Gertrud Kolmar: Tierträume


Gertrud Kolmar

Eine faszinierende Sprache. Im Kontext mit unserem Interesse an “Erzälliteratur, Dichtung und Tierrechten” haben wir die Gedichte: Tierträume von G. Kolmar entdeckt und wollen daraus einige gerne den Leser_innen, die noch nicht mit G. Komlar vertraut sind, vorstellen. In diesem Zusammenhang empfehlen wir unbedingt auch sich diesen Blogeintrag anzusehen: A. Marie Houser: Literaturkörper: Erzählliteratur ist Aktivismus.

Aus: Getrud Kolmar – Tierträume. Quelle: LiteraTisch.de. Eine sehr empfehlenswerte Seite, die sich mit den im Nazi-Regime verbotenen Schriftsteller_innen befasst und ihrer gedenkt.

Trauerspiel

Der Tiger schreitet seine Tagereise
Viel Meilen fort.
Zuweilen gegen Abend nimmt er Speise
Am fremden Ort.

Die Eisenstäbe: alles, was dahinter
Vergeht und säumt,
Ist Schrei und Stich und frostig fahler Winter
Und nur geträumt.

Er gleitet heim: und mußte längst verlernen,
Wie Heimat sprach.
Der Käfig stutzt und wittert sein Entfernen
Und hetzt ihm nach.

Er flackert heller aus dem blinden Schmerze,
Den er nicht nennt,
Nur eine goldne rußgestreifte Kerze,
Die glitzernd sich zu Tode brennt.

Der Drache

So will ich liegen – da die Hand mir schweigt,
Da sich die volle Schale zu mir neigt,
Ein einz’ger Tropfen aus der Schale fällt,
Doch mit dem Tropfen die gekrönte Welt
Der Stille.

Es schwillt, es bildet sich und nimmt Gestalt.
Das Auge leuchtet tausend Jahre alt,
Und nun ihm brauner Fetzenflügel wächst,
Der Glanzschweif sich um Sternenespe hext,
Erkenn’ ich’s.

Schon kriecht es duckig, erzgeschuppt die Haut,
Den Klumpfuß meinem Teppich eingeklaut;
Aus seiner Pferdenüster, rundgebläht,
Tanzt Flammensense auf, die Träume mäht
In Schwaden.

Mit seinem Maule zückt es manches Wort,
Und wenn es redet, heb’ den Kopf ich fort;
Denn was es weiß, ist alles seltsam wahr,
Ist, wie der Mond von totem Froste, klar
Und scheinend.

»Sie haben aus den Höhlen mich gebannt,
Sie haben mit den Büchern mich verbrannt,
In finstren Napf gestellt ihr weißes Licht;
Es steigt an meiner Glut und will mich nicht
Erschlagen.«

»Und bin ich dienstbar nicht wie Stuhl und Tisch
Und minder selbst als Fittichtier und Fisch,
Doch bin ich Kap, daran dein Schoner birst
Und das du leugnest, bis du scheitern wirst
In Stürmen.«

»Du nennst die Inseln: Tod, Unsterblichkeit.
Hörst du das Leben, das aus Steinen schreit ?
Siehst du die Zuckungen des Staubgesichts ?
Du glaubst: Hier Gottes Himmel – dort das Nichts.
Ich bin ein Drittes.«

Aquarium

Immer wieder an ein Glas zu stoßen,
Immer wieder sich im Kreis zu drehn,
Statt geschmückt in wunderbaren, großen,
Lebenden Gewässern hinzuwehn.

Immer wieder sich an schalen Happen
Wohlzutun im laulich dumpfen Tang,
Statt mit kleinem, buntem Maul zu schnappen
Grünes Licht und kühlen, frischen Fang.

Immer wieder Härte anzufühlen,
Fahlen Sandes eine dünne Schicht,
Statt dem tiefen Grunde sich zu wühlen
An das braune, wärmende Gesicht.

Immer wieder Strand mit bösen Dingen,
Da das Fischlein krank und kämpfend liegt,
Wenn es heftig, unbedacht im Springen,
Seine karge Heimat überfliegt;

Nur ein rasch gehemmtes Auf und Nieder,
Kurze Blitze, links und rechts geschnellt,
Immer wieder, ach, und immer wieder
Kennt ein Ende diese kleinste Welt!

