschaft eingeschlossen werden sollten. Sie sollten das Recht erhalten, dass ihnen kein Leid zugefügt werden darf. Die essentielle Qualifikation für Rechte ist die Schmerzfähigkeit – die Fähigkeit Schmerz, oder anderes, von außen zugefügtes, physisches oder psychisches Leid in irgendeiner Form zu erfahren.

Painience’ – Schmerzfähigkeit

Ich habe, vielleicht weil ich Psychologe und Ethiker bin, lange und intensiv über Schmerz und anderes von außen zugefügtes physisches oder psychisches Leid nachgedacht. Nicht allein die ganze Freudsche Tradition mit ihrer Betonung auf Freude, positive Erfahrungen, aber auch der Behaviorismus mit seinem vorherrschenden Interesse für die Belohung und Bestrafung, basieren beide auf Erfahrungen von Schmerzen und Freude. Während die Psychologie anerkennt, dass es ein weites Spektrum von Schmerzen gibt, behandelt sie alle verschiedenen Arten des Schmerzes als in auffallender Weise gleich, ihn ihren Effekten auf das Verhalten. Das ist warum ich, wenn ich von Schmerz spreche, alle Formen von Leid meine, nicht nur den sogenannten „physischen“ Schmerz, sondern auch emotionalen, kognitiven, ästhetischen und jede andere Art von Schmerz. Es ist nicht nur so, dass alle Arten des Schmerzes das Verhalten negativ Verstärkend beeinträchtigen, sondern wir erfahren auch eine Gleichheit zwischen den Schmerzformen: wir alle mögen Schmerzen nicht. Also ergibt es Sinn für mich als Psychologen, alle Formen von Leid als ‚Schmerz’ zu bezeichnen, und es ist das Wort das ich gebrauche. Sonderbarerweise gibt es keine spezifischen Wörter im Englischen um „die Kapazität, Schmerz oder anderes Leid zu erfahren“ zu beschreiben, oder „fähig zu sein, Schmerz oder anderes Leid zu erfahren“ oder „einer der fähig ist, Schmerz oder anderes Leid zu erfahren“. Aus diesem Grund also verwende ich respektiv die Wörter „painience“ (Schmerzfähigkeit) und „painent“ (schmerzfähig). Die Zeit ist reif dafür, dass wir über Wörter verfügen sollten, diesen wichtigsten Bereich unseres Lebens zu beschreiben. Ich bin überzeugt, dass dies auch für die Ethik von zentraler Bedeutung wäre. Und in diesem einen Punkte bin ich definitiv mit dem Utilitarismus einig: alle schlechten Dinge sind schmerzhaft and alle guten Dinge das Gegenteil davon. (Ich werde ‚Freude’ und ‚Glücklichkeit’ später noch erwähnen.) Es ist manchmal deprimierend, das sogenannte moralische Argument zu hören, das immernoch Kriterien wie: Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden oder Freiheit als grundsätzliche Tests dafür betrachtet, was moralisch falsch und richtig ist. Sicher sind diese doch nur Trittsteine entfent vom Schmerz? Die Abwesenheit von Demokratie oder Gerechtigkeit oder Frieden und Freiheit, verursachen normalerweise Schmerz (in meinem weiten Sinne des Wortes). Das ist warum wir deren Abwesenheit dieser Dinge als schlecht betrachten. Sie sind bloß die Mittel um ein Ziel zu erreichen, und das Ziel ist immer dasselbe – die Vermeidung und Reduzierung von Schmerz. All diese Dinge stehen sekundär zum Schmerz. Schmerz ist die grundlegende Essenz des Übels.

Als Psychologe habe ich oft Leute daraufhin befragt, was es ist, das sie versuchen zu vermeiden. Wenn sie antworteten: „meine Schwiegermutter“ oder „zu viel Pop-Musik“ oder „matschige Erbsen“ oder „Tyrannei“, fragte ich sie: „Warum vermeiden Sie das?“ Und ich fuhr fort, sie weiter mit meinen Fragen „warum, warum, warum“ zu nötigen. Und natürlich endeten wir immer bei derselben Antwort. Diese Dinge verursachen Schmerz, in weiteren Sinne. Wie alle Tiere, sind wir Freudesuchende und Schmerzvermeider.

Ich werde nun kurz zwei wichtige ethische Probleme betrachten. Ich bezeichne sie als das Aggregationsproblem und das Ausgleichs- / Austauschsproblem.

Das Aggregationsproblem

Ich glaube es ergibt nicht viel Sinn die Schmerzen einer Anzahl von Individuen zu aggregieren. Das ist so, wie das zusammenzählen von Äpfeln, Fernsehern und Ulster Unionists. Was soll der Zweck sein? Die Schmerzen eines jeden Individuums stellen ein einmaliges, eigenständiges Gebilde dar, und das ist vollständig getrennt von dem Schmerz eines anderen. Einen Schmerz zu erfahren und „bloß“ eines Anderen Schmerzen zu beschreiben, sind ganz verschiedene Dinge. Die Grenzen von Schmerzfähigkeit, sind die Grenzen des Individuums. Das Bewusstsein selbst, tritt nicht über diese Grenzen. Und auch der Schmerz tut es nicht. Um jedes schmerzfähige Individuum, gibt es eine Barriere die sowohl psychologisch und moralisch von höchster Wichtigkeit ist. Wir können nicht wirklich genau denselben Schmerz wie andere erfahren. Die Schmerzen von anderen sind nur die leeren Schalen eines Phänomens. Ich kann niemals denselben Schmerz erfahren, den Sie erfahren, also ergibt es keinen Sinn meine realen Schmerzen zu den unrealen Schmerzen anderer hinzuzufügen oder die Schmerzen eines Individuums mit denen eines anderen zu addieren.

Nun, ich glaube unser Hauptbelang sollte dem Schmerz des Individuums gelten, das das am meisten leidende ist (‚maximum sufferer’). Dies hat wesentliche Implikationen: die Zufügung, zum Beispiel, von „zehn Einheiten“ von Schmerz bei einem Individuum ist meiner Ansicht nach viel schlimmer als die Zufügung „einer einzelnen Einheit“ von Schmerz bei jeweils einem Einzelnen von eintausend individuellen Erleidenden, auch wenn die Gesamtzahl ihrer aggregierten Schmerzen hundertmal höher ist. In anderen Worten, die Agonie eines Einzelnen bedeutet moralisch mehr als die Unbequemheit einer Million Individuen.

Wir akzeptieren also nicht die Aggregation von Schmerzen und Freuden, was ein Bestandteil des Utilitarismus ist. Aber wir kommen nun zu noch einem größeren Problem. Es wird hier als das Trade-Off-Problem [das Austauschsproblem] bezeichnet.

Das Austauschsproblem

Wie können wir rechtfertigen, Schmerz bei (A) zu verursachen um den Schmerz von (B) zu reduzieren? Der Austausch ist nicht das gleiche wie die Aggregation. Austausch kann allein zwei Individuen (A) und (B) beinhalten, statt einer ganzen Anzahl von Individuen. Wir können nicht ernsthaft argumentieren, dass es niemals gerechtfertigt ist, gegen die Rechte des Individuums durch eine Verursachung von Schmerz zu verstoßen. Bedenken Sie den extremen Fall, in dem wir (B) vor Todesqualen retten indem wir ein minderes Unwohlsein bei (A) verursachen. Sollte das mit Sicherheit zulässig sein? Wenn wir zum Beispiel einen Sadisten dabei überraschen, wie er ein Kind quälen will, ist es uns dann nicht erlaubt den Sadisten im Mindesten verbal zu drohen, so dass er von dem Kind ablässt? Wir haben dem Sadisten ein geringes Unwohlsein verursacht, ihn von seinen Handlungen abgehalten und ihn erschreckt, aber haben wir keine Rechtfertigung ihm dieses geringe Maß von Schmerz zuzufügen? Sie mögen sagen, dass der Sadist kein unschuldiges Individuum war, und das Kind es war. In anderen Worten, dass die Schuld des Sadisten uns dazu rechtfertigt, ihm einen minderen Schmerz zuzufügen. Na gut, bedenken Sie dann den Fall eines sehr dicken gehirngeschädigten Mannes, dem es nicht bewusst ist, dass er gerade auf einem Kind sitzt und es praktisch fast zu Tode drückt. Sind wir nicht gerechtfertigt dazu ihn anzuschreien, um das Kind zu retten? Ist es uns nicht im Rahmen unserer Ethik gestattet, den dicken Mann aufzuschrecken um das Kind vor extremen Schmerzen zu retten? Wenn wir akzeptieren, dass wir dies im Rahmen unserer ethischen Regeln tun können, wie können wir dann dieses Austauschsprinzip formulieren?

Das ist ein Härtepunkt für alle ethischen Theorien, und zwar ist der Kern des Problems folgender:

In wie weit rechtfertigt die Reduktion des Schmerzes von (A) das Zulassen von Schmerz bei (B)? In wie weit ist es möglich die Schmerzen von (B), gegen die Vorteile von (A) auszutauschen?

Lassen Sie uns ein paar weitere Fälle anschauen. Erstens, Sie sind ein Lehrer/eine Lehrerin und Sie sehen einen großen Jungen dabei, wie er einen kleinen Jungen auf dem Schulhof schikaniert. Trotz Ihrer verbalen Aufforderungen hört der tyrannisierende Junge nicht auf, den kleinen Jungen gewaltsam zu schikanieren, also schreiten Sie selber physisch ein. Sie verursachen dem Provokateur geringe Unannehmlichkeiten indem Sie ihn erfolgreich zurückhalten. Ist das gerechtfertigt?

Sie nehmen den Schmerz von Opfer (A) aber verursachen mindere Unannehmlichkeiten für den Provokateur (B).

Zweitens, Sie sind Präsident der Vereinigten Staaten und sehen einen Tyrannen namens Milosevic der Kosovaner tyrannisiert. Also bombardieren Sie Milosevic aber töten und verletzen unbeabsichtigt einige unschuldige serbische Zivilisten. Ist das gerechtfertigt?

Wenn die Bombardierung nicht sofort den erwünschten Effekt hat um die Tyrannisierung der Kosovaner durch Milosevic zu stoppen, mindert diese Tatsache die Rechtfertigung für die Bombardierung?

Drittens, Sie sind ein Wissenschaftler der ein sehr schmerzvolles Experiment an einem Hund durchführt, um ein besseres Gesichtspuder zu entwickeln. Sie finden die gewünschten Ergebnisse bei Ihrer Forschung nicht heraus, aber zufällig eröffnet sich durch das Experiment eine Heilmethode für eine seltene Form von Krebs. Macht diese Wendung ein ungerechtfertigtes Experiment zu einem gerechtfertigten?

Beachten Sie, dass wir immer noch die gleiche grundlegende Frage stellen – ist der Schmerz des Hundes, der Schmerz der Schikanierenden oder der Schmerz eines serbischen Zivilisten durch die faktischen (oder die beabsichtigten) Vorteile anderer gerechtfertigt?

Schließlich, Sie sind ein Tierrechtsfanatiker und sprengen ein Laboratorium in dem Tiere in LD50-Tests verwendet werden. Indem Sie das tun, verzögern Sie die Testung aber verletzen ernsthaft einen der Laboratoriums-Experimentateure und einen Hund. Ist das gerechtfertigt?

Beachten Sie, dass in all diesen Fällen ein möglicher Austausch von den Schmerzen von (B) und den Vorteilen von (A) besteht.

Ich habe, um diese Frage interessanter zu machen, mit Absicht einige komplizierte Faktoren mit einbezogen, z.B. den Unterschied zwischen den tatsächlichen, faktischen oder den beabsichtigten Effekten einer Handlung, nochmals die Frage der Unschuld, den Grad oder die Intensität von Vorteil und Schmerz und natürlich der Unterschied der Ethnizität oder Spezies.

Ich möchte mich durch all diese Fragen heute nicht ablenken lassen, da zum größten Teil diejenigen von uns, die über Tierethik diskutieren wollen, sich über diese anderen Fragen ziemlich einig sind. Im Mindesten bin ich mir in meiner eigenen Meinung darüber schlüssig, dass es die tatsächlichen Konsequenzen einer Handlung sind, und nicht die Motive, die normalerweise ausschlaggebend sind, dass Unschuld stark ambiguös ist, und natürlich, dass Ethnizität und Spezies moralisch irrelevant sind.

Worauf ich mich aber konzentrieren möchte, ist die gemeinsame zugrundeliegende Idee in all diesen vier Fällen, dass eine Verursachung von Schmerz bei (B) durch die guten Effekte auf (A) gerechtfertigt sein kann.

Für Utilitaristen ist das Austauschsproblem leicht beantwortet. Wenn ich durch die Menge x an Verletzung von (B) Vorteile für (A) schaffe, die größer sind als x, dann ist meine Handlung ein gute.

Für die meisten anderen Arten von Ethikern ist die Austauschsfrage ein Albtraum. In der Tat ist es das zentrale Problem in der Ethik. Da eine Ursache normal dem Effekt vorangeht, ist es besonders schwer, weil die Effekte meiner Handlungen in der Zukunft liegen und die Zukunft in einem gewissen Maße immer unvorhersehbar ist. In der Weise ist man immer über den Grad von Schmerzen und Vorteilen, die eigene Handlungen verursachen werden, ungewiss.

Umso größer die zeitliche Spanne zwischen der Handlung und dem Effekt ist, umso stärker ist normalerweise die Ungewissheit. Wenn ich (B) nun verletze um (A) in der Zukunft zu helfen, dann kann die Hilfe für (A) besonders ungewiss sein. Ist es in Ordnung (B) zu verletzen um (A) zu helfen, wenn (A) unschuldig ist und (B) nicht? Ist es in Ordnung Serben in Uniform zu bombardieren um nicht-uniformierten Kosovo-Albanern zu helfen? In welcher Form verleiht eine Uniform Schuld? Das scheint eine grobe Art der Gerechtigkeit zu sein, vor allen Dingen da ein bestimmtes Individuum in dieser Uniform ein zwanzigjähriger Wehrpflichtiger sein könnte, der niemals jemanden etwas angetan hat. Wir sagen normalerweise, dass Schuld nur erwiesen werden kann durch den Gang des Gesetzes – nach einem gemäß durchgeführten Gerichtsverfahren. Man kann aber nicht so einfach ein Gerichtsverfahren in einem Flugzeug, das sich Tausende von Metern in der Luft befindet, durchführen.

Also nehmen Sie an wir ignorieren Schuld und Unschuld. Wir sehen Berichte über Serben die Albaner tyrannisieren. Also, nachdem wir es nicht geschafft haben die Tyrannei durch Diplomatie zu stoppen, schreiten wir ein, indem wir Serben verletzen um den Albanern zu helfen. Hat das den gewünschten Effekt? Nun, die Serben beschleunigten ihre ethnische Säuberung. Ich möchte betonen, dass ich nicht versuche die Rolle der NATO im Kosovo-Krieg abzuwerten. Ich finde, dass wir eine Pflicht hatten zu tun was wir konnten um Milosevic zu stoppen, und dass die zivilisierte Welt viel zu spät mit militärischen Mitteln gehandelt hat um ihn in Bosnien in den frühen 90ern zu stoppen, aber der Kosovo-Krieg ist ein sehr anschauliches Beispiel des Problems dem Ethiker in der Praxis gegenüberstehen.

Woher kommt Altruismus?

Es wird gewöhnlich angenommen, dass jede gemeinsame menschliche Eigenschaft – so wie die Gefühle von Mitgefühl oder Sympathie – sich entwickelt haben muss, weil sie einen Überlebenswert für unsere Gene hat. Ich habe dies immer in Frage gestellt. Denn sicher ist es theoretisch auch möglich, dass einige unserer gemeinsamen Gefühle, Neigungen und Verhaltensweisen sich zufällig entwickelt haben, als Nebenprodukt von Verhaltensweisen oder physischen Eigenschaften unseres Gehirns die einen Überlebenswert besitzen. Vielleicht ist jemand unter den Zuhörern der das widerlegen kann. Soweit habe ich keinen Biologen getroffen der mir auf diese Frage eine befriedigende Antwort geben konnte.

Man kann sehen, dass zum Beispiel Mitgefühl und Schutzverhalten gegenüber den eigenen Kindern (ich bezeichne das das „elterliches Verhalten“) klar einen Überlebenswert haben müssen. Ein Kleinkind wird eher überleben und somit meine Gene weitergeben, wenn ich für das Kind sorge, es füttere und warm und sauber halte. Also kann elterliches Verhalten einfach in evolutionären Begriffen verstanden werden. Ist es nicht möglich, dass ein gleiches Verhalten gegenüber Anderen, einfach ein Überfluss an solch einem „elterlichem Verhalten“ ist? Wie erklären wir Güte gegenüber Anderen, vor allen Dingen menschliche Güte für Individuen anderer Ethnizitäten und auch anderer Spezies?

Ist es bloß eine Anwendung eines einzigen Prinzips? Wir glauben an das Prinzip von Mitgefühl, und so wenden wir es in cooler Art und rational an. Ich denke in der Tat, dass dies für einiges an Gütem die wir gegenüber anderen zeigen, Rechnung trägt. Ich habe häufig Geld für eine Gute Sache, ohne das Gefühl eines bewussten Mitgefühls in dem Moment, gegeben. Ich sage mir selber: „komm, du glaubst daran, dass es richtig ist anderen zu helfen, also mach es.“ In anderen Situationen bin ich natürlich zutiefst bewegt durch die Not anderer und möchte ihnen unbedingt helfen. Manchmal, wie dem auch sei, helfe ich nicht. Wie oft haben wir uns erschüttert gefühlt, wenn wir hungernde Kinder im Fernsehen gesehen haben? Haben wir uns jedes Mal daran erinnert einen Scheck in ein Kuvert zu tun und ihn an die angegebene Adresse zu schicken? Ich weiß, dass ich es oft nicht tat.

So ist hier ein prima-facie-Beweis, sowohl von altruistischem Verhalten unbegleitet von dem Gefühl: „Mitgefühl“, und seinem Korollarium: „Mitgefühl“, unbegleitet von Altruismus.

Evolutionisten haben einen ziemlich beängstigenden Grund für Altruismus ersonnen. Sie sagen, dass er sich auszahlt, weil manchmal die Vorteile unseres Altruismus eines Tages das Kompliment erwidern können. Die Vorteile unseres Altruismus werden uns also helfen. Also ist unsere Kapazität Mitgefühl für andere zu fühlen, uns angeboren weil es einen Überlebenswert für uns und unsere Gene hat. Natürlich kann das alles unbewusst sein. Alles worüber wir uns bewusst sind, ist unser Gefühl von Mitgefühl für die hungernden Kinder. Aber kann diese Erklärung Rechnung tragen für unser Gefühl der Mitfühlsamkeit gegenüber nichtmenschlichen Tieren?

Ich nehme an – da ich die Ergebnisse von verschiedenen Meinungsumfragen über die Jahre kenne – dass die meisten Leute in diesem Raum starkes Mitgefühl empfinden würden, wenn sie ein offensichtlich hungerndes Katzenbaby auf diesem Podest sehen würden. Wenn ich dann beginnen würde das Katzenbaby zu foltern, würde das Gefühl des Mitgefühls schnell zu Zorn werden und ich würde nicht lange unversehrt davonkommen. Dies würden sehr starke Gefühle sein. Es sind die Art von Gefühlen, die mich entgegen vieler Schwierigkeiten viele Jahre angetrieben haben, so kenne ich das Gefühl aus erster Hand.

Ich mag mich irren, aber ich denke nicht, dass die Erklärung der Evolutionspsychologen allein dieses starke Verhalten erklärt. Die Theorie muss zumindest ergänzt werden. Ich meine, bei Katzenbabies besteht nicht die Wahrscheinlichkeit, dass sie reziprok meinen Genen zum Überleben helfen, also warum fühle ich Mitgefühl für sie? Warum fühle ich Mitgefühl für Frösche, Mäuse, selbst für Raupen und Würmer? Es tut mir leid, aber die gegenwärtige Theorie über reziproken Altruismus erklärt meine Gefühle von Mitgefühl für solche Wesen nicht in überzeugender Weise und auch nicht meine kleinen Handlungen von Altruismus ihnen gegenüber.

Im aller mindesten müssen wir davon ausgehen, dass eine natürlich selektierte Tendenz – Altruismus – über die Grenze gelaufen ist (‚overspill’). Dabei ist dieser Überlauf sehr weit verbreitet. Andere Spezies zeigen auch teils fürsorgliches Interesse über die Speziesbarriere hinweg.

In meinem Buch ‚Animal Revolution’ habe ich 1989 argumentiert, dass unsere Behandlung nichtmenschlicher Tiere den Inbegriff dessen darstellt, was das Beste und das Schlechteste in der menschlichen Natur ist. Ich argumentierte, dass sowohl unser Mitgefühl und unsere Grausamkeit in uns ‚eingebaut’ sind. Das Kind, das ein Katzenbaby liebt, kann es spontan beginnen zu quälen. Das ist, man kann sagen das Gute und das Böse in allen von uns. Unsere Lebenserfahrungen können eine oder beide dieser Tendenzen akzentuieren oder unterdrücken. Nehmen wir den allgemeinen Kult des Machismo zum Beispiel. Er scheint jetzt sowohl Frauen wie auch Männer zu betreffen. In fast jeder Kultur vermittelt man Leuten das Gefühl, dass sie sich für ihr Mitgefühl schämen sollen. Ihnen wird gesagt, dass es nicht „männlich“ ist Güte zu zeigen. Das ist furchtbar! Es ist einer der Ursachen für Krieg: die kulturell hervorgerufene Idee, dass Mitgefühl oder ethisches Interesse für einen anderen Standpunkt zu zeigen, ein Zeichen von Schwäche ist. So ist Machismo einer der kulturellen Feinde des Mitgefühls. Ein anderer ist Snobismus. Sehen sie sich die Leute an, die es besser wissen müssten, die gegenwärtig die Fuchsjagd unterstützen, einfach weil sie denken, dass es sie ‚upper class’ erscheinen lässt. Wenn sie bloß ein bisschen über die Geschichte wüssten, dann würden sie wissen, dass, als die Fuchsjagd begann, von der Aristokratie auf sie herabgeschaut wurde als ein Zeitvertreib von Landarbeitern und ‚vulgarians’ – Lord Chesterfield bezeichnete die Fuchsjagd als „the sports of boobies“! Der Sport dessen, der auf der sozialen Leiter raufklettert!

Also was ist dann Moralität? Ich denke das es Vernunft auf der Grundlage von Mitgefühl ist. Und was ist Mitgefühl? Es ist die Fähigkeit sich mit anderen zu identifizieren und danach zu streben, ihr Leid zu vermindern – ungeachtet dessen, ob sie die Zugehörigkeit zu unserer Spezies teilen oder nicht. Wir leben in einer Gemeinschaft von Schmerz, und wir teilen ihn mit all den schmerzfähigen Wesen im Universum.

A. Breeze Harper: Vegane Nahrungsmittelpolitik: eine schwarze feministische Perspektive

Vegane Nahrungsmittelpolitik: eine schwarze feministische Perspektive

Eine einführende Präsentation von Dr. phil. A. Breeze Harper über ihre Studien für ihr neues Buchprojekt: ‚Living Bling, Going Green: Alternative Black Masculinities, Hip Hop Eco-Consciousness, and Decolonial Vegan Nutrition’ [‚Ein reiches und grünes Leben: Alternative schwarze Männlichkeitsbilder, das Ökobewusstsein in der Hip-Hop-Bewegung und die dekoloniale vegane Ernährung’]. Der Vortrag fand am 3. April 2014 am Dickinson College in Pennsylvania, USA, statt.

Dieser Text als PDF (Link öffnet sich in einem neuen Fenster)

Transkription und Übersetzung: Palang L. Arani-May (NiceSwine.Info), mit der freundlichen Genehmigung von Dr. A. Breeze Harper.

Das Video der Präsentation kann hier eingesehen werden: http://clarke.dickinson.edu/a-breeze-harper/; weitere Informationen auf der Webseite des Dickinson College: http://www.dickinson.edu/news/article/991/vegan_food_politics.

Das Sistah Vegan Project: http://sistahvegan.com/.