In den Fernen lagern schwarze Teiche,
Stirbt ein regenbogener Quellenfall,
Führt das weite Strömen seine Leiche
In ein Grab von fliehendem Kristall.

Auch die Fische mögen heimlich träumen,
Was ihr Herz wie Menschenbrust befreit:
Klare blaue Welle und das Schäumen
Süßer Meere der Unendlichkeit.

Der Rosenkäfer

Es ist ein elend Sein, es ist ein Ding der Dinge,
Der Splitter, abgefeilt von Gottes Siegelringe.

Ihr nennt es Junistern, der blauen Tagen gleißt,
Ich nenn’ es Zaubertier, gezeugt im Blumengeist,

Den uns kein Kräutermann noch Wunderarzt verhandelt,
Den höchste Alchimie allein erkennt und wandelt;

Denn dies, der Rose Licht und Blut, davon es zehrt,
Ist, was sich ihm zu grün und braunem Golde kehrt.

Die Rehe

O Frauen, die in Nacht zerrinnen!
O Männer, die an Weisern stehn!
Euch bleibt ein kurzes Sichbesinnen,
Dann müßt ihr wenden und vergehn.
Mag sein, in traurigem Vergeben,
Mag sein, in trotzigem Sichheben:
Ihr sinkt doch waldwärts mit den Rehn.

Die Rehe suchen reinre Pfade
Durch Indischmoos, an Brombeerwand;
Des Waldes lieblichste Ballade
Hegt Vogelnest, spielt Buchenhand,
Doch ihnen wachsen manchmal Träume
Aus Häuptern, kleine braune Bäume
Auf einem braunen Fleckchen Land.

So sanfte Augen. Drinnen dämmert
All ihrer Monde Zug und Hauch.
Ein Quell erklingt. Ein Blauspecht hämmert.
Ein Grünes gilbt am Haselstrauch.
Dann leiden sie Geflock und Winde,
So leiden Mütter still am Kinde,
So leiden sie die Kugel auch.

Sind hingestürzt und tot gefunden
Mit stumm zerbrochenem Gesicht.
Wer löschte achtlos ihre Stunden
Und hütet seine als ein Licht ?
Ist dieses Wesen denn so nichtig,
Nur euer Leben gar so wichtig ?
Ach, wüßtet ihr’s. Ihr wißt es nicht.

Quelle – eine empfehlenswerte Seite:
https://www.literatisch.de/gertrud-kolmar-tiertraeume.html

Links: 30.11.2019

Informierter und uninformierter Speziesismus

Tierrechte und subjektiver Aktivismus

Informierter und uninformierter Speziesismus

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Ich lese diesen Text hier vor für Menschen mit Sehbehinderung (MP3)

Die breite Gesellschaft befasst sich gegenwärtig (bewusst sowohl als auch unbewusst) nicht-konstruktiv mit Tierrechten und Antispeziesismus. Sexismus und Rassismus beispielsweise sind Themen bei denen es um Unterdrückung geht, die man als Themen überhaupt akzeptiert – wenngleich die Problematiken dadurch auch noch nicht gelöst sind. Tierrechte betrachtet man aber eher noch als Unthema und kanzelt konsequente Pro-Tierrechtspositionen tendenziell ab oder verdreht sie bis zur Unkenntlichkeit. So vermischen sich Terminologien, die der Fremdbestimmung von Tierleben dienen, mit Gedanken, die Tieren zuträglich zu sein vorgeben: wie etwa der Terminus „Artgerecht“ oder die Rede vom „Tierwohl”. Wir treffen auf Begriffe und Rhetoriken, die das eigentliche Thema, auf das die Diskussion hinauslaufen müsste, nämlich Tierrechte, verwässern. Aber es geht hierbei eben um Verwässerungsbegriffe und die weitere Unterbewertung des Themenkomplexes.