Guten Abend. Mein Name ist Gianna Toglia und ich bin eine studentische Projektleiterin am Clarke Forum for Contemporary Issues des Dickinson College. In Namen der Clarke Forums, des studentischen Senats, sowie des Department of American Studies, des Women’s and Gender Resource Center, des Center for Sustainability, Education, des Office for Diversity Initiatives und der Departments of Women’s and Gender Studies und Africana Studies möchte ich sie alle zur heutigen Veranstaltung: ‚Vegane Nahrungsmittelpolitik: eine schwarze feministische Perspektive’ willkommen heißen.

Die Landschaft des veganen Mainstreams in den USA wird durch ein rassifiziert weißes Bewusstsein dominiert. Werbemittel für die vegetarische und vegane Ernährungsweise, sowie auch PETAs Druckmedien die ihre Kampagnen begleiten, zeigen zumeist weiße schlanke Frauen. Wie entdecken und navigieren schwarze Frauen die vegetarische und die vegane Lebensweise innerhalb dieser rassifizierten Landschaft, die den Veganismus mit Weißsein gleichsetzt, und Weißsein wiederum mit einem perfekten, schlanken Körper? Und, in vergleichbarer Weise stellt sich die Frage, wie innerhalb der Hip-Hop-Bewegung Amerikas, in der Fleischverzehr mit echter Männlichkeit gleichgesetzt wird, schwarze vegane Männer der Hip-Hop-Generation eine ethische und gesundheitsbewusste Ernährungsweise für sich annhemen, und wie sie damit einhergehend ihr Verständnis darüber verändern, was ‚echtes Mannsein’ bedeutet.

Zur Beantwortung dieser und anderer Fragen über den Veganismus in Amerika, im Kontext mit Rasse und Geschlecht, haben wir die besondere Ehre Dr. A. Breeze Harper heute Abend bei uns begrüßen zu dürfen. Dr. Harper ist die Leiterin und Gründerin des Sistah Vegan Projekts, einem Programm, das sich mit dem Leben und dem Veganismus aus der Perspektive schwarzer veganer Mädchen und Frauen befasst. Ihr Buch ‚Sistah Vegan: Black Female Vegans Speak on Food, Identity, Health, and Society’ [erschienen bei Lantern Books, 2010; ‚Sistah Vegan: Schwarze Veganerinnen sprechen über Nahrungsmittel, Identität, Gesundheit und die Gesellschaft’] ist das erste seiner Art, das sich mit veganen Erfahrungen vor dem Hintergrund von Gender und Rasse innerhalb der USA auseinandersetzt. Dr. Harper arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterim am Human Ecology Department der University of Calofornia, Davis, und recherchiert derzeit für ihr Buchprojekt: ‘Going Green, Living Bling: Black Vegan Men, Hip Hop Eco-Consciousness and Decolonial Nutrition’, in dem es um die Redefinierung schwarzer Männlichkeitsbilder geht, in der sich ein Gesundheitsverständnis und ein Verständnis des Veganismus am Hip-Hop orientiert. Dr. Harpers neu erscheinender Roman ‘Scars: A Black Lesbian Experience in Rural White New England’ [‚Scars: eine schwarze lesbische Erfahrung im ländlichen weißen Neu England’] reflektiert über Weißsein, Rassismus und den Bruch mit den vergangenen normativen Grenzen der Heterosexualität. Das Buch wird Ende dieses Jahres erscheinen. […] Zum Abschluss der Präsentation haben sie die Möglichkeit Fragen zu stellen. Heißen sie nun mit mir ganz herzlich Dr. A. Breeze willkommen!

Hi! Ich bin Breeze Harper, und normalerweise beginne ich meine Vorträge mit einem Lied. Ich habe gerade eine 12-stündige Flugreise von Kalifornien mit meinem Baby hinter mir und meine Stimme klingt daher nicht wirklich perfekt und auch etwas verhustet. Aber ich will es trotzdem probieren – nur falls sie sich wundern, warum ich die Töne vielleicht etwas verfehle.

Musik stellt für mich, worauf ich später in meiner Diskussion über den Hip-Hop zurückkommen werde, eine besondere Weise dar, um Botschaften sozialer Gerechtigkeit zu vermitteln. Immerhin bin ich mit solch einer Geschichte großgeworden. Die Botschaften der Spirituals im Kampf Schwarzer um Gerechtigkeit, in ihnen wird das greifbar: die Stärke und der Handlungswille, der sich über die Musik vermitteln kann.

Ich möchte ihnen dieses Lied also als ein kleines Geschenk mitgeben – etwas was ich normalerweise nicht erlebe, wenn ich eine akademische Veranstaltung besuche, alternative Wege bei denen Information und Wissen in künstlerischer Form vermittelt werden. Also mit einigen Hustern und einem Schluck Wasser trage ich ihnen dieses kleine Lied vor, in dem es um die Art sozialer Gerechtigkeit geht, an die ich glaube. (3:45) […]

[…] (5:15) Ich danke den Personen, die mir dies heute Abend ermöglicht haben – mit ganz viel Tee und einem Ricola-Bonbon. Vor einer Stunde habe ich noch alle paar Minuten gehustet, also dankeschön!

Ich bin also heute hier um über vegane Nahrungsmittelpolitik zu sprechen. Ursprünglich trug meine Präsentation einen anderen Titel, aber keine Sorge, der Inhalt ist immernoch der gleiche, nur habe ich nach dem Schreiben entschieden, dass ich doch lieber einen anderen Titel wählen sollte. Ich werde also meine Powerpoint-Präsentation starten und dabei versuchen die Notizen auf meinem Tablet zu lesen.

Der Titel lautet nun: ‚Vegane Politik: Intersektionen des schwarzen Feminismus, der kritischen Rassenstudien, des Hip-Hop und des ethischen Konsums und Verzehrs, und eine Betrachtung der Förderung und Schaffung gesunder veganer Körper.’ Das ist ein langer Titel, aber ich möchte gerne genau hervorheben worüber ich hier sprechen will.

Mit folgendem Zitat möchte ich beginnen, und dies ist eines der Zitate, die mein Interesse geweckt haben an der näheren Betrachtung von Nahrungsmitteln und Nahrungsmittelobjekten als Ansatzpunkte zum Verständnis der Funktionsweise rassischer Machtdynamiken in den USA.

„Rassische Ideologien prägen die Weltanschauung einzelner Menschen stark. Die genauere Auseinandersetzung mit Nahrungsmitteln ist sehr nützlich zur Analyse dieser Ideologien, und darüber, wie Rassische- und Gender-Rolitik selbst die harmlosesten Situationen, wie ein gemeinsames Sonntagsessen, durchdringen.“

Dieses Zitat stammt aus Dr. William Forson’s Buch ‘Building Houses out of Chicken Legs: Black Women, Food, and Power’ [‚Ein Haus aus Hühnerbeinen zu bauen: Schwarze Frauen, Nahrungsmittel und Macht’]. Es ist ein beeindruckendes Buch, das 2006 herauskam. Es half mir dabei zu verstehen, wie ich kritische Rassenstudien in materialistischer Weise einsetzen kann, und genau darüber werde ich sprechen, aber zuerst gebe ich ihnen eine Definition dessen, was Veganismus bedeutet – für diejenigen unter ihnen, die mit dem Begriff nicht vertraut sind.

Veganismus ist eine Praxis des Verzehrs und Konsums die beinhaltet, dass Tiere nicht verletzt, getötet, misshandelt, gegessen, usw. werden dürfen. Ernährungsveganismus bedeutet, dass Tiere oder Tierprodukte nicht verzehrt werden, und schließt Eier, Honig und tierliche Milch mit ein.

Ethischer Veganismus: kein Verzehr von Tieren, tierischen Nebenprodukten, zusätzlich sind Menschen die ethisch vegan sind beispielsweise auch gegen den Kauf von Bekleidungsstücken aus tierlichen Materialien, Ledersitze in Autos, Tierversuche, Zoobesuche, usw.

Das ist eine sehr grundlegende Definition der beiden Formen des Veganismus, denen ich in dieser Kultur begegnet bin. Es gibt auch spirituell und religiöse motivierte Veganer_innen, aber darauf möchte ich mich hier jetzt nicht weiter beziehen.

Um auf Dr. William Forsons interessantes Zitat zurückzukommen, wie Nahrungsmittel rassiche Machtdynamiken verkörpern können: Ich selbst bin ‚critical race materialist’ [Materialistin im Bereich kritischer Rassenstudien], was bedeutet, dass ich das Material: ‚Nahrungsmittelobjekt’ als meinen Indikator verwende, um besser zu verstehen, wie rassische Machtdynamiken sich in Amerika niederschlagen.

Ich wende also kritische Rassenstudien an und betrachte Nahrungsmittelobjekte und die Bedeutungen die man ihnen zuordnet, beispielsweise wie gesunde Nahrungsmittel gesunde Körper schaffen. Diese Dinge schaue ich mir unter kritischen Gesichtspunkten an, und als nächstes überlege ich, wie ich bereits sagte, wie das ein Licht auf die rassischen Machtdynamiken werfen kann, allerdings in erster Hinsicht im Bezug auf weiße Siedlernationen wie die USA – wie diese rassischen Machtdynamiken, die sich mit Nahrungsmittelobjekten verbinden, erfahren, hinterfragt, abgelehnt oder verstärkt werden.

Ein Teil meiner kritischen Analyse umfasst meine Arbeit für das Sistah Vegan Projekt, das ich im Jahr 2005 startete, worin ich den schwarzen Feminismus verwende, kritische Rassentheorien und kritische Weißseinstheorien, um zu herauszufinden, wie schwarze Menschen, in erster Linie weibliche Personen, den Veganismus und Mitfühlsamkeit für nichtmenschliche Tiere praktizieren und definieren.

Für diejenigen von Ihnen, die mit dem Begriff noch nicht vertraut sind: schwarzer Feminismus ist ein Wissenskanon der während der Sklaverei entstand und die Erfahrungen schwarzer Frauen mit der Sklaverei umfasste. Dieser Zweig des Feminismus wurde vor den frühen 1980ern in den westlichen akademischen Institutionen aber nicht wirklich als ein echter Kanon anerkannt – es ist interessant, dass es so lange brauchte, bis man ihn als einen echten Kanon anerkannt hat … doch diese Gedanken darüber wie Rasse, Geschlecht und Klasse innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems die Erfahrungen schwarzer Frauen beeinflusst haben, bildeten einen Gegenstand kritischen Denkens seit schwarze Menschen tragischerweise als „besitzbare“ Sklaven ihrer Freiheit beraubt wurden. Dies wurde also erst vor etwa 30 Jahren zu einem echten Kanon. Ich verwende ihn um zu verstehen, wie der Kapitalismus das Leben schwarzer Frauen geformt hat, und um zu verstehen wie Rassismus, Sexismus und Klassismus Realitäten im Leben schwarzer Frauen sind, wie sie kritischen Widerstand leisten und woraus sie ihre Kraft zur Selbstermächtigung schöpfen.

Bislang hat sich niemand, der sich mit den sozialen Fragen im Kontext mit Nahrungsmitteln befasst, mit denjenigen Frauen auseinandergesetzt, die sich gegen die traditionelle Soul-Food-Ernährungsweise des schwarzen Amerikas entschieden haben. Wie sieht der Veganismus aus unter schwarzen Frauen, die begreifen, dass Rassismus und Sexismus echte Probleme sind in diesem Land? Wie setzen sie den Veganismus als ein Werkzeug ein, um ein eigenes Kraftpotenzial daraus zu gewinnen? Das sind die Fragen, mit dem sich das Sistah Vegan Projekt auseinandersetzt. Dabei habe ich mich nicht näher mit schwarzen Männern und ihren Aktivitäten befasst. Das Projekt wurde also vor etwa 8 Jahren ins Leben gerufen, und im Rahmen dieses Projekts ist ein Buch erschienen, mit dem Titel: ‘The Sistah Vegan Book: Black Female Vegans Speak on Food Identity, Health and Society’ [‚Das Sistah Vegan Buch: Schwarze Veganerinnen sprechen über Nahrungsmittel, Identität, Gesundheit und die Gesellschaft’]. Es ist eine Anthologie mit sechzehn Stimmen schwarz-identifizierter Frauen, die darüber sprechen, wie sie zum Veganismus gekommen sind. Ziel dieses Projekts war es, tatsächlich mal einen anderen Blickwinkel zu zeigen, statt dem, der den Leuten zumeist in den Sinn kommt, wenn sie über Veganismus nachdenken, nämlich der Zugang, der ihnen bekannt ist über PETA (People for the Ethical Treatment of Animals), bei dem eine die Rassismusfragen berücksichtigende Herangehensweise schlichtweg nicht vorkommt. Du siehst niemals, dass sie diskutieren würden, wie Leute, die in Amerika leben – wobei alle von uns in der einen oder anderen Weise rassifiert worden sind – wie das dabei hineinspielt, wie wir unsere Zugänge an die vegane Lebensweise wählen. PETA setzt sich damit nicht auseinander, aber das Sistah Vegan Projekt ist darum bemüht dies zu tun, und das ist der ganze Sinn des Buches. Es geht einfach darum die Stimmen hörbar zu machen, und auch darum, zu zeigen, dass schwarze Frauen keine monolithische Einheit bilden. Wenn sie diese Textsammlung lesen, dann merken sie, dass es da einige schwarze Frauen gibt, die aus Tierrechtsgründen vegan wurden, deren eigene verkörperlichte Erfahrungswelten aber die schwarzer Frauen dieses Landes sind.

Beispielsweise die Autonin Ain Drew: Sie hat uns darüber berichtet, wie sie für eine recht kurze Zeit für PETA arbeitete. Sie ist Afro-Amerikanerin, vegan. Sie schildere uns ihre Frustration mit PETA, die versucht hatten sich auf eine Anti-Pelz-Kampagne für die schwarze Community zu konzentrieren. Sie versuchte PETA zu sagen: ‚Wisst ihr, die meisten Leute, schwarz oder weiß, können sich überhaupt keinen Pelz leisten, vielleicht solltet ihr den Veganismus aus einer Perspektive der gelebten Realitäten schwarzer Menschen vermitteln, wie zum Beispiel indem ihr das Thema gesundheitlicher Ungleichheit aufgreift, vielleicht solltet ihr lieber von dem Punkt her ansetzen und mit der schwarzen Gemeinschaft zusammenarbeiten – denn das ist, was ihnen wirklich etwas bedeutet.’ Aber sie taten das nie. PETA hat so etwas nicht weiter interessiert. Wenn Sie also dieses Kapitel lesen, dann erfahren sie auch, wie man sie schließlich hinaus komplimentierte, denn wie konnte sie sich nur herausnehmen, stellvertretend für ihre Gemeinschaft anzukommen und PETA erzählen zu wollen, was sie zu tun hätten. Dies ist also der interessante Konflikt, den sie uns schilderte. Diese Autorin ist eine engagierte Veganerin aus Tierrechtsgründen, aber sie lehnt portrassische Haltungen, wie die PETAs, für sich persönlich ab.

Wenn ich hier von „postrassisch“ spreche, meine ich folgendes: Im Veganismus existieren, wenn sie sich die Mainstreamliteratur bezüglich des Veganismus anschauen, mehrere verschiedene wiederkehrende Themen, in denen wir das Konzept finden, dass unsere Gesellschaft postrasssisch sei, was so viel bedeutet wie: „heute, das wir den Civil Rights Act haben, ist Rasse kein Hindernis mehr im Erlangen einer gewissen Qualität an Glück und Gesundheit in Amerika.“ Ich setze das in Anführungszeichen, weil das postrassische Konzept der Realität nicht entspricht.

Wir leben nicht in einer postrassichen Gesellschaft, auch wenn Obama unser Präsident ist. Wir leben in keiner postrassischen Gesellschaft, und jede auf Sozialwissenschaften basierende Untersuchung, die sich mit kritischen Rasse- und Weßseinsstudien befasst, zeigt uns, dass struktureller Rassismus, Weißsein, noch immer entscheidende Hindernisse zur Erlangung von Glück in diesem Land darstellen – was die Gesundheit der Menschen anbetrifft und in Sachen der Möglichkeiten zur Verwirklichung. Und das beeinflusst immernoch das Bewusstsein der Menschen darüber, was sie als ethisch empfinden und was nicht.

Die Themen also, die ich gesehen habe, als ich mir die [vegane] Literatur der letzten zehn Jahre angeschaut habe, sind: Der vegane Körper – oder die Annahme, die sich mit dem veganen Körper und dem veganen Lebensstil verbindet – ist weiß, jung, nicht-behindert (able-bodied), zur höheren Mittelklasse gehörend, heteronormativ, schlank; diese Dinge legen den Maßstab dessen fest, was ein gesundes, moralisches und grünes Leben darstellt, wenn man den Veganismus und den Vegetarismus betrachtet. Und dies geschieht tatsächlich in einer gänzlich unhinterfragten Weise. Diese Annahmen bestehen: „Ist Schlanksein nicht gesund?“, „Ist das Wertesystem der weißen Mittelklasse nicht das beste Wertesystem?“ So etwas bleibt unhinterfragt. Und wenn du nicht Teil dieses Systems bist, dann ist das sehr entmutigend und es entbehrt eines mitfühlsamen Denkens, was eigentlich den Mittelpunkt des Veganismus bildet: das Mitgefühl.

Und, ich habe das Thema gesehen, dass es beim Veganismus ausschließlich um das Mitgefühl für die Tiere und die eigene Gesundheit gehen solle, die mitenander zu einem einzigen Thema verschmelzen. Ausgeblendet werden die Realitäten farbiger Menschen, die nicht postrassisch denken können, sowie auch die Frage, in welcher Weise ein niedriges Einkommen die Leichtigkeit vegan zu werden beeinflussen kann.

Es besteht also die Annahme, dass, um ein ethischer Konsument zu sein, alles was du tun musst, der Kauf veganer Gegenstände ist. Lebensmittel zu kaufen, irgendetwas kaufen zu können, ist ein Privileg, und es ist ein Privileg, das in Verbindung steht zur Klassenzugehörigkeit und zu Rasse. Diese Problematik wird im Großteil veganer Mainstreamliteratur nicht erwähnt, und, ich habe den Eindruck, dass viel dieser veganen Mainstreamliteratur und solcher Medien zum Weißsein hin tendiert. Dabei geht es beim „Weißsein“ nicht allein um physische Phänotypen, wie die Frage ob ein Mensch eine helle Haut hat, blaue Augen und blondes Haar – es ist auch ein Denksystem.

Weißsein steht für die Grundsätze: Heterosexismus, Ableismus, Mittel- bis Oberschicht-Sensibilitäten, Cisgender als Definition von ‚natürlich und normal’ – für diejenigen, die mit diesen Begriff nicht vertraut sind: wenn du mit einem Busen und einer Vagina geboren bist, wirst du automatisch als „weiblich“ kategorisiert, und du identifizierst dich dann während deines ganzen Lebens als „weiblich“ – … Seizeism, der schlanke Körper als moralischer und gesunder Körper, sexuelle Reinheit, die Vorstellung, dass ‚man sexuell reiner sein kann, indem man keine Tiere verzehrt’. Bei vielem der Rhetorik, die sich um das koloniale Weißsein windet, geht es um Ängste bezüglich des Körpers und um Reinheit. Und dann schließlich, ein Konzept das nun eher neu dazukommt: Neoliberalismus: dass eine Veränderung effektiv nur durch die individuelle Macht der Konsumenten herbeigeführt werden kann, nicht aber durch strukturelle Veränderungen. Alles was du zu tun hast, ist ein veganes Produkt zu kaufen um damit einen gesunden Körper zu erlangen.

Und das ist problematisch, wenn Leute auf der sozioökonomischen Leiter aufsteigen … man sieht eine Art des Gerechtigkeitssinnes innerhalb der Gemeinschaft der Arbeiterklasse: man kommt zusammen als eine Gemeinschaft, weil man gar nicht über die individuellen Ressourcen verfügt, um die Dinge irgendwie anders zu machen. Wenn du aber in der Klasse aufsteigst, über mehr Kaufkraft verfügst und dann auf die individuellen Möglichkeiten konzentriert bist, wie du etwas in der Welt verändern kannst – wenn deine allgemeinen Haltungen kolonialisierter sind und du dann tatsächlich die neoliberale Vorgehensweise als dein Handlungsspektrum akzeptierst, dass eine Veränderung nur durch den Markt bewirkt werden kann … dann liegt ein Problem vor.

VegNews Cover das Portia de Rossi abbildet: http://vegetarianstar.com/wp-content/uploads/2011/07/Portia_VegNews_2001_Cover.jpg

Was also Verzehr und Konsum anbetrifft: imstande zu sein vegane und gesunde Dinge zu kaufen ist ein Privileg, und nicht jeder kann dieses Privileg ausüben. Ich schaue also auf diese berühmten veganen Medienveröffentlichungen wie die VegNews, ich sehe diese Bilder weißer Menschen. Ich sehe zahlreiche hellhäutige, hauptsächlich weiße Menschen, die den Veganismus repräsentieren. Wenn du dir die Seiten der VegNews anschaust, geht es primär zm das Konsumieren veganer Produkte. Keiner redet ernsthaft über Nahrungsmittelgerechtigkeit, keiner redet über Zugänge zu Nahrungsmitteln, keiner redet wirklich über die klassische Frage: ‚Ist vegan zu werden wirklich leicht? Und wenn es leicht ist, für wen ist es leicht?’, wieder wird die Beziehung, die Menschen zu Nahrungsmitteln haben, als weiß, der Mittelklasse zugehörend, heteronormativ angenommen – mit der Ausnahme von Portia de Rossi, die eher dem feminiersten Stereotyp von dem entspricht, wie eine Lesbe auszusehen hätte in der Phantasiewelt von Männern, die an sog. ‚Frauen auf Frauen’-Aktion gefallen finden. Interessant, dass man sie für dieses Cover ausgewählt hat und wie sie dargestellt wurde, und, sie ist eine weiße Frau.

Buchcover ‘Skinny Bitch’: http://bumpwearproject.com/wp-content/uploads/2100.jpg

Und interessanterweise … ich dachte, dass Skinny Bitch … falls jemand nicht weiß was ‘Skinny Bitch’ ist, es ist ein Buch, das vor etwa sechs oder sieben Jahren herauskam und es hat den Veganismus wirklich redefiniert, in einer Art und Weise, die ich für sehr besorgniserregend halte. Skinny Bitch wirbt für eine Form des Veganismus, die sehr „fat-shaming“ [diskriminatorisch gegenüber Übergewichtigkeit] ist und die sehr stark auf die weiße Mittelklasse ausgerichtet ist. ‚Vegan werden ist einfach, und du musst damit Gewicht abnehmen, und wenn du das nicht schaffst, dann bist du faul, du bist dumm, und faul’ – so eine Art der Rhetorik.

Der Name der einen Autorin ist Rory Friedman und VegNews ernannte sie zur Veganerin des Jahres. Ich muss sagen, das war recht … es sagte etwas aus, nämlich dass sie die Botschaft die Skinny Bitch vermittelt, unterstützenswert finden. Dies ist also eines der Bücher, das sie mitverfasste. Das war wohlgemerkt während ihrer Schwangerschaft. Und sicher: es ist ja so normal schmerzlich dünn zu sein, wenn du schwanger bist! Die meisten aus der Reihe dieser Bücher gebrauchen diese Art der Bildbotschaften, dass Dünnsein gleichzusetzen ist mit gesund; dünne, gesunde weiße Frauen, die wirklich gefährlich dünn sind. Und das hat sich durchgesetzt.  Im wesentlichen zeigt das die Ängste, die sich mit Körperlichkeit verbinden, und wir sehen die Unkultur des ‚fat-shaming’, die ihren Eingang in den Veganismus gefunden hat – oder auch nicht, eigentlich war das bereits ein Teil dieser Kultur seit den letzten 40 oder 50 Jahren, und im Veganismus fällt es wirklich auf, wird aber als gesund maskiert: ‚Es ist gesund dünn zu sein.’

Wir beginnen also darüber zu sprechen, wie moralische und immoralische Körper im veganen Mainstream repäsentiert sind, und das ist der Punkt, an dem Faktoren wie Rasse, Klassenzugehörigkeit und Gender beginnen eine Rolle zu spielen.