„Tierwohl“ ist ein problematischer Begriff, weil

  • zum Einen Tod und Tötung von nichtmenschlichen Tieren bei Fragen solcher Vorstellungen von „Wohl“ keine Rolle spielen sollen (es ist also egal ob ein Tier ermordet wird, und es besteht kein Unterschied zu einem natürlichen Tod, so meint man)
  • zum Anderen wird unberücksichtigt gelassen, dass in dem Moment, in dem Nichtmenschen durch den Menschen fremddefiniert und in ihren Rechten auf Unversehrtheit (als grundsätzliche physische Freiheit) beschnitten werden, moralisch gegen eine vom Menschen unabhängige Integrität von Nichtmenschen verstoßen wird, ausschließlich auf der Grundlage, dass sich diese Lebewesen von der Dominanz-/Herrschaft-ausübenden-Spezies unterscheiden. Moralische Rechte sowie moralische Relevanz existieren nicht erst in dem Moment, indem sie von menschlichen Gruppen als eigenes Konstrukt benannt werden. Moral ist die Beschreibung für einen Fakt sozialen Lebens. Und das Phänomen sozialer Interaktion begrenzt sich nicht auf menschliche Wesen alleine.

Der Begriff „Artgerecht“ liegt nah am „Tierwohl“ – gut gemeint impliziert er aber ebenso einen fremddefinitorischen Prozess, denn wer bestimmt denn da, was für wen gerecht ist:

  • Nichtmenschliche Tiere sind ökosozial eingebunden, sie binden sich (genauso wie Menschen das tun) in ihrer eigenen Art und Weise in die Welt ein, begeben sich in Relation, aber diese Art und Weise ist nicht einfach durch die Zugehörigkeit zu einer Spezies in einer speziellen Form festgelegt und für uns Menschen problemlos zu erfassen, sondern die ökosoziale Einbindung funktioniert so unendlich komplex, wie die Funktionsweise eines ganzen Ökosystems – man könnte dabei an den von Goethe verwendeten dichterischen Begriff des „Alllebens“ denken. In wechselseitiger Beziehung stehende Zusammenhänge sind nicht eingrenzbar auf einige erfüllbare Faktoren alleine, sondern die erfüllbaren Faktoren nähern sich Bedürfnissen nur an. Es ist also immer Vorsicht geboten, wenn wir uns anmaßen zu wissen, was reichen würde, damit ein Bedürfnis eines anderen Lebewesens ‚ausreichend‘ erfüllt ist.
  • Auch birgt der Begriff „Artgerecht“ den Fallstrick in sich, dass wir hier Spezies in durch den Menschen objektifizierte und festgelegte Gruppen einteilen. Der Fokus auf den Unterschied von „Arten“ trennt kategorisch und übersieht dabei die größeren Zusammenhänge in der Interaktion von nichtmenschlichen Tieren in deren ökosozialen Kontexten. Tiergruppen funktionieren offensichtlich wie feinste Netzwerke und verfügen über eine größere Dynamik, als ein Blick auf die Tierheit als „Arten“ erkennbar werden ließe.