Ich spreche hier über PETA, weil sie eine maßgebliche Rolle spielen … um die vegane Politik zu verstehen … sie haben immerhin zwei Millionen Mitglieder. Was ich damit sagen will, ist, sie haben wirklich eine ganze Menge Einkünfte über Spendenleistungen, und sie haben ihre Kampagnen wirklich mit einer Menge an Bildern ausgestattet, die uns zeigen, was ein ethischer Körper ist.

PETAs moralischer Körper ist Pamela Anderson. PETA hat alle möglichen unterschiedlichen Frauen, aber sie ist wirklich die eine Person, die all die Leute mit dem moralischen Körper in Verbindung bringen: jung, schlank, weiß, höhere Mittelklasse, straight, von Männern zu ‚vernaschen’, sobald diese es zum Vegetarier oder Veganer schaffen. Etwa so: ‚Ich bin die Trophäe die ihr Gewinnen könnt, und ihr könnt mich haben, wenn … – sind nicht alle Männer straight, und wollen nicht alle Männer eine weiße blonde Frau? Das ist der Preis. Ihr könnt mich nur haben und vernaschen, wenn ihr vegan oder Vegetarier werdet.’ Das ist die Botschaft, die PETA auf uns wirft, mit all diesen Bildern der gleichen Art Frauen, die alle wie Pamela Anderson aussehen. Kürzlich haben sie noch einige latino und schwarze Frauen darunter gemischt, aber die immernoch alles umspannende Message ist, dass …. hellhäutige, nicht-behinderte, weiße Frauen – sie sind der Maßstab für einen gesunden ethischen Körper.

Und dann denke ich da an den Michael-Vick-Fall. PETAs unmoralischen Körper kann man sich als den Michael-Vick-Fall aus dem Jahr 2007 vorstellen. Wenn ihnen dieser Fall nichts sagt: Michael Vick ist ein Quarterback der National Football League, er war involviert in illegale Pitbull-Kämpfe und verlor all seine Verträge mit Nike infolgedessen. Die Leute waren sehr empört über ihn, als herauskam was vorgefallen war, und er verkörpert sozusagen den unmoralischen Körper: er entstammt der Arbeiterklasse, ist urban aufgewachsen, Afro-Amerikaner, männlich, verwendet Tiere für Hundekämpfe. Und viele Leute stellten tatsächlich diesen Bezug her: ‚Naja er ist im städtischen Umfeld aufgewachsen, in einer Rap- und Hip-Hop-Kultur, und Hip-Hop ist schlimm, und Körper die aus dieser Community kommen, sind schlecht und unethisch.’

Wir haben also diese beiden: auf der einen Seite ist da Pamela Anderson und dann haben wir da Michael Vick … Da ist Anderson und da ist Vick. Viele Leute hatten selbstgemachte gephotoshoppte Bilder angefertigt, die zum Ausdruck brachten, was sie über Vick dachten: Wie etwa: „Schaut, das ist was ich mit Hunden mache“, und sie sagen: „sadistisches Töten ist die Macht des Bösen“, und, ich habe mir überlegt, wie Rasse und Gender und die Dämonisierung schwarzer Männer, der Hip-Hop-Kultur und der urbanen Kultur, hier tatsächlich hineinspielten bei der Fokussierung auf Michael Vick. Und in dieser Konversation geht es nicht darum, ob das was er getan hat gut oder schlecht ist, es geht einfach um die Kommentare der Leute und die Reaktionen darauf.

Die bloße Tatsache, dass er so sadistisch ist, dass es so böse ist, was er getan hat, und wenn man dann an all die weißen männlichen Köche denkt, die Lobster lebendig zubereiten … werden wir jemals eine vergleichbare Empörung hierbei erleben, bei der mit dem Finger gezeigt und derart attackiert wird? Oder wenn wir uns die spezifischen Freizeitaktivitäten und Hobbys anschauen, die man eher mit der weißen Elite in Verbindung bringt, statt mit der städtischen Arbeiterklassenkultur und Hundekämpfen – einer der Dinge, die zeigen, dass schwarze Menschen nicht zivilisiert zu sein wissen: ‚Guckt, wie sie Pitbull-Kämpfe machen.’

Ich gebe ihnen diesen ganzen Kontext, weil ich nun zum nächsten Aspekt meiner Arbeit kommen will.

Während dieser Kontroverse rund um Michael Vick … – ich denke über den Veganismus und wer als moralischer / immoralischer Körper repräsentiert wird, wer in Frieden gelassen und niemals attackiert wird und wer immer angegriffen wird. Die Unterhaltung der Leute über die Hip-Hop-Kultur und die Gemeinschaft, der Vick entstammte, schien sich dahingehend zu kristallisieren: ‚Hip-Hop is unzivilisiert, ungesund, gewalttätig, und destruktiv.’ Aber wissen sie was: das ist ein Mythos! Dies ist ein Mythos und darüber werde ich in Teil 2 sprechen.

Living Bling, Going Green: Redefining Black Manhood Through Hip Hop Oriented Health and Veganism. [‚Ein reiches und grünes Leben: eine Redefinierung schwarzer Männlichkeit durch eine Hip-Hop-orientierte Gesundheitsauffassung und Veganismus.’]

Schwarze feministische Hinterfragungen haben sich schon immer mit Hip-Hop und der Hip-Hop-Kultur auseinandergesetzt. Autorinnen wie Tricia Rose, bell hooks und Patricia Hill Collins, um einige davon zu nennen, haben die schwarze feministische Theorie angewandt um kritisch auf die Problematiken im Mainstream-Hip-Hop hinzuweisen und auf die misogynistischen Portraitierungen häufig übersexualisierter schwarzer Männer, die Frauen als Sexobjekte behandeln, übermäßig Marihuana rauchen und sich teure Gegenstände kaufen, die die Macht des Kapitalismus in einer neoliberalen Ethik untermauern.

Für diese Präsentation möchte ich eigentlich eine andere Richtung einschlagen und ich will ihnen einen neuen Blickpunkt vorstellen, in dem ich den schwarzen Feminismus und kritische Rassenstudien anwende im Bezug auf Hip-Hop und den Veganismus. Mir ist bewusst, dass die schwarze feministische Theorie angewendet wurde, um zu klären wie Kolonialismus und Rassismus das Leben schwarzer Menschen beeinflusst haben, insbesondere schwarzer Frauen, und in welcher Weise sich dies auch negativ auf ihre Interaktionen mit schwarzen Männern und dem Leben schwarzer Männer ausgewirkt hat. Ich weiß auch, dass der Feminismus angewendet wurde um zu zeigen, wie schwarze Frauen aus eigener Kraft stark geworden sind, trotz des Rassismus, trotz Armut und Sexismus. Ich selbst möchte mein schwarz-feministisches Interesse am Veganismus dahingehend erweitern, einen Blick auf die schwarze vegane Hip-Hop-Bewegung zu werfen, und ich habe anfangs über der Titel dieses Vortrags geredet: Rasse und Verkörperung in Epistemologien, und wie die verkörperte Erfahrung dessen, in diesem Land ein schwarzer Mann zu sein, zu einer bestimmten Art des Verständnisses über Veganismus unter fünf bis sechs bekannten schwarzen veganen Hip-Hop-Künstlern geführt hat.

Mir erschien dies immer im Hinterkopf, wenn ich Leute hörte, die sagten: ‚Hip-Hop ist destruktiv, hat nichts zu bieten und schafft eine gewaltbereite Kultur’, denn ich weiß auch, dass die anfängliche Wurzeln, mit denen der Hip-Hop begann, etwas total anderes waren, und ich wollte sehen, wie diese jungen schwarzen Aktivisten oder Veganer und Hip-Hop-Aktivisten, diese Grundpfeiler verwenden.

Hip-Hop steht eigentlich für “Higher Inner Peace Helping Other People“ [“ein höherer innerer Frieden liegt im Helfen anderer Menschen”], und außer man hat sich dem Mainstream verschrieben oder man denkt oder forscht nicht mal kritisch über den Hip-Hop nach: es begann tatsächlich als ein Weg für Schwarze, in kreativer Weise zu verstehen, wie institutioneller, struktureller Rassismus, Armut ihr Leben anbetrifft, wie sie in diesen Zusammenhängen sozial aktiv sein können, wie sie Probleme ausdrücken können, unter Verwendugn dieser Kunstform. Und dies ist heute verloren gegangen. Hip-Hop wurde durch die Musikindustrie vereinnahmt, die damit Gewinne macht – selbstverständlich nicht nur mit Hip-Hop, sondern mit jeder dieser Kategorien der Musik. Das meiste davon ist oberflächlich, sexistisch, materialistisch, aber ich denke Hip-Hop kommt am schlechtesten Weg, weil der überwiegende Teil schwarzer Kultur einfach immer am schlechtesten wegkommt, als seien sie die einzige Kultur die pathologisch ist; keine andere ist es.

Ich möchte ihnen daher meine neue Arbeit vorstellen, bei der ich mich damit befasse, wie schwarze Männer Maskulinität redefinieren, insbesondere schwarze Männer aus der veganen Hip-Hop-Bewegung, und dabei will ich die folgenden Fragen stellen, vor dem Hintergrund der Arbeit zu Sistah Vegan … Wissen Sie, es gibt bereits so viele akademische Studien über PETA und die Probleme mit PETA, ich möchte mich davon gerne hinweg bewegen und mich nun wirklich lieber mit den Themen: Maskulinität, Veganismus und Rassenbewusstsein auseinandersetzen.

–         Wie gehen schwarze Männer der Hip-Hop-Generation damit um, in seiner Nation zu leben, in der struktureller Rassismus, Negrophobie und ein auf ein weißes Überlegenheitsdenken basierendes Moralsystem die fortbestehende Norm sind seit dem Kolonialismus?

–         In welcher Weise bietet die schwarze vegane Hip-Hop-Bewegung aus einer rassenbewussten, dekolonialen und gesundheitsaktivistischen Sichtweise, alternative Formen von Verzehr und Konsum und im Bezug auf die Fragen des Mannseins?

–         Wie verwenden prominente männliche Hip-Hop-Veganer den Hip-Hop um darüber aufzuklären, wie Nahrungsmittel und die allgemeine Gesundheit durch den körperschaftlichen Kapitalismus und ein Fleischzentriertes industrialisiertes Nahrungsmittelsystem negativ geformt und beeinflusst worden sind?

Der erste Künstler, den ich mir dabei anschauen will, ist DJ Cavem Moetavation, er kommt aus Denver und repräsentiert für mich wirklich eine alternative schwarze Männlichkeit. Ich möchte Ihnen mehr darüber sagen, was er zu bieten hat, nachdem wir uns dieses Videos angesehen haben. Wir werden darüber reden, ich bitte Sie also sich nun seiner Musik zuzuwenden.

Sein erster Song heißt ‚Wheat Grass’ [‚Weizengras’] und er schrieb ihn als er etwa 23 oder 24 Jahre alt war. Er stammt aus Denver, Colorado. Er ist vegan. Und ich finde was er zu bieten hat beeindruckend. Er ist ein ‚Green For All’-Lehrer/Aktivist und er und seine Frau haben gemeinsam drei Kinder, alle in einem Alter unter fünf Jahren. Was besonders beeindruckend an ihm ist, ist das er eine gelernte Hebamme ist. Ihre drei Kinder kamen allesamt zu Hause zu Welt, sie hatten also drei Hausgeburten. Er brachte seine eigenen Kinder zur Welt, er hat das gelernt. Ich weiß nicht wie viele von Ihnen schonmal einer männlichen Hebamme begegnet sind, ich hatte bislang noch keine getroffen.

Er bezieht sich auf den afrozentrischen holistischen Veganismus und in seiner Musik geht es hauptsächlich um Empowering, die Entwicklung eigener Stärke, und um die Dekolonialisierung des Körpers durch die Wahl der Nahrungsmittel und durch den eigenen Anbau von Nahrungsmitteln; im Vordergrund steht also der holistische Veganismus.

Dieser Song heißt also ‚Wheat Grass’ und ich möchte gerne, dass Sie schauen was in dem Video passiert. Es beginnt zuerst mit diesen drei schwarzen Freunden, die einfach chillen und eine gemeinsame Pause an einer Straßenecke machen, um sich miteinander zu unterhalten. Achten Sie darauf, worüber sie sprechen. Sie erwähnen das Racial Profiling [ethnisches Profiling] und wie die Polizei im Block herumfährt, als warteten sie direkt darauf, dass etwas passiert. Was bedeutet das, dass diese Freunde Eingangs über das ethische Profiling sprechen? Weshalb ist das etwas Wichtiges, wenn es darum geht, wie jemand seinen Zugang zum Veganismus findet? Wie findet genau dieser Mann hier seinen Zugang zum Veganismus und warum vermittelt er anderen seine diesbezügliche Botschaften? Lassen Sie uns gemeinsam das Video anschauen …

Video link auf Youtube: DJ Cavem Moetavation: Wheat Grass https://www.youtube.com/watch?v=OWBURAIMxoQ

In diesem Video geschieht also sehr viel, aber einige der Dinge, die ich hier hervorheben und über die ich hier sprechen will, sind zuallererst ihre Unterhaltung über die Polizei und das Racial Profiling.

Während der Unterhaltung beim Pausieren an der Ecke, überlegt die eine Person, in den Junk-Food-Laden hineinzugegen. Ich kenne Ietef sehr gut und sie haben dort wirklich ein großes Problem mit der Ausbreitung von dem, was man als Junk-Food-Läden bezeichnen kann, spezifisch in den vorwiegend schwarzen Nachbarschaften. Sie sehen, was in dem Video getrunken wird – er trank aus einer Edelstahlflasche, er trank Wasser, sein Freund ebenso.

Wir sehen auch Bilder von Ietef – also sein Name ist DJ Cavem Moetavation, das ist sein MC Name, aber er wird zumeist Ietef genannt – wir sehen ihn in einem Klassenzimmer, und dort sehen wir ihn sitzend in afrozentrischer Kleidung; er versucht ein eurozentrisches Schulsystem mit seiner Art des afrozentrischen Lebens zu beeinflussen und wirbt für ein Erziehungsmodell, das normalerweise in Amerika nicht akzeptiert wird – wir haben hier üblicherweise einen eurozentrischen Lehrplan, er ist darüber verdrossen, setzt dem etwas entgegen und sagt: „Macht doch nicht immer falsche Annahmen!“ Und die Lehrer und die Schüler blicken ihn an, staunend und wundern sich: ‚Was ist los?“

Ich fand das sehr wichtig, wenn unsere Eltern sich bemühen Einfluss auszuüben … ich fand diese afrozentrische Metaphorik im Liedtext sehr überzeugend und wie hier redefiniert wird, was es bedeutet gesund zu sein und Teil einer schwarzen Gemeinschaft zu sein. Ich wollte auch … wissen sie, sie können die Webseite von DJ Cavem auch besuchen. Ich schicke ihnen diese Links gerne zu, wenn sie mich anmailen unter: Breeze Harper at Gmail. Ich kann ihnen die Links zu all den genannten Videos zuschicken.

Das nächste Video ist ‚G’z Up, Hoes Down’ und ich fand dies auch ziemlich cool. Ich weiß nicht ob sie Snoop Dog kennen, Snoop Dog schrieb vor etwa 10 oder 14 Jahren oder noch länger, diesen Song ‚G’z Up, Hoes Down’, und ja, ‚G’z’ bedeutet ‚Gangsters’, also ‚Gangster hoch’ und ‚Hoes’, [eine sexistisch konnotierte Bezeichnung für] ‚Frauen’, ‚Hoes runter’. Ietef machte nun also einen Song mit dem gleichen Titel, außer, dass bei ihm die ‚G’z’ die ‚Organic Growers’, die Bio-Gemüsebauern sind, und ‚Hoes’, [das Wort ‚hoe’ bezeichnet im Englischen auch die Gartenhacke] ‚hoe’, ‚hoeing’, hacken … sie verstehen das also? So ist ein „echter Mann“ eine ‚G’ und er ist also ein ‚Organic Grower’. Und ein echter Mann, er kultiviert seine Gemeinschaft, indem er wortwörtlich mit einer Gartenhacke den Boden kultiviert. Ich fand diesen Song wirklich beeindruckend. Und achten sie auf den Text und wie hier Männlichkeit redefiniert wird durch das Starkmachen der Gemeinschaft, indem du sie lehrst, wie sie ihre Nahrung selbser anbauen können und wie man sich nahrhaft und gesund ernährt.

Die meisten Leute dieser Generation oder Kultur kennen den Song von Snoop Dog, und ihn zu verwenden und den Sinn derart zu verändern … das finde ich beeindruckend. Ich möchte den Songs also mit ihnen teilen – diesmal haben wir dabei kein Video, nur den Song …

Video link auf Youtube: DJ Cavem Moetavation: G’s Up, Hoes Down https://www.youtube.com/watch?v=d4L-tC4g27w

Das war jetzt nicht der ganze Song, aber ich wollte ihnen den Song einfach kurz vorstellen. Ich finde die Idee sehr gelungen, den Gebrauch der Sprache des Hip-Hop, eines Titels, der den meisten Leuten, die Hip-Hop lieben, vertraut ist (die Originalversion von ‚G’z Up, Hoes Down’ also). Ich finde es gut, wie er die jungen Leute anspricht, die Logik mit der er eine Beziehung zu der braunen und schwarzen Jugend in der Denver-Gegend aufbaut. Ich denke seine Arbeit ist sehr ausdrucksstark.

Die erste Musik mit der mein Sohn aufgewachsen ist, war die von Ietef, und er zeigt mir, dass er diese Texte beinahe auswendig kann. Mein Sohn weiß auch beispielsweise, dass Ietef Jugendliche darüber aufklärt, wo ihr essen eigentlich herkommt, indem er ihnen gleichzeitig zeigt, wie man selbst Gemüseanbau betreibt. Als mein Sohn noch ziemlich klein war, so etwa zwei Jahre alt, sagte er was über Menschen die Verbrechen begehen, und meinte dann weiter: „Vielleicht kann Ietef ihnen ja helfen, vielleicht kann er ihnen zeigen, wie man sich sein Essen selber anbaut.“ Und das sagt ein Zweijähriger zu mir, er stellte diese Verbindungen her, dass Menschen vielleicht weniger schlimme Dinge tun würden, wenn sie stattdessen lernten ihre Gemeinschaften mitzukultivieren und in ihren Gemeinschaften Nahrungsmittel selber anzubauen würden. Mein zweieinhalbjähriger Sohn sagt dies zu mir und er hört diese Musik. Das hat mich vom Hocker gehauen. Als ich Ietef entdeckte war ich zutiefst berührt, denn … Mein Sohn hat diese Musik also gehört, er ist inzwischen fünf und er zitiert diese Liedtexte, er denkt kritisch über diese Dinge nach, in einer Art und Weise, die ich ihm vielleicht selbst nicht geschafft hätte in der Weise zu vermitteln. Und es ist eine alternative Form der Männlichkeit der mein Sohn darin begegnet. Er weiß also, dass Ietef Veganer ist, er weiß, dass Ietef bei der Geburt seiner Töchter half, und das ist ein Modell für Maskulinität, das, so denke ich, sehr kraftvoll ist. Wir sehen zu wenig davon in der veganen Gemeinschaft oder in der Hip-Hop-Gemeinschaft, insgesamt … im Mainstream.

Die Botschaft Ietefs richtet sich allgemein gegen den körperschaftlichen Kapitalismus. Er spricht darüber, wie immer mehr Fast-Food-Ketten in die Gegend kommen. Als ich vor zwei Jahren Denver besuchte, meinte Ietef zu mir: ‚Genau hierhin wollen sie einen Burger King bauen, und genau hier versuchen wir unseren Gemeinschaftsgarten zu bestellen … und an der anderen Stelle in der Stadt wollen sie eine neue große Gefängnisanlage errichten’ usw. Das ist also seine Welt, und das ist wie sein Veganismus existiert, und er bemüht sich darum, gegen all die Stereotypen zu kämpfen. Er setzt sich ein für seine Community … und es ist schwer. Er ist klug, er weiß die Sprache des Hip-Hop einzusetzen, und er weiß wie man sich dem Veganismus annähern kann in einer anderen Weise als PETA das zum Beispiel tun, denn das wäre wahrscheinlich für die meisten Leute in seiner Gemeinschaft eher entmutigend.

Er ist also gegen den körperschaftlichen Kapitalismus und sein Veganismus ist sehr afrozentrisch. Er spricht über Themen wie das ethnische Profiling, das industrialisierte Gefängnissystem Amerikas, als Themen, die die Umweltgesundheit seiner Gemeinschaft betreffen, als integriert in seine vegane Praxis. Es sind keine abgesonderten Themen.

Ich habe Leute manchmal sagen gehört … meistens jemanden, der sich als weißer Veganer aus der Mittelklasse identifizierte: ‚Ich kämpfe für Tiere, die in Gefängnissen sind, in Käfigen. Mir ist das mit den industriell betriebenen Gefängnissen für Menschen eher egal, weil, weißt du, es ist deine eigene Schuld wenn du dort landest, es ist deine eigene Schuld! Wenn du inhaftiert wirst, dann ist das deine eigene Schuld. Tu einfach nichts Falsches, dann wirst du auch nicht festgenommen. Ich aber kämpfe für die Tiere, die in Käfigen sind.’ Und ich dachte: ‚Wow, ist dir überhaupt bewusst, was Racial Profiling bedeutet?’ Alleine diesen Kommentar zu machen … dies war deren Einstellung zum Verständnis unseres Kriminal-Justizsystems. Und diese Einstellung unterscheidet sich stark von der DJ Cavems / Ietefs.

Wie ich bereits gesagt habe, ist Cavem auch eine gelernte Hebamme. Ich bin sehr beeindruckt darüber, dass er das gelernt hat … Sie sind Veganer, sie unterrichten ihre Kinder zuhause und er erlernte den Hebammenberuf, um seine eigenen Kinder zur Welt zu bringen. Ich finde das erstaunlich.

Nun zu Stic.man von dead prez. Ich wollte mir gerne gemeinsam mit ihnen dieses Video ansehen und den Text dazu besprechen. Auf seinem T-Shirt steht hier: ‚Healthy is the New Gangster’, das finde ich klasse. Stic-man ist Mitglied der Band dead prez. Etwa im Jahr 2005 oder 2006 hatten sie einen Song mit dem Titel: ‚Be Healthy’, in dem sie über die Möglichkeiten für ein gesundes Leben sprechen und wie man sich richtig ernähren sollte. Später brachte er ein Album mit dem Titel: ‚The Workout’ heraus, und ein Song auf diesem Album heißt ‚Back on my Regimen’, und in diesem Video … das ich toll finde … schauen sie sich das Video zuerst an und danach spreche ich darüber, was hier geschieht. Wir werden uns nicht das Ganze anhören, um etwas Zeit zu sparen, vielleicht die Hälfte …

Video Link auf Youtube: Stic.man: Back on my Reginem http://www.youtube.com/watch?v=sa1yJWBLsxw

… Oh nein, die Verbindung konnte nicht hergestellt werden, das könnte ein Problem sein […] ok, ich werde dann einfach erklären was in dem Video zu sehen ist.

Sie sehen in dem Video fünf oder sechs afroamerikanische Männer in einem Gym beim Krafttraining. Im Text sagt er: ‚I’m back on my weight gain, back on my vitamins, back on my discipline’ [‘Ich bin wieder dabei Gewicht zuzunehmen, nehme meine Vitamine, bin dabei diszipliniert zu trainieren’], und was hier geschieht ist ganz anders als die Trainingsräume, die du normalerweise im Zusammenhang mit dem Veganismus siehst, wie etwa Yoga in sauberen Räumen, wo alles sehr rein und pur wirkt. Er wirbt für das Training, und dafür, sich körperlich fit zu machen, in so etwas, was wie ein Arbeiterklasse-Trainingszentrum aussieht, und wie du deinen neuen Körper aufbauen sollst. Er spricht über die vegane und die holistisch vegane Ernährung, und man sieht, dass all diese Männer, die dort trainieren, Gewichte handhaben. Und ich denken mir, wow, was für eine interessante Darstellung von Maskulinität, und nicht darüber zu sprechen, wieviel Fleisch einer essen muss um Muskeln aufzubauen, sondern darüber, wieviel pflanzliches Protein du isst, um solche Muskeln zu bekommen. Das ist monumental in einer Kultur, in der Maskulinität und Fleischverzehr Synonyme sind, besonders die Stereotypen, das schwarze Männer Hühnchen lieben, Hühnchen in Soulfood-Gerichten, und dass echte schwarze Männer außerdem niemals Gemüse essen, und dass man mit einer pflanzlich-basierenden Ernährung auch niemals muskulös werden könnte … das ist was ich in diesem Video sehe.