  • Die Unterteilung von Tieren in „Arten/Spezies“ ist das biologistisch-speziesistische Pendant zu einem Blick auf Menschen als „Rassen“ [1], der entstehungsgeschichtlich damit verwandt ist. Man folgert tatsächlich aus der Zugehörigkeit zu einer „Art“, dass beispielsweise ein Wirbeltier mehr vernunftbegabt sei als ein Wirbelloser. Der Begriff der „Tierarten“ hat seine Entstehungsgeschichte und informiert ein segregatives Denken, das wir nicht außer Acht lassen dürfen bei der Verwendung des Begriffs. Die „Art“ oder Spezies, die wir bezeichnen wollen, sollte vielmehr integrativ kontextualisiert werden – unter Gesichtspunkten ihrer Problematiken und ihrer Stärken, in der ökologischen und aber auch in der vom Menschen (destruktiv-) dominierten Welt. „Art“ als biologische Konstante zu verstehen, aus der sich feste und alleingültige Herangehensweisen in der Mensch-Tier Interaktion ergeben, und Tiere dabei auf einige wenige für uns beobachtbare Bedürfnisse zu reduzieren, blendet soziale, environmentale, eigengeschichtliche, usw. Zusammenhänge von nichtmenschlichen Tieren aus. Für uns wahrnehmbar erscheinen nichtmenschliche Tiere als nach biologischen Kriterien zu verstehende „Spezies“, aber ihr Sein in der Welt lässt sich nicht auf solche Beobachtungspunkte eingrenzen, so dass wir gegenwärtig behaupten könnten einen Überblick über Gesamtkontexte zu haben.
  • In sozialen Interaktionsmomenten geht es um Annäherung und Approximation, soziale Interaktion ist kein „totaler“ Zustand. Ich glaube der Gedanke ökosozialer Relation und Verbundenheit ist hilfreicher als die Statik eines klassifizierenden Gedanken von „Arten“. Ich würde daher eher von Tiergruppen sprechen und nichtmenschliche Tiere dabei nicht primär auf biologische Merkmale, die sich aus unseren Klassifikationssystemen ableiten, begrenzt verstehen. Tiere gestalten ihre Umwelt und interagieren sozial und ökosozial. Sie sind nicht als grundsätzlich trennbare Gruppen zu analysieren und zu verstehen. Man stülpt ihnen durch den Begriff der „Art“ einen eingrenzenden Rahmen über, der sie partikularistisch in der Welt verortet. In Wirklichkeit stehen Tiere aber immer im größtmöglich anzunehmenden Kontext.
  • Beobachtungen von nichtmenschlichen Tieren haben ihre Grenzen immer dort, wo die beobachtenden Menschen eingrenzende Kriterien zur Beobachtung festlegen. Biologen tun dies, weil ihre Paradigmen immer allein die naturwissenschaftlich-biologisch geleiteten Blickpunkte sind. Wir würden menschliches Leben aber niemals primär aus einer biologischen Sicht heraus erklären und deuten wollen: Wir treten, was uns anbetrifft, über die Grenzen solcher Definitionen hinaus und beanspruchen für uns selbst eine Freiheitsfähigkeit, die wir uns (zumindest prinzipiell) als einziger Spezies gestatten. Im Bezug auf unsere Perspektiven auf Tiere ist es also wichtig, neue Bezugsrahmen (statt beispielsweise der biologistischen Eingrenzung) zu erkennen und zu entwickeln, um sich aus der privilegierten Position in eine gerechtere Position nichtmenschlichen Tieren gegenüber zu bewegen.
  • Nochmal: Tiere in erster Linie biologisch zu erklären, heißt sie deterministisch zu betrachten und ihre nicht eingrenzbaren eigenen Lebensweisen in unsere engen Beobachtungsmuster zu zwängen. Ich spreche zur Erweiterung der eigenen Perspektive auf Nichtmenschen daher beispielsweise auch von einer antispeziesistischen Tiersoziologie und in dem Sinne auch von ökosozialen Kontexten, statt mich argumentativ an naturwissenschaftliche Perspektiven zu lehnen.