Aber er macht den Veganismus und Fitness auch ein wenig leichter zugänglich, denn sein neues Ziel ist es, darüber zu sprechen, wie du das, was du brauchst bekommst, wenn du in der „Hood“ [die urbane Nachbarschaft, in der vorwiegend schwarze Menschen leben] lebst, und wie du deinen Körper fit halten kannst in der „Hood“.

So gründet auch seine vegane Praxis auf dem Hintergrund dessen, ein schwarzer Mann in Amerika zu sein, der in den Gemeinschaften aufgewachsen ist, in denen Menschen keinen Zugang zu gesunden und nahrhaften Nahrungsmitteln haben, aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit und aufgrund rassischer Problematiken. Und Teil seines Ziels ist es, diese vegane Lebensweise zugänglicher zu machen; etwas, was wir im veganen Mainstream nicht wirklich finden können. Ich hoffe also, sie können eines Tages auf dieses Video zugreifen.

Aber sie sehen auch noch jemanden anderen in dem Video. Und sein Name ist Supanova Slom. Wie viele von ihen kennen Queen Afua? Also Queen Afua – kurz, ich habe in meiner Dissertationsarbeit über sie geschrieben, und sie ist der Grund, warum ich vegan wurde: Queen Afua verfolgt einen afrozetrischen Ansatz, sie spricht über die Heilung der Reproduktivgesundheit durch pflanzlich-basierende Ernährungsweisen, die in Verbindung stehen zum kemetischen Ägypten – eine sehr lange Geschichte. Sie können ihr Buch lesen, das heißt: Queen Afua: ‚Sacred Women’. Und ihr Sohn ist Supanova Slom und er macht Hip-Hop-Wellness.

Er wird auch der Hip-Hip-Medizinmann genannt, Erykah Badu und Russell Simmons haben seine Arbeiten verwendet und er hat ein Buch geschrieben. Und, er ist in diesem Video. Man sieht wie muskulös er ist, er spielt mit seinen Muskeln. Er ist vegan und man sieht, er ist wirklich muskulös.

( … Ich überspringe dieses Video, denn es scheint wirklich nicht zu funktionieren, aber wir sehen uns jetzt noch Supanova Sloms Arbeit an. Es tut mir leid, ich bin ein Mac-User, das hat hier jetzt einfach nicht funktioniert … )

Hier ist also Supanova Slom, er ist in diesem Video und hoffentlich funktioniert dieses Video nun. Was interessant an ihm ist, ist dass seine Mutter Queen Afua ist, die seit etwa 30 oder 40 Jahren in ihrem Feld tätig ist, bei der es um schwarze Frauen geht, die Dekolonialisierung ihrer Körper durch eine pflanzlich-basierende Ernährung, und nicht allein das, sondern auch durch einen Verzicht auf gebleichtes Mehl, raffinierten Zucker und Speisesalz in der Ernährung.

Queen Afua hat auch darauf hingewiesen, dass Zucker so schlimm wie die Droge Crack ist, und das ist schon mutig so etwas zu sagen, wenn man sich die Geschichte der schwarzen Communities und der Droge Crack anschaut, die Ängste die damit verbunden sind, dass schwarze Frauen Crack-Babies zu Welt bringen könnten, und wie das zu einem Problem für die Gesellschaft werden könnte. Da steckt also viel dahinter, wenn Queen Afua den raffinierten Zucker mit Crack vergleicht, und sagt, dass sich nur ein Molekül bei beiden unterscheidet, man könne gleich Crack nehmen, was doch die schwarze Community zerstöre. Das sind also Botschaften mit denen Supanova Slom durch seine Mutter aufgewachsen ist, und er entschied sich einen Song und ein Video zu genau diesem Thema zu machen. Und der Song heißt ‚Sugar Crack’.

Video link auf Youtube: Supanova Slom: Sugar Crack https://www.youtube.com/watch?v=ZTufe6sm1hk

… und hoffentlich funktioniert das jetzt. Es tut mir leid wenn nicht. Nun ja, um Zeit zu sparen, werde ich den Inhalt kurz erklären.

In dem Video sieht man viele Bilder aus unserer sehr Zucker-zentrierten Kultur in Amerika. Man sieht Leute die ‚Fruit Loops’ und ‚Pop Tarts’ essen, Leute die ganz verrückt sind auf Zucker, und er sagt: ‚Sugar crack, sugar crack …’ – ich bin ein miserabler Rapper, er sagt also ‚sugar crack, sugar crack’ und beschreibt, wie der Zucker einen quasi verrückt macht.

Ich möchte das als einen Eingangspunkt dazu verwenden, um zu verstehen, wie ein reiner Körper in dieser Art neuer schwarzen veganen Hip-Hop-Rhetorik konstruiert werden soll, wobei nicht nur gesagt wird, dass man keine Tiere oder tierischen Produkte essen soll, sondern, man soll auch beispielsweise keinen weißen Zucker essen … und die Verbindungen, die Zucker in einer …

[…] Ok, gut. Ich beende das Video hier, weil darin geschieht wirklich eine ganze Menge. Es ist recht intensiv und ziemlich lang.

Die Botschaft, die er vermittelt ist … er spricht darüber, dass die Medien ihr Augenmerk so sehr auf die Gewalt Schwarzer gegen Schwarze richten, darauf, dass sie sich gegenseitig umbrächten. Er sagt aber: ‚Der echte Feind ist weißer Zucker, der raffinierte Zucker – er tötet unsere Gemeinschaft’, und er machte diesen Kommentar, bei dem er sagte: ‚Der echte Terror, der einen Homie tötet [ist der weiße Zucker] – du kannst kein Homie sein, der ganz dabei ist, wenn du an Diabetes stirbst.’ Er spricht darüber und über diesen Fokus, der sich, im Gegenteil, nicht so sehr darauf konzentierst, wie viel Limos und Zuckerprodukte tatsächlich die schwarze Community umbringt, sondern wie die Medien derart darauf fokussiert sind, wenn Schwarze kriminelle Handlungen an anderen Schwarzen begehen, dass bei Schwarzen eine höhere Gefahr bestehe, dass sie durch eigene Waffengewalt in der eigenen Community sterben … und nun ja, tatsächlich ist die Gefahr aber weitaus höher, dass schwarze Menschen an einer ernährungsbedingten Erkrankung sterben. Doch warum richtet sich keine Aufmerksamkeit darauf?

Das ist was er beispielsweise mit seiner Musik ausdrückt, wobei darunter auch Inhalte sind, mit denen ich nicht übereinstimme; ich stimme nicht mit allem was andere machen überein, mit vielem sogar nicht, aber sein Fokus auf den Zucker ist auch deswegen wichtig, weil schwarze Menschen, in der Zeit, als sie unter der Sklaverei leben mussten, auch dazu eingesetzt wurden, um Zucker zu ernten. Heute ist es nun das ganze Amerika, dass dem Zucker versklavt ist, das abhängig vom Zucker ist. Aber es bedeutet noch mehr wenn schwarze Menschen heute süchtig nach dem sind, das zu ernten sie einst versklavt wurden. Sein Verständnis über die Dekolonialisierung des schwarzen Körpers indem ihm der Zucker entzogen wird, ist also innerhalb dieses geschichtlichen Hintergrunds zu betrachten, und es gewissermaßen kontrovers den Zucker mit Crack gleichzusetzen. Er thematisiert, dass ein ‚echter’ Mann kein Junk Food essen sollte, und er spricht auch darüber, das ‚echte’ Männer keine Drogen nehmen, trainieren, sich stark und fit halten.

… Was ich in dieser Rhetorik nicht wirklich höre ist: Wie ist das mit den Nahrungsmittelzugängen? Viele Leute, die in der Sachen engagiert sind … ich denke viele von ihnen haben wahrscheinlich wirklich genug Geld um Zugang zu diesen Nahrungsmitteln zu haben, ich höre also nicht viel darüber, was mit den Leuten der unteren Schichten ist, die sich solche Lebensmittel gar nicht leisten können. Ich sehe bei ihm also, und auch bei anderen die im den Feld aktiv sind, nicht immer viel Klassenbewusstsein, was Nahrungsmittel und die Zugänge dazu anbetrifft. Ietef befasst sich damit, und Stic.man konzentriert sich inzwischen auch mehr darauf, aber ich höre und sehe davon noch nicht so viel in Supanovas Arbeit.

Doch insgesamt ist die Botschaft, die diese Männer vermitteln, die, dass die Begrünung der Ernährung ein dekolonialisierendes Projekt ist. Es ist interessant, dass sie dem Grün diese Bedeutung zugeordnet haben, wenn man an Spirulina oder Weizengras denkt … Der Mainstream-Veganismus wirbt für die sog. ‚Supergreens’, die Supergemüse, so wie Grünkohl, Weizengras und die Alge Spirulina, als ein postrassisches und bewusstes Essen; man denkt dabei nicht, dass jemand Weizengras essen könnte um seinen Körper zu dekolonalisieren. Hier aber werden diese Nahrungsmittelobjekte aufgegriffen und ihnen werden kritische rassenbewusste Bedeutungen zugeordnet, so ist natürlicherweise Spirulina weder postrassisch noch rassisch, es ist einfach Spirulina, aber die Bedeutung, die diesen Nahrungsmittelobjekten zugeordnet wird, kann uns wirklich viel über die rassischen Machtdynamiken in diesen Gemeinschaften zeigen.

So sind also für Stic.man und DJ Cavem und Supanova Slom die sog. Supergreens verbunden mit der Dekolonialisierung des schwarzen Körpers, der schwarzen Gemeinschaft und Kultur, zur Beseitigung der schädigenden Effekte systemischen Weißseins, des Kolonialismus und des Kapitalismus. Und dann steht auch ‚Sugar Crack’ versus ‚Green’, was soviel aussagt wie: „der gereinigte schwarze Körper schafft eine gereinigten schwarzen Geist, schafft eine gereinigte schwarze Gemeinschaft“ und ich setzte das in Anführungszeichen, weil solche Reinheits-Rhetoriken nicht in einem luftleeren Raum herumstehen, sondern durch all diese Ängste, die sich um den Körper herumwinden, informiert sind, ungeachtet dessen wie du dich rassisch identifizierst – diese Ängte um einen reinen, puren Körper haben in Amerika immer existiert, und man trifft selbst in der afrozentrischen veganen Rhetotik darauf.

Dies sind Dinge über die man nachdenken sollte, noch keine Schlussfolgerung … . Ein zugrundeliegendes Thema ist, dass schwarze Männer, die gesund sind, straight / heterosexuell sind. Wenn ich vielem, das in der schwarzen vegane Hip-Hop Bewegung geschieht, zuhöre, höre ich nicht viel darüber, was es heißt ein Mann zu sein der nicht heteronormativ ist. Darüber möchte ich gerne mehr hören. Und dann, Teil der holistisch-gesundheitlichen afrozentrischen Gemeinschaft – wobei ich nicht sagen will, dass diese Männer das sagen, aber die dort anzutreffende allgemeine Grundhaltung hinsichtlich Sexualität und Gender ist, dass Leute die Queer-identifiziert sind, deshalb Queer sind, weil sie die Ernährung Weißer für sich angenommen haben, d.h. die kolonialistische Ernährung für sich angenommen haben, und dass, wenn man die richtige, holistische vegane Ernährung zu sich nimmt, man keinen sexuellen ‚Konfusionen’ unterlegen sein wird, dass man wird dann straight sein wird. Darüber möchte ich also auch mehr wissen, ich möchte verstehen, wie das in die Arbeiten dieser Männer hineinwirkt und ob sie in irgendeiner Weise das homophobe und transphobe Verständnis über eine vegane Ernährung teilen … Was das also heißt, sich vegan zu ernähren – bedeutet das hier, dass du diese Ideen vertrittst, weil du glaubst, dass es im afrozentrischen oder kemetischen Ägypten wirklich keine Menschen gab, die nicht heteronotmativ / straight waren? Oder anders: wenn du versuchst deinen Geist zu dekolonialisieren, wie betroffen bist du dann immernoch durch diese Grundpfeiler des Kolonialismus; dass du zwar rassenbewusst bist, aber immernoch diese Ängste hast, im Bezug auf Menschen die homosexuell sind, die transgender sind, und dass dies Teil deiner dekolonialen Rhetorik wird … das heißt, dass du während du versuchst antirassistisch zu sein, du zur gleichen Zeit tatsächlich transphob seien könntest oder unsichtbare sexuelle Minderheiten schaffen würdest.

Was besonders bei diesem Kanon fehlt: ‚Echte schwarze Männer essen vegan, weil es gesund ist und den Körper vom kolonialistischen Erbe bereinigt’ ist, ich höre nicht viel Tierrechts- oder Tierbefreiungsrhetorik. Ich frage mich ob da noch einiges sichtbarer wird, wenn ich mit diesen Leuten die Interviews für mein Buch machen werde. So sagen sie zum Beispiel, dass man keine Tiere wie z.B. Schweine essen sollte, weil sie unrein oder schmutzig wären, und nicht, weil es grausam gegenüber den Tieren ist, die hier aufgezogen und geschlachtet werden. So ist alles was Tiere anbetrifft eine Frage der Unreinheit, was wiederum diese Art kolonialer Konnotation trägt, im Bezug auf Tiere – wie innerhalb der europäischen kolonialen Beziehung, sind die Tiere oder Tiere hier generell schmutzig oder sie verdienen es nicht wirklich als fühlende Lebewesen betrachtet zu werden, denen ihre Rechte zustehen. Ich will also herausfinden, ob bei diese Männer aus der veganen Hip-Hop-Bewegung, mit denen ich mich hier befasse, ob sie sich mit der ‚Animal Compassion’-Komponente auseinandersetzen, mit dem Mitgefühl für Tiere. Denn ich weiß, dass die unterschwellige Rhetorik des afrozentrischen Veganismus die ist: ‚Man isst Schweine nicht, weil sie schmutzig sind’ – nicht weil Schweine leiden.

Und dann der abelistische Diskurs: die Ängste, dass schwarze Körper weiter geschädigt werden, wenn sie sich nicht in einer bestimmten Weise ernähren, und ob ein geschädigter schwarzer Körper jemals selbstbewusst, frei oder gereinigt sein kann. Ich denke also über diese Ängste nach im Bezug auf Menschen die Behindert oder körperlich eingeschränkt sind, was auch Teil des ‚kolonialistischen Projekts’ gewesen ist, bei dem jemand nur ein produktives Mitglied der Gesellschaft ist, wenn er/sie „able-bodied“ [nicht-behindert, nicht körperlich eingeschränkt] ist. Die Auffassung, wer als „able-bodied“ gilt, hat sich natürlich über die Zeit hinweg geändert. Das möchte ich also auch besser verstehen, in diesem Diskurs der Schaffung alternativer schwarzer Männlichkeiten durch den holistischen Veganismus, ob der Ableismus in bestimmten Momenten wieder Fuß fasst.

Der ganze Fat-Shaming-Diskurs ist allgemein auch ein Problem. Es scheint, dass Leute immernoch diejenigen die Übergewichtig sind, gleichsetzen mit Ungesundsein. Man sieht das nicht so häufig innerhalb des afrozentrischen Veganismus, aber das Problem ist nicht gänzlich ausgeschaltet.

Und dann ist noch der Punkt: Sperma ist nur gesund, wenn du grün und vegan lebst, was dann auch für gesündere schwarze Babys sorgt, so etwa: ‚Wenn du mit deiner Frau Kinder haben willst, dann ernähre dich richtig, damit eure Babys gesund sind’, und was das also bedeutet, wenn nicht jeder bei dieser gesunden Ernährung mitmachen kann, wer gehört dann zu dieser neue zukünftigen gesunden schwarzen Nation und wer nicht?

Das sind also die Fragen die mich beschäftigt haben, die mich auch im Zusammenhang mit meiner Arbeit für das Sitah Vegan Projekt und PETA beschäftigen – keiner schaut sich diese spezifische Bewegung einmal genauer an, und was dieser Herren da leisten. Ich halte ihre Arbeit insgesamt für hochinteressant – oft, wenn ich mir Arbeiten anderer, die sich mit Nahrungsmitteln, Gender und Rasse beschäftigen, anschaue, stelle ich fest, dass sich niemand mit Männlichkeit oder schwarzer Männlichkeit befasst, oder wenn sich mit Männlichkeit befasst wird, dann nur im Kontext mit Fleischverzehr und weißer Maskulinität … nicht etwa, was ist das, was z.B. Stic.man da mit seiner Arbeit tut, was macht Ietef, was Supanova Slom – die allesamt rassenbewusste Herangehensweisen verfolgen.

Das ist was ich meine mit: Rasse, vegane Politik und Verkörperung. Diese Herren haben diese verkörperten Erfahrungen dessen, schwarze Männer zu sein. Und genau damit kamen sie zu ihrer veganen Praxis, das hat ihr Verständnis dessen, was ethischer Konsum/Verzehr bedeutet, geprägt. Für die meisten Leute, die wissen was ethischer Konsum/Verzehr im Kontext mit PETA und Veganismus ist, bedeutet ethisch: ‚du tust es nicht, weil es Tieren schadet’. Für diese Community war es die institutionalisierte Sklaverei und die Jim Crow Gesetze, die für sie das Unethische definiert haben. Diese Art des Konsums/Verzehrs stellt eine Art des Versuchs der Heilung der Verletzungen dar, die unseren Gemeinschaften zugefügt worden sind – findet also im Bezug auf diese unethischen Handlungen statt. So stellt dies nun also eine Form des ethischen Konsums/Verzehrs für unsere schwarzen Gemeinschaften dar, und das ist wie hier der Begriff des ethischen Konsums insgesamt gebraucht wird und wie das Verständnis darüber geprägt ist. […]

–        DJ Cavem Moetavation http://djcavem.com/

–        Stic.man https://www.facebook.com/STICRBG

–        Supanova Slom https://www.facebook.com/supanovaslom

Alle Links: 20.5.2014

 

Vegan Türkiye über intersektionalen veganen Outreach und die Rechte der Nichtmenschen

Vier Fragen … an Vegan Türkiye über intersektionalen veganen Outreach und die Rechte der Nichtmenschen – innerhalb der Bemühungen um eine Redefinition dessen, was eine „allumfassende“ politische Freiheit idealerweise bedeuten könnte.

Ein Kurzinterview das N. Eyck (NiceSwine.Info) mit der progressiv-veganen Aktivist_innengruppe Vegan Türkiye führte. Es geht um die dringenden Fragen, die die Bewegung innerhalb der Türkei anbetreffen. Von ihren Strategien und Erfahrungen lassen sich wichtige Impulse zur Redefinierung des Veganismus als aktivistisches ethisch / politisches Werkzeug ableiten.

Dieser Text als PDF (Link öffnet sich in einem neuen Fenster)

Der Blog von Vegan Turkiye ist auf http://veganturkiye.blogspot.de/; auf Twitter followen auf @veganturkiye.

N. Eyck: Ist die Tierrechts- / Tierbefreiungsbewegung in der Türkei in gewisser Hinsicht „gezwungen“ dazu intersektional zu denken? Das heißt: bilden Menschenrechte und Umweltgerechtigkeit einen unumgänglichen Kern innerhalb der TR/TB-Bewegung unter Bedingungen politischer Oppression, in dem Grad, in dem ihr sie gegenwärtig in der Türkei erfahrt?

Vegan Türkiye: Zuerst muss man sagen, dass die Menschen in der Türkei unter politischem Druck stehen im Bezug auf das, was sie essen, was sie tragen, wen sie lieben und selbst im Bezug auf die Anzahl der Kinder, die sie „haben sollten“. Menschenrechte können heute zwar offen diskutiert werden, insbesondere nach den letzten Unruhen [A.d.Ü.: den Gezi-Protesten], viele Menschen meinen jedoch, dass man sich um Tierrechte erst dann kümmern sollte, wenn Verstöße gegen die Menschenrechte nicht mehr stattfinden. Das hießt, man soll sich dessen ganz bewusst sein, dass es da Menschenrechte gibt, jedoch keine „Erdlingsrechte“. Indem wir auf die Philosophie Tom Regans hinweisen, halten wir dem aber entgegen, dass alle Entwicklungsstufen der Menschenrechte erst einmal abzuwarten hieße, dass wir zu den Tierrechten niemals gelangen werden.

Die vegane Bewegung in der Türkei lehnt die Diskriminierung aufgrund der Spezieszugehörigkeit (Speziesismus) und aufgrund der Klassenzugehörigkeit (Klassismus) ab. Wir verteidigen LGBTI-Rechte und sind gegen alle Arten baulicher Erneuerungen in der Städteplanung, die dem Zwecke der Gewinnmaximierung dienen, und selbstverständlich lehnen wir jeder Form ökologischer Zerstörung ab. Auf der anderen Seite öffnen sich die Arbeiterklasse und ein in der Linken traditionell herrschendes Bewusstsein, das sich auf den Kampf der Arbeiterklasse konzentriert, hier für die vegane Bewegung. So ein gemeinsames Bewusstsein in vielen Fragen zeigte sich bei den Occupy Gezi Demonstrationen zum Erhalt des Gezi-Parks, und es zeigt sich auch innnerhalb der veganen Bewegung. Im besetzten Gezi-Park gab es eine „vegane Küche“, die zum Treffpunkt für Veganer_innen wurde, und ein Platz war, an dem Menschen dem Veganismus das erste Mal begegnen konnten.

Einige Krankenhäuser und Tierärzte waren rund um die Uhr geöffnet und man bekam die Behandlung dort umsonst. Tieren, die durch das Tränengas betroffen waren, das bei der Besetzung gegen die Demonstranten eingesetzt wurde, konnte somit sofort geholfen werden, und tagsüber gab man unter den Demonstranten die Warnmeldung heraus, dass die Tiere besser an sicherere Orte gebracht werden sollten. Eine andere, schlechte Erinnerung aus diesen Tagen war, dass mehrere Tierrechtler_innen festgenommen wurden, als sie an einer Gedenkdemonstration „für alle Lebewesen, die im Zeitraum der Gezi-Besetzung getötet wurden“ teilnahmen.

Straßen, Plätze, Universitäten sind nicht mehr die Orte, an denen die Menschen darüber sprechen, welche Gruppen marginalisiert werden. Die Veganer_Innen hier transponieren ihre politischen Ideen hingegegen auf jeden Lebensbereich, und dabei geht es immer darum, das wesentliche Ziel zu erreichen: das Recht der Tiere auf Freiheit. Wichtig ist auch, anderen Menschen zu vermitteln, dass das Ganze nicht allein Sache der Aktivist_innen ist; die Verletzung von Tierrechten ist eine Angelegenheit, die jeden Menschen etwas angeht.

N. Eyck: Das Bloggen und das soziale Netzwerken spielt in der Türkei bei der Outreach-Arbeit für Tierrechte und die Tierbefreiung, und diesbezüglich zum Informationsaustausch und zur Informationsverteilung, eine wesentliche Rolle. Könnte, auf einer parallelen Ebene, ein engerer wechselseitiger Austausch (von Ideen und über Probleme, denen man sich gegenüber gestellt sieht) auf internationaler Ebene einen neuen Impuls schaffen, und Möglichkeiten der Weiterentwicklung für unsere Bewegung weltweit eröffnen? Mit anderen Worten: Besteht da nicht eine Notwendigkeit für den „runden Tisch“ in der globalen veganen TR/TB-Gemeinschaft, um von unseren gegenseitigen Erfahrungen zu lernen, usw.?

Vegan Türkiye: Ja, das Internet ist ein entscheidendes Werkzeug um die Tierrechtsbewegung überall im Land bekannt zu machen, und um die Materialien, die mit der Bewegung im Zusammenhang stehen, miteinander zu teilen. Über das Internet können wir als Tierrechtsaktivist_innen ein gemeinsames Brainstorming machen und andere Informieren – auf individueller Basis, als Gruppe und selbst als Bürgerrechtsorganisation, auch wenn sich unsere ethischen Vorstellungen alle zu einem gewissen Grad unterscheiden; wir verfolgen unterschiedliche Ansätze in der Wahl unserer Aktionen und im Diskurs.

Bisweilen treten natürlich auch Missverständnisse und sogar recht extreme Streitigkeiten auf; soweit mussten wir aber noch nicht erleben, dass solche Streits bis zum Eklat gekommen wären. Online folgen und unterstützen wir uns alle gegenseitig. Die Bewegung für die Freiheit der Tiere setzt sich unentwegt fort, über die kontinuierlich miteinander über das Internet ausgetauschten Informationen. In diesem Kontext irrt man nicht, wenn man behauptet, dass die Tierbefreiungsbewegung über die sozialen Medien und die Blogs ihre Versorgungroute gefunden hat.

Was die Globalität anbetrifft, so folgen wir bereits größeren, radikalen oder kreativen Gemeinschaften. Eine umfassende Zusammenkunft, bei der man die unterschiedlichen Erfahrungen, die in den verschiedenen Ländern gesammelt werden, miteinander teilt, kann statt einem „Globalen Online“ als einziger Zusammenkunftsform eingerichtet werden. Es kommt schließlich auch dazu, dass Tierrechtsaktivist_innen die lokalen sozio-ökonomischen und kulturellen Unterschiede ignorieren, das heißt: eine bestimmte Art des Tierrechtsaktivismus kann an einem anderen Ort sogar nachteilige Effekte haben. Daher sollte jeder/jede mit der Bewegung sorgsam umgehen. Außer der Verbindung übers Internet können Tierrechtsaktivist_innen auch außerhalb der Internets ihre Kontakte miteinander pflegen und sich auch häufiger im Jahr mal treffen, um dann ihr Wissen, ihre Erfahrungen und die Probleme, auf die sie stoßen, gemeinsam zu diskutieren.

N. Eyck: Ist das theoretisieren über Tierrechte, das verlautbar machen der eigenen Meinung, der eigenen Gedanken über Tierrechte, etwas, dem man in der veganen Gemeinschaft in der Türkei häufiger begegnen kann?

Vegan Türkiye: Die Tierrechtsbewegung ist noch so neu, im Sinne der Organisierung. Selbst wenn einige Tierbefreiungsaktivist_innen schon lange in der Bewegung sind, kann man doch sagen, dass wir uns zur Zeit noch in der Trial-and-Error Phase befinden. Einige Ansätze und Publikationen die aus dem Ausland stammen, haben uns zur Bewegung gebracht. In der Türkei selbst ist es uns bislang nicht gelungen einen gemeinsamen, zentralen Diskurs zu entwickeln, und der Grund dafür ist, dass wir es soweit nicht geschafft haben eine gemeinsame kulturelle Basis dazu zu schaffen. Nichtsdestotrotz kam die erste türkische Buchveröffentlichung über den Veganismus letztes Jahr heraus. Die Autoren sind Zülal Kalkandelen and Can Başkent und dieses Buch wurde gemeinsam mit Lesern online erarbeitet. Es ist kein theoretisches Buch, aber es wirft, was für die Leserschaft wichtig ist, ein Licht auf die Tierrechtsfrage.

N. Eyck: Glaubt ihr, dass ein praktischer und letztendlich politischer Zugang zum Veganismus eine Form des Veganismus etablieren können wird, bei dem es weniger um „Convenience Foods“ geht und der weniger konsumorientiert sein könnte? Kann der Veganismus zu dem werden, was er eigentlich sein will: ein Grundpfeiler für eine Nahrungsmittelgerechtigkeit, die der ganzen Welt gerecht wird?

Vegan Türkiye: Die Fragen darüber, ‚was ich trage, was ich esse’, bringen natürlich nach einer Weile weitere Fragen mit sich, wie etwa: wie viel ich konsumiere und von woher die Dinge, die ich da konsumiere, eigentlich stammen. Du beginnst quasi ein System infragezustellen, das auf Ausbeutung basiert. Es gibt nunmehr einen größeren Markt für Veganer_innen, und der wirtschaftliche Mainstream schlägt daraus seinen Vorteil. Wir bieten den Veganer_innen aber Alternativen an, da die Konsumgewohnheiten der Menschen sowieso unterschiedlich sind, so wie eben auch ihre Kulturen.

Manche Leute meinen, dass sie an dieser Bewegung teilhaben können, ohne ihre bequemen Gewohnheiten aufgeben zu müssen. Dieser „Teil“ der Bewegung kann definitiv kritischer hinterfragt werden. Wir weisen Leute immer wieder darauf hin, ökologisch verträgliche Produktvarianten zu wählen, d.h. dass sie durch die Wahl der Produkte die sie kaufen, ökologische Schäden verhindern können. In dem System in dem wir uns befinden, existieren immanente Problemfelder über die ein gemeinsames Nachdenken mit politischen und ethischen Veganer_innen stattfinden muss.

Menschen lieben Statistiken: Für viele Leute ist es beispielsweise greifbar, wenn du mit ihnen darüber sprichst, welche Prozentzahl des agrarwirtschaftlich genutzten Landes bebaut werden muss, um die zu landwirtschaftlichen Zwecken gehaltenen Tiere zu füttern, und wie hoch die Prozentzahl der Tierversuche liegt, die den Menschen tatsächlich geholfen haben. Auch ist es sinnvoll, Leute darauf aufmerksam zu machen, dass wir heute einige Rechte haben, die vor einem Jahrhundert noch undenkbar gewesen wären, und, dass es möglich ist diese Welt zu einer veganen Welt zu machen; ein wohlmöglich unumgänglicher Schritt.

N. Eyck: Vielen Dank für dieses Interview!

Kim Socha: Die „gefürchteten Vergleiche“ und der Speziesismus: Eine Ausgleichung der Leidenshierarchie

Die „gefürchteten Vergleiche“ und der Speziesismus: Eine Ausgleichung der Leidenshierarchie

Kim Socha

Titel des Originals: The “Dreaded Comparisons” and Speciesism: Leveling the Hierarchy of Suffering, aus Confronting Animal Exploitation: Grassroots Essays on Liberation and Veganism © 2013 Kim Socha und Sarahjane Blum (Hgg.). Erschienen bei McFarland & Company, Inc.

Übersetzung G. Y. Arani-May mit der freundlichen Genehmigung von McFarland & Company, Inc., Box 611, Jefferson NC 28640. www.mcfarlandpub.com. Alle Rechte vorbehalten.

Menschen, die sich für nichtmenschliche Tiere einsetzten, wird manchmal mit Feindseligkeit begegnet, und sie werden der Lächerlichkeit ausgesetzt. Die Öffentlichkeit nimmt an, dass das fürsorgliche Interesse für Tiere auf einen Mangel an Interesse für menschliche Belange hinweist. In Reaktion darauf stellen Aktivisten direkte Bezüge zwischen verschiedenen Unterdrückungsformen her, mit der Argumentation, dass die Unterdrückungsformen, die Tiere, und die die Menschen betreffen, zusammengehören und sogar gleichzusetzen sind. In der bisherigen Geschichte der kritischen Tierstudien heben sich zwei Werke als besonders provokativ hervor, dafür, dass sie den Vergleich des Leids wagen: Marjorie Spiegels The Dreaded Comparison: Human and Animal Slavery (1996), ein Vergleich des afrikanischen Sklavenhandels mit der Ausbeutung von Tieren, und Charles Pattersons Eternal Treblinka: Our Treatment of Animals and the Holocaust (2002). Während die Begriffe „Holocaust“, „Genozid“ und „Sklaverei“ in der Tierbefreiungsrhetorik verwendet werden, so stehen Skeptiker doch häufig Ausdrücken kritisch gegenüber, die versuchen die Tierausbeutung durch den Filter menschlichen Leids sichtbar zu machen; diese Menschen sind eher bereit dazu die Gewalt gegen Tiere anzuerkennen, wenn sie von der Gewalt gegen Menschen differenziert bleibt, da in einer speziesistischen Welt menschliches Leid mehr zählt. Dennoch, mithilfe einer gründlichen Auseinandersetzung können diese Korrelationen Menschen an mitfühlsamere Wahrnehmungen von Nichtmenschen heranführen. Doch zuerst benötigen wir ein besseres Verständnis im allgemeinen Denken über den Speziesismus als Konzept. > Den Text als PDF weiterlesen (der Link öffnet sich in einem neuen Fenster).

Jim Sinclair: Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht

Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht

Eine Antwort auf Temple Grandins Berichte über ihre Arbeit für die Schlachtindustrie, insbesondere wie beschrieben in ihrem Buch ‚Thinking in Pictures’.

Von Jim Sinclair

Quelle https://web.archive.org/web/20030122143344/http://web.syr.edu/~jisincla/killing.htm > https://web.archive.org/web/20051124203852/http://web.syr.edu/~jisincla/

Jim Sinclair ist Aktivist_in im Bereich der Rechte von Menschen mit Autismus und Mitbegründer_in des Autism Network International, http://www.autreat.com/.

Der Titel des Originaltextes lautet: ‘If You Love Something, You Don’t Kill It (1998) – a response to Temple Grandin’s writing about her work in the slaughter industry, especially as described in “Thinking in Pictures”.’ Übersetzung: Palang LY. Mit der freundlichen Genehmigung von Jim Sinclair.

Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht. Ich musste dazu keine Zeit in einer Drück- oder Umarmungsmaschine [A.d.Ü.: ein Gerät für Autisten, das Grandin entwickelt hat, siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Hug_machine] verbringen, um das zu verstehen. Liebe heißt Nichttöten. Wenn du weißt, was ein anderes Lebewesen fühlt – nicht nur wie du dich fühlst, wenn du es berührst – dann weißt du, dass andere Lebewesen am Leben bleiben wollen. Es ist egal ob sie sich nicht vor dem Tod fürchten, bevor sie begreifen was mit ihnen geschieht. In dem Moment, in dem das Töten stattfindet, wissen sie es und sie wollen am Leben bleiben. Ich habe es gesehen und ich habe den Tod geschehen gesehen. Ich habe nicht so viel vom Tod gesehen, wie jemand, der sich obsessiv zu Schlachtfabriken hingezogen fühlt. Aber ich habe genug gesehen, um das zu wissen. Das Leben willigt nicht darin ein, getötet zu werden. Um das zu wissen, brauche ich keinen Doktor in Tierwissenschaften.

Sterben als ein natürlicher Prozess, ist nicht dasselbe, wie das Töten eines gesunden Lebewesens. Ich habe plötzliches Sterben durch Verletzungen gesehen, und das langsame stufenweise Sterben durch das Alter oder Erkrankungen. Diese Dinge sind nicht dasselbe. (Ich bin niemals Zeuge eines absichtlich zugefügten Todes gewesen, weil ich niemals parteilos dabeistehen und eine Tötung in meiner Gegenwart geschehen lassen würde.) Es ist irrelevant, ob eine Wissenschaftlerin mittleren Alters sagt, sie fürchte den Tod nicht, und dass sie ihn als einen natürlichen Teil des Lebens verstehe. Fast alle der Lebewesen, bei deren gewaltsamen Lebensende sie mithilft, sind noch nicht ausgewachsen oder gerade erst ausgewachsen. Fast keines dieser Leben, ist seinem natürlichen Tode nah. Sie sind nicht dazu bereit zu sterben. Wenn jemand die Wissenschaftlerin mittleren Alters heute erschießen, erstechen oder mit einem Elektroschock töten würde, dann würde sie vielleicht auch wissen, dass sie zum Sterben noch nicht bereit ist.

Wenn man das Leben versteht, dann weiß man, dass es weiterleben will. Wenn du das Leben unter deiner Berührung pulsieren fühlst, dann weißt du es ist ein Vergehen deine Hand anzusetzen um diesen lebendigen Puls zu beendigen. Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht.

Es gibt eine spezielle Technik, mit der der Henker seinen Knoten bindet, damit das Opfer durch einen Genickbruch sofort getötet wird, statt langsam durch Strangulation. Ich nehme an, es ist ein Teil des beruflichen Wissens eines Henkers diesen Knoten richtig binden zu können. Diese Expertise macht den Henker aber nicht zu einer mitfühlsamen oder fürsorglichen Person.

Die Henkerschlinge, die Guillotine, der elektrische Stuhl, die Gaskammer und die tödliche Injektion wurden alle dazu erfunden, um einen beabsichtigt zugefügten Tod für das Opfer weniger schmerzhaft zu machen. Ich habe aber noch nie gehört, dass die Erfinder oder die Nutzer dieser Technologien als große Humanitaristen gepriesen wurden. Ich habe niemals gehört, dass man sie für ihre große Empathie gegenüber denen, deren Leben sie beendeten, pries.

Es braucht mit Sicherheit einiges an Einfallsreichtum um neues Equipment zu erfinden. Ich bin ein recht intelligenter Mensch, aber mein Wissen über Knoten beschränkt sich darauf meine Schuhe binden, einen Laufknoten und einen Kreuzknoten machen zu können. Ich binde diese Knoten so, wie andere es mir beigebracht haben; ich habe selber niemals eine eigene Art Knoten erfunden. Wenn ich versuchen wollte einen Knoten zu erfinden, der jemanden schnell und schmerzlos töten könnte, wüsste ich niemals wie ich das tun sollte. Wer auch immer diesen Knoten erfunden hat, verfügte über eine Art der Kreativität und Geschicklichkeit, über die ich nicht verfüge.

Aber wenn ich sie hätte, dann würde ich sie für anderes gebrauchen. Ich hätte es nicht nötig einen Weg, wie man mit einem Knoten töten könnte zu erfinden, weil ich niemals bereit dazu wäre in irgendeiner Weise an der Tötung einer gefesselten und wehrlosen Person teilzuhaben. Geschick und Einfallsreichtum sind nicht dasselbe wie Empathie und Fürsorge.

Und Liebe ist nicht das gleiche wie töten. Wenn du etwas liebst, tötest du es nicht. Es ist genau so einfach.

1998 Jim Sinclair

 

A. Marie Houser: Literaturkörper: Erzählliteratur ist Aktivismus

Literaturkörper: Erzählliteratur ist Aktivismus

A. Marie Houser

Dieser Text als PDF (Link öffnet sich in einem neuen Fester)

Dieser Artikel ist in seiner amerikanischen Originalfassung erschienen auf der Webseite The Henhouse: ‚Bodies of Literature: Fiction is Activism’, http://www.ourhenhouse.org/2013/09/bodies-of-literature-fiction-is-activism/. Übersetzung ins Deutsche: Palang LY, mit der freundlichen Genehmigung von A. Marie Houser.

Wir haben die Bilder gesehen. Bilder geretteter Lämmer, wie sie über die Weiden der Schutzhöfe springen. Bilder von Schweinen, die ihre Rüssel nach Kontakt suchend durch die Öffnungen der Seitenwände der Transportlaster drücken. Die Rettung oder die Einsperrung: das sind die Geschichten, die durch die Fotos von Aktivist_Innen meist kommuniziert werden – und kommuniziert werden müssen. Ohne Fotografien und Videomaterial hätte die Tierbefreiungsbewegung ihr heutiges Momentum nicht erreicht; die sogenannten Ag-Gag Laws [sog. „Knebel-Gesetze“ in den USA, die das Filmen oder Fotografieren von Mißständen in landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetrieben zu einer kriminellen Straftat machen] kriminalisieren diese Handlungen genau aus diesem Grunde.

Die Gesetzgeber, die auf der Seite der Agrarkonzerne stehen, befassen sich wohl aber kaum mit den literarischen Künsten. Literatur ist zu fließend, als dass man sie greifen könnte, immerhin für Regierungsbehörden. Diese totalitäre Seite, wie sie operiert – wie sie zu verstehen ist – das ist alles zu merkwürdig und subtil für Bürokraten.

Wenn wir ein Foto einer Sau in einem Kastenstand sehen, dann können wir uns uns selbst eingesperrt in das Gerüst solch eines Metallkäfigs vorstellen. Visuelle Anhaltspunkte – das fensterlose Gebäude der Massentierhaltung und die Dunkelheit um den Kastenstand herum – verstärken die Einsamkeit wahrscheinlich noch. Doch ein Foto kann uns nicht dazu anhalten, oder tatsächlich dazu führen, unseren Weg durch die Erfahrung in einer multiplizierten Weise hindurch zu fühlen: Gerüche anderer Leiber von einiger Distanz, die abgeschwächte Wärme voneinander getrennter Körper. Das Foto kann uns auch nichts darüber sagen, wie sich die Einsperrung aus der Perspektive des Schweins anfühlt; Fotografie ist ein Medium äußerlicher Fläche, das Foto wird aus einer Perspektive aufgenommen. Ein Bild kann uns nicht dabei helfen zu verstehen, dass die Dunkelheit, ein Schwein, das sowieso bereits von einer geschwächten Sehkraft betroffen ist, beinahe seiner ganzen Sehkraft beraubt.

Oft sagen mir Aktivist_Innen, dass es ein von ihnen geliebter Roman war, eine Geschichte oder ein Kinderbuch gewesen ist, dass sie darin beeinflusst hat, wie sie nichtmenschliche Tiere betrachten. Anita Krajnc, die Gründerin von Toronto Pig Save, einer Gruppe, die Mahnwachen hält für Schweine, die in die Schlachthäuser transportiert werden, zitiert Leo Tolstoi als solch einen Einfluss. Leser kennen Tolstoi wahrscheinlich durch Anna Karenina und Krieg und Frieden – epische Romane von erstaunlicher Detailliertheit und Tiefe. Aber eines seiner bewegendsten Werke ist die Novelle Der Leinwandmesser (1885), die von einem gescheckten Wallach handelt, der diesen Namen trägt.

Im letzten Kapitel der Erzählung, kommt ein Pferdeschlachter um den Leinwandmesser, das Pferd, zu töten. Der Erzähler schildert die Augenblicke vor dem Geschehnis:

Der Wallach streckte sich nach dem Halfter, um ein bisschen aus Stumpfheit zu knabbern, aber er konnte es nicht erreichen. Er seufzte und schloss seine Augen. Seine Unterlippe hing herab, dahinter zeigten sich seine gelben Zähne und er verfiel in einen Schlummer, während das Messer geschärft wurde. Nur sein geschwollenes, schmerzendes ausgestrecktes Bein zuckte immer wieder. Plötzlich fühlte er, wie man ihn am Unterkiefer packte und seinen Kopf anhob. … Der Wallach schaute sie an, und begann seinen Kiefer gegen den Arm zu reiben, der ihn hielt.

Dieser Abschnitt im Leinwandmesser ist in der Perspektive der dritten Person geschrieben, dadurch kann der Blickwinkel nah an Leinwandmesser, das Pferd, herantreten, daran, was er tut und was er erlebt, doch mit mehr Distanz als das „Ich“ der ersten Person es uns gestatten würde – und das ist eine Erleichterung. Nur wenige Leser mit einem Gewissen könnten es aushalten, würde der Leinwandmesser sein eigenes Sterben schildern. Tolstoi hat den Effekt, den die Wahl seiner Perspektive haben würde, sorgsam abgewägt. Auch hat er dem Leinwandmesser und seiner Welt Dimension verliehen mittels einer Vielzahl sensorischer Details: der Anblick seiner gelben Zähne, der Klang seines Seufzers, die Fühlbarkeit seines geschwollenen Beines. Und das kleine herzzerbrechende Detail, wenn der Wallach Zuwendung von dem sucht, der ihn gleich töten wird.

Diese schriftstellerischen Entscheidungen versetzen die Leser in eine moralische Nähe zum Leinwandmesser: sie bringen uns physisch und erzählerisch nah an das Pferd, und indem dies geschieht, sind wir dazu aufgefordert, an seinem Leid teilzuhaben. Ein Schriftsteller der sich mit nichtmenschlichen Körpern in derer besonderen und unterschiedlichen Art und Weise des Seins befasst, so wie Tolstoi es tut, kann sie nicht einfach zurück in ihre Rolle als das fremde Andere stoßen.

Bilder bündeln die Aufmerksamkeit eines Vorbeigehenden für einen Moment lang. Aber man kann ein Foto auf einen Blick verstehen oder auch abtun. Erzählliteratur bedarf hingegen ein Grad an Engagement, das den Leser zur Identifikation und zur Empathie herausfordert. Beim Lesen findet eine Reihe kognitiver Prozesse statt, angefangen vom einfachen dekodieren der Textreihen zu Wörtern, Absätzen und Kapiteln – und weitergehend, dem Zusammenbringen von Suggestionen über eine Welt aus der sich eine Quasi-Erfahrung dieser erzählten Welt bildet. Erzählungen müssen nicht übertrieben sentimental, moralisch oder politisch sein, um etwas zu bewirken. Die epische Abenteuergeschichte von Richard Adams, Unten am Fluss, beeinflusst durch ihre sehr einfache Grundlage: Hasen haben einen Eigenwert und sie handeln selbstbestimmt. Literarische Erzählungen müssen sich auch keinem Realismus unterwerfen. Der literarische Realismus dominierte auf seine Weise die amerikanische Literatur das letzte Jahrhundert lang, trotz der Impulse, die vom Postmodernismus und anderer Neuerungen ausgingen. Unten am Fluss gehört in den Sektor der phantastischen Literatur – ein Genre das zumeist eher abgewertet wird – weil es Hasen potraitiert als eine verbale Sprache sprechend, die sich „Lapine“ nennt, und als eine Mythologie besitzend. Obgleich es verschiedene Varianten gibt, so teilen doch alle Arten realistischer Erzählungen ihre Eigenverpflichtung, die „Realität“ naturgetreu zu reproduzieren. Tatsächlich gibt es nur wenige realistische Geschichten, die man über nichtmenschliche Tiere erzählen könnte.

Die Dominanz des Realismus erklärt uns vielleicht auch, warum es in der Erzählliteratur für Erwachsene so wenige Beispiele von Geschichten über nichtmenschliche Tiere und deren Leben gibt. Wie ich in Präsentationen beim Institute for Critical Animal Studies Nordamerkia und bei Animals + Writing erklärt habe, hat meine Forschung über fiktive Repräsentationen dieser Leben, ein suggestives Muster zutage gebracht: nichtmenschliche Tiere werden häufig anhand der Teile ihrer Körper beschrieben. Eine Geschichte bezieht sich an einer Stelle vielleicht auf ein Auge, eine Schnauze oder einen wedelnden Schwanz, um schnell zu erklären, dass ein Tier anwesend ist. Diese Repräsentationen gliedern den Körper des nichtmenschlichen Tieres auf, wodurch die Repräsentation des Geistes des nichtmenschlichen Tieres unmöglich wird – und das ist worum es eigentlich eher geht. Wenn nichtmenschliche Tiere in Erzählungen erscheinen, dann tun sie das gewöhnlicherweise als Kleindarsteller: als die unfreiwilligen Teilnehmer bei Blutsportarten, als transitive Objekte mit denen etwas geschieht (z.B. ein Mensch „reitet“ „sein“ Pferd) oder als Symbole menschlicher Bedürfnisse und Wünsche.

In der zeitgenössischen Literatur hat das Werk von J.M. Coetzee Themen über unsere moralischen und ethischen Verpflichtungen gegenüber nichtmenschlichen Tieren thematisiert: Elisabeth Costello und Das Leben der Tiere arktikulieren eine Tierrechtsposition, und sein Roman Schande – ein durch die Persönlichkeit des Protagonisten bestimmtes realistisches Werk – schildert einen problematischen Menschen, der sich durch seinen Kontakt mit Schafen und Hunden aus einem Tierheim verändert. Coetzee zeigt, dass es möglich ist, Erzählliteratur zu schreiben, die nichtmenschliche Tiere mit einbezieht, trotz des typischen Satzes, den wir in den Schreibkursen in der Schule immer wieder gehört haben: „Schreib gegen deine eigene Ethik an“; „Sei nicht belehrend“; “Warum schreibst du in dieser Geschichte so viel von dem Hund?“

Ich gehe zur Zeit einige eingereichte Vorlagen für eine Anthologie von Kurzgeschichten durch. Diese Anthologie habe ich mir als einen Raum für Geschichten gedacht, die nichtmenschliche Tiere als Wesen schildern, mit denen und unter denen wir leben: Wesen mit ihren eigenen Projekten, Interessen und Bedürfnissen. Der Name des Projekts After Coetzee [‚nach Coetzee’] lässt erkennen, dass Coetzees Werk einen Aufbruch in eine neue Richtung markiert. Der Titel deutet auch an, dass diese Anthologie definiert, was auf Coetzess folgte, immerhin im ästhetischen Sinne. Als ein realistisches Werk, handelt Coetzees Roman Schande mehr vom Protagonisten als von den Tieren selbst: eine notwendige und wichtige Geschichte, aber nur eine von vielen Narrativen, die erzählt werden könnte. In der Fassung meines Aufrufs zum Einreichen von Beiträgen, betone ich, dass „alle Arten erzählerischer Herangehensweisen willkommen sind, vom Realismus bis zum rein Fiktiven über grundsätzlich Innovatives und Experimentelles.“ Aber ich denke die fiktionalen Herangehensweisen, die den Realismus zurechtrücken oder über den Haufen werfen, werden am besten dazu imstande sein, Geschichten über die Welten nichtmenschlicher Tiere zu erzählen – weit, verzaubert und oft jenseits menschlicher Bedürfnisse und Wünsche.