Von Subjekt zu Subjekt

Wie kann ich als einzelnes Subjekt etwas in dem zähen Gefüge eines speziesistischen sozialen Milieus ausrichten? Die Schwierigkeit, die hinzukommt zur sturen Gesellschaft, die gegenwärtig noch relativ uninformiert ist über Speziesismus/Antispeziesismus, ist, dass Aktivismus nicht nur schwer ist, was die Kommunikationsebenen mit uninformierten Menschen anbetrifft. Aktivismus betrifft auch die Teilnahme am Diskurs unter Menschen, die informiert sind – wie diese Themen diskutieren und die einzelnen Diskutierpunkte wiederum politisch verorten. Nicht alle Tierrechtler_innen stimmen in ihren Vorstellungen darüber, was Speziesismus/Antispeziesismus ist, überein – was an sich kein Problem darstellen muss, jedoch zum weiteren Diskurs Anlass geben sollte.

Was verstehen wir alle überhaupt unter Speziesismus/Antispeziesismus:

  • ist es allein die Komponente, dass Tierkörpern physisch keine Gewalt angetan werden darf, oder geht es dabei nicht auch um die Frage von Gerechtigkeit gegenüber Tierkörpern und Tiersein?
  • Reicht es zu sagen, Tiere sind empfindsam und intelligent, oder muss man das Augenmerk auch auf eine Gesellschaft richten, die in ihrer Überlebensstrategie überhaupt meint, man könne Tiere seinen eigenen Zielen opfern – eine Gesellschaft die nichtmenschlichen Tieren in dem Zuge auch zur eigenen Legitimation alle jene Eigenschaften abspricht, die die nichtmenschlichen Tiere als Subjekte statt als Objekte erkennbar werden lassen würden?
  • Warum errichtet die Gesellschaft überhaupt einen Beweiszwang für Kriterien, anhand derer ein Grad an „Menschlichkeit“ bewiesen werden müsste? Warum annektieren Menschen gewisse Eigenschaften für sich und sind zugleich aber auch ignorant gegenüber der Bedeutsamkeit und zum Facettenreichtum von Verschiedenartigkeit/existenzieller Pluralität?
  • Wie weit sollten Fragestellungen zur Analyse des Problems gehen?

Speziesismus ist ein gesellschaftliches Problem, das nicht im Industriezeitalter aus dem Himmel gefallen ist. Die Haltung des Jägers ist nicht zwingend ein anthropologisch-evolutionärer Automatismus gewesen. Man muss nicht davon ausgehen, dass Tiermord für jeden Menschen zu jeder Zeit immer „normal“ gewesen sei. Zählt die Wahrnehmung einzelner menschlicher Subjekte oder sind wir nur ein genetischer Kollektivpakt?

Können und wollen wir, wenn wir denn nun Tierrechtler_innen sind, uns auch vorstellen, dass die Beziehung der menschlichen Gesellschaft zu der nichtmenschlichen Welt, insbesondere derer nichtmenschlicher Tiere, frei, emanzipativ und gerecht werden muss, und dass wir daher in einer speziesistischen Welt grundsätzliches Umdenken und Hinterfragen in allen Details benötigen?

Es wird zu jeder Zeit in der Menschheitsgeschichte menschliche Wesen gegeben haben, die Tiere genau so sahen, dass sie eine friedliche, freundliche und gerechte Koexistenz mit Nichtmenschen anstrebten. Diese Menschen waren mit Sicherheit an der Stelle wirksam, an der sie agierten und lebten.

Es kann nicht sein, dass wir bei Themen, die uns Menschen anbetreffen, alles hinterfragen dürfen, aber bei Tieren engere Rahmen stecken sollten, weil es uns erstmal um das Ziel geht, dass die Menschen aufhören sollen Tiere zu töten. Wir haben es mit einem Problem menschheits- (und tierheits-)geschichtlichen Ausmaßes zu tun. Und es macht einen Unterschied, ob wir von „quälen“, „Qual“,„foltern“, „Schlachten“, „töten“ oder „Mord“ reden, von „sterben“ oder „verenden“, d.h. in welchen Bezugsrahmen wir die Problematik („Zoozid“) beschreiben und welche Narrative wir daraus entwickeln.

Warum sollten wir nicht das ganze Grauen benennen – in all seinen für uns erkennbaren Dimensionen als kultur- und geistesgeschichtlich verursachtes Problem mit Funktionsweisen und Entstehungsgeschichten? Viele meinen pragmatisch zu bleiben in Tierrechtsfragen, hieße das leibliche Wohl und die leibliche Unversehrtheit von Nichtmenschen einzufordern. Die Unversehrtheit von nichtmenschlichen Tieren umfasst aber auch ihnen gerecht zu werden: sie zu rehabilitieren, d.h. die Ungerechtigkeit, die ihnen seit Jahrtausenden im Menschdasein begegnet, so gut wir es können zur Sprache zu bringen, auch wenn das oftmals schwierig scheint … das Wichtige ist, dass wir es immer wieder und immer weiter versuchen. Und jeder Versuch ist dabei bereits Handeln!

Bei Menschen kann der moralische Zeigefinger oft nicht hoch genug zeigen, bei Tieren stellen moralische Imperative nun auf einmal ein vermeintliches Problem dar, wird hoher moralischer Anspruch angeblich zum Hindernis um die Sache vorwärts zu treiben (oder um die Situation adäquat zu analysieren). Aber ist nicht genau das ein Zeichen des Problems, dass nichtmenschliche Tiere weniger moralische Empörung und moralische Verunsicherung aufwerfen sollten? Wozu der segregierte Raum [2], den wir Tierthemen zuweisen?