Der Realismus verlässt sich auf eine gemeinsame Wahrnehmung von Realität – und diese geteilte Wahrnehmung ist immer und bereits im Vorab anthropozentrisch. Das Reale ist das, was menschlich ist. Infolgessen haben Schriftsteller des Gewissens, Schwierigkeiten damit, Geschichten zu entwickeln, die nichtmenschliche Tiere als Subjekte ihrer Selbst beschreiben. Jedes Mal wenn meine Richtlinien für After Coetzee an einem neuen Ort erscheinen, werde ich gefragt, „Kannst du mir Beispiele davon zeigen, was für eine Art Geschichten Du suchst?“ Die kurze Antwort darauf ist, „diese Art von Geschichten sind zumeist noch gar nicht geschrieben worden.“ Meine Hoffnung ist, dass After Coetzee durch eine Vielzahl von Narrativen und Erzählweisen einen Wechsel anstoßen wird, an dem Punkt, an dem es am meisten nötig ist: in den Annahmen, die wir über uns selbst, die nichtmensnhlichen Tiere und über unseren Platz in der Welt hegen.

A. Marie Houser hat 2013 eine Förderung von der Culture & Animals Foundation erhalten. Sie ist bekannt für ihre Mitarbeit an Dr. Melanie Joys: Why We Love Dogs, Eat Pigs, and Wear Cows: An Introduction to Carnism and Strategic Action for Animals. Sie hat bislang zwei Sachbücher für den schulisch-didaktischen Bereich veröffentlicht. Housers Erzählungen und Dichtungen sind in verschiedenen Journalen erschienen. Zur Zeit arbeitet sie an einem Buch über Aktivismus und Erzählliteratur mit dem Titel Rendered Text, an der Herausgabe von After Coetzee und am Disabled Vegan Reader, einem Buch mit Beiträgen behinderter Menschen, die über ihre Erfahrungen ans Veganer_Innen berichten.

Disabled Vegan Reader, http://www.disabledveganreader.com/
After Coetzee at Faunary Press , https://www.faunarypress.com/

(Alle Links: 14. März 2014)

Karen Davis: Wie ein Huhn zu denken: Farmtiere und die feminine Verbindung

Birds at United Pountly Concerns’ sanctuary

Wie ein Huhn zu denken: Farmtiere und die feminine Verbindung

Von Dr. phil. Karen Davis, United Poultry Concerns (UPC)

Titel des Originals: ‘Thinking Like a Chicken: Farm Animals And The Feminine Connection’. Übersetzung aus dem Amerikanischen: Gita Y. Arani-May. Mit der freundlichen Genehmigung von UNITED POULTRY CONCERNS, USA.

Dieser Text als PDF (Link öffnet sich in einem neuen Fenster)

“Wie ein Huhn zu denken: Farmtiere und die Feminine Verbindung” von Karen Davis ist ein Auszug aus dem Buch ANIMALS AND WOMEN: FEMINIST THEORETICAL EXPLORATIONS, herausgegeben von Carol J. Adams und Josephine Donovan. Copyright 1995 Duke University Press. Der Text befindet sich als Auszug im amerikani­schen Original auf der Webseite von United Poultry Concerns mit der freundlichen Genehmigung der Duke University Press. Die Autorin bedankt sich bei der Duke Universtity Press für die Unterstüt­zung ihrer aufklärerischen Arbeiten, im Namen der Hühner und der in diesem Essay dargelegten Gedanken.

Prolog

Mitte der Achtziger interessierte ich mich dafür herauszufinden, in welchem Verhältnis die Deep Ecology-Philosophie zur Tierrechtsphilosophie stand. Dies war während der Zeit in sich der mein Interesse an Tierrechten zunehmend auf die Problematik von Farmtieren konzent­rierte. Jahre zuvor öffnete mir ein Essay von Tolstoy, das einen zutiefst erschütternden Bericht über einen Besuch in einem Schlachthaus enthielt, die Augen darüber, was es bedeu­tete Fleisch zu essen.1 Nachdem ich dieses Essay gelesen hatte, aß ich immernoch manchmal Fisch, sonst kein Fleisch mehr und bewegte mich weg von Eiern. Wie dem auch sei, ich aß auch immernoch Milchprodukte, bis eine Be­schreibung über das Leben von Milchkühen und Erkrankungen der Gebärmutter bei Kühen, meinen Verzehr dieser Produkte beendete.

Ich war schon in meinen Dreißigern und seit fast zehn Jahren Semivegetarierin gewesen, bis ich begriff, dass eine Kuh trächtig gehalten werden muss, um Milch liefern zu können, oder bis ich darüber nachdachte, wie sonderbar es ist, nach dem Kleinkind­alter noch Milch zu trinken, oder darüber, das Euter einer Kuh mit ihrem Jungen zu teilen, oder schließlich darüber, ihr Junges aus dem Weg zu räumen um all ihre Milch für mich alleine zu haben. Dass ich mich zunehmend mit der Notlage der Farmtiere befasste, war nicht unbedingt das Resultat der klaren Auffassung, die ich jetzt habe über die Ausbeutung des Reproduktivsystems der weiblichen Farmtiere – das am stärksten verkörpert wird durch die Milchkuh und die Legehenne. Zwei wichtige Dinge waren geschehen die meine Gedanken und schließlich auch meine weitere Laufbahn klärten – die eine Veränderung kam durch das Lesen und die andere durch ein persönliches Erlebnis.

Ich stieß beim Lesen auf zwei zeitgenössische Essays, in denen Hühner dargestellt sind als die Art vor Tier, bei der es am unwahrscheinlichsten sei, dass sie Rechte haben könnte oder über­haupt Rechte verdienen würden. Eines der Essays war von Carl Sagan. In „The Abstractions of Beasts“ argumentiert Sagan gegen den Standpunkt der behaup­tet, dass – in den Worten von John Locke „Beasts abstract not“ – Tiere nicht abstrahieren. Sagan zeigt, dass Schimpansen – immerhin Schimpansen – durch eine Anzahl von Verhaltensweisen, zu denen auch gehörte ein Huhn grob zu behandeln, die Fähig­keit bewiesen haben, abstrakt zu denken. Ein Forscher beobachtete zwei Schimpansen dabei, wie sie ein Huhn mit Futter anlockten, während sie ein Stück Draht versteckt hielten. Wie Charlie Braun zu seinem Fußball, so kehrte das Huhn immer wieder zurück, wodurch sich zeigte, dass „Hühner eine sehr niedrige Kapazität haben Vermei­densverhalten zu erlernen,“ während die Schimpansen eine „genaue Kombination“ ihres Verhaltens erkennen ließen. Eines Verhaltens, was man manchmal für ein ausschließlich menschliches [Verhalten] hält: Kooperation, Planung einer Handlung die in der Zukunft statt­findet, Irreführung und Grausamkeit” (Sagan 1977, 108). Sagan stellt die Frage in den Raum, ob nichtmenschlichen Tierarten, die Bewusstsein und mentale Geschicklich­keit demonstrieren, nicht Rechte zuerkannt werden sollten. Als oberstes stehen auf seiner Liste die Schimpansen. Als unterstes stehen irgendwo Hühner.

Das zweite Essay stammte aus dem Bereich der environmental ethics (Umweltethik). In „Animal Liberation: A Triangular Affair“, bezieht sich J. Baird Callicott auf „The Land Ethic“ aus „A Sand County Almanac“ von Aldo Leopold, um zu argumentieren, dass domestizierte und wilde Tiere einen unterschiedlichen moralischen Status haben, und dass gleichermaßen, individuelle Tiere und eine Tierspezies als Ganzes, auch einen unterschiedlichen moralischen Status haben.2 Wilde Tiere und eine Tierspezies als Gan­zes genommen, haben Charakteristiken die sie zu einer moralischen Berücksichtigung berechtigten, was zwangsläu­fig nicht auf die Charakteristiken von domestizierten und individuellen Tieren zutreffen kann. Die kleinste Einheit für die ethische Berücksichtig­barkeit ist die biotische Gemeinschaft, in der das individuelle „nichtmenschliche, natürliche Wesen“ allein insofern eine Komponente von Wert ist, wie es zu der, in Leopolds Worten „Integrität, Schönheit und Stabilität der biotischen Gemeinschaft beiträgt.“ (Callicott 1980, 324-325)

Bezüglich domestizierter- versus wilder Tiere, sind die relevanten Unterschiede für Leopold, die, zwischen Dingen die „unnatürlich, zahm und eingeschränkt“ sind und Dingen, die „na­türlich, wild und frei“ sind. Domestizierte Tiere, insbesondere Farm­tiere, „wurden zur Unterwürfigkeit, einfachen Handhabbarkeit, Dummheit und Abhängigkeit gezüchtet.“ Sie sind „Schöpfungen des Menschen“, was „die Beschwerde einiger ‚animal liberationists’, dass das natürliche Verhalten von Hühnern und ‚bobby calves’ [A.d.Ü. agrarkulturelle Bezeichnung eines milchgefütterten Kalbes das über 4 Tage alt ist] in Fabrikfarmen grausam frustriert wird“, etwa so bedeutungslos macht, wie als würde man „von dem natürlichen Verhalten von Tischen und Stühlen sprechen . . . Leopold hat allem Anschein nach die Behandlung von Bruthennen in einer Fabrik­farm oder Bullen in einer Mastanlage nie als ein moralisch drin­gendes Thema erachtet.“ (Callicott 1980, 314, 330)

Inmitten dieser Reflektionen zog ich an einen Ort, in dessen Nähe eine Frau seit zwei Jahren jährlich eine Gruppe von etwa 100 Hühnern aufzog um sie während des Som­mers schlachten zu lassen. Das war wie ich die Bekanntschaft mit Viva machte – der Henne, dem ersten Huhn, das ich jemals wirklich kennengelernt hatte. In dem Essay das ich später über sie schrieb, habe ich beschrieben wie ich eines Tage im August über­rascht war, das Hühnerhaus, das ich nun regelmäßig besucht hatte, verlassen zu entdecken.

Dann sah ich sie. Sie holperte umher, über den zylindrischen Fütterungsbehälter auf der äußeren Seite wo das unterste Regalfach, das mit Schrott vollgestopft war, alles verdunkelte. Ein Streifen des Sonnenlichts traf auf sie, aber bis ich es schaffte hi­neinzukommen, hatte sie sich weit in die hinterste Ecke unter das Regal an die Mauer verkrochen. Sie schrak zurück als ich dort hineingriff, um nach ihr zu fassen um sie dort herauszuholen. Ich nahm sie auf meinen Schoß, streichelte ihre Federn und schaute sie an. Sie war klein uns sah aus als wäre sie niemals in der Sonne gewesen. Ihre Federn und Beine und ihr Schnabel waren verfärbt von Schmutz und Fäkalien und Staub. Ihre Augen waren so glanzlos wie der Rest von ihr, und ihre Füße und Beine waren deformiert. Ich ließ sie gehen und sie hinkte zurück in die Ecke in der sie den Sommer verbracht haben musste – von der sie nur zum Essen und Trinken he­rauskam. Sie hatte es geschafft in dieser überfüllten Haltungsanlage nicht zu Tode getrampelt zu werden, nicht wie die anderen, die ich einige Wochen zu­vor ausgestreckt und in den Dreck gedrückt gefunden hatte. (Davis 1990, 34)

Ich nahm Viva zu uns nach Hause, wo sie mit meinem Mann und mir lebte bis sie einige Monate später im November starb. Sie war stark verkrüppelt, aber energievoll und entschlossen Dinge zu schaffen. Um sich vom Gleichgewicht her zu stabilisieren, streckte sie ihre Flügel aus, so dass die Federenden den Boden berührten. Somit stehend, taumelte sie leicht von einer Seite auf die andere und stellte genauestens ihr Gleichgewicht ein bevor sie voranging. Ein Vorgang, den sie jeden weiteren Schritt oder so wiederholen musste. Nur eine ungeglückte Fortbewegung vom Teppich auf den harten hölzernen Boden veranlasste sie dazu, nackte Fußöden danach nie wieder zu be­treten. Viva war nicht nur stark in ihrem Willen und in ihrer Aufmerksamkeit; sie war stark im kommunikativen Ausdruck und in ihrer kom­munikativen Reaktion. Eines der Dinge, die am meisten an ihr berührten, war ihre Stimme. Sie sprach immer mit ihrem schwachen „piep“ zu mir, das niemals lauter wurde und schien als würde es von irgendwo in der Mitte ihre Körpers kommen, von wo sich ihr Schwanz auch exakt zur gleichen Zeit her bewegte. Sehr selten machte sie auch einen kleinen Triller. Nach einer ihrer Strapazen, in der ihre Beine sich in ihren Flügeln verfingen, was bei ihr furchtbare Konfusion und emotionale Anspannung auslöste, saß ich da und sprach zu ihr, strei­chelte ihren schönen Rücken und ihre Füße, die so weiß zwischen den Zehen und auf den Sohlen waren, und sie führte den Dialog mit mir fort, ihre Schwanzfedern in einer Art Unisono mit jedem ihrer Stimmlaute wippend.

Diese Wesensart und diese Erfahrung schienen keine Nische in der Umweltethik zu haben, einschließlich des radikalen Zweigs der Deep Ecology [Tiefeökologie], wodurch der Environ­mentalismus in einem gewissen Sinne kaum mehr zu sein scheint, als ein Ableger der vorherrschenden wis­senschaftlichen Weltsicht mit ihren harten logischen Kategorien und ihrer Verachtung für das Schwache und Verletzliche. Bezüglich von Farmtieren neigte selbst die animal community [Tierschutzgemeinschaft] dazu, sich davon frei zu halten, und, wie die öko­feministische Tierverteidigerin Harriet Schleifer hervorgehoben hat, das Thema der „food“ animals [A.d.Ü. Begriff: Tiere, die „der Nahrungsmittelerzeugung dienen“] und den Vegetarismus zu umgehen, was der Öffentlichkeit ein Gefühl gab, „dass die Verwendung von Tieren zur Ernährung irgendwie vertretbar ist, da selbst Tierschützer das sagen.“ (Schleifer 1985, 70)

Während dieser Zeit erschien ein Brief in der ‚Animals’ Agenda’ von einer Frau, die darum bat, dass mehr über Farmtiere berichtet werden sollte, soviel, wie man bezüglich der Wale berichtete. Die darauffolgende Anmerkung des Herausgebers erklärte, dass „die Notlage der Wale, sowohl für Tierverteidiger als auch für Umweltschützer, eine Ange­legenheit hoher Priorität bleibt.“ Wale sind „intelligente, beeindruckende und liebenswürdige Wesen“, deren zunehmendes Maß an Sympathie in der Welt, das sich auf dem Einsatz für sie aufbaut, es erst noch schaffen muss sie zu schützen. „Unter dem Umstand, dass wir es noch nicht einmal schaffen die Wale zu schützen, welche Chance haben wir dann die Hühner der Welt zu schüt­zen?“ (Dahl 1987, 47). Es schien wie dem auch sei, fair zu fragen, welche Chance jemals existieren könnte die Hühner der Welt zu schützen, wenn ihre einzigen Verteidiger deren Notlage als weniger als eine „Angele­genheit hoher Priorität“ betrachteten.

Dieses Dilemma, dass sich für mich durch meine letzten Begegnungen mit Sagan, Calicott und Viva kristallisierte, führte mich dazu, ein Essay zu schreiben: „Farm Animals and the Feminine Connection“ über die Dreiecksbeziehung zwischen Femi­nismus, Farmtieren und der Deep Ecology [Tiefenökologie]. Ich argumentiere, dass obwohl nichtmensch­liche Tiere mittels grundlegender Strategien und Einstellungen unterdrückt werden, die sich gleich verhalten zu denen die in der Unterdrückung von Frauen arbeiten, es auch wahr ist, dass Männer traditionell bestimmte Arten von Tieren bewundert haben und sogar danach gestrebt haben sie zu verkörpern, auch im gleichen Moment, in dem ihr Ziel deren Unterwer­fung und Zerstö­rung ist, während sie Frauen traditionell nicht bewunderten oder versuchten zu verkörpern. Tiere, die Bilder von Dingen die „natürlich, wild und frei“ sind hervorrufen, gehen mit dem „männlichen“ Geist von Abenteuer und Besiegung einher, der durch unsere Kultur idolisiert wird. Tiere, die Bilder von Dingen die „unnatürlich, zahm und eingeschränkt“ sind hervorrufen, repräsentieren eine Art des Lebens, auf die die westli­che Gesellschaft herabblickt. Der Kontrast kann in unserer Literatur besonders deutlich beobach­tet werden. Während die Jäger des großen weißen Wales in Hermann Melvilles „Moby Dick“ sich ihr Opfer als ein respekteinflößendes gottähnliches Wesen denken, sehen die kleinen Jungen in William Goldings „Herr der Fliegen“ die stillende Sau, die sie grausam mit einem Speer erstechen, als ein Objekt des Ekels.3 Die Analogie zwischen Frauen und nichtmenschlichen Tieren übersieht den wahrscheinlich entschei­denderen Vergleich zwischen Frauen und Farmtieren.

Nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Tierschützer zeigen eine durch die Kultur geprägte Gleichgültigkeit gegenüber und ein Vorurteil gegen Lebewesen, deren Leben zu sklavenhaft-, zu langweilig- und zu dümmlich weiblich – zu „kuhmäßig“ – erscheinen. Zudem sehen wir die bewusste, logische Vernunft als die einzig gültige Form des „verstandesgemä­ßen Denkens“. Der Beweis, dass Schimpansen solch eine Vernunft besitzen, ist der primäre Grund warum viele nun darauf bestehen, dass ihnen „Menschenrechte“ zugestanden werden sollten. Menschenrechte für Schimpansen? Ja. Menschenrechte für Hühner? Bedeutungslos.

Dies führt zur Frage der Tiefenökologie. Die Philosophie der „Deep Ecology“ stellt mit ihrer Betonung auf die Ökosphäre als ein Ganzes – beide, sowohl fühlende- (‚sentient’) und nicht­fühlende Lebewesen (‚nonsentient beings’) mit einschließend – eine heilsame Herausforderung für die reduktionistische Logik und die homozentrische Moralität der westlichen Kultur dar. Als der Zweig des Environmentalismus, der die spirituelle Kom­ponente der Natur und unsere Beziehung zur natürlichen Welt betont, bietet die Tiefenökologie eine Rettung vor der exfoliativen westlichen globalen Geschäftsunterneh­menswelt, die in der Maske des Fort­schritts auf mechanistischen Modellen und ungebremster Gier von Akquisition und Marktrecherchen basiert.

Dennoch, wie sein Elternhaus, der Environmentalismus, ist auch die Tiefenökologie von einer machohaften Mystik durchsetzt, durch die „natürliche, wilde und freie Dinge“ als im Einklang mit der „menschlichen“ Art der Erfahrung und idealisier­ten Existenz stehend gefeiert und phallisiert werden. Aktivitäten so wie das Jagen, Fischen und Fleisch-Essen, werden auf der Freizeit- und der spirituellen Ebene gepriesen, als Teil der Herausforderung, die Leopold formuliert als derer „wie ein Berg zu denken.“ Der Lebensstil der Jäger und Sammler wird verehrt, mit aller Verehrung an die Jäger und keiner Verehrung der Sammler. Bewaffnet mit dieser neuen Ethik, gibt der Mensch sich im Wesentlichen eine neue Lizenz dafür, mit den Predatoren zu laufen, nicht mit der Beute, und sich mit dem „Wilden“ und nicht dem „Zah­men“ zu identifizie­ren. Die selbstgefällige Identifizierung der westlichen Kultur mit dem „Begreifenden“ auf Kosten des „Begriffenen“ bleibt intakt, wenn auch mystifiziert mit einem Kopfschmuck einer angeblichen mythischen Vergangenheit.

Es ist also kaum überraschend, dass viele Befürworter der Tiefenökologie keine ethische Nische für Farmtiere finden können, oder für die Qualitäten von Mitfühlsamkeit und der wün­schenswerten Vorteile dessen, andere so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten. Ich habe diese Fragen in einem weiteren Essay: „Mixing Without Pain“ diskutiert, und die Punkte standen dort so, bis mir meine Teilnahme bei dem 1992er ‚Summit for the Animals Meeting’ die Fragen so stark zurück in mein Bewußtsein traten, dass ich eine Fortsetzung schrieb, diesmal aus der Sichtweise einer in einem Batteriekäfig gefangenen „Lege“-Henne.

In der Zwischenzeit, eineinhalb Jahre vor dem ‚Summit Meeting’, gründete ich im Oktober 1990 United Poultry Concerns, eine Non-Profit Organisation, die sich mit der Behandlungsweise domestizierten Geflügels in der Lebensmittelproduktion, Wissen­schaft, Erziehung, dem Entertainment und der Mensch-Tier-Beziehungen beschäftigt, und die respekt­volle und mitfühlende Behandlung domestizierter Vögel als Mitlebewesen, statt als Quelle von Lebensmitteln oder anderen Gegenständen, fördert. United Poultry Concerns erwuchs aus den oben beschriebenen Erfahrungen, und aus meinem Volonta­riat bei Farm Sanctuary (ein Schutzhof-Unternehmen das auf sich auf die Rettung von Farmtieren spezialisiert hat), wo ich meine Bekanntschaft mit Hühnern erweiterte, und Truthähne, Enten und Gänse kennenlernte.

Zurück zuhause entdeckte ich, eine andere lahme Henne die zurückgelassen wurde als die Besitzerin die Halle entleerte, um die Tiere zur Schlachtung zu bringen. Tulip war meine geliebte Freundin, ein Jahr lang, bis sie an einem Herzanfall starb; wofür Hühner, die zum schnellen Wachstum und zur Bildung von übermäßigen Muskelgewebe („Fleisch“) gezüchtet werden, anfällig sind. Seither sind Hühner zum Zentrum meines persönlichen und beruflichen Lebens geworden. Ich ließ ein Gehege für gerettete Hüh­ner auf unsere Küche bauen, die dort den Auslauf unseres über zwölftausend Quadratmeter großen Gartens haben. Mitten in der Dunkelheit meines Wissens über die furchtbaren Erfahrungen, die in Billionen von Hühnern durch unsere Spezies eingraviert sind, sind sie der Frieden und das Licht.

Das Summit Meeting hatte als seinen Sprecher den Environmentalisten und Historiker Roderick Frazier Nash eingeladen, der das attraktive, holistische Konzept des Environ­menta­lismus präsentierte, mitsamt der für mich unattraktiven Ansicht darüber, wie Spezies und Biosysteme den Individuen, aus denen sie sich zusammensetzen, übergeordnet sind – außer im Fall der menschlichen Spezies, für die der Environmentalismus generell eine Ausnahme zu machen scheint. Bezüglich des Jagens wurden die bekannten Rechtfertigungsgründe abgegeben, einschließlich der Infrage­stellung dessen, wie und warum ein oder zwei Rehe und Hirsche zu opfern was ausmachen sollte, solange die Herde oder Spezies vor der Dezimierung oder dem Aussterben geschützt ist. Menschen sind von Natur aus Raubtiere. In Nashs Essay „Dream of Island Civilization“ ist die ökotopische Zukunft eine, in der „Menschen ihren Platz neben den anderen Raubtieren haben könnten…in einer erweiterten ökologischen Brüderlich­keit“ aller Wesen (Nash 1991/92, 2). Idealerweise würde eine vorwiegend urbane Kultur auf der Basis einer Jäger- und Sammler-Gesellschaft gedeihen, komplett mit Predatoren-Initationsriten. Der spannende Part des Jägers wird lebhaft erweckt; dem Leser bleibt es übrig sich den langweiligen Part des Sammlers auszumalen.

Wie üblich werden Farmtiere in die Einöde vorneherein feststehender Schlussfolgerungen relegiert, wo sie nicht nur als ökologisch Fremdkörperhaft, sondern auch als zu unnatürlich und jeder Autonomie beraubt betrachtet werden, als dass menschliche Moralität auf sie anwendbar sei. Die Anerkennung dessen, dass Menschen in bewusster und ganz spezifischer Weise verantwortlich sind, für welche Abweichun­gen auch immer Farmtiere verkörpern mögen, dass deren Problematik unsere und nicht deren primäre Störung natürlicher Rhyth­men reflektiert, und dass wir ihnen dafür, dass wir sie ihres Geburtsrechts und ihrer Erdrechte beraubt haben eher mehr als weniger schulden, hat in die environmentalistischen Diskussionen die ich bis jetzt angetroffen habe, keinen Eingang gefunden. Die Situation dieser Tiere scheint von den Verursa­chern ihrer Misere keine Reue oder Wiedergutma­chungswillen zu fordern, während den Opfern „Rechte“ per se verneint werden. Rechte, von denen das Elementarste sicher das Recht sein muss, wahrgenommen zu werden und nicht konzeptuell verschrottet.

In einem Folgeartikel auf „Triangle Affair“ schreibt J. Baird Callicott Farmtieren eine feste erniedrigte Nische im konzeptionellen Universum zu. „Hoftiere wurden über Hun­derte von Generationen genetisch entworfen [durch die altmodische Methode der Selektionszucht] um gewisse Rollen in der gemischten Gemeinschaft [den menschlichen Gemeinschaften einschließlich der domestizierten Tiere] zu spielen. Die Moralität dieser Rollen zu Verurteilen ist gleichbedeutend damit, die Existenz dieser Kreaturen selbst zu verdammen (Callicott 1988, 167). Die Trompetenstöße und eisernen Oratorien des Environmentalismus hörend denke ich mir, wie könnte man je hoffen, dass die weiche Stimme von Viva hier je­mals gehört werden könnte? In dieser Welt werden die kleinen Töne des Lebens in den majestätischen Harmonien und deren Ersatz-Echos im Hain des Akademus erstickt. Ein rotznäsiger Artikel im ‚Buzzworm: The Environmental Journal’ (Knox 1991) über Tierrechte versus Environmentalismus, brachte noch den perfekten Abschluss zu der Angelegenheit.

Das ist wie ich dazu kam „Clucking like a Mountain“ zu schreiben, worin ich über die ethischen Fundamente des Environmentalismus von dem imaginären Standpunkt einer Fabrik­farm-Batteriehenne via einem menschlichen Übersetzer schreibe. Aldo Leopolds Appell an die Menschen ökoholistisch zu denken – „wie ein Berg“ – wurde von manchen Environmentalisten als ein Mandat genommen, die individuierten Existenzen, die den Berg mit ausmachen, aus der substantiven und ethischen Berücksichtigung auszuschlie­ßen, vor allen Dingen diejenigen, die in Leopolds Begriffen als „unnatürlich, zahm und eingeschränkt“ klassifiziert werden, im Gegensatz zu denen die man als „natürlich, wild und frei“ betrachtet. Das ontologische Resultat ist ein Holismus der frei von Inhalten ist, gleich einer leeren Hülle. Das ethische Resultat ist die moralische Preisgabe von Wesen, deren Leiden und andere Erfahrungen irrelevant sind verglichen zum „big realm“, dem großen Schema der Dinge.

Ich werfe Fragen über unsere moralischen Pflichten gegenüber genetisch veränderten und schwächeren Geschöpfen auf, vor allen Dingen denen, die durch unsere Handlun­gen krank­gemacht wurden, und hebe zudem hervor, dass man gezeigt hat, dass domestizierte Hühner das Verhaltensrepertoire ihrer Vorfahren erwiesenermaßen beibe­halten haben, was die prima facie Annahme, dass sie durch die Zucht zur Erzielung spezifischer Eigenschaften dozil und servil gemacht wurden, unterhöhlt.

Wie ein Berg zu glucken

„Warum verschiebst du ständig über mich zu schreiben?“
Es ist die Stimme eines Huhnes, das dies fragt.
Alice Walker (1988, 170)

In Beantwortung des Aufrufs von den Ökologisten danach, wie ein Berg zu denken, muss ich wissen, ob dies mit meinem Bestreben wie ein Huhn zu denken in Konflikt geraten würde. Da ich mich, wie die amerikanische Schriftstellerin Alice Walker, dazu entschlossen habe ein Mikrophon, das vor die Schnäbel von Hühnern gehalten wird, zu sein, um ihnen möglich zu machen nach vorne zu treten und ihre Leben darzulegen. Ich bin froh, dass ich imstande gewesen bin wie ein Huhn zu sehen und mich mit einem Huhn zu identifizieren, obwohl ich darüber traurig bin, dass meine Fähigkeit dazu, das zu kommunizieren was ich gesehen habe und womit ich mich identifiziert habe, durch profunde aber obskure Hindernisse beschränkt sein kann, wobei es aber trotzdem meine Aufgabe ist, es zu versuchen und zu traversieren. Wie ein Berg zu denken beinhaltet eine prächtige Verpflichtung und ein tragisches Bewusst-Sein. Der Environmentalist Aldo Leopold prägte dieses Bildnis um die bleibenden Interessen der Ökosphäre mit den ephemerischen, kurzlebigen der Menschen zu kontrastieren, mit der Argumentation, dass solange wir uns nicht mit der Ökosphäre identifizieren können, und so „denken wie ein Berg“, unsere Spezies und vielleicht sogar unser Planet verloren sein werden.4

Personen die durch Leopold inspiriert waren und andere, haben die Sehnsucht vieler Menschen, aus unserer Isolation als Individuen und Spezies auszubrechen und durch die Geschichte, die uns mit allen Wesen unserer größer gefassten Identität im Herzschlag des lebenden Universums verbindet zu gesunden (siehe Seed 1988, 57), gelegentlich herzzerrei­ßend ausgedrückt. Ich schätze diese Gedanken, aber was mich traurig gemacht hat ist, dass Aldo Leopold wohl nicht intentioniert hatte, dass Hühner auch ihre Stimme im Rat aller Wesen hörbar machen sollten, mit an der Seite des kalifornischen Kondors, des Regenwaldes, des Wombats, der Wildblume und dem Rest der biotischen Myriade, die in emphatischen Ritualen einberufen wurde, die gedacht sind, die Erfahrung eines größeren ökologischen Selbsts im Menschen zu rekonstituieren. Im Rat aller Wesen, sagt eine Workshop-Richtlinie, „sind die Wesen eingeladen um zu sagen, wie sich das Leben für sie, unter den gegenwärtigen Umständen, die die Menschen in der Welt geschaffen haben, geändert hat.“ (Seed 1988, 111)

Megaphon bitte.

Ich bin eine Batteriehenne. Ich lebe in einem Käfig, der so klein ist, dass ich meine Flügel nicht strecken kann. Ich bin gezwungen tags und nachts auf einem gewundenen Maschendrahtboden zu stehen, der schmerzvoll in meine Füße schneidet. Die Käfigwände reißen mir meine Federn aus. Ich habe dadurch Blut­blasen die niemals verheilen. Die Luft ist so voll von Ammoniak, dass meine Lungen wehtun und meine Augen brennen, und ich glaube, dass ich blind werde. Sobald ich geboren war, hat mich ein Mann gepackt und mir mit einem heißen Eisen einen Teil meines Schnabels abge­brannt, und meine kleinen Brüder wurden, als lebend nutzlos, in Mülltüten geworfen.

Meine Gedankenwelt ist voller Aufmerksamkeit und mein Körper ist sensibel und ich müsste reich befedert sein. In der Natur oder selbst auf einem Hof hätte ich sozialisierende, reinigende Staubbäder mit meiner Schar, ein Bedürfnis, dass so stark ist, dass ich auf dem Drahtboden meines Käfigs  „Vakuum“-staubbade. Frei, wäre ich in meinen angestammten Dschungeln und Feldern mit meinen Freunden umhergestreift, pflanzenes­send, Regenwürmer und Insekten, vom Son­nenaufgang bis zur Dämmerung. Ich hätte meinen Körper trainiert und meine Natur ausgedrückt, und ich hätte als ein ganzes Wesen Freude gegeben und erhalten. Ich bin nur ein Jahr alt, aber ich bin bereits eine „verbrauchte Henne“. Menschen – ich wünschte ich wäre tot und bald werde ich tot sein. Schau nach Teilen meines verletzten Fleisches wo auch immer Hühnerpasteten und Suppen verkauft werden.

Nach J. Baird Callicot ist die Behandlung von Hennen in einer Fabrikfarm moralisch in der Entwicklung der Umweltethik nicht wichtig gewesen. Ökologisch ist diese Henne, wie andere domestizierte „Farm“-Tiere, mit den authentischen und autonomen Kreaturen der Welt mora­lisch nicht gleichsetzbar, sondern mit all den intrusiven, grenz­überschreitenden menschlichen Technologien, von Dünenbuggies bis zum Hybridmais, die ihre eigene Drecksarbeit des zur-Beraubung-der-biotischen-Gemeinschaft-Beitragens verrichten; der biotischen Gemeinschaft, in die sie eingefügt wurden.

Außerdem ist es ungefähr so absurd sich darüber zu beschweren, dass das natürliche Verhalten eines Huhnes auf einer Fabrikfarm frustriert wird, wie als wenn man über das „natürliche Verhalten“ eines Möbelstücks reden würde. Schwarze Sklaven waren „metaphysically autonomous“ – metaphysisch autonom. Wilde Tiere sind metaphysisch auto­nom. Selbst wilde Tiere die in Käfige gesperrt sind, halten eine metaphysische Au­tonomie, als „eingefangene nicht ‚arbeitsverpflichtete’ Wesen.“ Aber Kühe, Schweine, Schafe und Hühner? Kalbsfleisch-Kälber und domestizierte Truthühner? Callicott stellt die sichere Behauptung auf, „sie wurden zur Unterwürfigkeit, einfachen Handhabbar­keit, Dummheit und Abhängigkeit gezüchtet. Es ist praktisch bedeutungslos davon auszugehen, dass sie befreit werden könnten.“ (Callicott 1980, 330)5

Dieses lasciate ogni speranza, voi ch’entrate 6 bündelte meine ethische Betroffenheit über das Schicksal domestizierter Tiere in den Environmental Ethics [A.d.Ü. der Um­weltethik]. Dieser rapid florierende Zweig der Philosophie scheint zum großen Teil die alte machohafte Mystik von uneingeschränkter Macht, Besiegung und Verachtung für das Wehrlose, die durch unsere Kultur idolisiert wird, in pseudowissenschaftliche, pseudopoetische Unterscheidungen zwi­schen Wesen die „natürlich, wild und frei“ und Dingen die „unnatürlich, zahm und eingeschränkt“ sind (Leopold 1949;1966, xix), zu hüllen. Mitleid – seht auf sie herab, aber sympatisiert oder identifiziert euch nicht mit – all den ‚Dodos’ und ‚Dunces’ in der Geschichte der Welt, die zu dumm sind in den kosmischen Machtspielen Erfolg zu haben, in denen die metaphysische Autonomie allein einer Spezies garantiert ist.

Diese Haltung enthält faktische und logische Irrtümer und lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte, unerwünschte Elemente in unserer kulturellen Psychologie und selbst unserer Psychologie als Spezies. In ‚Where the Wasteland Ends’, sagt der Historiker Theodore Roszak, dass „die Erfahrung dessen, eine kosmische Absurdität zu sein, eine Kreatur die dem Universum ohne Sinn, Kontinuität oder Seinesgleichen aufgezwungen ist, der spirituelle Preis ist, den wir für die wissenschaftliche ‚Aufklärung’ und technolo­gisches Können zahlen.“ (Roszak 1973, 154) Tatsache ist, dass wir nicht die einzigen sind, die diesen Preis zahlen. Auch ist ein spiritueller Preis nicht der einzige der gezahlt wird, wie sechszehn Milliarden Hühner weltweit uns jetzt berichten können. Eine Analyse im nietzscheanischen Stil mag dar­auf deuten, dass die „rationale“ Relegierung domestizierter Tiere in das Ödland in der Ökoethik, gerade ein weiterer Fall der „irrati­onalen“ Aufhäufung auf andere Wesen in der Geschichte unserer Spezies ist. Den Wesen, die statt unserer gestraft und verbannt werden sollen, denen wir Dinge aufhäufen die wir in uns selbst fürchten und hassen, so, wie die Fä­higkeit zur Versklavung und der Zerstörbarkeit unserer Persönlichkeit, Identität und unseres Willens, durch Eroberer die stärker sind als wir selbst. Wir projizieren unsere Existenz­ängste und Dümmlichkeit auf unsere Opfer: „Ich bin nicht die Kreatur, die sich dem Universum ohne Zweck, Kontinuität oder Seinesgleichen aufgezwungen hat, sondern diese genetisch veränderte Kuh, die eierlegende Maschine, das scheißdumme Huhn. Ich habe sie erschaffen, wodurch ich das Recht habe sie zu verachten und zu misshandeln.“ Der nächste Schritt ist zu behaupten, dass diese Tiere ihre metaphysische Autonomie dem Willen der Menschen auf der dunklen Ebene in der Evolution abtreten wollten oder dies gar selbst wählten.

Der Environmentalismus fordert uns dazu heraus, darüber nachzudenken wie wir die schwä­cheren und pazifistischeren Wesen in unserer Mitte sehen und behandeln, seien sie nichtmenschlich oder nicht. Er lädt uns dazu ein herauszufinden wie wir, vom Grundsatz her, diese Wesen betrachten wollen und betrachten sollen. Sind wir damit zufrieden, dabei zu blei­ben, dass eine genetisch veränderte Kuh, eine dozile oder selbst dumme, verdient moralisch verachtet oder fallengelassen zu werden? Glauben wir, dass eine schwächere Kreatur weniger Recht auf Gerechtigkeit und Mitgefühl hat als ein eher energetisch starker Typus? Setzen wir voraus, dass Kreaturen, deren Leben wir Menschen ruiniert haben, keine höchsten moralischen Forderungen an uns stellen könnten?

Der Environmentalismus hat eine Neigung die Schuld auf solche Opfer zu schieben. Da sind Implikationen, dass ökologische Kultiviertheit beinhaltet sich von ihnen abwendend zu ver­halten; wie ein gelangweilter Ehemann oder Dr. Frankenstein, zu Dingen hinwendend, die „interessanter“ und großartiger sind, wie ein Berg, oder tref­fender, dessen, wie einer zu „denken.“

Anhänger des Environmentalismus haben Tierrechtsfürsprecher dafür auf die Finger geschlagen, sich sorgen über „kleine Dinge“ zu machen, wie Individuen und Wesen mit Gefühlen. Im Gegensatz dazu, operieren Environmentalisten im Big Realm – im großen Be­reich:

Sie versuchen immerhin der ganzen Fuge der Gesteine und Bäume, Amöben und Schwermetalle, Dodos und Flüsse und Styropor zuzuhören. Tierrechte, im Gegensatz, sind ein One-Note-Samba. Wo Environmentalisten sich Sorgen über das Salzmarschland und all die Pflanzen und Kreaturen darin machen, machen sich Tierrechtsaktivisten Sorgen über das Leiden individueller Tiere. Wo sich Environmentalisten Sorgen über die Evolution von Inselpo­pulationen machen, sorgen sich Tierrechtsaktivisten über das Leiden individueller Tiere. Wo Environmnetalisten sich über das Aussterben von Spezies Sorgen machen, sorgen sich Tierrechtsaktivisten über das Leiden individueller Tiere. (Knox 1991, 31-32)7

Eine Frage für den Environmentalismus betrifft die Natur des „big realm“, die er behauptet zu repräsentieren und worüber er vorgibt sich zu sorgen. Wenn, ökologisch betrachtet, die konkreten Manifestationen von Existenz irrelevant sind, welche Substanz besitzt der ‚realm’ dann? Was beihaltet er und wo sind die Inhalte genau angesiedelt? Kann die Ökosphäre somit ausgehöhlt werden, ohne zu einer Hülle gewandelt zu wer­den? Ein Ökologe sagte einmal, dass das individuelle Leben ein bloßes Knistern im Rasternetz ist, verglichen mit dem ganzen Le­bensprozess, (Pacelle 1987, 8) 8 Nun mag es aber sein, dass es keinen „Lebensprozess“ gibt, außer den individuellen Formen die er annimmt, anhand dessen wir ihn verstehen. Der „Prozess“ ist eine Schlussfolgerung, eine Abstraktion, und während nichts daran falsch ist, auf der Ebene von Erfahrungen zu generalisieren und zu spekulieren, zeigt, das Unbekannte auf Kosten des Bekannten zu reifizieren, eine Pervertierung des Willens. Wie ist es möglich, sich, wie der Environ­mentalist selbstbewusst darlegt, über „all die Pflanzen und Kreaturen“ eines Systems sorgen zu machen, während man es aber schafft zu vermeiden, für wirklich jede Sorge zu tragen? Warum sollte jemand nicht Sorge tragen wollen?

Ich kenne keinen Komponisten oder Musikliebhaber, der die einzelne Note einer Komposi­tion in der Weise herabsetzt, wie einige Environmentalisten die einzelnen Tiere dieser Welt verachten. Vielleicht ist das, weil die musikalisch gebildete Person in jeder Note das Universum des Liedes sieht, das diese Note wiederum hilft zu kreieren. Der Dichter William Blake hat gesagt, dass wir lernen müssen das Universum in einem Sandkorn zu sehen. Wir müssen lernen die Musik der Sphären in dem Gackern eines Huhns, mit der gleichen Gerech­tigkeit und der gleichen Wahrnehmungsweise zu hören, beginnend mit der Henne, die, wie der Historiker Page Smith sagt, „so viele sichere Stimmklänge, Tschilper und Zirps hat, und, wenn sie ein junges Hühnchen ist, eine Art des süßen Gesangs, der voll von Zufriedenheit ist wenn sie mit ihren Schwestern und Brüdern in einer undifferenzierten Aneinanderschmiegung des Friedens und der Wohlheit zusammen in einer Schar ist, auf die Dunkelheit wartend, um die anderen mit den Flügeln mit zu umarmen.“ (Smith and Daniel 1975, 334) Wenn ich wie ein Berg denke, werde ich dann imstande sein diese Henne singen zu hören?

Um das Argument der Environmentalisten zu akzeptieren, dass das Leiden von individuellen Tieren unwichtig verglichen mit der Ozonschicht ist, müssen wir dazu bereit sein zuzugestehen, dass das Leid von Minderheiten, vergewaltigten Frauen, geschlagenen Frauen, misshandelten Kindern, Menschen die in den Todeszellen sitzen, und das Leid derer, die uns am Herzen liegen, kleine Kartoffeln sind neben dem Loch in dem Himmel. Sich über irgend­welche von ihnen Sorge zu machen, bedeutet effektiv, das große Bild zu Portraits geschlagener Welpen zu miniaturisieren. Oder wechselt der Environmentalismus, wenn es um Menschen und einen Selbst geht, zum bequemeren Boden, auf dem alle Spezies gleich sind, aber eine Spezies ein bisschen gleicher als andere ist, wo Mitgliedschaft ihre Privilegien hat? Ein Environmentalist schreibt: „Uns bedeuten Bären und Butterblumen an sich was, aber wir Menschen bedeuten uns auch was. Das ist die egoistische kartesische Grundlinie: Ich denke also verdiene ich eine freundliche Umwelt.” (Knox 1991, 37) 9 Die Vernunft mag hier richtig sein oder nicht; die Sensibilität macht mich wütend.

Diese Sensibilität hat viele Environmentalisten in eine Distanz zu „Farm“-Tieren ver­setzt und ihnen gestattet die Natur dieser Tiere herablassend zu behandeln, ohne nach den Fakten zu schauen. Der Environmentalismus hat zwei moralische Hauptargumente gegen zu Agrazwecken eingesetzte Tiere. Eines ist, dass in der Landwirtschaft ausgebeutete Tiere die natürliche Umwelt stören. Environmentalisten und Tierrechtsverteidiger sind sich darin einig, dass die im großen Rahmen stattfindende in­tensive landwirtschaftliche Tierhaltung ökologisch ineffizient und unangemessen, und ethisch abstoßend und empörend ist. Die Geflügelindustrie in den Vereinigten Staaten schädigt Felder und Wasserläufe mit jährlich 6.4 Millionen Tonnen Dung und 1.1 Milliarde Hektolitern Abwäs­sern. Nach den Angaben eines Berichtes, stoßen „Tausende von Geflügelfarmen und weiterverarbeitenden Fabriken täglich Millionen von Vögeln aus – mitsamt den Kadavern und Chemikalien die das Land kontaminieren und das Wasser mit toxischen Abfällen vergiften.“ (Giardina and Bates 1991, 8). Dies ist verabscheuenswert, aber es ist nicht der Fehler der Hühner. Es ist un­sere Schuld.

Der zweitgrößte Einwand des Environmentalismus gegen domestizierte „Farm“-Tiere ist, dass sie das Verhaltensrepertoire und den elan vital wilder Tiere, einbezüglich das ihrer eigenen Vorfahren, nicht aufweisen. Infolgedessen wird den „Farm“-Tieren das Recht auf eine gleiche moralische Berücksichtigung, wie die, die den wilden Tieren zugestanden wird, aberkannt. Wenn das wahr ist, dann liegt die Schuld aber nicht bei ihnen, sondern bei uns. Moralisch schulden wir ihnen mehr und nicht weniger dafür, dass wir ihre Geburtsrechte gewaltsam missachten. Aber wie reduziert ist die Natur dieser Tiere genetisch? Zwei Wissenschaftler, die das Verhalten von „legenden“ Hennen über Jahre studiert haben, erklären:

Ein guter Ort dafür darüber zu beginnen nachzudenken, was eine Henne für ein angemessenes Leben braucht, wäre in den Dschungeln Südostasiens, wo man mit einiger Ausdauer das Bankivahuhn (Gallus gallus), den Vorfah­ren der do­mestizierten Hühner, finden kann. Diese vorsichtigen Vögel leben in kleinen Gruppen von vier bis sechs Individuen und sind hoch aktiv während der Tageszeit – herumlaufend, rennend, fliegend, nach Futter pickend und scharrend und sich putzend. Nachts lassen sie sich zum schlafen zusammen in den Bäumen nieder. Domestizierte Hühner die auf den Inseln von Queensland, Australien, und an der Westküste Schottlands freigelassen wurden, zeigten ganz stark die gleichen Verhaltenmuster. David Wood-Gush und Ian Duncan von der ‚Agricultural and Food Research Council’s Edinburgh Station’ beobachteten, dass die schottischen Hühner kleine eigenständige soziale Gruppen bildeten, die viel Zeit ihres Tagesablaufs auf den Nahrungsmittelsuche entweder alleine oder zusammen ver­brachten, und dann in der Dämmerung zum gemeinsamen Niederlassen zurückkehrten. Die Hennen verbargen ihre Nester, zogen ihren Nach­wuchs auf und verteidigten ihn. Kurzum, es gibt keine Beweise dafür, dass genetische Selektion zum Eierlegen, das Potenzial des Huhns eine vielfältige Anzahl von Verhaltensweisen auszuführen, eliminiert haben. (Nicol and Dawkins 1990, 46)

Das setzt die Behauptung der Industrie außer Kraft – die Behauptung, die auch von den Envi­ronmentalisten übernommen wurde –, dass „Lege“-Hennen für den Batteriekäfig „gezüchtet“ sind und genetisch an eine sterile, einschränkende und sklavenhafte Exis­tenz angepasst sind, die Menschen und wilde Tiere verrückt machen würde. Wie viele Environmentalisten sind sich darüber bewusst, dass zusätzlich zur routinären Entschnabelung und teilweise sogar der Entfernung der Klauen dieser Hühner (um der „Anpassung“ etwas nachzuhelfen), Bemühungen unternommen wurden, sie mit Kon­taktlinsen auszustatten um ihre „unökonomi­sche“ Panik zu „beruhigen“ durch die Zerstörung ihrer Sicht? (Davis 1992) 10 Dr. Nedim Buyukmihki, ein Veterinär und Ophthalmologe der University of California Davis sagt selbst über diese Hühner, dass wenn sie aus den Käfigen freigelassen werden und ihnen die Linsen entfernt werden, die Hühner in seiner Betreuung nach einer Phase der Anpassung „alle die Dinge tun, die Hühner normalerweise tun, wenn sie gelassen werden, wie nach Nahrung zu scharren, Staubbäder zu nehmen, ihre Zeit zusammen oder getrennt von den anderen zu verbrin­gen, Flugversuche zu machen, ihre Flügel und Beine gleichzeitig auszustrecken, sich zu putzen und sonstige Dinge. Das Putzen war selbstverständlich sehr verkürzt wegen der Verstümmelung ihrer Schnäbel.“ (Buyukmihci 1992)

Im Gegensatz zu der ungeprüften Annahme, dass „Lege“-Hennen unsere metaphysischen Sklaven sind, beobachtet Dr. Page Smith, der Kulturhistoriker der Hühner, in korrekter Weise: „Hühner sind im ganzen genommen sehr wiederstandsfä­hige Wesen oder sie hätten erst gar nicht die Experimente, die mit ihnen in den letzten fünfundsiebzig Jahren im Namen der wissenschaftlichen Hühneraufzucht durchgeführt wurden, überlebt.“ (Smith and Daniel 1975, 331)

Paradoxerweise sind Hühner, wie auch die meisten von uns, wiederstandfähig und empfind­lich, und, in Situationen die ihre Natur missachten, bemitleidenswert. Die Erfahrung lebendig zu sein, im Fleische der Existenz, sei sie eine der Schmerzen oder erlernter Hilflosigkeit, ist soviel ein Anteil der Biosphäre wie die gesamtgenommene Erfahrung eines Berges. Es fühlt sich gut an wie ein Berg zu denken und die Erfahrung der romantischen Steinzeitgefühle eines Predatoren (nicht der Beute) und eines Jägers (der sich in der Ökologie die gleiche Mühe gemacht hat die Vorteile eines Sammlerda­seins zu erforschen?) zu machen. Es fühlt sich nicht gut an wie eine Batteriehenne zu denken und sich selbst und die eigene Spezies durch ihre Augen zu betrachten, nicht als ein autochthoner Held in Ketten, sondern als eine verwirrend grausame Kreatur die sie bestraft und keine Gnade kennt.