An dieser Stelle möchte ich die Perspektive meines eigenen subjektiven Aktivismus kurz schildern: Ich kann und möchte danach gehen, was mir wichtig scheint zu diskutieren. Ich glaube manchmal muss man Dinge in Eigeninitiative angehen. In direkten Gesprächen mit Menschen fühlen diese oft einen Affront wenn ich mit Gerechtigkeit und anti-biologistisch argumentierenden Tierrechten komme. Viele Menschen scheinen nicht in der Lage, offen auf für sie ungewohnte Perspektiven zu reagieren. Im virtuellen öffentlichen Raum ist die Diskussion teilweise eher möglich. Man stellt seine ehrlichen Beobachtungen, Empfindungen, Meinungen, Gedanken zur Disposition.

Mir persönlich fehlt es in der ganzen Diskussion über die Tierrechtproblematik, seitens Uninformierter, seitens Speziesisten, aber auch seitens tendenziell biologistisch denkender Tierrechtler_innen, an ehrlicherem Diskurs. Mir scheint es immer so als versteckten sich viele Leute hinter irgendwelchen Meinungsgebäuden, statt über ihre subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen zu sprechen. Ich würde zu gerne wissen, was Menschen tief innerlich denken über die Vielfältigkeit unserer irdischen Existenz im Weltall – aber ohne menschlich-kollektivistische Hybris, und ich finde es legitim, meine Fragen hierzu in den virtuellen öffentlichen Raum zu stellen.

[1] Siehe hierzu: Anastasia Yarbrough: Weißes Überlegenheitsdenken und das Patriarchat schaden Tieren https://simorgh.de/about/yarbrough_weisssein_patriarchat_tiere/ und Ein Interview mit Syl Ko https://simorgh.de/about/ein-interview-mit-syl-ko/

[2] Zu segregativen Herangehensweisen, siehe meine Kommentare: „Segregative approaches“ https://simorgh.de/about/segregative-approaches/ und „Ein geteilter Raum“ https://simorgh.de/about/ein-geteilter-raum/ . Insgesamt geht es im meiner Texten zumeist implizit um das Problem von Segregation.

Kunstbuch: Farangis G. Yegane

Text: Gita Yegane Arani

Ein geteilter Raum

Ich lese diesen Kommentar hier vor für Menschen mit Sehbehinderung (MP3)

Ich glaube, dass jeder Mensch nicht weniger mit einem Gegenstand, den er betrachtet, in Zusammenhang zu setzen ist, als mit einem anderen – unabhängig davon, wie sehr, wie viel oder wie wenig er sich mit einer Sache befasst. Menschen setzen sich mit Tieren auseinander, in passiver oder aktiver Weise, konstruktiv, destruktiv, ignorant oder empathisch oder irgend etwas dazwischen. Ich glaube insofern nicht, dass wir gesonderte, segregierte Bereiche für die Belange von Tieren und gleichermaßen für die Mensch Tier-Beziehung benötigen. Ganz im Gegenteil, ich glaube es gilt statt segregierter Räume zu schaffen (> pigeonholes für Tier- und Naturthemen), sinnvollere, kontextualisierende neue Perspektiven zu erlangen.

Mir fällt in diesem Zusammenhang immer wieder auf, wie wenig ein moralisches oder ethisches Bewusstsein sich nur partiell äußern kann. Wenn ein Mensch sich seiner Umwelt gegenüber verantwortlich fühlt, dann ist das in der Regel immer eine Art ganzheitlicher Prozess. Moral und Ethik funktionieren in der Praxis nicht ausschnittsweise, wenn auch in der Theorie.

Es ist schwer sich in diesen Tagen mit eigener Kreativität, eigenen Gedanken und Aktionen in den aktuellen aktivistischen Diskurs, der Tierrechte mit umfasst, mit-einzubringen und nicht nur in gedankliche Chöre mit einzustimmen. Ich denke das ist genau deswegen so, weil ständig gesonderte Räume für den nichtmenschlichen Bereich geschaffen werden. Mein menschlicher Belang, so wie er mich tagtäglich anbetrifft, gliedert faktisch den Alltagsspeziezismus aus, und meine menschliche Subjektivität soll den subjektiven Realitätsebenen der Tierheit nicht begegnen. Weshalb ist es sonst so schwer eine Brücke zu schlagen zwischen meinen menschlichen subjektiven Erlebnissen in dieser Gesellschaft und denen der Tiere und der Diskussion über sie? Segregation, die noch mehr Segregation schafft.