Epilog

Ich schickte „Clucking Like a Mountain“ an ‚Environtmental Ethics,’11 „ein interdisziplinäres Journal das sich den philosophischen Aspekten von environmentalen Problemen widmet“, weil das Journal die beste Gelegenheit dafür zu bieten schien, der Gemeinschaft der Environmentalisten auf ihren eigenen konzeptionellen Böden zu be­gegnen. Der Herausgeber lehnte meinen Artikel ab. Einer der beiden Textbegutachter war für und der andere gegen eine Veröffentlichung. Der eine, der dafür gewesen war, würde „nicht die Ansichten der Autorin teilen“, aber betrachtete den Texts als ein „ganz besonders lesenswertes Essay … ein provoka­tiver Text, der die Ansichten, die generell die Seiten von Environmental Ethics dominieren, in Frage stellt.“

Der zweite Leser, der offenbar ein Geflügelforscher war, insistierte darauf, dass die Argumente „viel an faktischen Information“ ignorieren würden, zum Beispiel, „dass es im Interesse der Personen, die Hühner in Batteriekäfigen aufziehen liegt, dass das Wohlergehen dieser Hühner nicht so stark ignoriert wird, dass die Eierproduktion dadurch beeinträchtigt werden könnte,“ und dass „die Industrie beachtliche Fortschritte gemacht hat in der Bestim­mung des geeigneten Maschendrahtes für Batteriekäfige um das Verfangen der Beine der Hühner dadurch zu verhindern.“ Die zwei Hauptprobleme von Hühnern in Batteriekäfigen, so wie in allen Bereichen der landwirtschaftlichen Tierhaltung, sind, dass wenn Dinge Falsch laufen, sie im größten Maßstab falsch laufen, und die Entsorgung der entstehenden Abfälle. Ich hätte es verpasst, den großartigen Vorteil „erhöhter Pro­duktivität durch die Ersparnisse in Zeit und Arbeit“ zu erwähnen. Außerdem hatte ich impliziert, dass Hühnern der Tod anderer Hühner etwas bedeuten könnte und ich hatte die Nachteile der Freilandhaltung ignoriert indem ich die imaginäre Sicht einer Batte­riehenne in einer Fabrikfarm mittels eines menschlichen Überset­zers beschrieben hätte, die sich wie ein „einseitiger Anthropomorphismus“ läse.

Bei der Ablehnung des Manuskriptes sagte der Herausgeber, es würde viel Material, mit dem die Leser des Journals vertraut wären, ignorieren, wie einschließlich Callicotts „‚Triangular Affair’, worin Hühner etwas detaillierter Diskutiert werden,“ und Birch and Cobbs ‚The Liberation of Life’, „das ganz spezifisch das Leben von Hühnern im Ver­gleich zu den Leben von Schimpansen kontrastiert.“ (Hargrove 1992) Der Herausgeber hat eine Richtlinie, die vor­gibt keine Materialien über ‚Animal Welfare Ethics’ [Tierhscutzethik] zu veröffentlichen, außer sie haben einen direkten Bezug zu environmentaler Ethik. Der Schwerpunkt eines überarbeiteten Artikels müsste so weiter verlaufen, dass domesti­zierte Hühner ein Belang der environmentalistischen Ethik aus environmentalistischer Sicht sein sollten, was Callicotts Argument in „Back Together Again,“ dass wir eine geschlossene Ethik brauchen, unterstützen würde.

Ich glaube dass wir eine geschlossene Ethik brauchen, in der wir eine Stimme sind, nicht nur für das Leben, sondern für die Leben – für alle die sanften und unschuldigen Leben, die unse­rer Gnade ausgeliefert sind. Ich teile Callicotts darwinistische Sicht, dass wir und andere Tiere eine gemeinsame Biosozialität besitzen, die ihre Wurzel in der evolutionären Verwandtschaft hat, und, in dem Fall von domestizierten Tieren, in direkten Interaktionen, die häufig eine gegenseitige emotionale Bindung mit einbezie­hen. Wie dem auch sei, ich teile nicht seine Ansicht in „Back Together Again“, dass „Hof“- und andere domestizierte Tiere a priori einen von vorneherein festgelegten ontologischen Status haben, durch den ihre Existenz synonym ist mit den verminderten Rollen, die Menschen ihnen als Lebensmittelquellen, als Pflugtieren und Haustieren zugeschrieben haben. Auch glaube ich nicht, dass es eine Art des entwickelten unausgesprochenen sozialen Kontraktes zwischen „Mensch und Vieh“ in der soge­nannten gemischten Gemeinschaft von Menschen und domestizierten Tieren gibt (Callitcott 1988, 167), in dem das „Vieh“ ganz einfach unsere Sklaven und Unterlegenen sind, die wir so behandeln können wie wir wollen – wie in unserer Mani­pulation deren Reproduktiv­systems für den Markt und Effizienz und andere rein menschliche Zwecke – statt an die biologische Fitness ihrer Spezies oder ihr individuelles oder soziales Wohlergehen. Der Wille des domestizierten Tieres unterscheidet sich nicht von dem eines menschlichen Sklaven in seinem Ausgeliefert­sein an die Gnade eines „Besitzers“, hinter dem ein juristisches System steht, das sie oder ihn als Eigentum definiert.

Der Kontraktgedanke ignoriert diese und andere Fakten, wie die unzähligen Krankheiten der Do­mestizierung, die in relevanter Weise eine immer gedeihende Tierforschung, phar­mazeutische- und Veterinärindustrie geschaffen haben. Sie romantisiert und entlastet unsere Beziehung zu domestizierten Tieren und deutet provokativ an, dass Spezies, denen in anderen environmentalistischen Kontexten rigoros moralische Kapazität und Autonomie ver­neint werden in einer Art des einseitigen Sündenbockdaseins, ein­fach so an dieser Stelle ihren Platz hätten. Domestizierte Tiere waren selbst einmal wild und frei. Hühner „vom Typ Eierlegend“ die in wilde Habitate die sie selbst nie kannten freigelassen werden, kehren zu ihrem unterdrückten Verhaltenrepertoire wieder zurück. Doch ob Farm- und andere domestizierte Tiere unter wilden Bedingungen überleben könnten oder nicht, es ist unangemessen sich auf einen „unausgesprochenen sozialen Kontrakt“ zwischen ihnen und ihren menschlichen „Herren“ zu beziehen.

Der Herausgeber von Environmental Ethics zitiert Birch and Cobbs Kontrastierung zwischen dem Leben eines Huhnes und dem Leben eines Schimpansen. In ‚Matter of Life and Death’ thematisiert John Cobb, Professor für christliche Theologie, Fragen der Gegenwart, wie die, ob Menschen das Recht haben die Umwelt zu zerstören und ande­ren Spezies extremes Leid zuzufügen oder deren Aussterben zu bewirken. In der Sektion über Tierrechte unterscheidet er zwischen den Leben von Hühnern, Kälbern, Thunfischen und Haien und dem Leben von Menschen, nichtmenschlichen Primaten und Meeressäugern, mit der Argumentation, dass während die Perspektive Gottes beide Gruppen umfasst, „das Recht zu Leben sich viel stärker auf Gorillas und Delphine bezieht, als auf Hühner und Haie.“ (Cobb 1992, 36) Verständli­cherweise sehen Hühner und Haie ihr Leben als das Wichtigste, aber der „Richtspruch“ erachtet ihren Tod als „weiterer Erfahrungen eines viel geringer distinktiven Wertes ausschlie­ßend“, als es der Tod eines Primaten oder Meeressäugers tut, und deren Beitrag zum göttlichen Leben als von weitaus weniger Bedeutung. Die potentiellen Erfahrungen von Rinderkälbern, Hühnern und anderen die derer Klasse anvertraut werden, sind „nicht besonders distinktiv“. Die Angst dieser Tiere vor dem Tod ist „kein wichtiger Faktor in deren Leben“, und „[deren] Tod verursacht anderen keine wesentliche Sorge.“ (Cobb 1992, 40)

Kurzum, der Brief des Herausgebers mit seiner vorgeschlagenen Lektüre, bestätigt meine eigene Analyse. Er versucht die Stimme des individuellen Tieres und des Autoren niederzuschreien und mir als ein Sprecher der Hühner kennt die Legitimität abzusprechen, im Unterschied zu den „Experten“, mit denen die Weltordnung und der göttliche Verstand einfach darüber einig ist, dass Tiere, die Menschen gerne essen, so wie Haie, weniger wertvolle per­sönliche und zwischenpersönliche Erfahrungen, und eine geringere Rolle im Universum haben. Woher wissen die Experten das? Sie haben es entschieden.

Ich bin durch die Erkenntnis beeindruckt gewesen, dass ein paar Menschen praktisch darüber „entschieden“ haben, welche Erfahrungen zählen und gar welche in der Welt existieren. Die Sprache der westlichen Wissenschaft – das regierende Konstrukt männli­cher Hegemonie – schließt die Fähigkeit aus, die Erfahrungsrealitäten über die sie spricht auszudrücken. Praktisch alle der tatsächlichen Erfahrungen in dieser Welt, die sich durch das Manifest und die mysteriösen Charakteristiken all der verschiedenen Wesen ausdrückt, sind in den rostfrei stählernen Edikten der Experten unrepräsentiert. Wo ist die Stimme der Stimmlosen in der wissenschaftlichen Literatur, einschließlich der Literatur der environmentalen Ethik? Wo passt das „Gedächtnis des Leids und die Wahrheiten unterdrückten Wissens“ in das dominierende Konstrukt unserer Ära? (Adams and Procter-Smith 1993, 302)

Carol J. Adams und Marjorie Procter-Smith beobachten, dass ironischerweise „die Stimme der Stimmlosen eine Wahrheit bietet, die die Stimme des Experten niemals bieten kann“ (1993, 302). Diese Stimme bedarf einer Sprache, die sich von der Sprache der Experten unter­scheidet. Ein verbales und textliches äquivalent der subjektiven und intersubjektiven Erfahrungen, die Menschen miteinander und, durch eine Epistemologie die in unserer evoluti­onären Geschichte wurzelt, die anderen Tiere und die Welt verbindet. Auffallenderweise kritisiert mich der Geflügelexperte-Gutachter meines „Clucking“ Essays bezüglich „zu viel erster Person singular“ und wutschnaubt, dass „sechs Milliarden Hühner […] mir nicht den spirituellen Preis wissenschaftlicher Auf­klärung erklären [können].“

Wenn Frauen sich von dieser unterdrückerischen Mentalität attackiert fühlen, wie müssen die Tiere dadurch betoffen sein? Lassen Sie uns nicht allein den Schmerz den wir ihnen zufügen, sondern die moralische Ökologie innerhalb der wir ihn zufügen be­trachten – die reduzierende, boshaft kichernde Atmosphäre großspurigen Hasses und großspuriger Verachtung die wir erteilen, in der zahllose Milliarden von Tieren gezwungen sind zu leben. Diese moralische Ökologie ist ein so distinktiv menschlicher Beitrag zur Spanne von Erfahrungen in dieser Welt wie alles andere das unsere Spezies erlassen hat. (siehe Davis) 12

Ich habe ein Foto eines Geflügelforschers, der für die Medien in einer experimentellen Batte­riehennen-Einheit posiert, mit einer wissenschaftlich blind- und taubgemachten Henne in seinen Armen und einem lächeln auf seinem Gesicht. (Greene 1992, A-6) Ich habe einen Brief von einem Geflügelforscher der schreibt: „Ich denke sie werden dem zustimmen, dass die menschliche Spezies die einzige Spezies ist, die Mitleid für ihre Beute fühlt … Ich sehe in ihrer Literatur den Vorschlag, dass Hühner als Haustiere behandelt werden sollen. Das Kind das eine ‚Plymouth Barred Rock’-Henne hält, soll etwas in der Nähe frisch gewaschener Wäsche stehen? … Ich hatte mit vielen Tausenden Hühnern und Truthähnen zu tun und ich denke nicht, dass sie gute Haustiere sind, obwohl es bewiesen ist, dass man fast jeden Vertebrat dazu trainieren kann zum Futter zu kommen.“ (Jukes 1992)

Das ist die Stimme des Experten, der so desensibilisiert ist, dass das Bild eines kleinen Mäd­chens das zärtlich eine Henne in ihren Armen hält, nur Gedanken über die Defeka­tion der Henne produziert – etwas was daran erinnert, dass sein mit Tausenden von Hühnern und Truthähnen zu tun haben, in der Weise stattfindet, das sie ‚müssen’ wenn er sie berührt. In dem Verwährtsein in den environmentalistischen Dialog einzutreten durch „Clucking Like a Mountain“, kann ich mir nicht helfen aber mich zu fragen, in wie weit der Delegitimierungsprozess als eine Form des intellektuellen Schutzes gegen die stummen Beunruhigungen und weichen Dialoge all der Vivas in der Welt fungieren soll. Es gibt keine Beruhigung darin die Augen einer Henne aus einem Käfig blicken zu sehen, der genau für sie gebaut worden ist. Die Annahme, dass sie keinen Ausdruck hat, nichts auszudrücken hat, ist stattdessen eine große Beruhigung.

Endnoten

1 Dieser Text über die Schlachtung von Tieren für „Nahrungsmittelzwecke“ und Vegetarismus, wurde 1892 als Vorwort für die russische Ausgabe von Howard Williams Ethics of Diet (1883) geschrieben. Williams Buch ist eine biografische Geschichte des philosophischen Vegetarismus von der Antike bis durch zum frühen neunzehnten Jahrhundert.

2 Siehe Callicott (1980), „Triangular Affair,“ S. 315: Bezüglich der „starken Betroffenheit der ‚animal liberationists’ über das Leid der domestizierten Tieren . . . macht Leopold eine Einstellung klar, die höchstens als Gleichgültigkeit beschrieben werden kann.“

3 Siehe ‚Lord of the Flies’, Kapitel 8, „Gift for the Darkness.“

4 Leopold sagt auf Seite 137 „Allein der Berg hat lange genug gelebt um dem Heulen eines Wolfes objektiv zuzuhöhren.“

5  Siehe auch Callicott (1988), „Farm Animal Feminism“ (Brief), The Animals’ Agenda. Cf. Ursula K. Le Guin, “She Unnames Them,” January 21, 1985: 27. “Cattle, sheep, swines, asses, mules, and goats, along with chickens, geese, and turkeys, all agreed enthusiastically to give their names back to the people to whom — as they put it – they belonged.” („Rinder, Schafe, Schweine, Esel, Maulesel und Ziegen, Hühner, Gänse und Truthähne, alle waren sich enthusiastisch darüber einig, ihre Namen den Leuten zurückzugeben, denen sie – wie sie sagten – gehörten.”)

6 „Gib alle Hoffnung auf, der, der du hier eintrittst.“ Die Einschrift des Eingangs zur Hölle in Dantes Inferno, III, 9. Siehe auch Davis, „Farm Animals and the Feminine Connection“; „Mixing Without Pain“; und „Farm Animal Feminism“ (Brief).

7 Eine wertvolle Behandlung dieser Frage befindet sich in Michael Allen Fox, “Environmental Ethics and the Ideology of Meat Eating,” in ‘Between the Species’. Er sagt beispielsweise auf Seite 122, bezüglich der Abweisung der Ethik des Essverhaltens und dem Leiden individueller Tiere durch den Environmentalismus, dass es „ethisch myopisch und nicht mehr als selbstbedienend [ist]; es ist ein Beispiel der Art kategorischen Denkens, das Menschen weitaus zu lange praktiziert haben und von dem environmentalistische Ethiker versprochen hatten uns zu erlösen. Es ist eine Art zu denken, die aufgegeben werden muss, wenn Menschen und andere Lebensformen auf diesem Planet koexistieren und weiterleben können sollen.“

8 In Pacelle, “The Foreman of Radical Environmnetalism,” sagt David Foreman von ‘Earth First!’ auf S. 8, “Ich sehe individuelle Leben als momentares Energieknistern im Rasternetz“ – “I see individual lives as momentary energy blips on a grid.”

9 In “The Rights Stuff“ folgert Knox auf Seite 37, dass “diejenigen, die die Kämpfe der Erde führen würden, immer wieder an der Stelle wo ihre Interessen koinzidieren am gleichen Strang mit den Tierrechtsaktivisten ziehen [müssen], aber sie tun es mit Vorsicht, da sonst das so schwer erfassbare Bild des Großen und Ganzen zu Portraits geschlagener Welpen miniaturisiert wird.“ – „Those who would fight the earth’s battles can’t help but make common cause with animal rights activists where their interests coincide – but carefully, lest the ever-elusive big picture doesn’t get miniaturized into portraits of battered puppy dogs.”

10 Siehe Karen Davis „Red Contact Lenses for Chickens: A Benighted Concept.“ 192. Erhältlich über United Poultry Concerns, Inc. PO Box 59367, Potomac, MD20859.

11 Außer einigen Satzkürzungen, entspricht dieses Essay, „Clucking Like a Mountain,“ genau dem bei dem Herausgeber eingereichten Text.

12 Über das Konzept der moralischen Ökologie von Schmerzen und Leid: Karen Davis, „What’s Wrong with Pain Anyway?“

Quellen

  • Adams, Carol J. and Marjorie Procter-Smith. 1993.”Taking Life or ‘Taking on Life’?: Table Talk and Animals.” In Ecofeminism and the Sacred. Ed. Carol J. Adams. New York: Continuum Publishing Company.
  • Birch, Charles and John B. Cobb, Jr. 1981. The Liberation of Life: From the Cell to the Community. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Buyukmihci, Nedim C. 1992. Letter to the author.
  • Callicott, J. Baird. 1980.
    • “Animal Liberation: A Triangular Affair.” Environmental Ethics 2:311-338.
    • 1988. “Animal Liberation and Environmental Ethics: Back Together Again.” Between the Species: A Journal of Ethics 163-169. 1992. Rpt. in The Animal Rights/Environmental Ethics Debate: The Environmental Perspective. Ed. Eugene C. Hargrove. Albany, NY: State University of New York Press. 249-261.
    • 1988. “Farm Animal Feminism.” Letter. The Animals’ Agenda (June):3-4.
  • Cobb, John B., Jr. 1992. Matters of Life and Death. Louisville, KY: Westminster/John Knox Press.D
  • Dahl, Ruth. 1987. “Thinks We Show Favoritism to Whales.” Letter. The Animals’ Agenda (June): 47.
  • Dante. 14th Century. Inferno, III, 9.
  • Davis, Karen. 1988.
    • “Farm Animals and the Feminine Connection.” The Animals’ Agenda (January/February): 38-39.
    • 1988. “Farm Animal Feminism.” Letter. The Animals’ Agenda (June): 4.
    • 1989. “What’s Wrong with Pain Anyway?” The Animals’ Agenda. (February): 50-51.
    • 1989. “Mixing Without Pain.” Between the Species: A Journal of Ethics 5:33-37.
    • 1990. “Viva, The Chicken Hen (June ? – November 1985).” Between the Species: A Journal of Ethics 6: 33-35.
  • Fox, Michael Allen, “Environmental Ethics and the Ideology of Meat Eating.” Between the Species: A Journal of Ethics 9:121-132.
  • Golding, William. 1954. Lord of the Flies. N.p.: Wideview/Perigree Books.
  • Greene, Jan. 1992. “Cal Poly chicken study ruffles feathers: Animal rights groups blast contact lens study.” Telegram- Tribune, San Luis Obispo, CA (March 13): A-1, A-6.
  • Hargrove, Eugene C. 1992. Letter to the author.
  • Jukes, Thomas H. 1992. Letter to the author.
  • Knox, Margaret L. 1991. “The Rights Stuff.” Buzzworm: The Environmental Journal 3.3: 31-37.
  • Le Guin, Ursula. 1985. “She Unnames Them.” The New Yorker January 21): 27.
  • Leopold, Aldo. 1949; 1966. A Sand County Almanac. New York: Ballantine Books.
  • Nash, Roderick Frazier. 1991/92. “Island Civilization: A Vision for Planet Earth in the Year 2992.” Wild Earth (Winter): 2- 4.
  • Nicol, Christine and Marian Stamp Dawkins. 1990. “Homes fit for hens.” New Scientist (March 17): 46-51.
  • Pacelle, Wayne. 1987. “The Foreman of Radical Environmentalism: A Discussion with David Foreman of Earth First!” The Animals’ Agenda (December): 6-9, 5-53.
  • Roszak, Theodore. 1972. Where the Wasteland Ends: Politics and Transcendence in Postindustrial Society. New York: Anchor Books.
  • Sagan, Carl. 1977. The Dragons of Eden: Speculation on the Evolution of Human Intelligence. New York: Random House.
  • Schleifer, Harriet. 1985. “Images of Life and Death: Food Animal Production and the Vegetarian Option.” In Defense of Animals. Ed. Peter Singer. New York: Basil Blackwell. 63-73.
  • Seed, John et al. 1988. Thinking Like a Mountain: Towards a Council of All Beings. Philadelphia: New Society Publishers.
  • Smith, Page and Charles Daniel. 1975. The Chicken Book: Being an Inquiry into the Rise and Fall, Use and Abuse, Triumph and Tragedy of Gallus Domesticus. Boston: Little, Brown and Company.
  • Swiss Society for the Protection of Animals STS. 1994. Laying Hens: 12 years of experience with new husbandry systems in Switzerland. Bern: Kummerly + Frey AG.
  • Walker, Alice. 1988. “Why Did the Balinese Chicken Cross the Road?” Living By the Word:Selected Writings 1973-1987. New York: Harcourt Brace Janovich.
  • Warren, Mary Anne. 1992. “The Rights of the Nonhuman World.” The Animal Rights/Environmentalist Ethics Debate: The Environment Perspective. Ed. Eugene C. Hargrove. Albany, NY: StateUniversity of New York Press.