Durch eine Segregierung von subjektiven Räumen findet eine wenn auch theoretisch-ethische Objektifizierung statt (‘ich begegne den Tieren als Subjekten nicht selbst als Subjekt‘). Das Tierthema wird behandelt, es steht aber nicht im unmittelbar gelebten Zusammenhang mit meiner ethischen Alltagspraxis, was meine subjektiven Denk- und Erlebnisstrukturen anbetrifft. Alles, was mein Menschsein betrifft darf ich subjektiv durchstreifen, aber das Tierthema untersteht allgemeiner Definitionshoheit. Wir befragen und überlassen die Diskursräume denen, die sich dazu autorisiert fühlen. Wir wollen auch nicht hören, was Hinz und Kunz dazu zu sagen haben. Aber wenn es um uns Menschen geht, um uns selbst, dann wie bereits gesagt spielt die subjektive Urteilskraft eine ganz zentrale und befähigende Rolle.

Der Aktivismus ist eingeschränkt auf segregierte, getrennte Räume. Manche sprechen von der Problematik der Binäre ( > Mensch versus Natur, etc.). Die Trennungen und Zuordnungen sind aber noch komplizierter als die eines Binärs und sie sind auch nicht durch theoretische Standpunkte und punktuellen Aktionismus alleine zu überwinden, sondern durch eine Auflösung der Konstrukte, die solche Denkweisen überhaupt erst aus sich heraus generieren:

Ein zentrales Beispiel dessen wäre die stetige biologistische Zuordnung von Tierthemen auch unter Tierrechtsaktivist_innen, statt einer Bewusstmachung der Ursachen und möglichen Motivationen für solche kategorischen Zuordnungen auf menschlicher Seite. In der Theorie wird keine Lösung gefunden, weil die vorgefassten Argumentationsstränge teils nicht zur Hand sind, nicht formuliert werden oder teils nicht bis ins allgemeine Bewusstsein von Aktivist_innen vorrücken oder in die Praxis umgesetzt werden.

Wie durchbricht man sozial-geistige Konstrukte, die das Denken von Menschen, auch unser eigenes, beeinflussen? Im mindesten indem man selbstständig beobachtet und kanonisierte kollektive Haltungen kritisch zu hinterfragen bereit ist. Trotz allen eigenen Denkens ist es aber ungleich schwer gegenwärtig in einem allgemein als nicht-subjektiv verstandenen Raum selbst-denkend mitzuwirken.

(Ich glaube wir können “den Menschen” nur ertragen, wenn er nicht selbst denkt. Menschen schließen sich lieber allgemein formulierten Glaubenssätzen mit Teilüberschneidung zu ihrem Denken an, das durch eine Gemeinschaft gefiltert worden ist, als in einer sozialen Welt unverstanden zu bleiben weil sie allein-denkendes Individuum sind. Viele Menschen sind durch kollektivistische Ideale beeinflusst und bestimmt – auch wenn sie es sich selbst oft nicht wirklich eingestehen wollen, weil man hat ja seine eigene Meinung!)

Für mich bleibt eine Fragen offen, und das ist genau die, an der mein Aktivismus und meine eigene Meinung ansetzt, und zwar:

Wie soll unsere theoretische Ethik im Bezug auf die von uns geschaffenen compartmentalized subjects, die wir eben auch im Aktivismus reproduzieren, zu fundamentalen Veränderungen führen? Eine fundamentale Veränderung wäre für mich gegeben, wenn wir Denkstrukturen der Segregation grundsätzlich aufbrechen und im Bezug auf Tiere und die Umwelt hat das Segregierende eine ganz eigene Bedeutsamkeit und Tragweite.

“Segregation” in terms of Nonhumans and Humans implies segregated ethics, segregated subjectivity, segregated attributions, segregated environmental comprehension.

“Segregation” im Bezug auf Nichtmenschen und Menschen beinhaltet eine segregierte Ethik, eine segregierte Subjektivität, segregierte Attribuierungen und ein segregiertes Verständnis der Umwelt.

Text: G. Yegane Arani